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OLG Düsseldorf Beschluss vom 07.10.2013 - III-1 RVs 51/13 - Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem letzten Wort des Angeklagten

OLG Düsseldorf v. 07.10.2013: Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem letzten Wort des Angeklagten


Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 07.10.2013 - III-1 RVs 51/13) hat entschieden:
Wenn das Gericht nach der Schlusserklärung des Angeklagten einen Beschluss verkündet, durch den dem Angeklagten die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß § 111a StPO vorläufig entzogen wird, stellt diese Verfahrensweise einen Wiedereintritt in die Verhandlung dar, der der vorausgegangenen Schlusserklärung des Angeklagten die Bedeutung des letzten Wortes nimmt und dessen erneute Gewährung erforderlich macht.


Siehe auch Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren


Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen "fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung" zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 50,00 € verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von neun Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Hiergegen richtet sich die (Sprung-)Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.


II.

1. Das gemäß § 335 StPO statthafte Rechtsmittel hat mit der auf § 258 Abs. 2, 2. Hs, Abs. 3 StPO gestützten und - im Hinblick auf § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO - zulässig ausgeführten Verfahrensrüge (vorläufig) Erfolg.

a) Der Rüge liegt ausweislich der Sitzungsniederschrift folgender Verfahrensablauf zugrunde:

In der Hauptverhandlung vom 6. Mai 2013 hielten die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger ihre Schlussvorträge. Die Staatsanwaltschaft beantragte die Verhängung einer Geldstrafe und die Anordnung eines dreimonatigen Fahrverbots, der Verteidiger beantragte, den Angeklagten freizusprechen und stellte die Verhängung einer Geldbuße (wegen einer etwa begangenen Ordnungswidrigkeit) in das Ermessen des Gerichts. Der Angeklagte hatte das letzte Wort und erklärte auf Befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe, dass "alles gesagt" sei. Nach zwanzigminütiger Unterbrechung der Hauptverhandlung und erneutem Aufruf der Sache verkündete das Amtsgericht einen Beschluss, durch den dem Angeklagten die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß § 111a StPO vorläufig entzogen wurde. Zur Begründung wurde hierin unter Darstellung des dem Angeklagten zur Last gelegten Sachverhaltes ausgeführt, der Angeklagte sei aufgrund der bisherigen Ergebnisse der Ermittlungen dringend verdächtig, sich einer zumindest fahrlässig begangenen Straftat nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB schuldig gemacht zu haben, weshalb dringende Gründe für die Annahme gegeben seien, dass ihm die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen werde. Der Beschluss wurde dem Angeklagten und seinem Verteidiger ausgehändigt, woraufhin der Angeklagte seinen Führerschein zu den Akten reichte. Unmittelbar im Anschluss hieran wurde das Urteil verkündet.

b) Mit dieser Verfahrensweise hat das Amtsgericht das Recht des Angeklagten auf Erteilung des letzten Wortes (§ 258 Abs. 2, 2. Hs, Abs. 3 StPO) verletzt.

Das Amtsgericht hatte mit seinem Beschluss zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis zu erkennen gegeben, dass es zum einen den Angeklagten der ihm vorgeworfenen Straftat für dringend verdächtig hielt und zum anderen - abweichend vom Antrag der Staatsanwaltschaft - auch die Voraussetzungen für eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB als gegeben ansah. Die Verkündung einer solchen Entscheidung, die in unmittelbarem Bezug zu der zu treffenden Sachentscheidung steht, weil sich in ihr die Bewertung urteilsrelevanter Fragen durch das Gericht wiederspiegelt, stellt einen Wiedereintritt in die Verhandlung dar, der der vorausgegangenen Schlusserklärung des Angeklagten die Bedeutung des letzten Wortes nimmt und dessen erneute Gewährung erforderlich macht (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 372; BGH bei Becker NStZ-RR 2002, 65, 71; BGH Beschluss vom 24. März 1993 [5 StR 164/93] ; LR-Stuckenberg, StPO, 26. Auflage [2012], § 258 Rdnr. 6 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 56. Auflage [2013], § 258 Rdnr. 28 ff.). Das Amtsgericht hat jedoch nach der Verkündung des Beschlusses unmittelbar das Urteil verkündet, ohne dem Angeklagten zuvor nochmals Gelegenheit zum Schlusswort zu geben.

