Das Verkehrslexikon

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OLG Bamberg Urteil vom 25.06.2013 - 3 Ss 36/13 - Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch

OLG Bamberg v. 25.06.2013: Zur Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch bei einer Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis


Das OLG Bamberg (Urteil vom 25.06.2013 - 3 Ss 36/13) hat entschieden:
  1. Auf die Sachrüge überprüft das Revisionsgericht im Rahmen einer zulässigen Revision von Amts wegen, ob das Berufungsgericht zu Recht von einer wirksamen Berufungsbeschränkung (§ 318 StPO) ausgegangen ist. Denn die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung ist eine Frage der Teilrechtskraft. Gerade bei Beschränkungen der Berufungen auf das Strafmaß umfasst diese Prüfung deshalb auch, ob der vom Amtsgericht festgestellt Sachverhalt in Hinsicht auf die Rechtsfolgen tragfähig ist oder sich als lückenhaft erweist (Festhaltung an OLG Bamberg, Beschluss vom 20. Dezember 2012, 3 Ss 136/12, BA 50 [2013], 88 f.; Anschluss u.a. an OLG München, Beschluss vom 8. Juni 2012, 4 StRR 97/12, zfs 2012, 472 f. und OLG Koblenz, Urteil vom 18. März 2013, 2 Ss 150/12).

  2. Bei einer Verurteilung wegen (vorsätzlichen) Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) setzt die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch über Feststellungen zu Tatzeit und zum Führen des Tatfahrzeugs an einem bestimmten Ort wegen ihrer wesentlichen Bedeutung für den Schuldumfang und damit für den Rechtsfolgenausspruch weitere Feststellungen auch zur Motivation der Tat, den konkreten Verkehrsverhältnissen bei Tatbegehung, etwa zu möglichen Gefährdungen anderer Straßenverkehrsteilnehmer, und zum konkreten (privaten oder beruflichen) Anlass und gegebenenfalls weiteren Umständen der Tat, z.B. zu Art, Dauer und Länge der beabsichtigten oder tatsächlich absolvierten Fahrtstrecke jedenfalls dann voraus, wenn diese Feststellungen ohne weiteres möglich sind (Festhaltung an OLG Bamberg, Beschluss vom 20. Dezember 2012, 3 Ss 136/12, BA 50 [2013], 88 f.).

Siehe auch Rechtsmittel im Strafverfahren und Fahren ohne Fahrerlaubnis


Gründe:

I.

Das Amtsgericht (Strafrichter) verurteilte den Angeklagten am 07.11.2011 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten, gebildet aus Einzelfreiheitsstrafen von zwei und fünf Monaten. Auf die hiergegen seitens des Angeklagten eingelegte Berufung, die er in der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, hat das Landgericht die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass es die Vollstreckung der (beibehaltenen) Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen dieses Urteil wendet sich nunmehr die Staatsanwaltschaft mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, mit der sie die Verletzung materiellen und formellen Rechts rügt.


II.

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der statthaften und auch im Übrigen zulässigen Revision der Staatsanwaltschaft (§§ 333, 341 Abs. 1, 344, 345 Abs. 1 StPO) erweist sich auf die Sachrüge bereits deshalb als erfolgreich und zwingt den Senat zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, weil das Landgericht – wie von der Revision zutreffend beanstandet – zu Unrecht die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch angenommen und deswegen über den Verfahrensgegenstand nur unvollständig entschieden hat. Auf die weiteren mit der Revision vorgebrachten Rügen der Verletzung des materiellen und des formellen Rechts kommt es deshalb nicht mehr an.

1. Auf die Sachrüge überprüft das Revisionsgericht im Rahmen einer zulässigen Revision nicht nur, ob das materielle Recht rechtsfehlerfrei auf den Urteilssachverhalt angewendet worden ist, sondern darüber hinaus von Amts wegen auch, ob Prozessvoraussetzungen gegeben sind oder Prozesshindernisse entgegenstehen. Im Rahmen dieser Prüfung ist seitens des Revisionsgerichts von Amts wegen auch festzustellen, ob das Berufungsgericht zu Recht von einer wirksamen Berufungsbeschränkung nach § 318 StPO ausgegangen ist. Denn die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung ist eine Frage der Teilrechtskraft. Gerade bei Beschränkungen der Berufungen auf das Strafmaß umfasst diese Prüfung deshalb auch, ob der vom Amtsgericht festgestellt Sachverhalt in Hinsicht auf die Rechtsfolgen tragfähig ist oder sich als lückenhaft erweist (vgl. zuletzt z.B. OLG München, Beschluss vom 08.06.2012 – 4 StRR 97/12 [bei juris] = zfs 2012, 472 f.und OLG Koblenz, Urteil vom 18.03.2013 – 2 Ss 150/12 [bei juris]).

