Das Verkehrslexikon

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Verwaltungsgericht Aachen Urteil vom 07.05.2013 - 2 K 2160/11 - Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht

VG Aachen v. 07.05.2013: Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht


Das Verwaltungsgericht Aachen (Urteil vom 07.05.2013 - 2 K 2160/11) hat entschieden:
  1. Unter Zugrundelegung eines Verkehrsraums für Radfahrer von 1 m (bei beengten Verhältnissen 0,80 m) und eines i.d.R. zum Radfahrer einzuhaltenden Seitenabstandes von 1,50 m, bietet eine Fahrbahnbreite von 5,50 m ausreichend Raum für einen Überholvorgang. Diese Breite lässt noch Spielraum für einen größeren Seitenabstand zum Radfahrer.

  2. Eine erhebliche Gefahrenlage lässt sich im konkreten Einzelfall nicht unter Berücksichtigung der Vorgaben für die Anlage von Radwegen in den Richtlinien der FGSV - RASt 06 - oder deren Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (Ausgabe 2010 - ERA 2010 -) bejahen. Bei der Heranziehung dieser Regelwerke ist zu beachten, dass sie keinen normativen Charakter haben und für die Gerichte bei der Beurteilung des Vorliegens der straßenverkehrsrechtlichen Voraussetzungen für eine Radwegebenutzungspflicht nach § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO nicht bindend sind.

Siehe auch Schutzstreifen für Radfahrer - Angebotsstreifen und Straßenverkehrsrechtliche Anordnungen


Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Aufhebung der durch die Verkehrszeichen 240 (gemeinsamer Geh- und Radweg) angeordneten Radwegebenutzungspflicht auf beiden Seiten der Weinstraße in Alsdorf. Die ca. 620 m lange Weinstraße verläuft zwischen der Bahnhofstraße und dem Kurt-​Koblitz-​Ring. Sie kreuzt die Broicher Straße (Kreisverkehr) und den Grenzweg. In Fahrtrichtung Kurt-​Koblitz-​Ring münden auf der rechten Seite die Rebenstraße und auf der linken Seite die Albrecht-​Dürer-​Straße sowie der Bodelschwinghweg in die Weinstraße ein. In Höhe Albrecht-​Dürer-​Straße verläuft die Straße in einer leichten Rechtskurve in Richtung Kurt-​Koblitz-​Ring. Mit dem Neuausbau der Weinstraße in den Jahren 2009/2010 wurden auf den Gehwegen beidseitig die Radwege neu angelegt. Lediglich an der Kreuzung Broicher Straße/Kreisverkehr endet der jeweilige Radweg und beginnt nach dem Kreisverkehr erneut auf dem Gehweg. Hinter bzw. vor der Kreuzung Grenzweg ist auf beiden Seiten der Gehwege je eine Bushaltestelle eingerichtet worden, wobei der Bus auf der Fahrbahn hält. Die Weinstraße wurde am 27. April 2010 fertiggestellt und am 5. Mai 2010 abgenommen. Die Verkehrszeichen wurden nach den vorliegenden Beschilderungsplänen am 28. Oktober 2009 angeordnet und im Zuge des Ausbaus aufgestellt. Die Fahrbahnbreite variiert ausgehend von der Bahnhofstraße zwischen 6 m (bis zur Broicher Straße/Kreisverkehr) bzw. 5,50 m und verengt sich im weiteren Verlauf Teilabschnitten auf 4,75 m und 4,50 m. Ab Broicher Straße in Richtung Kurt-​Koblitz-​Ring sind überwiegend einseitig oder zweiseitig versetzt Parkbuchten mit einer Breite von 1,75 m angelegt. In dem Teilabschnitt zwischen Grenzweg und Albrecht-​Dürer-​Straße verschwenkt die verengte Fahrbahn zwischen den beidseitig versetzt eingerichteten Parkbuchten. Die Radwege sind zwischen 0,80 m und 1 m breit. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zur Breite der Geh- und Radwege wird Bezug genommen auf die von der Beklagten überreichten Planunterlagen. Im Verlauf der Weinstraße sind auf den Gehwegen an verschiedenen Stellen noch sog. Baumfelder vorgesehen bzw. Bäume gepflanzt. Für die Weinstraße ist im gesamten Bereich keine Geschwindigkeitsbeschränkung angeordnet und es gilt die innerorts zulässige Geschwindigkeit von 50 km/h.

Der in B. wohnhafte Kläger beantragte am 29. September 2011 die Überprüfung der Radwegebenutzungspflicht an der Weinstraße. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führte der Kläger aus, dass eine nach § 45 Abs. 9 der Straßenverkehrsordnung (StVO) erforderliche qualifizierte Gefahrenlage aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse für die Weinstraße nicht festzustellen sei. Das Verkehrsaufkommen auf dieser innerörtlichen Straße sei augenscheinlich gering und nennenswerter Schwerlastverkehr finde nicht statt. Der Buslinienverkehr erfolge im Stundentakt von 16.00 Uhr bis 18.00 Uhr sowie vier Fahrten in einer Richtung am Abend. Die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit des Fahrzeugverkehrs liege augenscheinlich bei nur 30-​40 km/h, was sich wohl aus der Streckenführung und dem Querschnitt der Fahrbahn ergebe. Eine besondere Gefährdung des Radverkehrs im Mischverkehr auf der Fahrbahn sei nicht erkennbar. Im südlichen Teil der Weinstraße werde die Mindestbreite der Gehwege von 2,50 m - verursacht durch die dort eingeplanten und eingepflanzten Bäume - deutlich unterschritten. Zudem sei die Fahrbahnoberfläche auf dem Radweg im Gegensatz zur Straße uneben. Dadurch werde der Radfahrverkehr deutlich stärker beeinträchtigt als der Kraftfahrverkehr. Der Radweg gleiche zudem einer Berg- und Talbahnfahrt, da an allen Grundstücks- und Garageneinfahrten nicht nur Bordsteinabsenkungen vorgenommen worden seien, sondern auch der gesamte Rad- und Gehweg abgesenkt worden sei.

Nach einer von der Beklagten eingeholten Stellungnahme des Polizeipräsidiums Aachen vom 12. Oktober 2011 entspreche der Radweg in der Weinstraße den Merkmalen und Voraussetzungen der Verwaltungsvorschrift zur StVO, da der gemeinsame Geh- und Radweg größtenteils entsprechend der geforderten Mindestbreite (2,50 m) gestaltet worden und eine Unterschreitung nur auf kurzen Abschnitten gegeben sei. Nach dem Neuausbau der Straße befänden sich Geh- und Radwege in einem guten Zustand. Auch wenn wegen der "Höhen und Tiefen" vor den Grundstückseinfahrten nicht mit der größtmöglichen Geschwindigkeit gefahren werden könne, so sei die Benutzung des Radwegs zumutbar. Die Weinstraße sei relativ stark frequentiert und weise mehrere bauliche Engstellen auf. Würde der Radfahrverkehr auf die Fahrbahn verlegt, so käme es zu nicht unerheblichen Behinderungen des Verkehrs und erfahrungsgemäß zu gefährlichen Überholmanövern der Radfahrer dergestalt, dass der erforderliche Mindestseitenabstand unterschritten oder trotz herannahenden Gegenverkehrs überholt würde. Die Radwegbenutzungspflicht diene hier in erster Linie der Sicherheit der Radfahrer.

