Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Beschluss vom 24.07.2014 - 3 Ws (B) 365/14 - 162 Ss 100/14 - Zustellungsbevollmächtigung des Verteidigers auf Grund rechtsgeschäftlicher Vollmacht

KG Berlin v. 24.07.2014: Zustellungsbevollmächtigung des Verteidigers auf Grund rechtsgeschäftlicher Vollmacht


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 24.07.2014 - 3 Ws (B) 365/14 - 162 Ss 100/14) hat entschieden:
Ein Rechtsanwalt kann auf Grundlage einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht, die neben der gesetzlichen Zustellungsvollmacht existiert und die keiner besonderer Form unterliegt, zustellungsbevollmächtigt i.S.d. § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG sein. Dies kann dann der Fall sein, wenn der Rechtsanwalt seine Eigenschaft als Verteidiger des Betroffenen bei der Verwaltungsbehörde unter Beifügung einer schriftlichen Vollmacht angezeigt sowie beantragt hat, das Verfahren einzustellen und darüber hinaus mitgeteilt hat, dass der Betroffene die Täterschaft und den Tatvorwurf bestreitet. Es ist vor diesem Hintergrund unschädlich, dass die ausdrücklich Zustellungen umfassende Vollmacht weder die konkrete Angelegenheit noch den Namen des Betroffenen und des Bevollmächtigten benennt.


Siehe auch Die Vollmacht des Rechtsanwalts und Zustellung des Bußgeldbescheides und Verjährungsunterbrechung


Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung [zu ergänzen: innerhalb geschlossener Ortschaften um 34 km/h] eine Geldbuße in Höhe von 190,- Euro festgesetzt. Ferner hat es ein Fahrverbot von einem Monat verhängt und eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden gemäß § 25 Abs. 2a StVG getroffen. Gegen dieses Urteil hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts rügt.

1. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

a) Soweit der Betroffene die Verletzung des § 261 StPO beanstandet und rügt, der Tatrichter habe die Feststellungen, auf deren Grundlage er die Verjährung der in Rede stehenden Ordnungswidrigkeit verneint hat, nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft, muss der Rüge bereits deshalb der Erfolg versagt bleiben, weil es sich bei der Verjährung um ein Verfahrenshindernis handelt (vgl. Fischer, StGB 61. Auflage, Einl. Rn. 145 und Vor § 78 Rn. 3 m. w. N.), deren Vorliegen bzw. Nichtvorliegen im Freibeweis festgestellt werden kann (vgl. Meyer-​Goßner/Schmitt, StPO 57. Auflage, § 244 Rn. 6 u. § 261 Rn. 33). Demzufolge ist § 261 StPO nicht verletzt.

b) Dass das angefochtene Urteil die Qualifikation des in der Hauptverhandlung als Sachverständigen vernommenen Dipl.-​Ing. Ralf S nicht mitteilt, ist nicht durchgreifend bedenklich. Die Generalstaatsanwaltschaft hat zwar zutreffend ausgeführt, dass der Tatrichter – wenn er sich der Hilfe eines Sachverständigen bedient – im Urteil grundsätzlich darlegen muss, welchem Fachbereich der Sachverständige zuzuordnen ist und über welche Qualifikation er verfügt (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2012 - 3 Ws (B) 730/12 -). Der Senat schließt indes aus, dass das angefochtene Urteil auf diesem Darstellungsmangel beruht (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Juni 2014 - 3 Ws (B) 562/13 -), weil gerichtsbekannt ist, dass der Sachverständige S seit mehreren Jahren forensisch tätig und von der DEKRA für den Bereich Geschwindigkeitsmessverfahren ausgebildet und speziell geschult worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Februar 2013 - 3 Ws (B) 21/12 -). An seiner Sachkunde bestehen daher keine Zweifel.

c) Der Umstand, dass das Amtsgericht nicht feststellen konnte, dass die vorgeschriebene Wartungs- und Gebrauchsanleitung nicht bei dem verwendeten Geschwindigkeitsmessgerät aufbewahrt wurde, führt nicht zur Unverwertbarkeit der in Rede stehenden Messung. Das Amtsgericht ist rechtsfehlerfrei zu der Überzeugung gelangt, dass das eingesetzte Geschwindigkeitsmessgerät korrekt bedient wurde und die Messung fehlerfrei erfolgte. Eine Abweichung von der Gebrauchsanweisung hat der Tatrichter gerade nicht festgestellt, so dass der Hinweis der Rechtsbeschwerde auf die Entscheidungen des Senats (VRS 116, 446) und des OLG Hamm (VRR 2008, 352) nicht verfängt.

