Das Verkehrslexikon

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OVG Münster Beschluss vom 20.03.2014 - 16 B 264/14 - Cannabiskonsum und mangelndes Trennvermögen

OVG Münster v. 20.03.2014: Zur Entziehung der Fahrerlaubnis bei Cannabiskonsum und mangelndem Trennvermögen


Das OVG Münster (Beschluss vom 20.03.2014 - 16 B 264/14) hat entschieden:
Der Entziehung der Fahrerlaubnis der PKW-Klasse B nach § 3 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) i.V.m. § 46 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) nach gelegentlichem Cannabiskonsum und fehlendem Trennvermögen steht nicht entgegen, dass der Fahrerlaubnisinhaber bei zwei Vorfällen ein Kleinkraftrad und keinen PKW geführt hat. Da ein Kleinkraftrad ebenfalls ein Fahrzeug im Sinne des § 1 Abs. 2 StVG ist, genügt das Führen eine solchen Fahrzeugs für den Beweis fehlenden Trennungsvermögens.


Siehe auch Fehlendes Trennvermögen zwischen gelegentlichem Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme und Cannabis im Fahrerlaubnisrecht


Gründe:

Die Beschwerde ist unbegründet. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung des angefochtenen Beschlusses führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis.

Mit dem Beschwerdevorbringen wiederholt der Antragsteller sein erstinstanzliches Vorbringen, die Antragsgegnerin habe zu Unrecht die Rauschfahrt am 10. Februar 2013 berücksichtigt, denn die nach dem Vorfall genommene Blutprobe sei rechtswidrig zustande gekommen. Der Antragsteller beruft sich damit auf ein Beweisverwertungsverbot wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt nach § 81a StPO. Hierzu hat bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt, das ein Verwertungsverbot im Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht zur Unverwertbarkeit im fahrerlaubnisrechtlichen Verfahren führt. Während nämlich Beweisverwertungsverbote im vorrangig repressiven Zwecken dienenden Strafprozess dem Spannungsverhältnis zwischen dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch einerseits und dem Grundrechtsschutz des Betroffenen andererseits Rechnung tragen, sind im rein präventiven, auf keine Bestrafung gerichteten Fahrerlaubnisverfahren maßgeblich auch Rechtsgüter einer unbestimmten Zahl Dritter, namentlich Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer, zu beachten. Mit dem Schutz der Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrerlaubnisinhabern wäre es nicht zu vereinbaren, wenn die Fahrerlaubnisbehörden an der Berücksichtigung (eventuell) strafprozessual fehlerhaft gewonnener Erkenntnisse allgemein gehindert wären oder wegen eines außerhalb ihres Verantwortungsbereichs begangenen Verfahrensfehlers sehenden Auges die gravierenden Gefahren hinzunehmen hätten, die mit der Verkehrsteilnahme eines derzeit kraftfahrungeeigneten Fahrerlaubnisinhabers verbunden sind.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13. März 2014 - 16 B 228/14 - und vom 2. September 2013 - 16 B 976/13 -, juris, Rn. 2 ff.
Indessen dürfen auch im fahrerlaubnisrechtlichen Verfahren solche Erkenntnisse nicht berücksichtigt werden, die unter Missachtung fundamentaler Rechtsgrundsätze gewonnen wurden. Hierzu gehören jedenfalls Verstöße, bei denen die Menschenwürde des Betroffenen verletzt wird.
So Bay. VGH, Beschluss vom 31. Januar 2013 - 11 CS 12.2623 -, juris, Rn.11.
Hierfür ist aber nichts dargelegt und auch nichts ersichtlich.