Die Beklagte lehnte nach Einholung einer weiteren Stellungnahme des Amtes für Hoch-​, Tiefbau und Verkehrsplanung den Antrag auf Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht in der Weinstraße mit Bescheid vom 8. November 2011 ab. Unter Bezugnahme auf die Verwaltungsvorschrift Ziffer XI zu § 45 StVO zur Anordnung von Tempo-​30-​Zonen führte die Beklagte aus, dass nach dem entsprechenden Verkehrskonzept der Stadt Alsdorf die Weinstraße aufgrund ihrer Verkehrsbedeutung zum Vorfahrtstraßennetz gehöre, da sie eine Verbindungsfunktion zwischen den Ortsteilen "Siedlung Ost" und "Annagelände" erfülle. Die letzte Verkehrszählung in der Weinstraße im Jahr 2003 habe einen durchschnittlichen täglichen Verkehr (DTV) von 3.500 Kfz ergeben. Dies entspreche einer Belastung von ca. 350 Kfz in der Spitzenstunde des Verkehrs. Aktuelle Daten lägen allerdings nicht vor. Aufgrund der neuen Verkehrsbeziehung nach Fertigstellung des modifizierten Kreisverkehrs am Knotenpunkt Weinstraße/Bahnhofstraße und der allgemeinen Entwicklung des Fahrzeugverkehrs könne davon ausgegangen werden, dass die Verkehrsbelastung mittlerweile deutlich höher sei. Es sei von einem Zuwachs der Verkehrsbedeutung der Weinstraße auszugehen, was auch durch den Ratsbeschluss vom August 2008 bestätigt werde, in dem die Weinstraße zur Hauptverkehrsstraße hochgestuft worden sei.

Die Radverkehrsanlage entspreche zudem auch den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA, Ausgabe 2010). Danach sei die Verträglichkeit des Radverkehrs auf der Fahrbahn neben der Kraftfahrzeugverkehrsstärke und -geschwindigkeit auch von der Fahrbahnbreite abhängig. Problematisch sei der Mischverkehr auf Fahrbahnen mit Breiten zwischen 6 m und 7 m bei einer Kraftfahrzeugverkehrsstärke von über 400 Kfz/h. Im Teilstück zwischen Bahnhofstraße und Broicher Straße liege die Fahrbahnbreite durchgehend bei 6 m. Radfahrer könnten hier im Begegnungsfall von zwei Fahrzeugen nicht mit ausreichendem Sicherheitsabstand überholt werden. Unter Berücksichtigung von § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO und der geltenden Rechtsprechung müsse beim Überholen von Radfahrern ein Seitenabstand von mindestens 1,50 m - 2,00 m eingehalten werden. Im weiteren Verlauf der Weinstraße betrage die Fahrbahnbreite 5,50 m mit mehreren Engstellen von 4,75 m bzw. 4,50 m Breite. Bei einer Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht wäre zu befürchten, dass ungeduldige Fahrzeugführer Radfahrer auch im Bereich dieser Engstellen überholen oder unmittelbar vor den Engstellen mit dem Überholvorgang beginnen, ohne einen ausreichenden Seitenabstand einhalten zu können, und sich so eine Unfallhäufungslinie entwickle. Zudem würde es sich nachteilig auf die Leistungsfähigkeit der Weinstraße auswirken, da im Bereich der Engstellen ein gefahrloses Überholen von Radfahrern nicht mehr möglich sei. Nach der ERA 2010 sei die gemeinsame Führung von Rad- und Fußgängerverkehr nur dort vertretbar, wo die Netz- und Aufenthaltsfunktion beider Verkehre gering sei. Es lägen zwar keine konkreten Belastungszahlen vor, jedoch ergebe sich aus den Erkenntnissen der Verkehrsbeobachtungen in der Weinstraße, dass sowohl das Radfahrer- als auch das Fußgängeraufkommen eher als gering einzuschätzen sei. Ebenso seien die Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO erfüllt. Gemeinsam mit der Polizei sei man übereingekommen, dass in der Weinstraße aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse im Mischverkehr die Entstehung gefährlicher Situationen beim Überholen von Radfahrern wahrscheinlich sei. Im Übrigen seien auch die Voraussetzungen für die Kennzeichnung von benutzungspflichtigen Radwegen gemäß der Verwaltungsvorschrift zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO erfüllt, da die Weinstraße im Jahr 2010 vollständig neu ausgebaut worden und somit in einem guten Zustand sei. Dabei belaufe sich die Gehwegbreite in der Regel auf mindestens 2,50 m. Es sei richtig, dass die Nebenanlagen entlang der Weinstraße, z. B. aufgrund verschiedener punktueller Engpässe (Pflanzbeete, Pfosten etc.) und vorhandener Ausfahrten nicht optimal für Radfahrer geeignet seien. Nach der Verwaltungsvorschrift sei es jedoch zulässig, an kurzen Abschnitten von den Mindestbreiten abzuweichen. Die Linienführung sei nicht zu beanstanden. Auch wenn die Radwegebenutzungspflicht durch die Gruppe der "sportlichen Radfahrer" oftmals als hinderlich empfunden werde, da dort besondere Rücksicht auf den Fußgängerverkehr zu nehmen sei und daher nicht mit höheren Geschwindigkeiten gefahren werden könne, habe man bei der Prüfung jedoch auch die Gruppe der unsicheren und "gemächlicheren" Radfahrern zu berücksichtigen. Im Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs werde es für notwendig und zumutbar gehalten, die Radwegebenutzungspflicht im Bereich der Weinstraße aufrechtzuerhalten.

Der Kläger hat am 1. Dezember 2011 Klage erhoben. Aufgrund seines Interesses an der Reaktivierung der Ringbahn fahre er seit dem Sommer 2011 mit dem Fahrrad immer mal wieder durch die Weinstraße in Alsdorf. Nach dem Umbau der Weinstraße sei er im Sommer 2011 erstmalig mit den dort befindlichen Verkehrszeichen 240 konfrontiert worden. Die Anordnung der Radwegebenutzungspflicht sei rechtswidrig, da er als Radfahrer insbesondere durch Fahrzeuge, die von vorher nicht einsehbaren Grundstücksein-​/ -ausfahrten bzw. die aus kaum einsehbaren einmündenden Seitenstraßen kommen, durch unnötige und gefährliche Hindernisse im Weg (Schildermaste etc.) und durch Konfliktpunkte mit Fußgängern an Wegabschnitten unterhalb der Mindestbreite vor Hauseingängen gefährdet werde. Aus zahlreichen statistischen Erhebungen und wissenschaftlichen Untersuchungen ergebe sich, dass die Unfallzahlen auf innerörtlichen Radwegen mit Radfahrerfurten deutlich höher seien als auf gemeinsam von allen Fahrzeugen genutzten Fahrbahnen. Auf Radwegen, die räumlich von der Fahrbahn getrennt seien, gebe es häufiger Unfälle mit abbiegenden und kreuzenden Fahrzeugen sowie mehr Alleinunfälle und Kollisionen zwischen Fußgängern und Radfahrern. Besonders im Bereich von Einmündungen und Grundstückszufahrten sei die Gefährdung des Radfahrerverkehrs auf Radwegen deutlich höher als auf der Fahrbahn. Dies treffe auch für die Grundstückszufahrten und einmündenden Straßen in der Weinstraße zu. Der Kläger verweist dazu auf mehrere - von ihm im Einzelnen aufgeführte -Grundstücksein-​/ -ausfahrten an der Weinstraße und die seiner Ansicht nach unzureichende Anfahrsicht für aus der Rebenstraße kommende Fahrzeuge. Bei der Anordnung der Radwegebenutzungspflicht habe die Beklagte die Gefahrensituationen für den Radverkehr unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und Verkehrsdichte nicht ordnungsgemäß mit den von ihr angenommenen Gefährdungen an den Engstellen der Fahrbahn abgewogen.

