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OLG Hamm Beschluss vom 06.09.2013 - III-5 RVs 80/13 - Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr

OLG Hamm v. 06.09.2013: efährlicher Eingriff in den Straßenverkehr


Das OLG Hamm (Beschluss vom 06.09.2013 - III-5 RVs 80/13) hat entschieden:
Entscheidende Voraussetzung für eine Verurteilung nach § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB ist, dass der Täter das von ihm gesteuerte Fahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt. Dies ist bei einer sog. „Polizeiflucht“ der Fall, wenn der Täter die Möglichkeit einer Streifkollision mit einem abgestellten Polizeifahrzeug erkennt und diese billigend in Kauf nimmt, um flüchten zu können.


Siehe auch Der gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr


Gründe:

I.

Das Amtsgericht - Schöffengericht - Gladbeck hat den Angeklagten am 18. Dezember 2012 wegen gemeinschaftlichen Diebstahls und wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Sachbeschädigung und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Das Amtsgericht hat dem Angeklagten außerdem die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und angeordnet, ihm vor Ablauf von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Gegen dieses Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft, letztere zu Ungunsten des Angeklagten, Berufung eingelegt. Der Angeklagte hat seine Berufung vor Beginn der Berufungshauptverhandlung zurückgenommen.

Das Landgericht Essen hat auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das Urteil des Amtsgerichts Gladbeck aufgehoben und den Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Diebstahls und wegen eines vorsätzlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Sachbeschädigung, fahrlässiger Körperverletzung und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Auch das Landgericht hat dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Gegen dieses am 12. April 2013 verkündete Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt. Er rügt unter näheren Ausführungen die Verletzung materiellen Rechts.


II.

Die zulässige Revision ist offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

Entgegen der in der Revisionsrechtfertigung vertretenen Ansicht tragen die Feststellungen des Landgerichts die Verurteilung des Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Diebstahls und wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Sachbeschädigung. Auch der Rechtsfolgenausspruch hält einer rechtlichen Überprüfung stand.

1. Das Landgericht ist mit Recht von einem vollendeten gemeinschaftlichen Diebstahl gemäß §§ 242 Abs. 1, 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 3 StGB ausgegangen.

Die Wegnahme ist dann vollendet, wenn der fremde Gewahrsam gebrochen und neuer Gewahrsam begründet ist (vgl. BGH, NStZ 1981, 435; NJW 1981, 997). Die Frage, von welchem Zeitpunkt an der Dieb die dazu erforderliche tatsächliche Herrschaft über die gestohlene Sache ausübt, ist eine im Einzelfall nach den Anschauungen des täglichen Lebens zu beantwortende Tatfrage (vgl. BGHSt 16, 271, 273; 20, 194, 195 f.; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 242 Rdnr. 17). Dabei macht es sowohl für die Sachherrschaft des bisherigen Gewahrsamsinhabers wie für die des Täters einen entscheidenden Unterschied, ob es sich bei dem Diebesgut um umfangreiche, namentlich schwere oder sperrige Sachen handelt, deren Abtransport mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, oder ob es nur um kleine, leicht transportable Gegenstände geht (vgl. BGHSt 16, 271, 273; 23, 254, 255 f.). Das Verladen des Diebesgutes auf ein Transportfahrzeug kann daher je nach den Umständen des Einzelfalls für eine Tatvollendung ausreichen oder nicht (vgl. BGH, NJW 1981, 977).

Hieran gemessen war die Sachherrschaft des Inhabers der Maschinenbaufirma bereits gebrochen und eigene Sachherrschaft des Angeklagten und seiner Mittäter begründet.

Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die entwendeten Edelstahlteile (im Gesamtwert von etwa 70.000,- €) bereits über den Zaun des Firmengeländes gereicht und in eines der Täterfahrzeuge eingeladen worden waren. Alle Täter, soweit sie über den Zaun geklettert waren, hatten das Firmengelände wieder verlassen und befanden sich abfahrbereit außerhalb des Zauns, um sich mit der Beute vom Tatort zu entfernen. Erst zu diesem Zeitpunkt erschienen die Polizeibeamten, die durch Firmenmitarbeiter - welche das Tatgeschehen aus der Nähe beobachtet hatten - herbeigerufen worden waren.

