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Landgericht Saarbrücken Urteil vom 16.01.2015 - 13 S 124/14 - Vertretung mehrerer Beteiligter eines Verkehrsunfalls

LG Saarbrücken v. 16.01.2015: Vertretung mehrerer Beteiligter eines Verkehrsunfalls


Das Landgericht Saarbrücken (Urteil vom 16.01.2015 - 13 S 124/14) hat entschieden:
Ein Rechtsanwalt vertritt entgegen § 43a Abs. 4 BRAO widerstreitende Interessen, wenn er mehrere Geschädigte eines Verkehrsunfalls vertritt, von denen einer dem anderen zugleich als Schädiger neben dem in Anspruch genommenen Schädiger gesamtschuldnerisch haften kann.


Siehe auch Interessenkollision / Parteiverrat und Stichwörter zum Thema Rechtsanwalt im Verkehrsrecht


Gründe:

I.

Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 11. Februar 2012 in ... ereignete.

Die Klägerin und Frau ... waren Fahrgäste in einem Linienbus der Beklagten. infolge einer Vollbremsung des Linienbusses stürzte Frau ... auf die Klägerin, die dadurch zu Fall kam. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin machten daraufhin für die Klägerin und Frau ... Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte geltend. Nach teilweiser Regulierung dieser Ansprüche durch die Beklagte nimmt die Beklagte Frau ... wegen einer Mithaftung in Regress.

Mit der Klage hat die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten wegen der Inanspruchnahme der Beklagten nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten hieraus geltend gemacht.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Prozessvollmacht der Klägervertreter bestritten und meint, die Klägerin sei keiner Honorarforderung ausgesetzt, weil ihre Anwälte sie wegen einer Interessenkollision nicht hätten vertreten dürfen.

Das Erstgericht, auf dessen Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung von 603,93 € verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es liege weder ein Parteiverrat nach § 356 StGB noch eine Interessenkollision nach § 43a Abs. 5 BRAO vor.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung verfolgt die Beklagte ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsanspruch weiter. Sie rügt die rechtliche Bewertung durch das Erstgericht.

Die Klägerin verteidigt die angegriffene Entscheidung.


II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Zwar ist die Prozessvollmacht der Klägerin, wie das Erstgericht zutreffend erkannt hat, unabhängig vom Vorliegen einer Interessenkollision wirksam (vgl. OLG Brandenburg MDR 2003, 1024; OLG Rostock AnwBl. 2008, 633; Vollkommer/Greger/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 1. Teil Rdn. 18). Die Klägerin ist jedoch wegen der Inanspruchnahme der Beklagten keiner Honorarforderung ihrer Prozessbevollmächtigten ausgesetzt.

1. Dabei kann dahinstehen, ob ein Rechtsanwaltsvertrag nach § 134 BGB nichtig ist, wenn ein Rechtsanwalt entgegen § 43a Abs. 4 BRAO widerstreitende Interessen vertritt (tendenziell verneinend BGH, Urteil vom 23. April 2009 - IX ZR 167/07, ZIP 2009, 1767 ff.; offen gelassen von BGH, Urteil vom 19. September 2013 - IX ZR 322/12, WM 2014, 87; BGH, Urteil vom 23. Oktober 2003 - IX ZR 270/02, WM 2004, 478 f.). Jedenfalls entfällt in einem solchen Fall der Anspruch auf gesetzliche Gebühren, die zu dem Zeitpunkt, zu dem der Verstoß geschieht, noch nicht verdient sind (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 2009 aaO; Vollkommer/Greger/Heinemann aaO Rdn. 18; Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., § 43a Rdn. 210; Fahrendorf/Mennemeyer Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts, 8. Aufl., Rdn. 670; Rinkler in: Zugehör u.a., Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl., Teil 1 Rdn. 49).

2. So liegt der Fall hier. Die von der Klägerin beauftragten Rechtsanwälte haben entgegen § 43a Abs. 4 BRAO widerstreitende Interessen vertreten.

a) Die Vertretung der Klägerin und der weiteren Geschädigten ... erfolgte in derselben Rechtssache. Ausreichend hierfür ist jeder Sachverhalt, der zwischen mehreren Beteiligten - auch mit möglicherweise entgegenstehenden rechtlichen Interessen - nach Rechtsgrundsätzen behandelt und erledigt werden soll (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 2012 - AnwZ (Brfg) 35/11, NJW 2012, 3039; Urteil vom 25. Juni 2008 - 5 StR 109/07, BGH St 52, 307), wobei auch eine Teilidentität des Sachverhalts ausreicht (vgl. BGH, Urteil vom 23.04.2012- AnwZ (Brfg) 35/11, NJW 2012, 3039; OLG Hamburg, OLGR 2001, 173; Söhnlein in: Feuerich u.a., BRAO, 8. Aufl. 2012, § 43a BRAO Rdn. 60). Diese Voraussetzungen sind bei Geltendmachung von Schadensersatz aufgrund ein und desselben Verkehrsunfalls erfüllt.

b) Zwischen den Interessen der Klägerin und der weiteren Geschädigten ... bestand auch ein Interessengegensatz.