Eine Gefahrenlage aufgrund von besonderen örtlichen Verhältnissen im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO lasse sich den Darlegungen der Beklagten nicht entnehmen. Die Beklagte habe bei der Planung die ERA 2010 nicht hinreichend beachtet, wonach die Weinstraße in den Belastungsbereich I einzuordnen sei, für den der Mischverkehr auf der Fahrbahn empfohlen werde. Selbst im Belastungsbereich II würden benutzungspflichtige Radwege als Führungsform des Radverkehrs nicht empfohlen. Ferner sei bei geringeren Fahrbahnbreiten als 6 m Mischverkehr bis zu einer Kraftfahrzeugverkehrsstärke von 700 Kfz/h verträglich, da der Radverkehr im Begegnungsfall nicht überholt werden könne. Für problematisch würden nach der ERA 2010 lediglich Fahrbahnbreiten zwischen 6 m und 7 m gehalten, wenn die Verkehrsstärke 400 Kfz/h übersteige. Das sei in der Weinstraße selbst zu Spitzenstunden nicht der Fall. Die Weinstraße verzeichne nur ein geringes Verkehrsaufkommen. Er selbst habe am Montag, dem 28. November 2011, zwischen 7.35 Uhr und 7.47 Uhr die Radwege befahren und am Dienstag, dem 29. November 2011 am Kreisverkehr Broicher Straße von 6.45 Uhr bis 8.00 Uhr eine Verkehrszählung durchgeführt. In diesem Zeitraum habe er insgesamt 420 Kraftfahrzeuge und in dem maßgeblichen Zeitraum von 7.00 Uhr bis 8.00 Uhr 365 Kraftfahrzeuge gezählt. Dies weiche in den Spitzenstunden von 7.00 Uhr bis 8.00 Uhr kaum von der Zählung aus dem Jahr 2003 (350 Kfz) ab. Diese Verkehrsstärken seien nicht geeignet, um eine Gefährdung des Radverkehrs im Mischverkehr auf der Fahrbahn zu begründen.

Die von der Beklagten benannte Gefahrenlage des zu engen Überholens des Radverkehrs übersteige im Übrigen nicht in erheblichem Maße das allgemeine Risiko der Gefährdung von Radverkehrsteilnehmern. Das Überholen auf der Fahrbahn sei bei Gegenverkehr sowie an Engstellen gar nicht möglich. Der Fahrzeugführer müsse sich deshalb dem vor ihm fahrenden Radfahrer in der Geschwindigkeit kurzzeitig anpassen, bis das entgegenkommende Fahrzeug oder die Engstelle vorbei sei. Derartige geringfügige Verzögerungen im Verkehrsablauf könnten die Anordnung der Radwegbenutzungspflicht nicht rechtfertigen. Zudem sei auch zu berücksichtigen, dass selbst nach einem Wegfall der Radwegbenutzungspflicht damit zu rechnen sei, dass ein größerer Teil der Radfahrer den Radweg benutzen werde. Außerdem sei augenscheinlich das Aufkommen von Radfahrern an der Weinstraße als auch die allgemeine Verkehrsdichte an der Weinstraße von geringerer Größenordnung, sodass nennenswerte Erschwernisse für den Kfz-​Verkehr und Gefahren für den Radfahrer auf der Fahrbahn ausgeschlossen werden könnten. Das Vorbringen der Beklagten, dass der Radverkehr an den Engstellen mit einer Breite von 4,50 m auf der Fahrbahn auch ohne Begegnungsverkehr nicht ohne Gefährdung überholt werden könne, sei nicht haltbar. Die meisten Pkw seien ca. 2 m breit und bei einer Fahrbahnbreite von 4,50 m sei davon auszugehen, dass beim Überholvorgang ohne Gegenverkehr für den Radfahrer ein ausreichender Verkehrsraum von ca. 2 m bleibe. Zum Vergleich sei auf den Schutzstreifen für Radfahrer auf der Fahrbahn zu verweisen, der ein Regelmaß von 1,50 m aufweisen müsse. Zudem liege die tatsächlich gefahrene Kfz-​Geschwindigkeit auf der Weinstraße deutlich unter 50 km/h.

Der gemeinsame Rad- und Gehweg erfülle im Übrigen nicht die Voraussetzungen der Verwaltungsvorschrift zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO. In beiden Richtungen werde zwischen der Albrecht-​Dürer-​Straße und dem Kurt-​Koblitz-​Ring die Mindestbreite des Gehwegs in einer Länge von 80 m unterschritten; gleichzeitig nehme die Fahrbahnbreite dort zu. Ferner verenge sich ab dem Jugendheim bis zum Haus Nr. 92 der Weg auf eine lichte Breite von nur 2,30 m bis 1,90 m. Ab dem Kurt-​Koblitz-​Ring Richtung Bahnhofstraße habe der Weg auf den ersten 50 m baulich eine lichte Breite von 2,00 m, von dem aufgrund mangelnder Unterhaltung in weiten Teilen nur 1,80 m zur Verfügung stehe (Bewuchs). Schließlich sei der Rad-​/Gehweg ohne Notwendigkeit mit Hindernissen versehen. Dabei handele es sich häufig um ein breites Spalier aus Masten für Verkehrszeichen und Lichtanlagen, eine Verengung durch neu angelegte Baumfelder und eine ungünstige Positionierung von Verkehrszeichen nahe dem Radweg. Die tatsächliche Beschaffenheit des Radweges sei ungünstiger als die Beschaffenheit der Fahrbahn. Aufgrund der Führung des Radwegs komme es zu einem häufigen Richtungswechsel mit engen Kurvenradien; es gebe einen steten Wechsel zwischen Bordsteinabsenkungen und hohem Bordstein und das Betonsteinpflaster sei spürbar unebener als die Straßendecke.