a) Eine Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ist nur dann wirksam, wenn die Schuldfeststellungen eine hinreichende Grundlage für die Strafzumessung ergeben, was dann nicht der Fall ist, wenn die getroffenen Feststellungen den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht erkennen lassen und somit keine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Berufungsgerichts sein können (BGHSt 33, 59; OLG Düsseldorf NStZ 1992, 298, 299; BayObLGSt 1994, 98/100; OLG Koblenz NStZ-RR 2005, 178;OLG München zfs 2008, 532 ff. = DAR 2008, 533; OLG Hamburg, Beschluss vom 15.03.2012 – 2 - 70/11 [bei juris] und schon Senatsurteile vom 24.01.2012 – 3 Ss 126/11, vom 24.07.2012 – 3 Ss 62/12 sowie zuletzt eingehend Senatsbeschluss vom 20.12.2012 – 3 Ss 136/12 [bei juris] = BA 50 [2013], 88 f.; vgl. ergänzend auch OLG Bamberg, Urteile vom 05.03.2013 – 2 Ss 135/12 [bei juris] und vom 04.12.2012 – 2 Ss 101/12 = wistra 2013, 117 f. = NStZ-RR 2013, 109 [Ls]; OLG Koblenz a.a.O., jeweils m.w.N.; siehe aus der Kommentarliteratur im Übrigen z.B. Meyer-Goßner StPO 56. Aufl. § 318 Rn. 17 f.; KK/Paul StPO 6. Aufl. § 318 Rn. 7a und LR/Gössel StPO 26. Aufl. § 318 Rn. 48 ff., jeweils m.w.N.).

b) Das Amtsgericht hat hinsichtlich der ersten Tat lediglich festgestellt, dass der Angeklagte „am Montag, den 04.07.2011 gegen 15.15 Uhr“ mit dem seiner Lebensgefährtin gehörenden Pkw Fiat „ein kurzes Stück auf der E.-Straße in H.“ gefahren sei, „obwohl er,wie er wusste, nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis war“. Für die zweite Tat beschränken sich die Feststellungen des Amtsgerichts darauf, dass der Angeklagte „am Dienstag, den 05.07.2011 gegen 19.00 Uhr […] mit demselben Pkw die Staatsstraße zwischen B. und H.“ befuhr, „obwohl er nach wie vor, wie er wusste, nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis war“. Aus den weiteren Darlegungen des Amtsgerichts im Rahmen seiner Beweiswürdigung und den Strafzumessungserwägungen ergibt sich im Hinblick auf das Tatgeschehen noch ergänzend, dass der die Taten „umfassend und glaubhaft“ einräumende Angeklagte anlässlich der Tat vom 05.07.2011 „von einer Polizeistreife auf frischer Tat angehalten worden“ war bzw. bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten neben seinem umfassenden Geständnis zu werten war, dass er bezüglich der (ersten) Fahrt vom 04.07.2011 „nur eine kurze Fahrtstrecke zurückgelegt hat“.