aa) Die Interessen, die der Anwalt im Rahmen des ihm erteilten Auftrags zu vertreten hat, sind objektiv zu bestimmen. Grundlage der Regelung des § 43a Abs. 4 BRAO sind das Vertrauensverhältnis von Rechtsanwalt und Mandant, die Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und die im Interesse der Rechtspflege gebotene Gradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 2012 aaO). Bei der Beurteilung der Interessen der Mandanten kommt den subjektiven Vorstellungen der Mandanten zwar entscheidende Bedeutung zu (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010 - IX ZR 190/07, juris). Ein objektiv vorhandener Interessenwiderspruch lässt sich jedoch nicht durch den Hinweis darauf auflösen, dass der Mandant mit der Mandatserteilung selbst bestimmen könne, in welche Richtung und in welchem Umfang der Anwalt seine Interessen wahrnehmen möge (vgl. BGH, Urteil vom 23. April2012 aaO). Der Interessengegensatz muss allerdings konkret gegeben sein, das Anknüpfen an einen möglichen, tatsächlich aber nicht bestehenden (latenten) Interessenkonflikt genügt demgegenüber nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 - IV ZB 32/12, VersR 2013, 733; Urteil vom 23. April 2012 aaO). Ein Vertretungsverbot nach § 43 a Abs. 4 BRAO besteht dabei schon dann, wenn der Rechtsanwalt in der Vergangenheit widerstreitende Interessen vertreten hat (vgl. Söhnlein in Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Aufl., § 43a Rdn. 64).

bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist ein Interessengegensatz hier zu bejahen. ln Verkehrsunfallsachen besteht auf Geschädigtenseite ein Interessengegensatz jedenfalls dann, wenn mehrere Geschädigte vertreten werden, von denen einer dem anderen neben dem in Anspruch genommenen Schädiger gesamtschuldnerisch haften kann (vgl. Henssler/Prütting, aaO, § 43a Rdn. 184 mwN.; noch weitergehend Höfle zfs 2002, 413, 414; Kääb NZV 2003, 121, 123). Für diese Auffassung spricht, dass der Rechtsanwalt den von ihm vertretenen Geschädigten ggf. auf die Möglichkeit einer ergänzenden Inanspruchnahme des anderen Mandanten hinweisen muss, die im Einzelfall leichter durchzusetzen sein kann als die gegen den gemeinsamen Haftungsschuldner. Selbst wenn der Mandant - wie hier - von dem weiteren Schädiger erfolgreich Schadensersatz erlangt, besteht ein Interessengegensatz auch deshalb, weil der mithaftende Geschädigte wegen der Regressmöglichkeit des in Anspruch genommenen Schädigers (§§ 426, 840 BGB) an der Geringhaltung des Haftungsumfangs auch im Außenverhältnis interessiert sein muss. Entgegen zum Teil vertretener Auffassung (vgl. van Bühren zfs 2014, 189 ff.) gilt das nicht nur für Umstände, die die Haftungsverteilung der Gesamtschuldner im Innenverhältnis zueinander betreffen, sondern auch für sonstige Umstände, die die Anspruchshöhe beeinflussen. Soweit beispielsweise die Höhe des Schmerzensgeldes durch das Ausmaß der Verletzungen mitbestimmt wird, musste die Klägerin hier ein Interesse daran haben, gegenüber der Beklagten das Gewicht dieser Verletzungen herauszustreichen, was sich im Falle eines Innenregresses nachteilig zu Lasten von Frau ... auswirken konnte, die hier als potentielle Haftungsschuldnerin nach § 823 Abs. 1 BGB in Betracht kam, da sie sich -unstreitig- keinen festen Halt verschafft hatte. Dass zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs noch nicht absehbar war, dass es zu einem solchen Regress kommen würde, ändert am konkreten Interessengegensatz nichts. Denn die Geschädigten hatten es nicht in der Hand, ob der in Anspruch genommene Schädiger zum Regress schreiten würde.

c) Unerheblich ist, ob - wie die Klägerin zuletzt vorgetragen hat - die Sachbearbeitung beider Fälle durch unterschiedliche Rechtsanwälte der Kanzlei erfolgte. Dabei kann dahinstehen, ob § 43a Abs. 4 BRAO auch auf die Vertretung mehrerer in Sozietät verbundener Rechtsanwälte anwendbar ist (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. Juni 2006- 1 BvR 594/06, AnwBl 2006, 580 f.; BVerfGE 108, 150). Denn die Klägerin hat - ausweislich der von ihr vorgelegten Vollmachtsurkunde - die Rechtsanwälte einheitlich bevollmächtigt. Damit lag ein Interessengegensatz unabhängig davon vor, welcher Sachbearbeiter aus der Kanzlei den Fall bearbeitete.

3. Entgegen der Auffassung der Klägerin haftet die Beklagte auch nicht etwa deshalb, weil der Klägerin auch dann Anwaltskosten entstanden wären, wenn sie einen anderen Rechtsanwalt gewählt hätte. Im Rahmen von § 249 BGB kann die Klägerin nur die Erstattung tatsächlich angefallener Rechtsverfolgungskosten verlangen. Dafür, dass und ggf. in welcher Höhe Honoraransprüche der Klägervertreter vor Eintritt des Interessengegensatzes entstanden und fällig geworden wären, die durch den nachfolgend eingetretenen Interessengegensatz nicht mehr berührt worden wären, ist auf der Grundlage des klägerischen Vortrags nicht ersichtlich.


III.

Die Kostenentscheidung gründet auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und sie keine Veranlassung gibt, eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung herbeizuführen (§ 543 Abs. 2 ZPO).