Der Kläger beantragt,
die verkehrsrechtliche Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht durch die Beklagte mit dem Verkehrszeichen 240 an der Weinstraße zwischen Bahnhofstraße und Kurt-​Koblitz-​Ring in Alsdorf in der Fassung des Bescheides der Beklagten vom 8. November 2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klage sei bereits nicht zulässig, weil der Kläger kein Rechtsschutzbedürfnis an einer isolierten Aufhebung des Bescheides vom 8. November 2011 habe und die Klage verfristet sei. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung und Abnahme der Weinstraße (Mai 2010) seien bereits die Verkehrszeichen aufgestellt gewesen. Eine Klage hätte daher bis Mai 2011 erhoben werden müssen. Die Klage sei zudem unbegründet, da alle beteiligten Stellen übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen seien, dass vor allem die besonderen örtlichen Verhältnisse die Anordnung der Radwegbenutzungspflicht gebiete, weil eine erhebliche, das allgemeine Risiko übersteigende Gefahrenlage im Sinne des § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO gegeben sei. Die Weinstraße sei als Hauptverkehrsstraße stark frequentiert und weise mehrere bauliche Engstellen auf. Würde der Radverkehr nicht auf dem Radweg sondern auf der Fahrbahn stattfinden, käme es zu nicht unerheblichen Behinderungen des Verkehrs. Erfahrungsgemäß führe die gerade für Radfahrer zu gefährlichen Überholmanövern etwa ohne Einhaltung des erforderlichen Mindestseitenabstandes oder bei herannahendem Gegenverkehrs. Die ganz besonderen örtlichen Verhältnisse lägen hier in den mehrfach wechselnden Fahrbahnbreiten. In einem ca. 500 m langen Streckenabschnitt mit einer regelmäßigen Breite von 5,50 m befänden sich vier unterschiedlich lange Verengungen (25 m - 70 m), in denen sich die Fahrbahnbreite von 5,50 m auf 4,75 m bzw. sogar 4,50 m reduziere. Folglich könne dort beim Überholen der erforderliche Seitenabstand von mindestens 1,50 m - 2,00 m gar nicht eingehalten werden. Ein gefahrloses Überholen von Radfahrern sei selbst dann nicht möglich, wenn kein Begegnungsverkehr stattfinde. Hinzu komme, dass die Höchstgeschwindigkeit in der Weinstraße 50 km/h betrage, weil es sich um eine Hauptverkehrsstraße handele. Sie erfülle überwiegend eine Erschließungsfunktion für den überörtlichen Durchgangsverkehr zwischen der B 57 (Kurt-​Koblitz-​Ring) und der Landesstraße L 47 (Prämienstraße). Darüber hinaus diene die Weinstraße mehrmals im Jahr (Stadtfest, Kirmes etc.) als Umgehungsstraße für den überwiegenden Innenstadtverkehr, da dann andere zentrale Straßen (z. B. Bahnhofstraße) für den Kfz-​Verkehr gesperrt seien. Bei solchen Anlässen steige das Verkehrsaufkommen nochmals erheblich an.

Die Beklagte verweist auf eine ergänzende Stellungnahme des Fachbereichs "Sicherheit und Ordnung" vom 2. April 2013, wonach die ERA 2010 davon ausgehe, dass Mischverkehr bei Fahrbahnbreiten unter 6 m bis zu einer Verkehrsstärke von 700 Kfz/h verträglich sei, da der Radverkehr im Begegnungsfall nicht überholt werden könne. Dies treffe jedoch nur für Straßen mit einer durchgängig gleichbleibenden Fahrbahnbreite zu, was bei der Weinstraße nicht der Fall sei. Auch wenn die Weinstraße keine Kraftfahrzeugverkehrsstärke von 700 Kfz/h erreiche, müsse die tatsächliche Verkehrsbelastung hier im Zusammenhang mit den individuellen örtlichen Verhältnissen, insbesondere den ständig wechselnden Fahrbahnbreiten, gesehen werden. Ein gefahrloses Überholen von Radfahrern sei auch ohne Begegnungsverkehr nicht möglich. Bei einer Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht wäre zu befürchten, dass ungeduldige Fahrzeugführer Radfahrer auch im Bereich der Engstellen überholen wollen oder unmittelbar vor den Engstellen mit dem Überholvorgang beginnen, ohne einen ausreichenden Sicherheitsabstand einhalten zu können.

Die Beklagte legte unter dem 22. April 2013 noch die Ergebnisse einer Verkehrszählung des Ordnungsamtes der Städteregion Aachen an drei verschiedenen Stellen in der Weinstraße für den Zeitraum vom 3. April bis zum 17. April 2013 vor. Danach sei eine hohe Fahrzeugdichte zu verzeichnen und zwar in den Spitzenstunden mit Werten deutlich über 400 Kfz/h, wobei der Spitzenwert bei 496 Kfz/h liege. Der Kläger hat dazu Stellung genommen und verweist auf die deutlich niedrigeren Messergebnisse (unter 400 Kfz/h) im Bereich der wechselnden Fahrbahnbreiten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach - und Streitstands wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge sowie die von dem Kläger vorgelegten Unterlagen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage hat Erfolg.

Zunächst ist die gegen die Anordnung der sog. Radwegebenutzungspflicht mit dem Verkehrszeichen 240 gerichtete Anfechtungsklage zulässig. Verkehrsrechtliche Anordnungen durch Verkehrszeichen sind nach ständiger höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung,
vgl. etwa Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 13. Dezember 1979 - 7 C 46/78 -, BVerwGE 59 S. 221; vom 27. Januar 1993 - 11 C 35/92 -, BVerwGE 92 S. 32; vom 21. August 2003 - 3 C 15/03 -, NJW 2004 S. 698 und vom 18. November 2010 - 3C 42/09 -, juris Rz. 14; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-​Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 12. Februar 1997 - 25 B 2562/96 -, NJW 1998 S. 329; Sauthoff, Straße und Anlieger, 2. Aufl. 2010, § 20 Rz. 632, 640; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 41 Rz. 247 ff, jeweils m.w.Nw.,
regelmäßig Dauerverwaltungsakte in Form einer Allgemeinverfügung im Sinne des § 35 Satz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG), wenn sie - wie vorliegend das Verkehrszeichen 240 (Gemeinsamer Rad- und Gehweg) - Gebote oder Verbote nach § 41 der Straßenverkehrsordnung (StVO) aussprechen. Das Verkehrszeichen 240 ordnet i.V.m. § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO die Benutzungspflicht der Radwege an und enthält als Kehrseite das Verbot, auf der Fahrbahn zu fahren.

