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Kammergericht Berlin Beschluss vom 07.02.2014 - 3 Ws (B) 14/14 - 162 Ss 4/14 - Fahrlässige Drogenrauschfahrt

KG Berlin v. 07.02.2014: Fahrlässige Drogenrauschfahrt


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 07.02.2014 - 3 Ws (B) 14/14 - 162 Ss 4/14) hat entschieden:
  1. Das Rechtsbeschwerdegericht hat auf die Sachrüge zu prüfen, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung dann, wenn sie in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist. Dabei brauchen die Schlussfolgerungen des Tatrichters zwar nicht zwingend zu sein. Es genügt grundsätzlich, dass sie möglich sind und er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Das Gericht muss jedoch die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Erfahrungssätze des täglichen Lebens und die Gesetze der Logik beachten. Um dem Rechtsbeschwerdegericht diese Nachprüfung zu ermöglichen, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht und dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa lediglich eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen – wenn auch möglicherweise schwerwiegenden – Verdacht zu begründen vermag.

  2. Für die Feststellung fahrlässigen Handelns bei einer drogenbedingten Rauschtat ist dem Betroffenen nachzuweisen, dass er die Möglichkeit fortlaufender Wirkung des Cannabiskonsums entweder erkannt hat oder zumindest hätte erkennen können und müssen. Der Vorwurf des schuldhaften Führens eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter der Wirkung eines berauschenden Mittels bezieht sich nämlich nicht primär auf den Konsumvorgang, sondern vielmehr auf die Wirkung des Rauschmittels zur Tatzeit. Eine fahrlässige Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 2 StVG scheidet aus, wenn der Drogenkonsum längere Zeit zurückliegt oder wenn der Zeitpunkt des Konsums nicht festgestellt werden kann.

Siehe auch Fahrlässigkeit und drogenbedingte Rauschfahrt und Die Beweiswürdigung in Straf- und Bußgeldsachen


Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Verstoßes gegen § 24 a (zu ergänzen: Abs. 2 und 3) StVG (Führen eines Kraftfahrzeugs unter Betäubungsmitteleinfluss) zu einer Geldbuße von 200,00 Euro verurteilt, gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 StVG ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet und nach § 25 Abs. 2 a StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen.

1. Das Amtsgericht hat in dem angefochtenen Urteil ausgeführt, dass der Betroffene am Dienstag, dem 20. November 2012, gegen 10:15 Uhr einen Pkw im öffentlichen Straßenverkehr geführt habe, obwohl er an dem vorangegangenen Wochenende Cannabis ("3 Joints") und Kokain ("3 Linien") konsumiert habe und bei Anwendung der erforderlichen und ihm persönlich möglichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass er bei Fahrtantritt noch unter dem Einfluss dieser Betäubungsmittel stehen könnte. Im Rahmen der durchgeführten Verkehrskontrolle sei zunächst ein so genannter Romberg-​Test durchgeführt worden, welcher ein Ergebnis von 25 Sekunden bei 30 Sekunden Optimalwert ergeben habe. Beim Zählen hätten die Augenlider des Betroffenen deutlich geflattert und er habe insbesondere an den Händen gezittert. Ferner hätten seine Pupillen auf Lichteinfall keinerlei Reaktion gezeigt. Nach wiederholter Belehrung habe der Betroffene sodann angegeben, dass er die oben angegebenen Betäubungsmittel am vorangegangenen Wochenende konsumiert habe. Die Untersuchung des um 12.00 Uhr abgenommenen Blutes des Betroffenen habe ein positives Ergebnis auf Cannabinoide und zwar 4,7 ng/ml THC, 99 ng/ml THC-​Carbonsäure und 2,4 ng/ml 11-​Proxy-​THC ergeben.

