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Landgericht Saarbrücken Urteil vom 25.06.2015 - 13 S 5/15 - Haftung bei Sachschäden unter Fahrzeughaltern nach schweizerischem Straßenverkehrsrecht

LG Saarbrücken v. 25.06.2015: Zur Haftung bei Sachschäden unter Fahrzeughaltern nach schweizerischem Straßenverkehrsrecht


Das Landgericht Saarbrücken (Urteil vom 25.06.2015 - 13 S 5/15) hat entschieden:
Der Anscheinsbeweis streitet gegen den nach Art. 36 Abs. 2 SVG und Art. 14 VRV Wartepflichtigen, wenn es im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Einfahren in eine bevorrechtigte Straße zu einem Unfall im Kreuzungs- oder Einmündungsbereich kommt. Dieser im deutschen Recht anerkannte Erfahrungssatz (vgl. BGH, Urteil vom 21.01.1986 - VI ZR 35/85, VersR 1986, 579; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 8 StVO Rn. 68 m.w.N.) gilt auch bei Anwendung ausländischen Verkehrsrechts. Kommt der Anscheinsbeweis nicht zum Zuge, haftet ein Fahrzeughalter für einen Sachschaden eines anderen Halters nach Schweizer Recht nur dann, wenn der Geschädigte beweist, dass der Schaden durch Verschulden oder vorübergehenden Verlust der Urteilsfähigkeit des beklagten Halters oder einer Person, für die er verantwortlich ist, oder durch fehlerhafte Beschaffenheit seines Fahrzeuges verursacht wurde. Bei Sachschäden unter Fahrzeughaltern ist mithin grundsätzlich nur das Verschulden des in Anspruch genommenen Halters als Haftungskriterium maßgebend; die Betriebsgefahr des Fahrzeugs darf insoweit nicht in Rechnung gestellt werden.


Siehe auch Anscheinsbeweis - Beweis des ersten Anscheins und Unfälle mit Auslandsberührung


Gründe:

I.

Der Kläger begehrt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 02.03.2013 in ... (Schweiz) ereignet hat.

Der Kläger fuhr mit seinem Fahrzeug, das in Deutschland zugelassen ist, in Richtung Autobahnauffahrt A 1 (Bern/Basel). Dabei kollidierte er mit einem in der Schweiz zugelassenen Fahrzeug, das von der Zeugin ... gelenkt wurde und bei der Beklagten, einem schweizerischen Versicherer, haftpflichtversichert ist.

Mit seiner Klage hat er zunächst von der Zeugin ... und der Beklagten seinen Unfallschaden in Höhe von 2.014,15 € nebst Zinsen beansprucht. Zur Begründung hat er vorgetragen, der Unfall sei darauf zurückzuführen, dass die Zeugin ... einen Fahrspurwechsel durchgeführt habe. Später hat der Kläger die Klage gegen die Zeugin ... zurückgenommen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat vorgetragen, der Kläger sei unter Verletzung seiner Wartepflicht auf die bevorrechtigte ... Straße aufgefahren.

Die Zeugin ... hat im Hinblick auf die ihr gegenüber erklärte Klagerücknahme Kostenantrag gestellt.

Das Amtsgericht hat den Kläger angehört und danach die Klage abgewiesen. Ausgehend von den Angaben sei ausgeschlossen, dass die Zeugin .. einen Fahrspurwechsel durchgeführt habe. Vielmehr liege ein Vorfahrtsverstoß des Klägers vor.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er seinen letzten erstinstanzlichen Antrag weiter verfolgt. Der Kläger meint, das Amtsgericht hätte jedenfalls nicht ohne weitere Beweisaufnahme von einem Vorfahrtsverstoß ausgehen dürfen. Das Gericht habe insbesondere keine geeigneten Feststellungen zur Entfernung zwischen dem Einfahrort und dem Kollisionsort getroffen.

Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.