Der Kläger ist als Verkehrsteilnehmer auch klagebefugt i.S. von § 42 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da er durch das Befahren der Radwege an der Weinstraße zum Adressaten des Verkehrszeichens 240 und damit eines ihn belastenden Verwaltungsakts geworden ist. Als Verkehrsteilnehmer kann er dabei als eine Verletzung seiner Rechte geltend machen, die rechtsatzmäßigen Voraussetzungen für eine auch ihn treffende Verkehrsbeschränkung nach § 45 StVO seien nicht gegeben. Was die behördliche Ermessensausübung betrifft, kann er allerdings nur verlangen, dass seine eigenen Interessen ohne Rechtsfehler mit den Interessen der Allgemeinheit und anderer Betroffener, die für die Einführung der Verkehrsbeschränkung sprechen, abgewogen werden. Die Klagebefugnis eines Verkehrsteilnehmers gegen Verkehrszeichen, mit dem er bereits konfrontiert worden ist, setzt im Übrigen nicht voraus, dass dieser von dem Verkehrszeichen nach seinen persönlichen Lebensumständen in einer gewissen Regelmäßigkeit oder Nachhaltigkeit betroffen wird,
vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1993 - 11 C 35/92 -, a.a.O; vom 3. Juni 1982 - 7 C 9/80 -, juris und zur Radwegebenutzungspflicht: vom 21. August 2003 - 3 C 15/03 -, a.a.O.; Sauthoff, a.a.O., § 20 Rz. 641 f.; König in Hentschel, König, Dauer, a.a.O., § 41 StVO Rz. 247; jeweils m.w.Nw..
Schließlich ist die Anfechtungsklage auch nicht wegen Ablaufs der Klagefrist unzulässig. Diese beträgt bei Verkehrszeichen mangels einer Rechtsmittelbelehrung gemäß § 58 Abs. 2 VwGO ein Jahr und beginnt für einen Verkehrsteilnehmer mit dem Zeitpunkt, in dem er zum ersten Mal auf das Verkehrszeichen trifft,
vgl. so klarstellend: BVerwG, Urteil vom 23. September 2010 - 3 C 37/09 -, juris Rz. 15ff; dazu auch: Sauthoff, a.a.O., § 20 Rz. 645.
Dieser Zeitpunkt war nach dem glaubhaften Vorbringen des Klägers im Sommer 2011.

Die Klage ist auch begründet.

Die verkehrsrechtliche Anordnung der Beklagten betreffend die Radwegebenutzungspflicht mit den Verkehrszeichen 240 an der Weinstraße in der Fassung des Bescheides vom 8. November 2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.

Maßgebend für die rechtliche Beurteilung dieser Anordnung sind nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Verhältnisse im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, da es sich bei der streitgegenständlichen Anordnung um einen verkehrsregelnden Dauerverwaltungsakt handelt,
vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1993 - 2 C 35/92 -, a.a.O. und vom 18. November 2010 - 3 C 42/09 -, a.a.O. und Sauthoff, a.a.O., § 20 Rz. 650.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage für die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht nach § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 2 StVO sind derzeit nicht gegeben.

Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Die Vorschrift setzt eine Gefahrenlage für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs voraus, nach der irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Schadensfälle eintreten können. Eines Nachweises, dass jederzeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist, bedarf es dafür nicht. Ob eine derartige Gefahrensituation besteht, beurteilt sich danach, ob die konkrete Situation an einer bestimmten Stelle oder Strecke einer Straße die Befürchtung nahelegt, dass - möglicherweise durch Zusammentreffen mehrerer gefahrenträchtiger Umstände - die zu bekämpfende Gefahrenlage eintritt. Nicht relevant ist, dass zu bestimmten Zeiten der Eintritt eines Schadens unwahrscheinlich ist,
vgl. BVerwG, Urteil vom 3. April 1996 - 11 B 11/96 - , NJW 1996, 333 m.w.Nw. zur Rspr. des BVerwG; Sauthoff, a.a.O., § 20 Rz. 587 f., § 21 Rz. 66 ff.; König in Hentschel, König, Dauer, a.a.O., § 45 StVO Rz. 28; jeweils m.w.Nw..
Darüber hinaus ist § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO zu berücksichtigen, wonach - abgesehen von den dort genannten und hier nicht einschlägigen Ausnahmen - insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden dürfen, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. Diese Vorschrift ist vorliegend anwendbar, da es sich - wie bereits oben unter Hinweis auf § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO ausgeführt - bei der Anordnung der Radwegebenutzungspflicht mit dem Verkehrszeichen 240 um eine Beschränkung des fließenden Verkehrs handelt, die die Fahrräder von der allgemein geltenden Verkehrsregel der Benutzung der Fahrbahn (§ 2 Abs. 1 StVO) ausschließt,
vgl. dazu eingehend: BVerwG, Urteil vom 18. November 2010 - 3 C 42/09 -, a.a.O. und in der Vorinstanz: BayVGH, Urteil vom 11. August 2009 - 11 B 08.186 -, juris; Kettler, § 45 IX StVO - ein übersehender Paragraf?, NZV 2002, 57.
Die Vorschrift des § 49 Abs. 9 Satz 2 StVO ersetzt nicht den § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO, sondern modifiziert und konkretisiert dessen Eingriffsvoraussetzungen. Sie betrifft insbesondere nicht die nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO weiterhin erforderliche Ermessensausübung, sondern stellt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung erhöhte Anforderungen an dessen Tatbestandsvoraussetzungen,
vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 5. April 2001 - 3 C 23/00 -, NJW 2001, 3139 und vom 23. September 2010 - 3 C 37/09 - , juris; Sauthoff, a.a.O., § 20 Rz. 591 f. und König in Hentschel, König, Dauer, a.a.O., § 45 StVO Rz. 28, 28 a.
Voraussetzung für die hier zu beurteilende Anordnung der Radwegebenutzungspflicht ist mithin eine Gefahrenlage, die - erstens - auf besondere örtliche Verhältnisse zurückzuführen ist und - zweitens - das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der hier nur in Betracht kommenden Rechtsgüter des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO (Sicherheit und Ordnung des Verkehrs) erheblich übersteigt. Unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit des Verkehrs fallen sowohl Leben und Gesundheit der Verkehrsteilnehmer - hier: insbesondere der Radfahrer -, d.h. Schutz der Radfahrer vor Gefährdungen durch andere Verkehrsteilnehmer, aber auch vor Gefahren, die von den Radfahrern für Dritte ausgehen sowie Schutz des öffentlichen und privaten Eigentums. Zum Schutzgut der Ordnung des Verkehrs gehört u.a. dessen Leichtigkeit und Flüssigkeit.

Eine derartige qualifizierte Gefährdungslage ist vorliegend für die Weinstraße nicht anzunehmen. Besondere örtliche Verhältnisse i.S.v. § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO können nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (entschieden im Zusammenhang mit Lkw-​Überholverboten und Geschwindigkeitsbeschränkungen) insbesondere in der Streckenführung, dem Ausbauzustand der Strecke, witterungsbedingten Einflüssen (etwa Nebel, Schnee-​/Eisglätte), der Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen begründet sein,
vgl. BVerwG, Urteile vom 5. April 2001 - 3 C 23/00 - und vom 23. September 2010 - 3 C 37/09 - sowie Beschluss vom 4. Juli 2007 - 3 B 79/06 -, jeweils juris und für die Radwegebenutzungspflicht: Urteil vom 18. November 2010 - 3 C 42/09 -, a.a.O..
Insoweit stellen auch die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur StVO (VwV-​StVO) zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO unter Ziffer I., 2. darauf ab, dass eine Anordnung der Benutzungspflicht nur dort erlaubt ist, wo es die Verkehrssicherheit oder der Verkehrsablauf erfordert, wobei dies Innerorts insbesondere für Vorfahrtsstraßen mit starkem Kfz-​Verkehr gelten kann.

