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Amtsgericht Landstuhl Urteil vom 02.04.2015 - 2 OWi 4286 Js 1076/15 - Handybenutzung und Beweiswürdigung

AG Landstuhl v. 02.04.2015: Handybenutzung und Beweiswürdigung


Das Amtsgericht Landstuhl (Urteil vom 02.04.2015 - 2 OWi 4286 Js 1076/15) hat entschieden:
  1. Wenn ein Polizeibeamter sich an einen Vorfall nicht mehr in allen Details erinnern kann und auf die von ihm erstattete Anzeige ergänzend Bezug nimmt, kann der Tatrichter den Verstoß wie angezeigt für erwiesen erachten, wenn der Polizeibeamte die volle Verantwortung für den Inhalt der Anzeige übernimmt, klar ist, in welcher Weise er bei der Anzeigeerstattung beteiligt gewesen ist, ob und inwieweit ein Irrtum ausgeschlossen ist und warum es verständlich erscheint, dass der Polizeibeamte den Vorfall nicht mehr vollständig in Erinnerung hat.

  2. Der Grundsatz, dass ein im Bußgeldbescheid nicht angegebener Schuldform von fahrlässigem Handeln auszugehen ist und eine Verurteilung wegen Vorsatzes nur nach einem Hinweis gemäß § 265 StPO erfolgen kann, gilt bei Verstößen gegen § 23 Abs. 1 StVO nicht, weil ein solcher Verstoß, zumindest in aller Regel, nur vorsätzlich verwirklicht werden kann.

Siehe auch Die Beweiswürdigung in Straf- und Bußgeldsachen und Zeugen - Zeugenbeweis


Gründe:

I.

Der Betroffene ist selbständig tätig und hat nach eigener Angaben ein Nettoeinkommen von 5-​6000 EUR monatlich. Er bedient Darlehen für Mietshäuser in Höhe von 3000 EUR pro Monat. Er ist ledig, hat zwei minderjährige Kinder, die auch bei ihm leben.

Der Betroffene ist verkehrsrechtlich bereits massiv in Erscheinung getreten. Der eingeholte Auszug aus dem FAER beinhaltet 9 Eintragungen, wobei zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung nach § 29 StVG noch folgende Eintragungen verwertbar waren:
- Bußgeldbescheid der ZBB St. Ingbert vom 22.02.2013, Rechtskraft 28.06.2013, Tattag 14.12.2012, wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 21 km/h (121 statt 100 km/h), Geldbuße 70 EUR

- Bußgeldbescheid der BG-​Behörde Stadt Remscheid vom 16.09.2013, Rechtskraft 14.03.2014, Tattag 02.08.2013, wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 25 km/h (55 statt 30 km/h), Geldbuße 155 EUR


II.

Nach Durchführung der Hauptverhandlung hat das Gericht folgende Feststellungen treffen können:

Der Betroffene befuhr am 01.10.2014 als Führer des PKW mit dem amtl. Kennzeichen … die BAB6 Fahrtrichtung Kaiserslautern und benutzte verbotswidrig zwischen den Anschlussstellen Waldmohr und Bruchmühlbach-​Miesau sein Mobiltelefon, indem er das Telefon aufnahm, in der rechten Hand vor sein Gesicht hielt und währenddessen, offenbar für ein Telefonat über die Lautsprecherfunktion, sprach.


III.

Die Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Betroffenen, sofern dieser gefolgt werden konnte, sowie der Beweisaufnahme im Übrigen.