Das Amtsgericht hat einen toxikologischen Sachverständigen gehört, auf dessen Ausführungen es seine Annahme, der Betroffene habe fahrlässig gehandelt, im Wesentlichen gestützt hat. Insoweit heißt es in den schriftlichen Gründen des angefochtenen Urteils, der Sachverständige, der über fundierte Kenntnisse im Bereich der Toxikologie verfüge, habe dargelegt, dass sich aus der festgestellten Wirkstoffmenge von 4,7 ng/ml THC ergebe, dass der Betroffene weniger als 24 Stunden, "eher 4 bis 5 Stunden", vor der Blutentnahme Cannabis konsumiert habe. Zudem folge aus dem Wert von 99 ng/ml THC-​Carbonsäure, dass er zumindest als Gelegenheitskonsument, der relativ regelmäßig Betäubungsmittel konsumiere, zu qualifizieren sei.

2. Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 und 2 OWiG zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, hat Erfolg.

a) Allerdings begegnet der Schuldspruch zum objektiven Tatbestand einer Zuwiderhandlung gegen § 24 a Abs. 2 StVG keinen Bedenken. Der Betroffene führte im öffentlichen Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug unter der Wirkung des in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels Cannabis, und zwar mit einem rechtsfehlerfrei festgestellten THC-​Nachweiswert im Blut von 4,7 ng/ml. Damit ist der analytische "Grenzwert" von 1,0 ng/ml überschritten, der sich in der obergerichtlichen Rechtsprechung im Anschluss an die vom Bundesverfassungsgericht geforderte verfassungskonforme Auslegung des § 24 a Abs. 2 StVG (Beschluss vom 21. Dezember 2004, NZV 2005, 270 ff.) durchgesetzt hat, und der es entsprechend dem Charakter der Vorschrift als eines abstrakten Gefährdungsdeliktes als möglich erscheinen lässt, dass der Täter beim Führen des Kraftfahrzeuges in seiner Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war, ohne dass es auf Zeitpunkt und Menge des Drogenkonsums oder auf eine tatsächliche Beeinträchtigung ankäme (vgl. OLG Stuttgart DAR 2011, 218 [219]; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 42. Auflage, § 24 a StVG Rn. 21 a m.N.).

b) Die Annahme des Amtsgerichts, der Betroffene habe fahrlässig gehandelt, hält indes rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die zugrunde liegende Beweiswürdigung ist lückenhaft ist und trägt die Feststellung von Fahrlässigkeit nicht.

aa) Zwar ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters (vgl. BGH NStZ 2009, 284; Meyer-​Goßner, StPO 56. Auflage, § 261 Rn. 3 m.w.N.). Es obliegt allein ihm, die für den Urteilsspruch relevanten Tatsachen und Erfahrungssätze festzustellen, in ihrer Beweisbedeutung zu bewerten und sich auf dieser Grundlage eine Überzeugung zu bilden (vgl. BGH a.a.O; Senat, Urteil vom 8. Juni 2009 - (3) 1 Ss 74/09 (51/09) -). Das Rechtsbeschwerdegericht hat aber auf die Sachrüge zu prüfen, ob ihm hierbei Rechtsfehler unterlaufen sind. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung dann, wenn sie in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist. Dabei brauchen die Schlussfolgerungen des Tatrichters zwar nicht zwingend zu sein. Es genügt grundsätzlich, dass sie möglich sind und er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Das Gericht muss jedoch die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Erfahrungssätze des täglichen Lebens und die Gesetze der Logik beachten. Um dem Rechtsbeschwerdegericht diese Nachprüfung zu ermöglichen, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht und dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa lediglich eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen – wenn auch möglicherweise schwerwiegenden – Verdacht zu begründen vermag (vgl. BGHR StPO § 261 Vermutung 1, 8 und 11; Senat, Beschlüsse vom 19. Dezember 2013 - (3) 121 Ss 244/13 (182/13) -; 5. Dezember 2013 -3 Ws (B) 637/13 -, 23. Februar 2011 - 3 Ws (B) 84/11 - und 27. August 2010 - 3 Ws (B) 434/10 -; VRS 122, 232 [233]). Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung des Amtsgerichts nicht, da sie lückenhaft ist.

bb) Fahrlässiges Handeln im Sinne des § 10 OWiG setzt voraus, dass der Täter die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, und deshalb entweder die Tatbestandsverwirklichung nicht erkennt oder nicht voraussieht oder die Möglichkeit einer Tatbestandsverwirklichung zwar erkennt, aber mit ihr nicht einverstanden ist und ernsthaft darauf vertraut, diese werde nicht eintreten (vgl. Senat, Beschluss vom 29. August 2012 - 3 Ws (B) 487/12 -; Gürtler in: Göhler, OWiG 16. Auflage, § 10 Rn. 6; Fischer, StGB 61. Auflage, § 15 Rn. 14 a).