Zunächst ergeben sich weder aus dem Streckenverlauf noch aus dem Ausbauzustand der Straße Gefährdungslagen. Die Weinstraße weist auf Grund des erst im Jahr 2010 beendeten Neuausbaus einen guten Ausbauzustand auf und ist ihrem Streckenverlauf nach - trotz der Verschwenkung der Fahrbahn im Teilabschnitt zwischen Grenzweg und Albrecht-​Dürer-​Straße - insgesamt sehr übersichtlich und gut überschaubar gestaltet. Den vorliegenden Planunterlagen und dem Bildmaterial lässt sich entnehmen, dass etwa ein von der Bahnhofstraße in Richtung Kurt-​Koblitz-​Ring kommender Autofahrer die Straße zunächst bis zum Kreisverkehr Broicher Straße und anschließend den geradeaus verlaufenden Straßenzug weitläufig bis etwa zur leichten Rechtskurve in Höhe der Albrecht-​Dürer-​Straße übersehen kann. Das Gleiche gilt in umgekehrter Richtung.

Besondere örtliche Verhältnisse ergeben sich auch nicht aus der konkreten Verkehrsbelastung. Trotz der von der Beklagten vorgenommenen Einstufung als Vorfahrts- und Hauptverkehrsstraße und der vorgetragenen Verbindungsfunktion zwischen den genannten Ortsteilen ist keine hohe Verkehrsbelastung zu verzeichnen. Zunächst ist kein bedeutsamer Schwerlastverkehr ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht. Der Busverkehr beschränkt sich auf eine - i.d.R. im Stundentakt fahrende - Linie und ein besonderer Parkverkehr - etwa auf Grund einer im Umfeld befindlichen Geschäftsstraße - ist ebenfalls nicht zu verzeichnen. Das Verkehrsaufkommen in der Weinstraße ist insgesamt als eher niedrig einzustufen. Nach den von der Beklagten auf Grund der Verkehrszählung im Zeitraum vom 3. bis zum 17. April 2013 vorgelegten Ergebnissen liegen die Spitzenwerte zwar teilweise über der im Jahr 2003 ermittelten Belastung von 350 Kfz in der Spitzenstunde. Ein hohes Verkehrsaufkommen lässt sich dennoch nicht feststellen. Der Zählung lassen sich zunächst wochentags von Montag bis Freitag hauptsächlich für den nachmittäglichen Zeitraum ab etwa 15.00 Uhr und für den Samstagvormittag ab 11.00 Uhr die jeweils höchsten Werte entnehmen. In diesen Zeiträumen liegt die Belastung für den Abschnitt zwischen Bahnhof- und Broicher Straße in der Regel zwischen ca. 400 und 450 Kfz/h, wobei an einem Tag der Spitzenwert von 496 Kfz/h erreicht wurde. Im übrigen Streckabschnitt lag die Belastung für diesen Zeitraum zwischen ca. 250 und 300 Kfz/h mit Spitzenwerten von 318 bzw. 349 Kfz/h. Unter Zugrundelegung der für die Kraftfahrzeugstärken in der Spitzenstunde aufgestellten Klassifizierung in den von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen(FGSV) erstellten Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen, Ausgabe 2006 (RASt 06) etwa unter Ziffer 5.1.1/3.,
- < 400 Kfz/h - 400 - 1000 Kfz/h, - 800 - 1800 Kfz/h, - 1600 - 2600 Kfz/h - > 2600 Kfz/h
lässt sich die Weinstraße der ersten und dem unteren Bereich der zweiten Verkehrsstärkenklasse zuordnen. Dabei hat die Kammer auch berücksichtigt, dass noch bis Freitag, den 6. April 2013, Osterferien waren, denn die oben genannten Spitzenwerte wurden erst am bzw. ab Schulbeginn (8. April 2013) gemessen, erreichten allerdings dann in der Folgezeit nicht kontinuierlich dieses Niveau. Soweit für den Abschnitt von der Bahnhofstraße bis zum Kreisverkehr/Broicher Straße ein höherer Kfz-​Verkehr als für den weiteren Verlauf der Weinstraße bis zum Kurt-​Koblitz-​Ring festzustellen ist, hat die Kammer den Hinweis der Beklagten auf eine mögliche fehlende Erfassung von Fahrzeugen durch die Messgeräte wegen etwaiger Reduzierungen der Fahrgeschwindigkeit unter 10-​15 km/h infolge der Verengungen zur Kenntnis genommen. Die Kammer geht darüber hinaus davon aus, dass es sich bei dem zuerst genannten Abschnitt um ein stärker befahrenes Teilstück der Weinstraße handelt, da die Zählung im folgenden Teilabschnitt an zwei verschieden Punkten erfolgte und annähernd gleich hohe Werte ergeben hat.

Hinweise auf Unfälle im Zusammenhang mit Radfahren - etwa aus der Zeit vor dem Neuausbau der Straße bzw. Einführung der Radwegebenutzungspflicht - sind dem Verwaltungsvorgang sowie der darin enthaltenen Stellungnahme der Polizei vom 12. Oktober 2011 nicht zu entnehmen und nicht vorgetragen.