Der Betroffene hat sich glaubwürdig zur Person eingelassen, der FAER-​Auszug wurde verlesen. Soweit sich der Betroffene - abgesehen von der Fahrereigenschaft und dass sein Mobiltelefon zum Kontrollzeitpunkt zusammen mit anderen Arbeitsunterlagen auf dem Beifahrersitz lag - abstreitend zur Sache eingelassen hat, hat das Gericht dem keinen Glauben schenken können. Der Verteidiger hat dabei nachvollziehbar berichtet, dass keine Verbindungsdaten mehr gespeichert seien, sodass ein eventueller Beweisantrag als wahr hätte unterstellt werden können. Der Betroffene hatte aber inzwischen auch ein neues Mobiltelefon, sodass nicht einmal im internen Speicher hätte ansatzweise geprüft werden können, ob der Betroffene - wie er sich einließ - zur Tatzeit weder Anrufe getätigt noch solche empfangen habe.

Das Gericht ist von der Tatbegehung durch den Betroffenen jedoch überzeugt durch die Aussage des Zeugen POK …. Der Zeuge hatte sich in der Hauptverhandlung an zahlreiche Details der Fahrt am Tattag erinnern können. Unter anderem hatte der Betroffene ihn nach seiner Wahrnehmung auf dem Autobahnzubringer vor der Auffahrt Waldmohr an unübersichtlicher Stelle überholt und auf der BAB6 zahlreiche Abstandsverstöße begangen, als er auf der linken Spur anderen Verkehrsteilnehmern nahe auffuhr, ohne dadurch seine Fahrt wesentlich voranbringen zu können. Der Zeuge fuhr daraufhin in Sichthöhe des Betroffenen, sah nach links durch die Scheibe der Beifahrertür den Betroffenen mit dem Telefon hantieren und sprechen und entschloss sich zum Anhalten und Kontrollieren des Betroffenen auf der Ausfahrt Bruchmühlbach-​Miesau. Der Zeuge POK … war dabei allein in seinem Fahrzeug unterwegs. Auf Vorhalt des gefertigten Anzeigenvermerks bestätigte der Zeuge POK … zudem weitere Details, u.a. das Halten des Telefons in der rechten Hand und den Sprechvorgang, konnte angesichts der zeitnahen Fertigung und der sonstigen Auffälligkeiten der Fahrt ergänzend, irrtumsfrei und voll verantwortlich Bezug auf seine gefertigte Anzeige nehmen.

Ein solches Vorgehen genügt, um im Rahmen der Beweiswürdigung von der Tatbegehung durch den Betroffenen überzeugt zu sein. Wenn ein Polizeibeamter sich an einen Vorfall nicht mehr vollständig erinnern kann und ergänzend auf die von ihm erstattete Anzeige Bezug nimmt, muss der Tatrichter klären, ob der Polizeibeamte die volle Verantwortung für den Inhalt der Anzeige übernimmt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.03.1999 - 2a Ss (OWi) 58/99 - (OWi) 15/99 II - juris), in welcher Weise er bei der Anzeigeerstattung beteiligt gewesen ist und ob und inwieweit ein Irrtum ausgeschlossen ist und warum es verständlich erscheint, dass der Polizeibeamte den Vorfall nicht mehr in Erinnerung hat, falls insoweit Zweifel einsetzen können (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.04.2014 - IV-​2 RBs 37/14, 2 RBs 37/14 -, juris). Diese Voraussetzungen lagen hier vollumfänglich vor. Demgegenüber sind die unsubstantiierten Einlassungen des Betroffenen zur Tathandlung als bloße, aber zulässige Schutzbehauptung zu werten.


IV.