Im Hinblick auf den Tatbestand des § 24a Abs. 2 StVG bedeutet dies, dass dem Betroffenen nachzuweisen ist, dass er die Möglichkeit fortlaufender Wirkung des Cannabiskonsums entweder erkannt hat oder zumindest hätte erkennen können und müssen. Der Vorwurf des schuldhaften Führens eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter der Wirkung eines berauschenden Mittels bezieht sich nämlich nicht primär auf den Konsumvorgang, sondern vielmehr auf die Wirkung des Rauschmittels zur Tatzeit (vgl. Senat, Beschluss vom 29. August 2012 a.a.O.; VRS 118, 205 [207]; Hans. OLG Bremen, Beschluss vom 2. September 2013 - 2 SsBs 60/13 - juris Rn. 10; OLG Frankfurt NZV 2010, 530 [531]; NStZ-​RR 2007, 249 [250]; OLG Celle NZV 2009, 89 [90]; OLG Hamm NJW 2005, 3298 [3299]). Danach handelt fahrlässig, wer in zeitlicher Nähe zum Fahrtantritt Cannabis konsumiert hat und dennoch ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führt, ohne sich bewusst zu machen, dass das Rauschmittel noch nicht vollständig unter den analytischen Grenzwert von 1 ng/ml abgebaut ist. Es ist hierzu nicht erforderlich, dass sich der Betroffene einen spürbaren oder auch nur messbaren Wirkstoffeffekt vorgestellt hat oder zu einer entsprechenden genauen physiologischen oder biochemischen Einordnung in der Lage war, zumal da ein Kraftfahrer die Unberechenbarkeit von Rauschmitteln stets in Rechnung zu stellen hat (vgl. Hans. OLG Bremen a.a.O; NZV 2006, 276; OLG Frankfurt, OLG Celle und OLG Hamm, jeweils a.a.O.; König, a.a.O., § 24 a StVG Rn. 25 b). An der Erkennbarkeit der Wirkung des Rauschmittels kann es jedoch dann fehlen, wenn zwischen dem Zeitpunkt des Drogenkonsums und der Fahrt längere Zeit vergangen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 29. August 2012 a.a.O. und 16. April 2010 - 3 Ws (B) 33/10 -; OLG Braunschweig StraFO 2010, 215; Hans. OLG Bremen, Beschluss vom 2. September 2013, a.a.O., Rn. 11; NZV 2006, 276; OLG Stuttgart, OLG Frankfurt, OLG Celle und OLG Hamm, jeweils a.a.O.). Denn mit zunehmendem Zeitablauf schwindet das Bewusstsein dafür, dass der zurückliegende Rauschmittelkonsum noch Auswirkungen bis in die Gegenwart haben könnte (vgl. Hans. OLG Bremen, Beschluss vom 2. September 2013 a.a.O.).

An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Entgegen der Ansicht des Tatrichters scheidet – sofern nicht weitere Umstände hinzutreten, die eine objektive und subjektive Sorgfaltspflichtverletzung tragen – eine fahrlässige Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 2 StVG aus, wenn der Drogenkonsum längere Zeit zurückliegt oder wenn der Zeitpunkt des Konsums nicht festgestellt werden kann.

cc) Soweit es in dem angefochtenen Urteil heißt, der Sachverständige habe dargelegt, aus dem Wert von 4,7 ng/ml THC ergebe sich, dass der Betroffene weniger als 24 Stunden, eher" 4 bis 5 Stunden" vor der Blutentnahme Cannabis konsumiert habe (UA S. 5), und der Tatrichter meint, allein mit dieser Erwägung sei die Einlassung des Betroffenen zum Zeitpunkt des Cannabiskonsums widerlegt, bestehen durchgreifende Bedenken gegen diese Würdigung.

