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Amtsgericht Aachen Urteil vom 11.12.2013 - 101 C 65/12 - Keine fiktive Schadensabrechnung von Beilackierungskosten

AG Aachen v. 11.12.2013: Keine fiktive Schadensabrechnung von Beilackierungskosten


Das Amtsgericht Aachen (Urteil vom 11.12.2013 - 101 C 65/12) hat entschieden:
Eine Beilackierung ist nur dann ersatzfähig, wenn sie tatsächlich notwendig ist. Dies ist jedoch erst dann festzustellen, wenn eine Reparatur tatsächlich auch erfolgt ist. Im Rahmen einer fiktiven Abrechnung kann eine Erforderlichkeit nicht per se unterstellt werden.


Siehe auch Siehe auch Kosten der Beilackierung und Abstrakte bzw. sog. fiktive Schadensabrechnung - Abrechnung auf Gutachtenbasis


Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 16.12.2011 im Kreuzungsbereich F-Straße / U-Straße in B-Stadt. Der Klägerin wurden die geltend gemachten Ansprüche von der Eigentümerin und Halterin des unfallbeteiligen Fahrzeuges ... abgetreten. Die Beklagte zu 1) ist der Haftpflichtversicherer des Lastkraftwagens ..., dessen Halterin die Beklagte zu 1) war und welcher von dem Beklagten zu 3) geführt wurde.

Am 16.11.2012 befuhr die Zeugin I um 05:38 Uhr die F-Straße in B-Stadt aus B-Stadt-F-Dorf kommend mit Fahrtrichtung U- Straße. Im Kreuzungsbereich beabsichtigte sie, mit dem von ihr geführten PKW nach links auf die U-Straße abzubiegen. Zu diesem Zweck ordnete sich die Zeugin I auf dem linken der beiden Linksabbiegerstreifen ein. Zum gleichen Zeitpunkt befuhr der Beklagte zu 3) mit dem von ihm geführten LKW ... die F-Straße in gleicher Fahrtrichtung und benutzte des rechten der beiden Abbiegerstreifen. Im Rahmen des Abbiegevorgangs kam es zu einer Kollision der beiden Fahrzeuge.

Die Klägerin berechnet ihren Schaden wie folgt:

Reparaturkosten netto 2.955,29 EUR
Nutzungsausfallentschädigung 5 Tage à 29,00 EUR 145,00 EUR
Sachverständigengebühren 561,56 EUR
Kostenpauschale 26,0 EUR0
Gesamt 3.687,85 EUR


Die Klägerin behauptet, der Beklagte zu 3) sei mit dem von ihm geführten LKW nach links auf den linken der beiden Abbiegerfahrstreifen geraten und habe dabei die hintere rechte Seite des von der Zeugin I geführten Fahrzeugs gestreift.

Die Klägerin beantragt,
  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 3.687,85 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.01.2012 zu zahlen.

  2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, zur Freistellung der Klägerin an die Rechtsanwälte Y aus F-Stadt zu Aktenzeichen 1189/11 416,12 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.01.2012 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, die Zeugin l sei bei dem Abbiegevorgang aufgrund der nassen Fahrbahn ins Rutschen gekommen und gegen das Fahrzeug der Beklagten geraten. Sie sind der Ansicht, die geltend gemachten Kosten seien überhöht. So seien die Verbringungskosten in Höhe von 94,60 EUR sowie die kalkulierten UPE-Aufschläge nicht ersatzfähig. Ebenfalls nicht ersatzfähig seien die geltend gemachten Beilackierungskosten.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin I.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2012 verwiesen. Das Gericht hat ferner Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Unfallrekonstruktionsgutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen Dr.-Ing. N vom 02.07.2013 verweisen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagten in Höhe von 1.548,67 € gemäß §§ 7, 17 StVG i.V.m. § 115 VVG, § 398 BGB.

Das Gericht geht hinsichtlich des streitgegenständlichen Unfalls von einer Haftungsquote von 50 % aus. Der Unfallhergang konnte nicht hinreichend aufgeklärt werden. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme konnte nicht zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden, dass der der Beklagte zu 3) mit dem von ihm geführten LKW bei dem Abbiegevorgang auf die Fahrbahn der Zeugin I gelangt ist und dabei deren Fahrzeug beschädigt hat. Der Beklagte zu 3) führt in seiner Anhörung nachvollziehbar aus, dass er einen konkreten Zusammenstoß nicht bemerkt hat, und lediglich wahrgenommen hat, dass die Zeugin I seinem LKW sehr nahgekommen sei. Die Zeugin I bekundet, dass der Beklagte zu 3) von seiner Fahrbahn in ihre Fahrbahn geraten sei und es dabei zu einem Kontakt der Fahrzeuge gekommen sei. Beide Aussagen sind nachvollziehbar und plausibel. Das Gericht hat keine Veranlassung an einer der beiden Aussagen zu zweifeln. Auch durch das eingeholte Sachverständigengutachten konnte der Unfallhergang nicht hinreichend aufgeklärt werden. Der Sachverständige konnte aufgrund fehlender Anknüpfungstatsachen den Unfallhergang nicht aufklären. Die lediglich geäußerte Vermutung eines möglichen Geschehensablaufs reicht nicht aus, um den erforderlichen Beweis zu führen. Die Beklagten müssen sich auch keine erhöhte Betriebsgefahr anrechnen lassen. Von erhöhter Betriebsgefahr eines «schwereren Fahrzeugs» kann nur ausgegangen werden, wenn feststeht, dass gerade die Schwere des Fahrzeugs oder dessen Länge oder dessen Unübersichtlichkeit mit eine Ursache für den Unfall gesetzt hat. Dies ist vorliegend nicht ersichtlich.