Vor diesem Hintergrund erfolgte die Geschwindigkeitsmessung auch in einem standardisierten Messverfahren, so dass es nicht erforderlich war, die Anknüpfungstatsachen und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen des Sachverständigen im Einzelnen im Urteil darzulegen.

d) Entgegen der Ansicht des Rechtsbeschwerdeführers ist die Ordnungswidrigkeit auch nicht verjährt. Die dreimonatige Verjährungsfrist (§ 26 Abs. 3 1. Alt. StVG) der am 15. April 2013 begangenen Ordnungswidrigkeit ist am 11. Juni 2013 wirksam gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG unterbrochen worden. An diesem Tag erging der Bußgeldbescheid, der Rechtsanwalt K am 14. Juni 2013 und somit innerhalb von zwei Wochen nach dessen Erlass zugestellt wurde. Soweit die Rechtsbeschwerde meint, der Erlass des Bußgeldbescheides habe die Verjährung nicht unterbrechen können, weil Rechtsanwalt K zum Zeitpunkt der Zustellung nicht zustellungsbevollmächtigt gewesen sei, greift das Vorbringen nicht durch. Dabei kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG vorlagen. Denn Rechtsanwalt Kx war aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht, die neben der gesetzlichen Zustellungsvollmacht existiert (vgl. BGH NStZ 1997, 293; Meyer-​Goßner/Schmitt, a.a.O., § 145a Rn. 2a), deren Nachweis nachgereicht werden kann (vgl. Seitz in Göhler, OWiG 16. Auflage § 51 Nr. 44a) und die nicht an eine besondere Form gebunden ist (vgl. OLG Brandenburg VRS 117, 305 [307 f.]), zustellungsbevollmächtigt. Dabei kommt es nur darauf an, ob die Vollmacht tatsächlich besteht, das heißt, ob sie vom Vollmachtsgeber tatsächlich erteilt worden ist (vgl. OLG Brandenburg a.a.O.).

Aus den gesamten Umständen ergibt sich, dass Rechtsanwalt Kxl am 15. Mai 2013 von dem Betroffenen eine rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht erteilt worden ist. So hatte Rechtsanwalt K am 17. Mai 2013 einen unter demselben Datum verfassten Schriftsatz per Telefax an den Polizeipräsidenten in Berlin übersandt, der folgenden Wortlaut hatte:
"W 58.69.025795.3

Sehr geehrte Damen und Herren,

in vorbezeichneter Sache zeige ich an, dass mich Herrn R W mit der Verteidigung beauftragt hat. Meine Mandantschaft bestreitet Täterschaft und Tatvorwurf und macht vorerst von ihrem Schweigerecht Gebrauch. Daher beantrage ich bereits jetzt,
das Verfahren einzustellen.
Eine spätere Einlassung bleibt vorbehalten. Daher beantrage ich zunächst
Akteneinsicht
und bitte um Übersendung der vollständigen Ermittlungsakte zur Einsicht in die Kanzlei. Mit freundlichen Grüßen

L H K
- Rechtsanwalt -"
Diesem Schriftsatz war eine schriftliche Vollmacht beigefügt, die u.a. folgenden Wortlaut hat:
"Strafprozessvollmacht

wird hiermit in der Strafsache – Privatklagesache – Bußgeldsache – Entschädigungssache

gegen

wegen

Vollmacht zu meiner Verteidigung und Vertretung in allen Instanzen sowie im Vorverfahren erteilt, und zwar auch für den Fall meiner Abwesenheit zur Vertretung nach § 411 II StPO mit ausdrücklicher Ermächtigung auch nach § 233 I, 234 StPO und 73, 74 OWiG, mit der Befugnis:
  1. Strafanträge zu stellen, Rechtsmittel und Rechtsbehelfe einzulegen, ganz oder teilweise zurückzunehmen oder auf sie zu verzichten und solche auf Strafausspruch und Strafmaß zu beschränken, sowie Zustellungen aller Art [Hervorhebung durch den Senat], insbesondere auch von Urteilen und Beschlüssen, entgegenzunehmen;

    …"
Das Schriftstück enthält am Ende handschriftlich das Datum "15.05.2013" und den Ort "Berlin" sowie als Unterschrift den Schriftzug "R. Wahnschaffe".