Bedient sich der Tatrichter der Hilfe eines Sachverständigen, muss er dabei die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen zur fachlichen Begründung für die Schlussfolgerung im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit und sonstigen Rechtsfehlerfreiheit durch das Rechtsbeschwerdegericht erforderlich ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom 30. Oktober 2012 - 3 Ws (B) 478/12 -, 12. Juni 2012 - 3 Ws (B) 252/12 -, 11. April 2012 - 3 Ws (B) 113/12 - und 21. März 2012 - 3 Ws (B) 116/12 -; Ott in: Karlsruher Kommentar StPO 7. Auflage, § 261 Rn. 32 m. w. N.). Der Umfang der Darlegungspflicht hängt dabei von der Beweislage und der Bedeutung der Beweisfrage, die dieser für die Entscheidung zukommt, ab (vgl. BGH NStZ 2000, 106 [107]; BGH NStZ 1993, 592 [593]). Eine im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränkte Darstellung kann nur in Ausnahmefällen ausreichen, wenn sich das Gutachten auf eine allgemein anerkannte und standardisierte Untersuchungsmethode gründet und von keiner Seite Einwände gegen die Zuverlässigkeit der Begutachtung erhoben werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 30. Oktober 2012, 12. Juni 2012, 11. April 2012 und 21. März 2012, jeweils a.a.O.). In anderen Fällen sind neben den wesentlichen tatsächlichen Grundlagen und den daraus vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen (Befundtatsachen) vor allem auch die das Gutachten tragenden fachlichen Begründungen auszuführen (vgl. BGHSt 39, 291 [296]; Senat, Beschlüsse vom 30. Oktober 2012, 12. Juni 2012, 11. April 2012 und 21. März 2012, jeweils a.a.O.; OLG Köln DAR 2005, 699 [700]). Dies gilt umso mehr, wenn die zur Ermittlung der Befundtatsachen (Schlussfolgerungen) zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden wissenschaftlich in Zweifel gezogen oder als wenig zuverlässig betrachtet werden. Will das Tatgericht – wie hier – seine Überzeugung vom Zeitpunkt des Cannabiskonsums auf ein Sachverständigengutachten stützen, so hat es zu berücksichtigen, dass beachtliche Zweifel angebracht sind, ob nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft überhaupt eine zuverlässige Methode der Rückrechnung existiert, die es erlaubt, den Konsumzeitpunkt oder eine bestimmte THC-​Konzentration im Blutserum für einen bestimmten in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt zu bestimmen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 30. Oktober 2012, 29. August 2012, 12. Juni 2012, 11. April 2012 und 21. März 2012, jeweils a.a.O. ; VRS 118, 205; DAR 2010, 274 [276]). Den Urteilsgründen muss in diesen Fällen zu entnehmen sein, welche konkrete Methode der Sachverständige zur Bestimmung des Konsumzeitpunkts angewandt hat und inwieweit gegen diese Methode erhobene wissenschaftliche Einwände durch den Sachverständigen entkräftet wurden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 30. Oktober 2012 und 12. Juni 2012, jeweils a.a.O.). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.

Die Urteilsgründe beschränken sich darauf, das Ergebnis des Sachverständigengutachtens mitzuteilen. Auf welche Weise der Sachverständige und mit ihm das Amtsgericht von dem festgestellten THC-​Wert zu der Schlussfolgerung gelangt ist, der Cannabis-​Konsum liege lediglich einige Stunden zurück, bleibt im Dunkeln. Vor diesem Hintergrund ist es auch unerheblich, dass einige Oberverwaltungsgerichte in verwaltungsgerichtlichen Verfahren, die die Fahrerlaubnisentziehung betreffen, der Auffassung sind, dass bei Überschreitung bestimmter THC-​Werte im Blutserum der Rückschluss auf einen zeitnahen Cannabiskonsum gezogen werden könne (so etwa OVG Lüneburg NVwZ-​RR 2003, 899 [900] für einen Wert von 3,8 ng/ml). Selbst wenn diese Auffassung zuträfe, hätte es der Darlegung der wesentlichen Anknüpfungstatsachen in den Urteilsgründen bedurft.