II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet. Das Urteil des Amtsgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

1. Zutreffend hat das Erstgericht zunächst die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte bejaht. Denn nach Art. 9 und 11 des Luganer Übereinkommens vom 30. Oktober 2007 (LugÜ 2007) kann der Geschädigte eines Verkehrsunfalls einen nach dem anwendbaren nationalen Recht bestehenden Direktanspruch (hier: Art. 65 Abs. 1 Schweizerisches Straßenverkehrsgesetz - SVG) gegen den Haftpflichtversicherer mit Sitz in einem ausländischen Staat im Geltungsbereich des Abkommens beim Gericht seines Wohnsitzes geltend machen (vgl. BGHZ 195, 166 m.w.N.).

2. Ebenfalls zu Recht ist die Erstrichterin davon ausgegangen, dass der vorliegende Verkehrsunfall nach schweizerischem Recht zu beurteilen ist. Nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-​VO ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind (sog. Erfolgsortprinzip, vgl. Geigel/Haag, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 43 Rn. 59). Die Regelung findet hier Anwendung, da es sich um einen Anspruch aus einem Verkehrsunfall handelt, der nach dem 11. Januar 2009 entstanden ist (vgl. Art. 32 Rom II-​VO; Kammer, Urteile vom 09.03.2012 - 13 S 51/11, NJW-​RR 2012, 885 ff., und vom 11.05.2015 - 13 S 21/15 m.w.N.). Für die hier geltend gemachten Schäden ist Erfolgsort der Tatort - hier die Schweiz (vgl. Kammer aaO m.w.N.). Dass es sich bei der Schweiz nicht um einen Mitgliedstaat handelt, ist nach dem Universalprinzip des Art. 3 Rom II-​VO unerheblich (vgl. Wagner/Berentelg, MDR 2010, 1353, 1358; Erman/Hohloch, BGB, 14. Aufl., Art. 3 Rom II-​VO Rn. 1; Schaub, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 10. Aufl., Art. 3 Rom II-​VO Rn. 1 m.w.N.).

3. Keinen Bedenken begegnet auch die Feststellung des Erstgerichts, dass ein Verstoß der Zeugin ... gegen die Pflichten beim Wechsel eines Fahrstreifens nicht in Betracht kommt. Denn die Vorschrift des Art. 44 Abs. 1 SVG, wonach ein Fahrstreifen nur gewechselt werden darf, wenn dadurch der übrige Verkehr nicht gefährdet wird, setzt mehrere in gleicher Richtung verlaufende Fahrspuren voraus (vgl. Art. 1 Abs. 5 Schweizerische Verkehrsregelnverordnung - VRV; Giger, SVG, 8. Aufl., Art. 44 SVG Rn. 1). Dies ist indes an der gesamten Unfallörtlichkeit nicht der Fall, wie sich aus der Straßenkarte von google.maps und der Ansicht in google.streetview ergibt. Dass diese den Straßenzustand zum Unfallzeitpunkt nicht richtig wiedergäben, wird von dem Kläger nicht geltend gemacht.

4. Zu Recht wendet sich die Berufung aber gegen die Feststellung des Erstgerichts, dass sich der Unfall im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Einfahren des Klägers in eine bevorrechtigte Straße ereignet hat, so dass den Kläger ein Vorfahrtsverstoß trifft.

