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Kammergericht Berlin Beschluss vom 28.07.2009 - 12 U 169/08 - Kollision eines rechtsabbiegenden Pkw mit einem einen Fußgängerüberweg querenden, alkoholisierten Radfahrer

KG Berlin v. 28.07.2009: Zur Haftungsverteilung bei Kollision eines rechtsabbiegenden Pkw mit einem einen Fußgängerüberweg einer ampelgeregelten Kreuzung querenden, alkoholisierten Radfahrer


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 28.07.2009 - 12 U 169/08) hat entschieden:
  1. Im Fall der Kollision zwischen einem nach rechts einbiegenden Pkw und einem Radfahrer, der erheblich alkoholisiert auf dem Fußgängerüberweg einer ampelgeregelten Kreuzung fährt, kommt eine hälftige Schadensteilung in Betracht.

  2. Der Berufungskläger hat nicht nur im Falle der Rücknahme der Berufung nach Hinweis auf deren Erfolglosigkeit (so BGH, Beschluss vom 7. Februar 2006, XI ZB 9/05, NJW-RR 2006, 1147), sondern gleichfalls im Falle der Zurückweisung seiner Berufung durch Beschluss nach § 522 ZPO auch die Kosten der Anschlussberufung zu tragen, weil diese durch die Zurückweisung der Berufung ihre Wirkung verloren hat, ohne dass über deren Zulässigkeit oder Begründetheit entschieden worden wäre.

Siehe auch Radfahrer-Unfälle und Rechtsabbiegen


Gründe:

A.

Die Berufung der Beklagten hat keine Aussicht auf Erfolg.

I.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

II.

Beides ist hier nicht der Fall. Der Senat folgt vielmehr den im wesentlichen zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet werden. Rechtsfehlerfrei ist das Landgericht nach Beweisaufnahme zu einer Haftung der Beklagten für die Folgen des Unfalls vom 6. Januar 2006 nach einer Quote von 50 % gelangt.

1. Auf die Unabwendbarkeit der Kollision zwischen dem Beklagtenfahrzeug und dem Kläger auf seinem Fahrrad i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG können sich die Beklagten schon deshalb nicht haftungsbefreiend berufen, weil der Unfall nicht - wie nach §§ 17 Abs. 3 und Abs. 1 StVG erforderlich - durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht worden ist. Der aus einem Satz bestehende Berufungsangriff hierzu („Für die Beklagten zu 2. und 3. war der Unfall ein unabwendbares Ereignis“) geht daher ins Leere. Die Voraussetzungen einer Haftungsbefreiung nach § 7 Abs. 2 StVG (höhere Gewalt) sind gleichfalls weder dargelegt noch ersichtlich.

2. Ferner hat das Landgericht bei seiner Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile nach § 9 StVG, § 254 BGB zu Recht nur solche Umstände herangezogen, die sich nachweislich unfallursächlich ausgewirkt haben (vgl. zu dem Ursächlichkeitserfordernis Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 9 StVG, Rn. 7 m.w.N.).

a) Zu Recht hat es in diesem Zusammenhang zu Lasten der Beklagten neben der Betriebsgefahr des Fahrzeuges, die sich bei der Kollision mit dem schwächeren Fahrrad ausgewirkt hat, einen Verstoß des Beklagten zu 3) gegen § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO in Ansatz gebracht und dabei auf die problemlose Sichtbarkeit des heranfahrenden Klägers abgestellt (Seite 7 UA).

Diesem Argument tritt die Berufung nicht entgegen. Die Behauptung auf Seite 6 der Berufungsbegründung, der Beklagte zu 3) sei ordnungsgemäß und nach Rückschau abgebogen, nachdem die Fußgängerfurt frei gewesen sei, verfehlt die Begründung des Landgerichts:

Entscheidend ist die Feststellung, dass der Beklagte zu 3) bei pflichtgemäßem Blick auch nach vorne den heranfahrenden Kläger hätte sehen können, sehen müssen und nicht hätte abbiegen dürfen. Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Kläger nicht unmittelbar vor der Kollision auf den südlichen Fußgängerüberweg auf der Uhlandstraße gefahren ist, sondern vor dem Zusammenstoß bereits die nördliche Fahrbahnseite der Uhlandstraße befahren hat.

Dabei wirkt es sich nicht entlastend für die Beklagten aus, dass der Kläger seinerseits pflichtwidrig gehandelt hat, indem er mit dem Fahrrad verbotswidrig den Fußgängerüberweg befahren hat (vgl. zur vorrangigen Bedeutung der Durchfahrregel bei pflichtwidrigem Verhalten des Entgegenkommenden Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 9 StVG, Rn. 39).

b) Ferner hat das Landgericht rechtsfehlerfrei einen von den Beklagten behaupteten Rotlichtverstoß des Klägers bei der Abwägung nicht berücksichtigt, weil es ihn gemäß § 286 ZPO unter Berücksichtigung der Aussagen der Zeuginnen H. und D. sowie des Ampelschaltplanes nicht als bewiesen angesehen hat (Seite 7 UA). Der Senat teilt diese Würdigung. Der abweichenden Beweiswürdigung durch die Beklagten, nach der lediglich der Aussage der Zeugin H. zum Rotlichtverstoß zu folgen sei, kann sich der Senat nicht anschließen.