c) Diese Feststellungen sind unvollständig, da sie keine hinreichende Grundlage für die Strafzumessung ergeben. Nach ganz überwiegender obergerichtlicher Rechtsprechung, der sich der Senat wiederholt ausdrücklich angeschlossen hat, darf sich der Tatrichter gerade bei den vielfach verwirklichten und typischen (folgenlosen) Verkehrsdelikten der Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB (hierzu eingehend Senatsbeschluss vom 20.12.2012 – 3 Ss 136/12 [a.a.O.]) und des Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 StVG neben Angaben zur Tatzeit und zum Führen des Tatfahrzeugs an einem bestimmten Ort nicht allein auf die Feststellung der objektiven und subjektiven Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes beschränken. Wegen ihrer wesentlichen Bedeutung für den Schuldumfang und damit für den Rechtsfolgenausspruch ist der Tatrichter vielmehr im Einzelfall gehalten, Feststellungen auch zur Motivation der Tat, den konkreten Verkehrsverhältnissen bei Tatbegehung, etwa zu möglichen Gefährdungen anderer Straßenverkehrsteilnehmer, und zum konkreten (privaten oder beruflichen) Anlass und gegebenenfalls weiteren Umständen der Tat, z.B. zu Art, Dauer und Länge der ungeachtet fehlender Fahrerlaubnis beabsichtigten oder tatsächlich absolvierten Fahrtstrecke jedenfalls dann zu treffen, wenn Feststellungen dieser Art, insbesondere aufgrund der Einlassung eines – wie hier – uneingeschränkt geständigen Angeklagten ohne weiteres möglich und für den Schuldumfang erkennbar von ausschlaggebender Bedeutung sind (Senat a.a.O.; Senatsurteil vom 20.11.2012 – 3 Ss 92/12; BayObLG NStZ 1997, 359 und NZV 1999, 482 f.;OLG München zfs 2012, 472 f.; insoweit einschränkend nunmehr allerdings OLG Koblenz, Urteil vom 18.03.2013 – 2 Ss 150/12 [bei juris]). Auch bei einem fehlenden Geständnis werden sich Feststellungen in diesem Sinne wenigstens zu einigen nach Sachlage erkennbar besonders bedeutsamen Umständen vielfach aufgrund der Beweisaufnahme vom Tatrichter ohne besonderen oder gar unverhältnismäßigen Aufwand treffen und im Urteil darstellenlassen (OLG München zfs 2008, 532 ff.= DAR 2008, 533; BayObLG a.a.O., jeweils m.w.N.).

d) An dieser Ansicht ist festzuhalten. Denn den Schuldspruch betreffen nicht nur die zur Erfüllung der Tatbestandsmerkmale erforderlichen Feststellungen, sondern auch die Tatsachen, die nur den Schuldumfang beschreiben, ohne für die rechtliche Bewertung der Tat selbst unmittelbar von Bedeutung zu sein. Erkennt das Berufungsgericht darin zugleich erhebliche Strafzumessungsgesichtspunkte (sog. ‚doppelrelevante‘ Tatsachen), muss es nach Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch die dazu getroffenen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils seiner Entscheidung zu Grunde legen. Fehlen jedoch dahingehende Feststellungen, darf die Lücke nicht durch ergänzende Aufklärung geschlossen werden. Hält die Berufungskammer nähere Erkenntnisse für erforderlich, wofür hier der im Rahmen der Strafzumessungsgründe der Berufungskammer enthaltene, wenn auch letztlich keinen greifbaren Erkenntnisgewinn enthaltene Passus sprechen könnte, wonach zu Gunsten des Angeklagten „weiter […] zu berücksichtigen“ war, dass er am 04.07.2011 „nur ein kurzes Stück in seiner Wohnstraße gefahren ist und auch die Fahrtstrecke bezüglich der zweiten Tat nicht allzu lange gewesen ist, da sich der Angeklagte mit dem Pkw auf der Staatsstraße zwischen B. und seinem Wohnort H. befand“, verbleibt ihr wegen der durch die Doppelrelevanz bedingten Untrennbarkeit von Schuld- und Straffrage nur die Möglichkeit, die Berufung unbeschränkt durchzuführen und die Schuldfeststellungen umfassend neu zu treffen (OLG München und Senatsentscheidungen, jeweils a.a.O. m.w.N.).

2. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt auf die Revision der Staatsanwaltschaft zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mitsamt den ihm zugrunde liegenden Feststellungen ( § 353 StPO). Das Verfahren wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).

Für das weitere Verfahren weist der Senat auch mit Blick auf die mit der Revision vorrangig verfolgte Zielrichtung ergänzend darauf hin, dass jedenfalls auf der Grundlage der Feststellungen und Erwägungen des hier angefochtenen Urteils die Gewährung von Strafaussetzung zur Bewährung nach den Maßstäben der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. z.B. Senatsurteil vom 24.01.2012 – 3 Ss 126/11 [bei juris]) kaum zu rechtfertigen sein dürfte.