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Amtsgericht Lüdinghausen Urteil vom 22.09.2014 - 19 OWi - 89 Js 1024/14 - 97/14 - Schätzung der Rotlichtzeit durch Polizeibeamte

AG Lüdinghausen v. 22.09.2014: Zur Schätzung der Rotlichtzeit durch Polizeibeamte


Das Amtsgericht Lüdinghausen (Urteil vom 22.09.2014 - 19 OWi - 89 Js 1024/14 - 97/14) hat entschieden:

  1.  Zwar sind an die Feststellung von so genannten qualifizierten Rotlichtverstößen durch Polizeibeamte gerade bei längeren Beobachtungszeiten nicht zu hohe Anforderungen zu stellen und insbesondere keine echten Messungen zu verlangen - bei einer nicht gezielten Feststellung eines Rotlichtverstoßes bei einfachen Zeitschätzungen muss das Gericht aber weitere Indizien feststellen können, anhand derer sich die Schätzung der bereits verstrichenen Rotlichtzeit zur Zeit des Verstoßes abschätzen oder zumindest plausibel abgleichen lässt. Denkbar sind hier etwa feststellbare Tatsachen, die nachträgliche Weg-Zeit-(Plausibilitäts-)Berechnungen ermöglichen.

  2.  Die bloße gefühlsmäßige Schätzung der Zeit eines dem Gericht als zuverlässig und erfahren bekannten Polizeibeamten kann so nicht allein als ausreichend angesehen werden, um einen qualifizierten Rotlichtverstoß feststellen zu können.


Siehe auch
Nachweis der Rotlichtdauer - Schätzung durch Polizeibeamte
und
Der qualifizierte Rotlichtverstoß

Gründe:


Der Betroffene ist verheiratet und Vater zwei erwachsener Kinder. Von Beruf ist er Schausteller. Auf Nachfrage hat er erklärt, dass im Falle einer Geldbußenfestsetzung in Höhe des Bußgeldbescheides, somit in Höhe von 250,00 Euro, eine Ratenzahlung nicht erforderlich sei.

Der Betroffene ist bereits verkehrsrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten:
   Am 06.02.2013 (Rechtskraft: 01.03.2013) setzte die Bußgeldbehörde des Kreises N in N1 gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von 40,00 Euro fest aufgrund eines zuvor begangenen Verstoßes gegen den § 23 Abs. 1a StVO.

Weiterhin wurde gegen ihn am 02.09.2013 (Rechtskraft: 20.09.2013) durch die Bußgeldbehörde des Kreises I wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes und der Beförderung eines Kindes ohne ausreichende Sicherung eine Geldbuße von 115,00 Euro festgesetzt.

Am 26.03.2014 gegen 10:11 Uhr befuhr der Betroffene in B die Straße C in südliche Richtung, um aus seiner Sicht nach links in die Straße C1 einzubiegen. Dort befindet sich schräg links versetzt in der Straße C1eine Fußgängerampel. Dem Betroffenen war die Örtlichkeit gut bekannt. Er mietet zwei Mal pro Jahr in B eine Ferienwohnung - während des Send in N2 und während Kirmes in B. Zu beiden Anlässen ist er beruflich nämlich länger in der hiesigen Gegend.




Der Betroffene bog aus der Straße C nach links ab, missachtete jedoch das Rotlicht der Lichtzeichenanlage und fuhr über den zunächst angebrachten Haltebalken der Straße und über die rotlichtgeschützte Fläche des Fußgängerüberwegs weiter zum Einkaufen bei dem örtlichen S-Center.

Auf der Straße C1 wartete zu dieser Zeit der Zeuge und Polizeibeamte X , der privat an dem Tattag an der fraglichen Stelle in Fahrtrichtung des Betroffenen - ebenfalls zum S-Center - unterwegs war. Eine Zeitmessung hinsichtlich des Rotlichtverstoßes nahm der Zeuge X nicht vor. Er schätzte die Rotlichtzeit beim Überfahren durch den Betroffenen auf bereits mehrere Sekunden. Den Betroffenen traf er gleich im Anschluss am Tattag auf dem Parkplatz des S-Centers wieder, sprach ihn jedoch nicht an, da er selbst keine Legitimationspapiere als Polizeibeamter mit sich führte. Am nächsten Tag allerdings traf er den Betroffenen erneut - er hielt ihn an und eröffnete ihm den Tatvorwurf.



Der Betroffene war lediglich geständig, was seine Fahrt und Fahrstrecke angeht. An einen Rotlichtverstoß jedoch konnte er sich nicht erinnern, wollte diesen jedoch auch nicht in Abrede stellen. Er erklärte, dass er unter Umständen geblendet gewesen sei, was anhand des Sonnenstandes zur Tatzeit nach den gerichtlichen Recherchen möglich gewesen sein kann. Der Zeuge X konnte sich noch gut an die Tat erinnern. Er schilderte, dass er vor der rotlichtzeigenden Ampel an der Straße C1 angehalten habe und sodann habe wahrnehmen können, wie der Betroffene im Rahmen eines Abbiegevorgangs trotz Rotlichts über den Fußgängerüberweg gefahren sei. Der Zeuge X war sich sicher, dass die Rotlichtzeit zu dieser Zeit bereits deutlich mehr als eine Sekunde betragen habe. Der Zeuge X räumte aber auch ein, dass er keinerlei Zeitmessung durchgeführt habe. Insbesondere habe er weder eine Zählung vorgenommen, noch auf seine Uhr geschaut. Weitere Umstände, die den Schluss auf die Rotlichtdauer zugelassen hätten, konnte er nicht benennen - solche Umstände waren auch sonst nicht erkennbar. Dementsprechend ist das Gericht lediglich von einem einfachen Rotlichtverstoß und nicht dem im Bußgeldbescheid vorgeworfenen qualifizierten Rotlichtverstoß ausgegangen. Zwar sind an die Feststellung von so genannten qualifizierten Rotlichtverstößen durch Polizeibeamte gerade bei längeren Beobachtungszeiten nicht zu hohe Anforderungen zu stellen und insbesondere keine echten Messungen zu verlangen - das Gericht ist aber der Ansicht, dass eine nicht gezielte Feststellung eines Rotlichtverstoßes bei einfachen Zeitschätzungen zumindest weitere Indizien feststellen muss, anhand derer sich die Schätzung der bereits verstrichenen Rotlichtzeit zur Zeit des Verstoßes abschätzen oder zumindest plausibel abgleichen lässt. Denkbar sind hier etwa feststellbare Tatsachen, die nachträgliche Weg-Zeit-(Plausibilitäts-)Berechnungen ermöglichen (vgl. hierzu: Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 3. Aufl. 2014, Rn. 466). Dies war hier nicht der Fall. Letztlich lag der Angabe des dem Gericht als zuverlässig und erfahren bekannten Polizeibeamten X nur eine gefühlsmäßige Schätzung der Zeit vor, die auch sonst nicht als allein ausreichend angesehen wird, um einen qualifizierten Rotlichtverstoß feststellen zu können (vgl. hierzu OLG Hamburg, Beschluss vom 29.12.2004 - 3 Ss 114/04 = NZV 2005, 209 = DAR 2005, 165).

Für den Verstoß gem. §§ 37 Abs. 1, 49 StVO, 24 StVG hat das Gericht die Regelgeldbuße von 90,00 Euro aufgrund der Voreintragungen angemessen erhöht auf 120 Euro.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 StPO i. V. m. § 46 OWiG.

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