c) Soweit das Landgericht zu Lasten des Klägers eine Unfallursächlichkeit seiner Alkoholisierung angenommen hat, erscheint das jedenfalls mit der gewählten Begründung nicht zweifelsfrei: Allein der Umstand, dass der Kläger die Zeugin H. nach deren Aussage „ganz wirr“ angesehen hat (UA Seite 8), stützt diese Annahme nicht. Ebensowenig erlaubt die Art des Verkehrsverstoßes - das Befahren des Fußgängerüberweges mit dem Fahrrad entgegen der allgemeinen Fahrtrichtung - kaum einen hinreichenden Schluss darauf, dass dies alkoholbedingt geschehen ist.

d) Letztlich kommt es auf die Bedenken gegen die Berücksichtigung der Alkoholisierung nicht an: Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten den Zusammenstoß auch darauf zurückführt, ist in Abwägung des Alkoholverstoßes sowie der unerlaubten Fahrweise des Klägers gegen den Abbiegeverstoß und die Betriebsgefahr des Pkw der Beklagten eine Haftungsteilung nach einer Quote von 50 % nicht zu beanstanden. Eine Abänderung der vom Erstgericht vertretbar gebildeten Haftungsquote durch das Berufungsgericht scheidet aus (st. Rspr., vgl. Senat MDR 2009, 680 = KGR 2009, 489 L; Beschluss vom 30. April 2008 - 12 U 83/08 - ; OLG München DAR 2006, 692; NJW 2004, 959; OLG Braunschweig VersR 2004, 924; OLG Karlsruhe OLGR 2004, 398; OLG Hamm VersR 2006, 134; VersR 2004, 757).

3. Da die Beklagten es bei dem knappen Hinweis belassen haben, das zuerkannte Schmerzensgeld sei zu hoch (Seite 6 der Berufungsbegründung), ohne die Gründe näher zu erläutern, kann der Senat einen konkreten Berufungsangriff nicht prüfen (vgl. auch § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO).

Im Übrigen bewegt sich das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld von 4000 EUR unter Berücksichtigung der hälftigen Mithaftung des Klägers in angemessenem Rahmen.

Eine Abänderung ist nicht gerechtfertigt, weil das Erstgericht das ihm eingeräumte Ermessen nicht überschritten hat; denn das Landgericht hat sowohl die Grundsätze für die Bemessung von Schmerzensgeld zutreffend beschrieben als auch unter Berücksichtigung der maßgeblichen Faktoren auf den Streitfall angewandt. Auch nach Auffassung des Senats rechtfertigen die vom Kläger unfallbedingt erlittenen Verletzungen (offene Luxationsfraktur des rechten oberen Sprunggelenks mit Syndesmosen- und Deltabandruptur sowie Weichteilschaden II. Grades am rechten oberen Sprunggelenk) unter Berücksichtigung der Verletzungsfolgen (ca. ein Jahr Arbeitsunfähigkeit zu 100%) und der Geldentwertung beim Vergleich mit den vom Landgericht bezeichneten früheren Gerichtsentscheidungen den zuerkannten Betrag als angemessenen Ausgleich für den immateriellen Schaden des Klägers.

III.

Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO.


B.

Wegen fehlender Erfolgsaussicht der Beklagtenberufung erübrigen sich Ausführungen zur Anschlussberufung des Klägers; denn diese verliert bei Zurückweisung der Berufung oder deren Rücknahme ihre Wirkung (§ 524 Abs. 4 ZPO).

Im Fall der beabsichtigten Berufungszurückweisung würde die Anschlussberufung des Klägers ihre Wirkung verlieren.

Es ist beabsichtigt, dem Berufungskläger auch die Kosten der Anschlussberufung aufzuerlegen, und zwar unabhängig davon, ob die Berufung zurückgenommen oder durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wird:

Der Berufungskläger hat im Falle der Zurückweisung seiner Berufung durch Beschluss nach § 522 ZPO auch die Kosten der Anschlussberufung zu tragen, weil diese durch die Zurückweisung der Berufung ihre Wirkung verloren hat, ohne dass über ihre Zulässigkeit oder Begründetheit entschieden worden wäre.

Nur wenn ausnahmsweise über das Anschlussrechtsmittel in der Sache entschieden wird, ist dieses Rechtsmittel auf Kosten dessen zu verwerfen, der es eingelegt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 26. 01. 2005 – XII ZB 163/04 – NJW-RR 2005, 727).

Dies gilt sowohl im Falle der Rücknahme der Berufung nach einem gemäß § 522 Abs. 2 ZPO erteilten Hinweis (so ausdrücklich BGH, Beschluss vom 7. Februar 2006 – XI ZB 9/05 – NJW-RR 2006, 1147) als auch bei einer Zurückweisung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO (ebenso OLG Frankfurt, Beschluss vom 21. August 2006 – 19 U 98/06 – OLGR 2006, 1095, sowie OLG Dresden, Beschluss vom 14. November 2005 – 6 U 1406/04 – 6 U 1406/04 – OLGR-NL 2005, 93).

Wenn der Berufungsführer sogar bei einer Rücknahme seiner Berufung die Kosten der Anschlussberufung zu tragen hat, gibt es keinen Grund, ihn hinsichtlich der Kosten zu privilegieren, wenn trotz des Hinweises eine Sachentscheidung über die Berufung (nicht aber über die Anschlussberufung) erforderlich wird (KG, Beschluss vom 12. Oktober 2007 – 14 U 179/06 –).


C.

Es wird angeregt, die Fortführung des Berufungsverfahrens zu überdenken.

Der Berufungsstreitwert soll für Berufung und Anschlussberufung auf 17.828,70 EUR festgesetzt werden (vgl. den Streitwertbeschluss des Landgerichts vom 17. Januar 2007).