Eine qualifizierte Gefahrenlage ergibt sich darüber hinaus nicht im Hinblick auf die Fahrbahnbreite; insbesondere lässt sich ein solche nicht aus den hier wechselnden Fahrbahnbreiten und den Verengungen im Abschnitt zwischen Broicher Straße und Kurt-​Koblitz-​Ring unter Berücksichtigung der zulässigen Fahrgeschwindigkeit und dem Verkehrsaufkommen herleiten. Diese Umstände rechtfertigen nicht die Annahme der von der Beklagten daraus abgeleiteten erheblichen Gefährdung i.S. v. § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO von auf der Fahrbahn fahrendenden Radfahrer bei Überholvorgängen - etwa durch Nichteinhalten des Seitenabstandes oder riskante Überholmanöver -. Zunächst ermöglichen die Fahrbahnbreiten von 6 m und 5,50 m grundsätzlich auch breiteren Fahrzeugen, wie z.B. einem Omnibus, noch ein Überholen des Fahrradfahrers unter Einhaltung eines nach § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO ausreichenden Seitenabstandes. Dabei geht die Kammer zunächst von § 32 Abs. 1 Nr. 1 StVZO aus, wonach die allgemeine Fahrzeugbreite von 2,55 m nicht überschritten werden darf. Unter Zugrundelegung eines Verkehrsraums für Radfahrer von 1 m (bei beengten Verhältnissen 0,80 m) und eines i.d.R. zum Radfahrer einzuhaltenden Seitenabstandes von 1,50 m,
vgl. dazu König in Hentschel, König, Dauer, a.a.O., § 5 StVO Rz. 54, 55 m.w. Nachw. zur Rechtsprechung,
bietet eine Fahrbahnbreite von 5,50 m ausreichend Raum für einen Überholvorgang. Diese Breite lässt noch Spielraum für einen größeren Seitenabstand zum Radfahrer. Einem durchschnittlich breiten Pkw wird ein Überholvorgang zudem im Bereich der Verengungen (4,75 m bzw. 4,50 m) möglich sein, wobei das Gericht insoweit unter Berücksichtigung der zugenommenen Breite bei Neufahrzeugen vorliegend von einer Breite von 1,8 m (und nicht nur 1,75 m) ausgeht und dem Umstand Rechnung trägt, dass die Außenspiegelbreite noch zu berücksichtigen ist. Allerdings ist das Überholen eines Radfahrers im Falle von Gegenverkehr nicht mehr möglich. In diesem Fall muss der Autofahrer, der sich hinter einem Radfahrer befindet, seine Geschwindigkeit solange anpassen, bis das entgegenkommende Fahrzeug vorbeigefahren ist, was i.d.R. nur kurze Zeit in Anspruch nimmt. Die dadurch entstehenden Verzögerungen im Verkehrsablauf rechtfertigen keine Verkehrsbeschränkung. Dies gilt auch soweit angenommen wird, dass es durch Radfahrer auf der Fahrbahn zu weiteren Verzögerungen kommt, da die Autofahrer im Falle von Begegnungsverkehr an den genannten Verengungen bereits häufig ihre Geschwindigkeit reduzieren, um aneinander vorbeifahren zu können oder sogar zuwarten, um den Gegenverkehr passieren zu lassen. Zum einen kann im Umkehrschluss daraus gefolgert werden, dass die Autofahrer in dem Abschnitt zwischen Broicher Straße bis Kurt-​Koblitz-​Ring von vornherein ihre Geschwindigkeit wegen des Gegenverkehrs reduzieren bzw. anpassen müssen und ein Radfahrer auf der Fahrbahn gar keine weitere Verzögerung verursacht. Zum anderen handelt es sich bereits nicht um Beeinträchtigungen der Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs, die über das normale, unvermeidliche Maß hinausgehen. Vielmehr spiegeln sie die normalen Gegebenheiten des heutigen innerstädtischen Verkehrs wieder, zu denen auch langsamere Verkehrsteilnehmer auf der Straße sowie verengte Verkehrsverhältnisse bzw. (teils gerade zum Zwecke der Geschwindigkeitsreduzierung bzw. Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit gezielt) verengte Straßenabschnitte gehören,
vgl. etwa BayVGH, Urteil vom 11. August 2009 - 11 B 08.186 -, juris, Rz. 86 m.w.Nw. zur Rspr..
Die entstehenden Beeinträchtigungen sind auch nicht deshalb als erheblich oder gravierend anzusehen, weil mit solche Hemmissen auf der Fahrbahn mit besonderer Häufigkeit zu rechnen wäre oder wegen einer Vielzahl entgegenkommender Fahrzeuge lange Zeit gar nicht überholt werden könnte. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass zum einen das Aufkommen von Radfahrern in der Weinstraße eher gering ist und zum anderen - nach dem oben erörterten Verkehrsaufkommen - die allgemeine Verkehrsdichte nicht als hoch einzustufen ist. Hinzukommt, dass im Falle des Vorhandenseins von Radwegen - wie vorliegend - davon ausgegangen werden kann, dass ein Großteil der Radfahrer die Radwege - unabhängig von der Benutzungspflicht - nutzt und nicht auf der Fahrbahn fährt. Nach einer Untersuchung der Bundesanstalt für Straßenwesen,
vgl. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft V 184, Unfallrisiko und Regelakzeptanz von Fahrradfahrern, Juni 2009, S. 107 ff,
ist die Akzeptanz von vorhandenen Radverkehrsanlagen recht hoch. Ca. 90 % der rechtsfahrende Radfahrer nutzen unabhängig von der Art der Radverkehrsführung die vorhandenen Anlagen. Im Fall von nichtbenutzungspflichtigen Radwegen beträgt der Anteil der Fahrbahnnutzer etwa 4%. Angesichts der dargelegten Verkehrssituation ist ebenfalls die Annahme einer erhebliche Gefährdung von auf der Fahrbahn fahrenden Radfahrern durch riskante - gegen die Vorschrift des § 5 Abs. 2 und 4 StVO verstoßende - Überholmanöver ungeduldiger Autofahrer nicht gerechtfertigt. Zwar können derartige Überholmanöver nicht gänzlich ausgeschlossen werden, angesichts der jedoch durch die Verengungen der Straße i.d.R. insgesamt bewirkten Geschwindigkeitsreduzierung ist derzeit eine über das allgemeine für Radfahrer bestehende Risiko, derartigen Überholmanövern ausgesetzt zu sein, hinausgehende Gefahrenlage nicht anzunehmen.

Eine erhebliche Gefahrenlage lässt sich schließlich nicht unter Berücksichtigung der Vorgaben für die Anlage von Radwegen in den bereits genannten Richtlinien der FGSV - RASt 06 - oder deren Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (Ausgabe 2010 - ERA 2010 -) bejahen. Bei der Heranziehung dieser Regelwerke ist zu beachten, dass sie keinen normativen Charakter haben und für die Gerichte bei der Beurteilung des Vorliegens der straßenverkehrsrechtlichen Voraussetzungen für eine Radwegebenutzungspflicht nach § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO nicht bindend sind. Allerdings enthalten sie Anhaltspunkte dafür, wann es aus Gründen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs geboten scheint, eine Trennung des Radverkehrs vom Kraftfahrzeugverkehr vorzusehen. Derartige Anhaltspunkte, etwa in Form einer Empfehlung zur Trennung der Verkehre bzw. Einrichtung einer Benutzungspflicht, lassen sich jedoch für die Weinstraße den beiden Regelwerken nicht entnehmen.

So wäre nach den Vorgaben der ERA 2010 für die Weinstraße im Rahmen der Vorauswahl als Führungsform der Mischverkehr auf der Fahrbahn oder ggfs. eine Kombination von Mischverkehr und - einem hier bereits vorhandenen - Radweg ohne Benutzungspflicht vorgesehen (vgl. Ziff. 2.3.3 und 2.3.2). Dies ergibt sich daraus, das die Weinstraße als zweistreifige Straße zunächst auf Grund des oben dargelegten Verkehrsaufkommens und unter Berücksichtigung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h dem unter Ziff. 2.3.2 dargestellten Belastungsbereich I (vgl. dort Abb. 7) bzw. dem Übergangsbereich zwischen den Belastungsbereich I und II zuzuordnen ist. Das Erfordernis der Trennung beider Verkehre wird nach den ERA 2010 i.d.R. für den Belastungsbereich IV und für die Belastungsbereiche III und II unter Hinzutreten ungünstiger Randbedingungen, wie insbesondere etwa bei Belastung durch Schwerlastverkehr, angenommen, vgl. Ziff. 2.3.3 - 2.3.6. Für den Belastungsbereich II sehen die ERA 2010 unter Ziffer 2.3.3, Abb. 8 im Grundsatz als Führungsform u.a. auch die Kombination von Mischverkehr auf der Straße und Radweg ohne Benutzungspflicht als eine mögliche Führungsform vor. Während für den Belastungsbereich I benutzungspflichtige Radwege ausgeschlossen werden - so etwa grundsätzlich bis zu einem Verkehrsaufkommen bis 400 Kfz/h und bis etwa Tempo 30-​40 km/h -, kann eine Benutzungspflicht für den Belastungsbereich II bei ungünstigen Randbedingungen - z.B. starker Schwerlastverkehr, unübersichtliche Linienführung und ungünstiger Fahrbahnquerschnitt - in Betracht kommen.