Der Betroffene hat sich deshalb eines vorsätzlichen Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO zu verantworten. Es kann dabei dahinstehen, ob der Betroffene tatsächlich eine Telefonverbindung zum Tatzeitpunkt aufrechterhalten hatte. Denn schon das bloße Aufnehmen des Mobiltelefons und die Nutzung mit Sprechfunktion, selbst als Diktiergerät, begründet einen Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO. Lediglich die Umpositionierung innerhalb des Fahrzeugs oder das Telefonieren mittels Freisprechanlage oder Headset ist eine ahndungsfreie Handlung im Sinne der Norm (vgl. NK-​GVR/Krenberger, 1. Aufl., 2014, § 23 StVO, Rn. 12 ff. m.w.N.). Das Gericht musste dabei trotz des Abweichens von der Schuldform im Vergleich zum Bußgeldbescheid keinen Hinweis wegen der Vorsatzverurteilung erteilen. Der Grundsatz, dass bei im Bußgeldbescheid nicht angegebener Schuldform von fahrlässigem Handeln auszugehen ist und eine Verurteilung wegen Vorsatzes nur nach einem Hinweis gemäß § 265 StPO erfolgen kann, gilt bei Verstößen gegen § 23 Abs. 1a StVO - Aufnehmen oder Halten eines Mobiltelefons während der Fahrt - nicht, weil ein solcher Verstoß, zumindest in aller Regel, nur vorsätzlich verwirklicht werden kann (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 13.08.2013 - 2 (6) Ss 377/13 - juris KG Berlin, Beschl. v. 30.11.2005 - 2 Ss 272/05 - 3 Ws (B) 600/05 - NJW 2006, 3080 OLG Hamm, Beschl. v. 31.07.2008 - 2 Ss OWi 580/08 (92/08) - NZV 2008, 583). So liegt der Fall hier.


V.

Das Gericht hat sodann im Rahmen der Zumessung der Rechtsfolge die Regelgeldbuße nach der BKatV für angemessen erachtet, 60 EUR, Ziffer 246.1 BKat. Im Rahmen der Ermessensausübung ist der BKat dabei nicht bindend, sondern gibt lediglich einen Regelrahmen vor, der bei besonderer Ausgestaltung des Sachverhalts nach oben oder nach unten verändert werden kann. Solche besonderen Umstände lagen hier aber nicht vor, sodass angesichts des Massenverstoßes nach § 23 Abs. 1a StVO auch die empfohlene Regelgeldbuße festgesetzt werden konnte. Insbesondere darf im Rahmen des § 17 OWiG die besonders gute Einkommenslage des Betroffenen nicht generell zu seinem Nachteil verwertet werden (OLG Jena, Beschl. v. 22.5.2007 - 1 Ss 346/06), juris = VRS 113, 330; Krenberger, zfs 2015, 65 ff.).

Eine Verdoppelung der Geldbuße wegen Vorsatzes nach § 3 Abs. 4a BKatV musste nicht erfolgen. Denn der Verstoß wird typischerweise vorsätzlich begangen und auch als solcher sanktioniert.

Allerdings war gemäß § 17 OWiG bei der Bußgeldbemessung die Vorahndungslage zu berücksichtigten und das Regelbußgeld angesichts der zwei vorhandenen Voreintragungen maßvoll zu erhöhen. Dabei waren die beiden Voreintragungen sowohl im Sinne des § 29 StVG verwertbar (Anwendung alten Rechts, d.h. Frist von 2 Jahren ab Rechtskraft, da Eintragung vor dem 01.05.2014) als auch inhaltlich mit dem jetzigen Tatvorwurf verknüpfbar (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 29.11.2010 - 3 Ss OWi 1660/10, juris = DAR 2011, 92). Denn in allen drei Fällen hat der Betroffene die Vorgaben der StVO eklatant missachtet und angesichts der durch den Zeugen POK … beschriebenen sonstigen Fahrweise des Betroffenen zeugen auch alle drei Verstöße von einer Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr im Sinne einer besonderen Missachtung der Rechtsordnung, die maßgebend für die Bußgeldbemessung im Sinne des § 17 Abs. 3 OWiG ist (vgl. Krenberger, zfs 2015, 65 ff.).

Die Geldbuße ist auch durch den Betroffenen angesichts der festgestellten Einkommensverhältnisse wirtschaftlich zu verkraften.

Die Vorahndungslage samt Neuverstoß genügte allerdings nicht, um ein Fahrverbot anzunehmen.


VI.

Die Kostenfolge beruht auf §§ 46, 71 OWiG, 465 StPO.