Bei der hier gewählten Verfahrensweise war die Verkündung des Beschlusses zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auch nicht etwa Teil der abschließenden Entscheidung (vgl. hierzu BGH NJW 2001, 2109); dass das Amtsgericht Beschluss und Urteil auch in umgekehrter Reihenfolge hätte verkünden können, ist insoweit ohne Belang (ebenso BGH NStZ-RR 2001, 372).

c) Die aufgezeigte Gesetzesverletzung erfordert die Aufhebung des angefochtenen Urteils. Zwar begründet die Nichterteilung des letzten Wortes nicht zwingend die Revision, jedoch kann nach einhelliger Ansicht das Beruhen des Urteils auf Verstößen gegen § 258 StPO wegen der besonderen Bedeutung der Vorschrift für die Verteidigung des Angeklagten nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen ausgeschlossen werden - etwa wenn der Angeklagte geständig ist und das letzte Wort keinen Einfluss auf den Schuld- oder Strafausspruch haben kann (Meyer-Goßner, aaO, § 258 Rdnr. 34 m. w. N.).

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Der Angeklagte war im Verfahren vor dem Amtsgericht nicht geständig. Dass er die Ausführungen des Gerichts zu § 111a StPO vor Urteilserlass noch inhaltlich kommentieren konnte und hiervon aus eigenem Antrieb auch tatsächlich Gebrauch gemacht hat, ist den dienstlichen Stellungnahmen des Tatrichters und der staatsanwaltlichen Sitzungsvertreterin zum Verhandlungsablauf nicht zu entnehmen. Vor diesem Hintergrund vermag der Senat nicht auszuschließen, dass das Unterbleiben der förmlichen Wiedererteilung des letzten Wortes eine potentiell entscheidungserhebliche Schlusserklärung des Angeklagten verhindert hat.

2. Da bereits der genannte Verfahrensverstoß nach § 353, 354 Abs. 2 StPO zur Aufhebung des Urteils mit den zugrunde liegenden Feststellungen sowie zur Zurückverweisung der Sache führt, bedarf es eines Eingehens auf die vom Angeklagten zugleich erhobene Sachrüge nicht. Jedoch weist der Senat mit Blick auf die vom Verteidiger in seiner Gegenerklärung vom 23. September 2013 erhobene "Verzögerungsrüge" auf folgendes hin:

Zwischen dem Ablauf der Revisionsbegründungsfrist (15. Juni 2013) und der Abfassung des Revisionsübersendungsberichts der Staatsanwaltschaft (20. August 2013) ist ein Zeitraum von wenig mehr als zwei Monaten vergangen, den die Staatsanwaltschaft unter anderem dazu genutzt hat, dienstliche Stellungnahmen der Sitzungsvertreterin und des Amtsrichters zum Verhandlungsablauf einzuholen, die auch für eine mögliche Gegenerklärung von Bedeutung waren. Nach Eingang der Akten bei der Generalstaatsanwaltschaft ist dort zeitnah unter dem 16. September 2013 die Zuschrift gefertigt worden, mit der die Akten am 23. September 2013 bei dem Senat eingegangen sind. Diese Sachbehandlung lässt konventionswidrige Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot nicht erkennen.


III.

Der Senat hat - in analoger Anwendung des § 126 Abs. 3 StPO - geprüft, ob die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben ist. Die diesbezüglichen Voraussetzungen des § 111a Abs. 2 StPO liegen indes nicht vor. Insbesondere bietet der bloße Zeitablauf infolge Rechtsmitteleinlegung - auch unter Berücksichtigung des vorläufigen Erfolgs der Revision - für sich allein noch keinen Anlass zur Aufhebung der Maßnahme (vgl. hierzu Meyer-Goßner, aaO, § 111a Rdnr. 11-12).