c) Auf diesem Darstellungsmangel beruht das Urteil auch.

aa) Ein Beruhen ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Tatrichter die Feststellung getroffen hat, der Betroffene sei zumindest Gelegenheitskonsument von Cannabis (UA S. 5). Die Art und Weise, wie der Tatrichter zu dieser Feststellung gelangt ist, begegnet ebenfalls durchgreifenden Bedenken. Es ist zwar anerkannt, dass dem Betroffenen auch dann ein Fahrlässigkeitsvorwurf im Sinne des § 24 a Abs. 2 StVG gemacht werden kann, wenn ihm aufgrund bestimmter Umstände die Möglichkeit einer im Zeitpunkt noch andauernden Beeinflussung durch das Rauschmittel bewusst gewesen ist bzw. hätte bewusst sein müssen. Als derartiger Umstand kommt dabei insbesondere sein Konsumverhalten in Betracht (vgl. Senat, Beschlüsse vom 29. August 2012 und 16. April 2010 jeweils a.a.O.). Demnach kann der Umstand, dass ein Kraftfahrzeugführer nicht zum ersten Mal Cannabis konsumiert hat, den Fahrlässigkeitsvorwurf begründen.

Das Amtsgericht stützt seine Überzeugung, dass der Betroffene Gelegenheitskonsument von Cannabis ist, allein auf die Ausführungen der Sachverständigen zu dem im Blutserum festgestellten THC-​Carbonsäurewert von 99 ng/ml. Dies ist rechtsfehlerhaft. Zwar kann bei stark positiven Ergebnissen in Bezug auf die THC-​Carbonsäure ein Rückschluss möglich sein, dass es sich bei einem Betroffenen um einen Dauer- oder Gelegenheitskonsumenten handelt (vgl. OLG Saarbrücken NJW 2007, 309 (311); OLG Frankfurt DAR 2011, 474). Dabei wird teilweise davon ausgegangen, dass bei Werten im Bereich ab 75 ng/ml von einem dauernden oder gewohnheitsmäßigen, also regelmäßigen Konsum ausgegangen werden kann (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Januar 2013 - 3 Ws (B) 594/12 -; OLG Saarbrücken a.a.O.; OLG Frankfurt a.a.O.), wohingegen insbesondere einige Oberverwaltungsgerichte erst bei einem Wert ab 100 ng/nl THC-​Carbonsäure auf einen gelegentlichen Konsum von Cannabis schließen wollen (vgl. Bayrischer VerwGH, Beschluss vom 23. April 2013 - 11 CS 13.219 - juris Rn. 14; OVG Koblenz NJW 2011, 1985; OVG Nordrhein-​Westfalen, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - 16 E 410/10 - juris Rn. 2; OVG Lüneburg, Beschluss vom 10. Februar 2009 - 12 ME 361/08 - juris Rn. 5). Vor diesem Hintergrund hätte es bei dem hier in Rede stehenden THC-​Carbonsäurewert weiterer Ausführungen in den Urteilsgründen bedurft, warum der Tatrichter davon ausgegangen ist, dass der Betroffene zumindest gelegentlich Cannabis konsumiert. Dazu verhält sich das Urteil indes nicht. Den Urteilsgründen lässt sich insbesondere nicht entnehmen, welche wissenschaftlich erhobenen Vergleichswerte der Annahme des in der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen zugrunde liegen. Es fehlt auch an den notwendigen Angaben des Sachverständigen, inwieweit er wissenschaftliche Einwendungen gegen die Zuverlässigkeit der Rückrechnung bei Cannabiskonsum einbezogen hat und wie er wissenschaftliche Bedenken zu zerstreuen vermochte (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Oktober 2012 a.a.O.).