Entscheidend ist, dass die Edelstahlteile bereits von dem Firmengelände entfernt und trotz ihrer Unhandlichkeit bzw. Größe vollständig in ein Transportfahrzeug verbracht worden waren, so dass der Angeklagte und seine Mittäter sofort losfahren konnten. Damit hatten sie den Herrschafts- bzw. Gewahrsamsbereich des Firmeninhabers gänzlich verlassen. Der Firmeninhaber bzw. seine Mitarbeiter konnten nicht mehr ungehindert auf die bereits in Täterfahrzeuge verladene Ware zugreifen. Hinzu kommt, dass der Abtransport selbst zu diesem Zeitpunkt mit keinen Mühen mehr verbunden war. Das Firmengelände ist ausweislich der getroffenen Feststellungen an das öffentliche Straßennetz angebunden und liegt in Essen in unmittelbarer Nähe zur Bundesstraße B 224, d.h. es bestanden sehr gute Fluchtmöglichkeiten. Zwar waren die Täter während des Tatgeschehens von Firmenmitarbeitern beobachtet worden, jedoch waren diese selbst nicht eingeschritten, weshalb die Täter insoweit keine Hindernisse zu überwinden hatten. Die Beobachtung als solche schließt die Gewahrsamserlangung ohnehin nicht aus (vgl. BGHSt 16, 271, 273 f.; Fischer, a.a.O., § 242 Rdnr. 21). Soweit die herbeigerufenen Polizeibeamten mit ihrem Einsatzfahrzeug auf der Fahrbahn angehalten hatten, ergibt sich aus den Feststellungen, dass hierdurch den flüchtenden Fahrzeugen die Durchfahrt "zumindest erheblich erschwert" werden sollte. Dass ein Durchkommen gleichwohl möglich gewesen ist, zeigt indes die nachfolgende Flucht des Angeklagten wie auch die seiner Mittäter.

Sicherlich hatten der Angeklagte und seine Mittäter im Zeitpunkt des Eintreffens der Polizei noch keinen endgültigen und gesicherten Gewahrsam erlangt. Letzteres ist aber nur Voraussetzung für die Beendigung des Diebstahls, nicht für seine Vollendung (vgl. BGHSt 23, 254, 255; 26, 24, 26).

2. Der Angeklagte hat sich darüber hinaus wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB) in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB), Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 1 StGB) und Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.

Entgegen der Revisionsbegründung tragen die getroffenen Feststellungen insbesondere auch den Schuldspruch wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB.

Entscheidende Voraussetzung für eine Verurteilung nach dieser Strafnorm ist, dass der Täter das von ihm gesteuerte Fahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt; er muss mit seinem Verhalten verkehrsfremde Zwecke verfolgen. Das ist nur dann der Fall, wenn seine Verkehrsteilnahme durch ein verkehrsfeindliches Verhalten unter bewusster Zweckentfremdung seines Fahrzeugs geprägt ist (vgl. BGH, NStZ-RR 1997, 261; NStZ 1985, 267).

In den Fällen der sog. "Polizeiflucht" ist nach gefestigter Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, wie folgt zu unterscheiden: Fährt der Täter auf eine Polizeisperre aus Beamten oder Fahrzeugen zu, so liegt eine bewusste Zweckentfremdung des Fahrzeugs zu verkehrsfeindlichen Zwecken dann vor, wenn das Fahrzeug mit Nötigungsabsicht eingesetzt worden ist (vgl. BGHSt 28, 87, 91). Demgegenüber ist keine Zweckentfremdung gegeben, wenn der Täter sein Fahrzeug nur als Fluchtmittel zur Umgehung einer Polizeikontrolle oder Festnahme eingesetzt hat und dabei von Anfang an nicht auf den Polizeibeamten bzw. sein Fahrzeug zufahren, sondern an ihm vorbeifahren fahren wollte. Im letztgenannten Fall kommt es nicht darauf an, ob es dann auf irgendeine Weise gleichwohl zu einer konkreten Gefährdung oder Verletzung des Beamten oder zu einem Sachschaden kommt. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn der Fahrzeugführer die Möglichkeit der Gefährdung oder Verletzung erkannt und eine solche Folge in Kauf genommen hat, weil ihm seine Flucht nur um den Preis einer nicht unerheblichen Gefährdung des Beamten und/oder seines Fahrzeugs möglich erschien (vgl. BGHSt 28, 87, 91; BGH, NStZ 1985, 267; OLG Hamm, NStZ-RR 2001, 104, 105).