Dem Schriftsatz vom 17. Mai 2013 ist ausdrücklich zu entnehmen, dass sich Rechtsanwalt Kroll bei der Verwaltungsbehörde als Verteidiger des Betroffenen gemeldet hat. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Umstand, dass er ausdrücklich darauf hinwies, von dem Betroffenen mit der Verteidigung beauftragt worden zu sein, sondern auch aus der Tatsache, dass er den Antrag stellte, das Verfahren einzustellen, sowie mitteilte, der Betroffene bestreite Täterschaft und Tatvorwurf und mache von seinem Schweigerecht Gebrauch. Vor diesem Hintergrund ist es unschädlich, dass die mit dem vorbenannten Schriftsatz übersandte Vollmacht, die ausdrücklich auch Zustellungen an ihn umfasst, weder die konkrete Angelegenheit noch den Namen des Betroffenen und den des Bevollmächtigten ausdrücklich benennt. Konkrete Anhaltspunkte, dass das beigefügte Vollmachtsformular nicht von dem Betroffenen unterzeichnet worden ist, bestehen – gerade auch in der Zusammenschau mit dem Meldeschriftsatz vom 17. Mai 2015 – nicht. Dass der Betroffene Rechtsanwalt K bereits am 15. Mai 2013 insbesondere auch Zustellungsvollmacht erteilt hatte, ergibt sich zudem daraus, dass dieser in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Tiergarten am 10. Oktober 2013 eine schriftliche Originalvollmacht überreichte, die mit der am 17. Mai 2013 per Telefax übersandten Vollmacht weitgehend identisch war. Diese Vollmacht, die auf den "15.05.2013" datiert und die Unterschrift "R. W" enthält, unterscheidet sich allein dadurch, dass sie den Stempel der Kanzlei des Verteidigers enthält, das Wort "Bußgeldsache" unterstrichen ist sowie nach dem Wort "gegen" der Vor- und Zuname des Betroffenen und nach dem Wort "wegen" der Zusatz "Vorfall vom 15.04.13" jeweils handschriftlich eingefügt sind.

Nach alledem hat der Senat keinen Zweifel, dass Rechtsanwalt K zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheids über eine rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht des Betroffenen verfügte.

Eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß §§ 121 Abs. 2 GVG, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG ist nicht veranlasst. Soweit andere Oberlandesgerichte eine Verjährungsunterbrechung gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG wegen einer unzureichenden Vollmacht verneint haben, haben sich diese Entscheidungen ausschließlich zu den Voraussetzungen der Wirksamkeit der gesetzlich fingierten Zustellungsvollmacht des Verteidigers nach § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG bzw. § 145a Abs. 1 StPO verhalten (vgl. OLG Brandenburg a.a.O. [308]).

Nach der Verjährungsunterbrechung durch den Erlass des Bußgeldbescheides am 11. Juni 2013 ist die danach geltende sechsmonatige Verjährungsfrist (§ 26 Abs. 3 Alt. 2 StVG) gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 OWiG durch den Eingang der Akten beim Amtsgericht am 23. August 2013 und anschließend gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 OWiG durch jede Anberaumung einer neuen Hauptverhandlung, nämlich am 3. September und 10. Oktober 2013 sowie am 24. Februar 2014, unterbrochen worden. Nachdem am 12. Mai 2014 gegen den Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts ergangen ist, läuft die Verjährungsfrist nach § 32 Abs. 2 OWiG nicht vor dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens ab.

e) Die sonstige Überprüfung des Urteils auf die erhobene Sachrüge deckt keine den Betroffenen beschwerenden Rechtsfehler auf.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.