bb) Das Urteil enthält auch keine ausreichenden Feststellungen zu für die Begründung des Fahrlässigkeitsvorwurfs möglicherweise relevanten Verhaltensauffälligkeiten des Betroffenen. So fehlt es an Ausführungen dazu, ob die mangelnde Reaktionsfähigkeit der Pupillen auf Lichteinfall dem Betroffenen überhaupt bewusst war. Nur dann hätte er den Schluss ziehen können, bei Fahrtantritt unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln zu stehen. Dass seine Augenlider geflattert und seine Hände gezittert haben, kann der Situation und seiner damit möglicherweise einhergehenden Nervosität geschuldet sein. Tragfähige Ausführungen, dass diese Auffälligkeiten auf dem Konsum von Cannabis beruhen, enthält das Urteil nicht (vgl. OLG Frankfurt NZV 2010, 530 [531]).

d) Schließlich mangelt es dem Urteil auch an der erforderlichen eigenständigen Würdigung und Prüfung des Sachverständigengutachtens. Das Gericht verfehlt die ihm nach § 261 StPO obliegende Aufgabe, wenn es Feststellungen und Beurteilungen eines Sachverständigen ungeprüft und ohne eigene Bewertung des Beweisergebnisses übernimmt (vgl. BGH NStZ 2009, 284; Senat, Beschluss vom 14. Januar 2014 und Urteil vom 8. Juni 2009, jeweils a.a.O.). Schließt sich der Tatrichter ohne eigene Erwägungen dem Gutachten eines Sachverständigen an, muss er regelmäßig die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen, an die die Schlussfolgerungen des Gutachtens anknüpfen, und die Art dieser Folgerungen wenigstens insoweit im Urteil mitteilen, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit im Revisionsrechtszug erforderlich ist (vgl. BGH a.a.O.; BGHSt 8, 113 [118]; BGH VRS 31, 107 f.; NStZ 2013, 177 [178]; 2000, 106 [107]; Senat, Beschluss vom 14. Januar 2014 und Urteil vom 8. Juni 2009, jeweils a.a.O.; Stuckenberg in: Löwe/Rosenberg, StPO 26. Auflage, § 267 Rn. 66). Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich – wie hier – um Schlussfolgerungen handelt, die nach den zur Anwendung zu bringenden Erfahrungssätzen nicht zwingend sind, sondern nur Wahrscheinlichkeitsaussagen mit mehr oder weniger großer Richtigkeitsgewähr zu liefern vermögen (vgl. BGH NStZ 2009, 284; Senat, Beschluss vom 14. Januar 2014 und Urteil vom 8. Juni 2009, jeweils a.a.O.). So liegt die Sache hier. Von der eigenständigen Würdigung hätte das Amtsgericht nur dann absehen können, wenn wenigstens die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Gutachtens im Urteil wiedergegeben worden wären (vgl. Senat, Urteil vom 8. Juni 2009 a.a.O.), was hier jedoch – wie ausgeführt – nicht der Fall ist.

3. Das angefochtene Urteil war nach § 79 Abs. 6 OWiG aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Der Senat konnte den Betroffenen nicht freisprechen, weil hierfür auszuschließen sein muss, dass eine erneute Hauptverhandlung noch Aufschlüsse zu erbringen vermag (vgl. Meyer-​Goßner a.a.O. § 354 Rn. 3 m.w.N.). Es ist möglich, dass der Tatrichter aufgrund eines neuen Sachverständigengutachtens, welches die erforderlichen Anknüpfungstatsachen benennt, sich mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft auseinandersetzt und nachvollziehbare und überprüfbare Schlussfolgerungen zieht, zu einer Verurteilung des Betroffenen gelangt. Dabei wird sich das Gericht – erforderlichenfalls mit sachverständiger Hilfe – auch mit den Verhaltensauffälligkeiten des Betroffenen auseinandersetzen müssen und zu prüfen haben, ob diese Auffälligkeiten Folge des Cannabiskonsums gewesen sind und ob sie sich mit seiner Einlassung vereinbaren lassen.