Dass die Antragsgegnerin nach dem Vorbringen des Antragstellers nicht auf die erste Rauschfahrt am 8. November 2012 tätig geworden ist, sondern aufgrund der 2. Rauschfahrt im Februar 2014, ist unzutreffend, wäre im Übrigen ordnungsrechtlich unbeachtlich. Das Polizeipräsidium B. hatte unter dem 8. November 2012 der Antragsgegnerin Eignungszweifel des Antragstellers aufgrund des Vorfalls vom selben Tag mitgeteilt, worauf die Antragsgegnerin unter dem 15. Februar 2013 um Bekanntgabe des dortigen Aktenzeichens und am 18. April 2013 um Übersendung der Akten zur Einsichtnahme bat. Am 7. Mai 2013 bat die Antragsgegnerin um Übersendung der Akten zur Einsichtnahme hinsichtlich des 2. Vorfalls im Februar 2013. Unter dem 16. September 2013 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller schließlich zur Frage seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen an und kündigte die Entziehung seiner Fahrerlaubnis an. Soweit das Beschwerdevorbringen möglicherweise auch darauf abzielt, wegen überlanger Verfahrensdauer bestehe kein Grund für eine sofortige Vollziehung des Bescheids, kann ein solcher Einwand nicht verfangen. Angesichts der von ungeeigneten Kraftfahrern ausgehenden erheblichen Gefahren für den Straßenverkehr ist es dringlich, den Antragsteller vorläufig von der weiteren Verkehrsteilnahme fernzuhalten. Dies würde auch gelten, wenn seit dem Vorfall bei Entziehung der Fahrerlaubnis bereits erhebliche Zeit vergangen wäre, was hier indes nicht der Fall ist. Die Dringlichkeit ordnungsrechtlicher Maßnahmen zur Gefahrenabwehr bestimmt sich nach einem objektiven Maßstab. Zeitablauf allein macht es nicht weniger dringlich, einen ungeeigneten Fahrerlaubnisinhaber von der weiteren Verkehrsteilnahme auszuschließen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2013 - 16 B 1333/13 -, m.w.N.
Der Entziehung der Fahrerlaubnis der PKW-Klasse B nach § 3 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) i.V.m. § 46 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) steht auch nicht entgegen, dass der Antragsteller bei beiden Vorfällen ein Kleinkraftrad und keinen PKW geführt hat. Denn bei dem hier in Rede stehenden regelmäßigen Cannabiskonsum, den der Antragsteller bei dem ersten Vorfall im November 2012 eingeräumt hat, stellt sich diese Frage von vornherein nicht. Nach 9.2.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung lässt allein schon der regelmäßige Konsum von Cannabis die Fahreignung entfallen. Aber auch wenn man hier einen nur gelegentlichen Konsum von Cannabis annähme, wäre die Fahreignung des Antragstellers zu Recht verneint worden. Nach Nr.9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung entfällt bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis die Fahreignung nur dann nicht, wenn der Fahrerlaubnisinhaber zwischen Konsum und Fahren trennt und kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen, keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust vorliegen. Hiervon kann, wie das Verwaltungsgericht unter Berufung auf die Senatsrechtsprechung zutreffend ausgeführt hat, keine Rede sein. Mit Rücksicht auf den THC-Wert von 10 ng/ml bei dem Vorfall im November 2012 und 2,9 ng/ml bei dem Vorfall im Februar 2013 hat der Antragsteller nicht zwischen Cannabiskonsum und der Teilnahme am Straßenverkehr getrennt. Die mangelnde Trennung zwischen dem (gelegentlichen) Cannabiskonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen liegt nach Auffassung des Senats und anderer Obergerichte bei einem THC-Wert ab 1,0 ng/ml im Blutserum vor.
Hierzu ausführlich OVG NRW, Urteil vom 21. März 2013 - 16 A 2006/12 -, NJW 2013, 2841 = juris, Rn. 34 ff.
Da ein Kleinkraftrad ebenfalls ein Kraftfahrzeug im Sinne des § 1 Abs. 2 StVG ist, genügt das Führen eines solchen Fahrzeugs für den Beweis fehlenden Trennungsvermögens.

Soweit die Beschwerde ein nunmehr drogenfreies Leben des Antragstellers pauschal behauptet, kommt diesem Vorbringen im Aussetzungsverfahren keine Bedeutung zu. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller seine Kraftfahreignung im maßgeblichen Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung oder zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Aussetzungsantrag wiedererlangt hätte. Die Wiedererlangung der Kraftfahreignung setzt den Nachweis voraus, dass der Betroffene Cannabis nicht mehr regelmäßig konsumiert oder bei hinreichender Trennung zwischen Konsum und Führen eines Fahrzeugs gelegentlich konsumiert. Ob der Antragsteller diese Voraussetzungen erfüllt, ist nicht schon mit dem hier bloß behaupteten Verzicht auf Drogenkonsum nachgewiesen. Es bedarf zusätzlich des Nachweises, dass bezogen auf die Einnahme illegaler Drogen auf der Grundlage einer tragfähigen Motivation eine hinreichend stabile Verhaltensänderung eingetreten ist und daher für die Folgezeit eine günstige Prognose getroffen werden kann. Dieser Nachweis kann grundsätzlich - und so auch hier - nur auf der Grundlage einer medizinischpsychologischen Begutachtung erbracht werden.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 6. Oktober 2006 - 16 B 1538/06 -, juris, Rn. 4, und vom 2. April 2012 - 16 B 356/12 -, juris, Rn. 6 ff.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).



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