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OLG Koblenz Urteil vom 16.03.2015 - 12 U 1010/14 - Kein Anscheinsbeweis bei Auffahr-Schleuderunfall wegen Ölspur

OLG Koblenz v. 16.03.2015: Kein Anscheinsbeweis bei Auffahr-Schleuderunfall wegen Ölspur




Das OLG Koblenz (Urteil vom 16.03.2015 - 12 U 1010/14) hat entschieden:

   Ein Auffahrunfall, dem ein Schleudervorgang beider unfallbeteiligten Fahrzeuge auf einer Ölspur vorausgeht, kann unter keinem Gesichtspunkt als typischer Unfallverlauf i. S. der Anscheinsbeweis-Rechtsprechung angesehen werden. Haftungsverteilung 50:50 kann dann angemessen sein.

Siehe auch
Auffahrunfälle und Anscheinsbeweis
und
Anscheinsbeweis - Beweis des ersten Anscheins - Beweis prima facie

Gründe:


I.

Mit ihrer Klage macht die Klägerin Schadensersatzansprüche gegen die Beklage aus einem Verkehrsunfallereignis geltend, das sich am 20.08.2011 auf der B 9 in Richtung …[Z] ereignet hat. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Die Klägerin hat beantragt,

  1.  die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 8.146,56 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.09.2011 zu zahlen.

  2.  die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2011 zu zahlen.

  3.  festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, auch jeglichen weiteren Schaden der Klägerin, der aus dem Unfallereignis vom 20.08.2011 resultiert, zu ersetzen.

  4.  die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, sie von der Zahlung der außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 837,52 € abzüglich eines gezahlten Teilbetrages in Höhe von 359,50 €, an den Rechtsanwalt …[A] freizustellen.

Die Beklagten haben beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Mit seinem am 17.07.2014 verkündeten Urteil hat das Landgericht Mainz die Klage abgewiesen. Das Landgericht ist von einem Verstoß der Klägerin gegen § 4 Abs. 1 StVO ausgegangen.




Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin.

Die Klägerin beantragt,

   unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Mainz vom 17.07.2014,

  1.  die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 8.146,56 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.09.2011 zu zahlen,

  2.  die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2011 zu zahlen

  3.  festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, auch jeglichen weiteren Schaden der Klägerin, der aus dem Unfallereignis vom 20.08.2011 resultiert, zu ersetzen,

  4.  die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, sie von der Zahlung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 837,52 € abzüglich eines gezahlten Teilbetrages von 359,50 €, an den Rechtsanwalt…[A], freizustellen.


Die Beklagten beantragen,

   die Berufung zurückzuweisen.

Die Parteien haben mit Schriftsätzen ihrer Prozessbevollmächtigten vom 05.02.2015 (Beklagte) und vom 11.02.2015 (Klägerin) einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Urkunden und auf das angefochtene Urteil verwiesen.




II.

Die Berufung der Klägerin hat teilweise Erfolg.

Die Klägerin hat Anspruch gegen die Beklagten auf Zahlung von weiteren 2.723,19 € aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG.

Nach der Überzeugung des Senats ist vorliegend ein sogenanntes ungeklärtes Unfallgeschehen gegeben bei dem, den allgemeinen Regeln folgend (so u. a. BGB VI ZR 177/10, Urteil vom 13.12.2011, juris), im Ergebnis eine hälftige Schadensverteilung vorzunehmen war.