Hiernach ist der Tatbestand des § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllt. Denn das Landgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass der Angeklagte die Möglichkeit einer - dann auch stattgefundenen - Streifkollision mit dem Polizeifahrzeug erkannt und diese billigend in Kauf genommen hat, um flüchten zu können. Dem Angeklagten war von Anfang an bewusst, dass das Polizeifahrzeug so abgestellt worden war, dass er der geöffneten Fahrertür nicht ausweichen konnte. Darüber hinaus ergibt sich aus den Feststellungen, dass dem Angeklagten bewusst gewesen ist, dass es sich bei dem Polizeifahrzeug um eine Sache von bedeutendem Wert handelt und dass dem Fahrzeug wegen der Streifkollision auch ein bedeutender Schaden gedroht hat (vgl. zu diesem "doppelten" Prüfungsschritt: Senatsbeschluss vom 04. Juni 2013 - 5 RVs 41/13 -). Diese Feststellungen hat das Landgericht mit nachvollziehbarer, widerspruchsfreier und nicht gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstoßender Begründung auf das Ergebnis der Beweisaufnahme gestützt, namentlich die Einlassung des Angeklagten, die (im allseitigen Einverständnis verlesene) Aussage des Zeugen X und die in Augenschein genommenen Lichtbilder des beschädigten Streifenwagens. Danach steht auch das Überschreiten des in der Rechtsprechung anerkannten Grenzwertes für Sachwert und Schadenshöhe - mindestens 750,- € (vgl. BGH, NStZ-RR 2012, 185, 186; Senatsbeschluss vom 04. Juni 2013 - 5 RVs 41/13 -) - außer Frage.

Entgegen der in der Revisionsbegründung vertretenen Ansicht kann nicht davon die Rede sein, das angefochtene Urteil "vermenge Elemente des bedingten Vorsatzes sowie der Fahrlässigkeit". Das Landgericht ist bezogen auf den Tatbestand des § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB rechtsfehlerfrei von einem (reinen) Vorsatzdelikt ausgegangen, weil hinsichtlich des Gefährdungsobjekts ausschließlich auf das Polizeifahrzeug abgestellt worden ist. Insoweit konnte - wie bereits ausgeführt - "doppelter" Vorsatz sowohl hinsichtlich eines geeigneten Tatobjekts (fremde Sache von bedeutendem Wert) als auch des drohenden bedeutenden Schadens festgestellt werden. Demgegenüber hat das Landgericht nicht feststellen können, dass der Angeklagte - wiederum bezogen auf den Tatbestand des § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB - (auch) die Gefährdung von Leib und Leben des Zeugen X für möglich erachtet und billigend in Kauf genommen hätte. Hinsichtlich der eingetretenen Körperverletzung des Polizeibeamten hat das Landgericht lediglich einen Fahrlässigkeitsvorwurf ausgemacht, so dass der Angeklagte der fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB) schuldig ist.

3. Auch der Rechtsfolgenausspruch hält einer rechtlichen Überprüfung stand.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Beurteilungen des Tatrichters bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen und von dem Revisionsgericht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen sind (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 337 Rdnr. 34 m.w.N.). Rechtsfehler im Rahmen der Strafzumessung sind gegeben, wenn der Tatrichter von einem falschen Strafrahmen ausgegangen ist, wenn seine Erwägungen in sich widersprüchlich oder sonst fehlerhaft sind, wenn er gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen oder diese außer acht gelassen hat oder wenn sich die verhängte Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, zu weit noch oben oder nach unten löst, so dass ein grobes Missverhältnis zwischen Schuld und Strafe besteht (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O.).

Einen solchen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten weisen die Strafzumessungserwägungen nicht auf. Das Landgericht hat bei der Bildung sowohl der Einzelstrafen als auch der Gesamtstrafe pflichtgemäß die wesentlichen für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände gem. § 46 StGB abgewogen und auf eine der Höhe nach nicht zu beanstandende Freiheitsstrafe erkannt. Die Revisionsrechtfertigung geht in diesem Zusammenhang zu Unrecht davon aus, ausländerrechtliche Aspekte seien zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt worden. Tatsächlich hat das Landgericht zugunsten des Angeklagten in die Strafzumessungserwägungen einbezogen, dass die Verurteilung zu einer dreijährigen Gesamtfreiheitsstrafe unter Umständen eine Ausweisung aus Deutschland nach sich ziehen kann. Zwar werden EU-Bürger durch das FreizügG/EU privilegiert, weshalb zwingende Ausweisungen und Regelausweisungen, wie sie etwa § 47 AuslG bei schweren Straftaten vorsieht, nicht gegen Bürger aus Mitgliedstaaten verfügt werden dürfen, jedoch kann auch ein EU-Bürger aus Deutschland ausgewiesen werden, sofern die Ausländerbehörde eine entsprechende individuelle Ermessensentscheidung getroffen hat. Selbstverständlich kann im Rahmen einer solchen Ermessensentscheidung die Verurteilung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe wegen der Begehung erheblicher Straftaten relevant sein. Ersichtlich wollte das Landgericht allein auf diesen Gesichtspunkt hingewiesen haben, sah sich jedoch - aufgrund der übrigen rechtsfehlerfreien Erwägungen - nicht daran gehindert, gleichwohl auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren zu erkennen.


III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.