a) Richtig ist allerdings, dass der Kläger - wie er im Übrigen selbst eingeräumt hat - auf eine bevorrechtigte Straße eingefahren ist. Denn bei der maßgeblichen Einmündung von der ... zur ... handelt es sich um eine durch das Verkehrszeichen „Vorfahrt achten“ gekennzeichnete Einmündung, so dass der Kläger die Regeln über den Vortritt zu beachten hatte (Art. 36 Abs. 2 SVG, Art. 14 VRV). Danach muss, wer zur Gewährung des Vortritts verpflichtet ist, den Vortrittsberechtigten in seiner Fahrt nicht behindern. Er hat seine Geschwindigkeit frühzeitig zu mäßigen und, wenn er warten muss, vor Beginn der Verzweigung zu halten. b) Ob der Kläger nachweislich diese Pflichten verletzt hat, ist indes offen. Zwar streitet der Anscheinsbeweis gegen den nach Art. 36 Abs. 2 SVG und Art. 14 VRV Wartepflichtigen, wenn es im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Einfahren in eine bevorrechtigte Straße zu einem Unfall im Kreuzungs- oder Einmündungsbereich kommt. Dieser im deutschen Recht anerkannte Erfahrungssatz (vgl. BGH, Urteil vom 21.01.1986 - VI ZR 35/85, VersR 1986, 579; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 8 StVO Rn. 68 m.w.N.) gilt auch bei Anwendung ausländischen Verkehrsrechts (vgl. BGH, Urteil vom 04.10.1984 - I ZR 112/82, NJW 1985, 554; Kammer, Urteile vom 13.02.2015 - 13 S 203/15, und vom 11.05.2015 - 13 S 21/15 m.w.N.). Allerdings ist hier nicht geklärt, in welcher Entfernung von der Einmündung sich der Unfall tatsächlich ereignet hat. Denn es verbleibt - worauf die Berufung zu Recht hinweist - insbesondere nach den Angaben des Klägers in seiner Anhörung die ernsthafte Möglichkeit, dass er im Kollisionszeitpunkt bereits so weit in die bevorrechtigte Straße eingefahren war, dass er sich in den fließenden Verkehr eingeordnet hatte.

5. Allerdings verkennt die Berufung, dass es hierauf im Ergebnis nicht ankommt.

a) Nach Art. 61 Abs. 2 SVG haftet ein Fahrzeughalter für einen Sachschaden eines anderen Halters nur dann, wenn der Geschädigte beweist, dass der Schaden durch Verschulden oder vorübergehenden Verlust der Urteilsfähigkeit des beklagten Halters oder einer Person, für die er verantwortlich ist, oder durch fehlerhafte Beschaffenheit seines Fahrzeuges verursacht wurde. Bei Sachschäden unter Fahrzeughaltern ist mithin grundsätzlich nur das Verschulden des in Anspruch genommenen Halters als Haftungskriterium maßgebend; die Betriebsgefahr des Fahrzeugs darf insoweit nicht in Rechnung gestellt werden (vgl. BGE 94 II 173; Giger aaO Art. 61 SVG Rn. 10; Bachmeier/Hablützel/Saner, Regulierung von Auslandsunfällen, Schweiz, Rn. 9; Rusch, Haftpflichtrecht, Straßenverkehrsrechtstagung 2012, S. 236).

b) Ein entsprechendes Verschulden der Zeugin ... ist hier nicht nachgewiesen. Denn es kann - wie bereits gezeigt - nicht verlässlich ausgeschlossen werden, dass der Unfall (ausschließlich) auf einer Vorfahrtsverletzung des Klägers beruht. Dies gilt insbesondere, weil schon die eigenen Angaben des Klägers zum Unfall variieren. Während die Darstellung des Klägers in seiner informatorischen Anhörung auf eine größere Entfernung des Unfallortes von der Einmündung hindeutet, legt der von beiden Unfallbeteiligten unterzeichnete Unfallbericht nach der Position der Fahrzeuge eine Vorfahrtsverletzung des Klägers nahe. Auch nach der vom Kläger selbst erstellten Unfallskizze erscheint schließlich eine Vorfahrtsverletzung als möglich. Denn die auf der Skizze eingezeichnete schraffierte Fläche, an deren Ende sich der Unfall ereignet haben soll, muss sich nicht zwangsläufig auf die auf der Vorfahrtsstraße vorhandene schraffierte Fläche beziehen, sondern kann auch die am Beginn der Einmündung endende schraffierte Fläche der untergeordneten Straße bezeichnen, so dass sich der Unfall danach im unmittelbaren Einmündungsbereich ereignet hätte. Begründen aber bereits die eigenen Angaben des Klägers durchgreifende Zweifel an einem Verschulden der Zeugin ..., bedurfte es insoweit auch keiner weiteren Beweiserhebung.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).