Entgegen dem Landgericht geht der Senat nicht von einer Anwendbarkeit der Regelungen des Anscheinsbeweises zu Lasten der auffahrenden Klägerin aus. Zwar kann bei dem Vorliegen eines Auffahrunfalls grundsätzlich in Anwendung der Regelungen des Anscheinsbeweises davon ausgegangen werden, dass der Auffahrende entweder den notwendigen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat oder aber die erforderliche Aufmerksamkeit nicht angewendet hat (BGH in VersR 1969, 859; KG 12 U 2137/92, Urteil vom 26.04.1993, juris). Auch ist in der Regel dann von einer Alleinhaftung des Auffahrenden auszugehen (BGH VI ZR 152/80, Urteil vom 06.04.1982, juris; BGH VI ZR 15/10, Urteil vom 30.11.2010). Dies (Anwendung der Anscheinsbeweisregeln) gilt jedoch dann nicht, wenn es der Gegenseite gelingt, das Vorliegen eines sogenannten „atypischen Unfallverlaufs“ nachzuweisen (so m. z. w. N. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., Einl. Rn. 157 a). Nach der Überzeugung des Senats ist ein solcher atypischer Verlauf vorliegend anzunehmen. Dieser ist zwar noch nicht in der Tatsache zu sehen, dass der Beklagte zu 1. vor dem Unfall nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 26.06.2014 eine stärkere Bremsung durchgeführt hat. Mit einem (auch starken) Bremsen des vorfahrenden Fahrzeugs muss der Hinterherfahrende stets rechnen. Es steht aber zwischen den Parteien außer Streit, dass nicht nur der Beklagte zu 1., sondern auch die Klägerin auf der auf der Straße befindlichen Ölspur ins Schleudern geraten ist. Eine Fahrzeugkollision, der ein Schleudervorgang beider unfallbeteiligten Fahrzeuge vorausgeht, kann unter keinem Gesichtspunkt als typischer Unfallverlauf i. S. der oben aufgezeigten Rechtsprechung angesehen werden. Von einem atypischen Unfallverlauf war daher auszugehen. Die Regelungen des Anscheinsbeweis können somit nicht zu Lasten der Klägerin in Anwendung gebracht werden. Da im Übrigen weitere Aufklärungsmaßnahmen nicht zur Verfügung stehen, so kommt die Einholung eines Sachverständigengutachtens (unfallanalytisches Gutachten) wegen fehlender Anknüpfungstatsachen (so wurde u. a. die Länge der Bremsspuren von der Polizei nicht festgestellt) nicht in Betracht, war vorliegend von einem sogenannten „ungeklärten Unfallgeschehen“ auszugehen. Es steht weder fest, ob die Klägerin den gebotenen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat bzw. zu spät reagiert hat, noch ob der Beklagte zu 1. ohne zwingenden Grund zu stark abgebremst hat. Gemäß den obigen Ausführungen war folglich eine hälftige Schadensverteilung vorzunehmen.




Zum ersatzfähigen Schaden gilt Folgendes:

Der Klägerin ist durch den Verkehrsunfall unstreitig ein Sachschaden in einer Gesamthöhe von 10.846,73 € entstanden. Unter Berücksichtigung ihres Mithaftungsanteils von 50 % ergibt sich somit ein ersatzfähiger Schaden von 5.423,36 €. Unter Berücksichtigung der von Beklagtenseite bereits geleisteten Zahlungen in Höhe von 2.500,00 € und 200,17 € waren der Klägerin weitere 2.723,19 € zuzuerkennen.

Die Klägerin hat hingegen gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes. Die Klägerin hat durch den Unfall nach ihren eigenen Angaben ein HWS-​Syndrom erlitten. Sie litt mehrere Tage unter Schwindel und Übelkeit und über einen Zeitraum von vier Wochen unter anhaltenden Kopfschmerzen, Nachtschweiß, schlechtem Schlaf und eingeschränkter Beweglichkeit im Bereich der Halswirbelsäule verbunden mit einer Muskelverhärtung. Soweit die Klägerin hierfür selbst ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.200,00 € ansetzt, sieht der Senat diesen Betrag an der absolut oberen Grenze dessen, was in vergleichbaren Fällen als Schmerzensgeld zuerkannt worden ist. Unter Berücksichtigung des hälftigen Mithaftungsanteils der Klägerin stünde dieser somit ein Schmerzensgeld von insgesamt 600,00 € zu. Dieser Betrag ist aber ihr von Beklagtenseite bereits vorgerichtlich erstattet worden. Die Klage war folglich diesbezüglich abzuweisen.



Dem Feststellungsbegehren der Klägerin war ebenfalls nicht nachzukommen. Die Klägerin hat auf das diesbezügliche Bestreiten der Beklagtenseite nicht substantiiert dargetan, dass die Möglichkeit eines weiteren Schadenseintritts besteht (BGH VI ZR 381/99, Urteil vom 16.09.2001, juris). Zuzusprechen im Rahmen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs waren der Klägerin die bei ihr angefallenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, diese allerdings bezogen auf die ursprünglich berechtigte Gesamtforderung in Höhe von 6.023,36 €.

Der ausgeurteilte Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 280, 286, 288 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 9.746,56 € festgesetzt.

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