Das Verkehrslexikon

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OVG Münster Beschluss vom 23.04.2015 - 16 B 259/15 - Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge wegen Nichtbeibringung eines geforderten Gutachtens

OVG Münster v. 23.04.2015: Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge wegen Nichtbeibringung eines geforderten Gutachtens


Das OVG Münster (Beschluss vom 23.04.2015 - 16 B 259/15) hat entschieden:
  1. Der Zweck der Regelung des § 6 Nr. 1 Buchst. y) StVG geht dahin, im Sinne der Vorschrift nicht geeignete Personen, die nicht der Fahrerlaubnispflicht unterliegen, von der Teilnahme am Straßenverkehr fernzuhalten. Damit hat der Gesetzgeber die Grenzen der verordnungsgeberischen Regelungsmacht festgesetzt, indem er die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr von ihrer Eignung abhängig macht.

  2. Es kann ohne Weiteres auf die fehlende Eignung eines Fahrradfahrers, der eine Fahrerlaubnis für Fahrzeuge nicht besitzt, zum Führen von Fahrzeugen gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 2 FeV geschlossen werden.

  3. Soweit in einer Gutachtenanordnung gegenüber einem Radfahrer im Zusammenhang mit der Frage an den Gutachter auf die Beurteilung der Kraftfahreignung abgehoben wird, handelt es sich mit Blick auf die übrige zutreffende Begriffswahl (Fahreignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge) um eine versehentliche Falschbezeichnung ohne Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Anordnung.

Siehe auch Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) und Facharztgutachten im Fahrerlaubnisrecht


Gründe:

Die Beschwerden, über die im Einverständnis der Beteiligten der Berichterstatter entscheidet (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 87 a Abs. 2 und 3 VwGO), sind unbegründet.

1. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis.

Mit der Beschwerde rügt der Antragsteller, dass die Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 29. Januar 2015 die Untersagungsverfügung auf § 3 Abs. 1 StVG gestützt habe, was unzutreffend sei, weil er keine Fahrerlaubnis besitze. Die fehlerhafte Bezeichnung der Rechtsgrundlage für die Untersagungsverfügung in der Antragserwiderung ist bereits deshalb unschädlich, weil Verfahrensgegenstand die Untersagungsverfügung vom 9. Januar 2015 ist.

Des Weiteren liegt entgegen der Auffassung des Antragstellers kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG vor, wonach Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung in dem ermächtigenden Gesetz bestimmt werden müssen. Zweck des verordnungsspezifischen Bestimmtheitsgebots ist die parlamentarische Steuerung und Begrenzung der exekutiven Verordnungsmacht. Auf diese Weise soll das Parlament daran gehindert werden, sich seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft zu entäußern. Daher muss der delegierende Gesetzgeber nicht nur selbst die Entscheidung treffen, wie bestimmte Fragen durch eine exekutive Verordnung geregelt werden sollen, sondern auch das Ziel und die Grenzen der exekutiven Verordnungsmacht festlegen.
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 13. Juni 1956 - 1 BvL 54/55 u. a. -, BVerfGE 5, 71 juris, Rn. 19, und vom 30. Januar 1968 - 2 BvL 15/65 -, BVerfGE 23, 62 = juris, Rn. 36; Uhle, in: Epping/Hillgruber, Kommentar zum GG, 2. Aufl. 2014, Art. 80 Rn. 17 ff.
Die hier einschlägige Verordnungsermächtigung des § 6 Nr. 1 Buchst. y) StVG erlaubt Ausführungsvorschriften über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr, insbesondere über Maßnahmen, um die sichere Teilnahme sonstiger Personen am Straßenverkehr zu gewährleisten, sowie die Maßnahmen, wenn die Personen bedingt geeignet oder ungeeignet oder nicht befähigt zur Teilnahme am Straßenverkehr sind. Dass diese Verordnungsermächtigung die bezeichneten Bestimmtheitsanforderungen nicht erfüllt, legt die Beschwerde nicht schlüssig dar. Abgesehen hiervon lässt sich anhand der Ermächtigung bestimmen, welches gesetzgeberisch vorgezeichnete Programm verordnungsrechtlich umgesetzt oder erreicht werden soll. Der Zweck der Regelung geht dahin, im Sinne der Vorschrift nicht geeignete Personen, die nicht der Fahrerlaubnispflicht unterliegen, von der Teilnahme am Straßenverkehr fernzuhalten. Damit hat der Gesetzgeber die Grenzen der verordnungsgeberischen Regelungsmacht festgesetzt, indem er die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr von ihrer Eignung abhängig macht. Im Übrigen hat der Verordnungsgeber entgegen der Auffassung des Beschwerde das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG beachtet. Der Verordnungsgeber hat nämlich die Ermächtigungsgrundlage des § 6 Abs. 1 Nr. 1 FeV angeführt und damit alle Fälle dieser Nummer erfasst.

Schließlich begegnet es keinen durchgreifenden Bedenken, dass die Antragsgegnerin gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 FeV dem Antragsteller das Führen von Fahrzeugen untersagt und von einer Beschränkung im Hinblick auf das Führen von Fahrzeugen oder auf die Anordnung von Auflagen abgesehen hat. Die Antragsgegnerin durfte nämlich ohne Weiteres auf die fehlende Eignung des Antragstellers zum Führen von Fahrzeugen gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 2 FeV schließen, weil er das zu Recht angeforderte Gutachten nicht vorgelegt hat. Damit durfte die Fahrerlaubnisbehörde das Fahrzeugführen untersagen; ihr Auswahlermessen hatte sich auf Null reduziert.
Vgl. auch OVG Rh.-​Pf., Urteil vom 17. August 2012 - 10 A 10284/12.OVG -, NJW 2012, 3388 = juris, Rn. 31, sowie Bay. VGH, Beschluss vom 22. Dezember 2014 - 11 ZB 14.1516 -, juris, Rn. 10.
Soweit in der Beibringungsanordnung im Zusammenhang mit der Frage an den Gutachter auf die Beurteilung der Kraftfahreignung abgehoben wird, handelt es sich mit Blick auf die übrige zutreffende Begriffswahl (Fahreignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge) um eine versehentliche Falschbezeichnung.

Die geltend gemachten Erschwernisse aufgrund der Untersagungsverfügung muss der Antragsteller entsprechend den gesetzlichen Wertungen im Straßenverkehrsgesetz und in der Fahrerlaubnis-​Verordnung grundsätzlich hinnehmen. Die Umstände des Einzelfalles gebieten keine Ausnahme, da das Interesse am Schutz anderer Verkehrsteilnehmer vor ungeeigneten Verkehrsteilnehmern Vorrang hat.

2. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe hat das Verwaltungsgericht zu Recht abgelehnt, weil der Aussetzungsantrag aus den obigen Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) geboten hat. Prozesskostenhilfe darf verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache fernliegt.
St. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, vgl. etwa Kammerbeschluss vom 28. Januar 2013 - 1 BvR 274/12 -, NJW 2013, 1727 = juris, Rn. 10 ff..
So verhält es sich hier aus den oben angeführten Gründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).