Ebenso gehen die RASt 06 unter Ziff. 6.1.7.2 davon aus, dass auf verkehrsarmen Straßen und auf Straßen mit geringen Kraftfahrzeuggeschwindigkeiten (z.B. Tempo-​30-​Zonen) der Radfahrer im Allgemeinen komfortabel und hinreichend sicher auf der Fahrbahn fahren kann. Grundsätzlich eigenen sich danach Fahrbahnbreiten bis 6 m bei geringen Verkehrsstärken bis zu 500 Kfz/h und Fahrbahnbreiten von über 7 m bis zu mittleren Verkehrsstärken von 800 Kfz/h bis 1000 Kfz/h und einem Schwerverkehrsanteil von 6%. Bei einem geringeren Geschwindigkeitsniveau (V85<50 km/h) oder geringem Schwerlastverkehr können die Verkehrsstärken im Einzelfall überschritten werden. Entgegen der Auffassung kann zudem nicht davon ausgegangen werden, dass sich diese Vorgaben nur auf durchgängig gleichbleibende Fahrbahnbreiten beziehen und nicht für Fahrbahnen mit wechselnden Breiten gelten. Etwaige Gefahrenpunkte auf Grund von Verengungen sind vielmehr - wie bereits oben erfolgt - gesondert zu berücksichtigen.

Anhaltspunkte für eine besondere Gefahrenlage sind nach den Regelwerken ebenfalls nicht für den Streckenabschnitt zwischen Bahnhofstraße und Broicher Straße/Kreisverkehr auf Grund der dortigen Fahrbahnbreite von 6 m gegeben. Zwar sehen beide Regelwerke grundsätzlich Fahrbahnbreiten zwischen 6 m und 7 m bei Verkehrsstärken von über 400 Kfz/h bzw. zweistreifige Fahrbahnen mit Fahrbahnbreiten zwischen 3 m und 3,50 m als problematisch oder kritisch an, da bei diesen Gegebenheiten das Überholen der Radfahrer im Falle von Gegenverkehr nur ohne Einhaltung des Sicherheitsabstandes möglich ist. Bis zu einer Fahrbahnbreite von 6 m und Verkehrsstärken bis zu 400 bzw. 500 Kfz/h - wie vorliegend - gehen jedoch beide Regelwerke von einer Verträglichkeit des Mischverkehrs auf der Fahrbahn aus. Hinzu kommt, dass vorliegend bereits ein Radweg vorhanden ist und nach den obigen Ausführungen davon ausgegangen werden kann, dass zahlreiche Radfahrer - insbesondere unsichere Radfahrer - diesen auch ohne Benutzungspflicht weiterhin nutzen werden.

Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass es zur Verwirrung der Autofahrer führe, wenn trotz des vorhandenen Radweges Radfahrer auf der Fahrbahn fahren würden, so lässt sich daraus jedenfalls keine qualifizierte Gefahrenlage i.S.v. § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO ableiten. Mit der Aufhebung der Benutzungspflicht mag die dann entstehende Wahlfreiheit für den Radfahrverkehr zwischen den Führungsformen insbesondere in der ersten Zeit zunächst überraschend sein. Andererseits ist die grundsätzliche Benutzungspflicht von Radwegen bereits mit der Novelle der StVO von 1997/1998 und der Änderung des § 2 Abs. 4 StVO entfallen und seit dem sind zudem die Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 StVO zu beachten. Dies hat in den vergangenen Jahren in verschiedenen Städten zur Überprüfung und Aufhebung bereits bestehender - durch Verkehrszeichen angeordneter - Benutzungspflichten geführt; verstärkt noch einmal durch das bereits oben genannte Urteil des Bundesverwaltungsgericht von 18. November 2010,
vgl. so z.B. in Köln die im Jahr 2011 begonnene Überprüfung der Radwege im gesamten Stadtgebiet mit bereits erfolgten Aufhebungen der Benutzungspflicht für bestimmte Straßen, s. etwa: http://www.stadt-​koeln.de/4/verkehr/radverkehr; oder etwa für Mainz: Jonas Klöpfer, Leitfaden zur Überprüfung der Radwegebenutzungspflicht in Mainz, Juni 2011, http://nationaler-​radverkehrsplan.de (Fahrradportal des Bundesverkehrs-​ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung).
Die Kammer lässt vor dem Hintergrund, dass nach ihrer Auffassung bereits die tatbestandlich vorausgesetzte qualifizierte Gefahrenlage nicht gegeben ist, dahinstehen, ob und ggfs. an welchen Stellen die baulichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht nach Ziffer II. VwV-​StVO zu § 2 Abs. 4 S. 2 StVO nicht vorliegen. Insoweit lässt sich allerdings den vorliegenden Planunterlagen entnehmen, dass die geforderte lichte Breite von 2,50 m überwiegend bis auf einige Engstellen gegeben sein dürfte und der Radweg sich auf Grund des Neuausbaus im Jahr 2010 in einem guten Ausbauzustand befindet.

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass sich die vorstehenden Ausführungen auf die derzeitigen Straßen- und Verkehrsverhältnisse in der Weinstraße beziehen. Den Straßenverkehrsbehörden obliegen nach der Ziffer III. VwV-​StVO zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO die regelmäßige Überprüfung der Radverkehrsanlagen im Hinblick auf Zweckmäßig- und Sicherheit und gemäß Ziffer IV. VwV-​StVO zu § 45 Abs. 3 StVO die regelmäßige Prüfung der Voraussetzungen für einen reibungslosen Verkehrsablauf. Künftige Änderungen in den örtlichen Verhältnissen - etwa eine starke Zunahme des Verkehrsaufkommens in der Weinstraße -, die mit einer erhöhten Gefahrenlage verbunden sind, könnten dann u.U. auch zur erneuten Prüfung einer Benutzungspflicht für die vorhandenen Radwege führen. Im Hinblick auf etwaige Unterschreitungen von Mindestbreiten der Rad- bzw. Gehwege dürfte in diesem Zusammenhang auch die neuere - auch höchstrichterliche - Rechtsprechung zu beachten sein, wonach maßgeblich die jeweils - erhebliche - Gefährdungssituation der Radfahrer auf der Fahrbahn ist, die u.U. ein Abweichen von den Vorgaben der VwV-​StVO rechtfertigen können,
vgl. BVerwG, Urteil vom 16. April 2012 - 3 B 62/11 -, juris und vorgehend: BayVGH, Urteil vom 6. November 2011 - 11 B 08.1892 -, juris; Sächs. OVG, Beschluss vom 10. Juli 2012 - 3 A 945/10 -, juris; VG Ansbach, Urteil vom 18. Juni 2012 - AN 10 K 11.01571 -, juris; VG Regensburg, Urteil vom 29. Januar 2013 - RN 4 K 12.1354 -, juris.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).