Die Klägerin kann lediglich 50 % aus einem Betrag von 3097,67 € verlangen.

Sie hat keinen Anspruch auf Ersatz der Verbringungskosten. Diese sind nur dann als notwendige Kosten i.S.d. § 249 Abs. 1 BGB erstattungsfähig, wenn sie tatsächlich anfallen bzw. wenn sie in allen für die konkreten Reparaturmaßnahmen geeigneten Werkstätten anfallen würden. Es ist daher gerade nicht ausreichend, dass die Verbringungskosten in der Fachwerkstatt anfallen, deren Preise dem Kostenvoranschlag zur fiktiven Schadensberechnung zugrundeliegen (vgl. LG Aachen, Urteil vom 24.08.2012, 6 S 60/12). Ob entsprechende Zusatzkosten in sämtlichen örtlichen Fachwerkstätten anfallen, ist klägerseits nicht vorgetragen worden.

Die Klägerin kann aus diesen Gesichtspunkten auch keine UPE-Aufschläge ersetzt verlangen.

Der Klägerin steht derzeit kein Schadensersatzanspruch auf Erstattung fiktiver Reparaturkosten für die "Beilackierungskosten" in Höhe von 316,74 € zu. Gemäß § 249 Abs. 1 BGB hat der Schädiger den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Lässt der Geschädigte sein Fahrzeug reparieren, hat er das in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB verankerte Wirtschaftlichkeitspostulat zu beachten. Danach muss er, den Schaden auf diejenige Weise beheben, die sich in seiner individuellen Lage als die wirtschaftlich vernünftigste darstellt, um sein Vermögen in Bezug auf den beschädigten Bestandteil in einen dem früheren gleichwertigen Zustand zu versetzen (vgl. BGHZ 115, 375, 378; BGHZ 171, 287, 289f.; BGHZ 181, 242, 246f.). Nur der für diese Art der Schadensbehebung nötige Geldbetrag ist im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zur Herstellung erforderlich (LG Aachen, Urteil vom 24.08.2012, 6 S 60/12 - zitiert nach juris). Richtig ist, dass es sinnvoll sein kann eine Beilackierung von vorneherein vorzunehmen, um zu verhindern, dass diese im Falle eines tatsächlich eintretenden Farbunterschiedes diese nachgeholt werden müsste. Maßgeblich ist jedoch, ob die Beilackierung tatsächlich notwendig ist, denn nur dann ist sie ersatzfähig. Dies ist jedoch erst dann festzustellen, wenn eine Reparatur tatsächlich auch erfolgt ist. Im Rahmen einer fiktiven Abrechnung kann eine Erforderlichkeit nicht per se unterstellt werden. Es war diesbezüglich auch kein Sachverständigengutachten einzuholen. Der Kläger hat insoweit nicht hinreichend dargelegt, dass aufgrund welcher Umstände gerade bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine Beilackierung überhaupt notwendig werden könnte.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf den geltend gemachten Nutzungsausfall in Höhe von 145,00 €. Die Voraussetzungen eines Anspruchs sind nicht dargetan.

Voraussetzung ist zum einen, dass der Geschädigte infolge des Schadens tatsächlich auf die Nutzung seines Fahrzeugs verzichten muss. Zum anderen muss der Ausfall der Nutzung für den Geschädigten fühlbar sein. Das setzt Nutzungswillen und hypothetische Nutzungsmöglichkeit für die gesamte tatsächliche und nicht geschätzte Dauer, für die der Anspruch geltend gemacht wird, voraus. Fehlt es hieran - sei es unfallbedingt oder nicht -, so liegt kein Vermögensschaden vor (BGH VersR 68, 803; NJW 85, 2471). Der Geschädigte trägt insoweit die Darlegungs- und Beweislast.

Aus dem vorgelegten Schadensgutachten ergibt sich eine Reparaturdauer von 5 Tagen. Das Gericht geht davon aus, dass die Zeugin I für diese Zeit auf das Fahrzeug verzichten musste. Es ist seitens der Klägerin nicht dargetan, dass die Zeugin I das Fahrzeug nutzen wollte und nutzen konnte. Die Klägerin ist insoweit ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen, so dass der Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung nicht zuzusprechen war.

Der Anspruch berechnet sich wie folgt:

Reparaturkosten netto 2.955,29 EUR
Abzüglich Verbringungskosten -94,60 EUR
Abzüglich UPE-Aufschläge -33,17 EUR
Abzüglich Beilackierungskosten -316,74 EUR
Sachverständigen-Kosten 561,56 EUR
Kostenpauschale 25,00 EUR
Gesamt: [3.097,34 EUR]
Haftungsquote 50 % 1.548.67 EUR


Der Zinsanspruch ist aus §§ 280 I, III, 286 I, 288 I 2 BGB begründet.

Der Anspruch auf Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 229,55 € (= 1,3 Geschäftsgebühr 172,90 € + 20 € + 19 %) aus einem Gegenstandswert von 1.548,67€ folgt aus §§ 280 I, II, 286 I BGB i.V.m. Nr. 2300, 7002, 7008 VV RVG. Die Klägerin kann lediglich Freistellung beanspruchen. Die Art der Freistellung zu wählen steht ausschließlich dem Schuldner zu, § 257 BGB. Zinsen waren nicht zuzusprechen. Die Klägerin begehrt die Freistellung von einer Verpflichtung, welche sie gegenüber ihrem Prozessbevollmächtigten hat. Es ist nicht vorgetragen, weshalb sie diesem gegenüber gegenwärtig zur Zinszahlung verpflichtet wäre.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

Streitwert: 3.687,85 €.