Das Verkehrslexikon

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Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) Beschluss vom 03.05.2012 - 2 L 67/12 - Entziehung der Fahrerlaubnis bei Herzinsuffizienz und Herzschrittmacherimplantation

VG Frankfurt (Oder) v. 03.05.2012: Entziehung der Fahrerlaubnis bei Herzinsuffizienz und Herzschrittmacherimplantation


Das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) (Beschluss vom 03.05.2012 - 2 L 67/12) hat entschieden:
Erfüllt der u. a. an Herzinsuffizienz leidende und mit einer Herzschrittmacherimplantation versehene Betroffene in der psychophysischen Funktionsprüfung (Reaktionstest) nicht die Voraussetzungen für das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges der Gruppe 1, was mit großer Wahrscheinlichkeit auf die mit den vorliegenden Erkrankungen einhergehenden aktuellen Medikationen zurückzuführen ist, nicht und kann auch in eine praktischen Fahrprobe festgestellt werden, dass er in der Lage ist, die festgestellten Leistungsdefizite durch fahrpraktische Fähigkeiten zu kompensieren, ist die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis gerechtfertigt.


Siehe auch Krankheiten und Fahrerlaubnis und Stichwörter zum Thema Fahrerlaubnis und Führerschein


Gründe:

Der Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 24. Februar 2012 gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 7. Februar 2012 wiederherzustellen,
hat keinen Erfolg.

Er ist zwar zulässig, aber unbegründet.

Diese Anordnung der sofortigen Vollziehung ist nach Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses gegen das Aussetzungsinteresse des Antragstellers unter Beachtung der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden. Das private Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches muss hinter dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Verfügung zurücktreten, da sich die angegriffene Ordnungsverfügung bei der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als offensichtlich rechtmäßig erweist.

Die bezüglich der Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers erfolgte Anordnung der sofortigen Vollziehung erweist sich als rechtmäßig. Sie entspricht zunächst den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Der Antragsgegner hat das überwiegende Interesse am Sofortvollzug unter Bezugnahme auf den einschlägigen Sachverhalt und Hinweis auf die bei einer weiteren Verkehrsteilnahme des Antragstellers von diesem ausgehende konkrete Gefahr für ihn und die Allgemeinheit dargelegt. Ob diese Begründung durchgreift, ist bei der Entscheidung der Frage, ob die Anordnung den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügt, unbeachtlich.

Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist im vorliegenden Fall § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 FeV. Danach ist dem Inhaber einer Fahrerlaubnis diese zu entziehen, wenn er sich zum Führen von Kraftfahrzeugen als ungeeignet erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4,5 oder 6 (... der FeV...) vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.

Der Antragsteller ist nach den nicht zu beanstandenden Ausführungen im med.-​psychologischen Gutachten der Dekra vom 25. August 2011 ungeeignet im vorgenannten Sinne, weil er die körperlichen und geistigen Anforderungen an das Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 nicht erfüllt.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers bestünde im Falle seiner weiteren Teilnahme am Straßenverkehr eine konkrete Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer; der letzte vom Antragsteller verursachte Unfall kann nicht losgelöst von seiner Fahreignung beurteilt werden; auch die Durchführung der Begutachtung ist entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht zu beanstanden.

Nachdem der am ... 1920 geborene Antragsteller bereits im Jahre 2007 einen Verkehrsunfall verursacht und bezüglich seiner Fahrerlaubnis die Auflage erhalten hatte, sich jährlich einer medizinischen Begutachtung zu unterziehen, wandte sich sein Verfahrensbevollmächtigter nach der Aufforderung durch den Antragsgegner, der Antragsteller solle sich wegen eines abermaligen verursachten Verkehrsunfalls im Oktober 2010 fachärztlich zu Fahreignung untersuchen lassen, hiergegen mit der Folge, dass der Antragsgegner nach § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV wegen wiederholter Verstöße gegen verkehrsrechtliche Vorschriften dem Antragsteller statt der ärztlichen Untersuchung die Vorlage eines medizinisch-​psychologischen Gutachtens aufgab.

Dieses Gutachten der Dekra stellte folgende relevante Erkrankungen fest:
- COPD III (mittelschwere obstruktive Ventilationsstörung)
- Bluthochdruckerkrankung
- KHK (Koronare Herzerkrankung)
- Herzinsuffizienz (NYHA II – III) EF ca. 50 %
- Zustand nach Hinterwandinfarkt 1981
- Zustand nach aortocoronarem Venenbypass und mechanischem Aortenklappenersatz 1991
- Mitralklappeninsuffizienz Grad II
- Trikuspidalinsuffizienz Grad II
- Z. n. VVI Herzschrittmacherimplantation 1996 bei chronischem Herzflimmern
- chronische Niereninsuffizienz Stadium III
- Knie- und Hüftgelenksarthrose bei Zustand nach Splitterverletzung rechte Hüfte
- Schwerhörigkeit, Versorgung mit Hörgeräten bds.

Nach den Ausführungen des Gutachtens erfüllte der Antragsteller in der psychophysischen Funktionsprüfung (Reaktionstest) nicht die Voraussetzungen für das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges der Gruppe 1, die Defizite seien - so das Gutachten - mit großer Wahrscheinlichkeit auf die mit den vorliegenden Erkrankungen einhergehenden aktuellen Medikationen zurückzuführen. Aufgrund der unzureichenden Leistungsergebnissen wurde dann im Rahmen einer Fahrprobe überprüft, ob der Antragsteller in der Lage ist, die festgestellten Leistungsdefizite durch fahrpraktische Fähigkeiten zu kompensieren. Sie umfasste 45 min und wurde auf dem Antragsteller bekannten Strecken absolviert. Während der Fahrt fiel der Gutachterin auf, dass der Antragsteller mit der Bedienung des Wagens Probleme hatte, was jedoch für die Bewertung unerheblich gewesen sei, da die Fahrprobe allgemein zum Ziel hatte, Kompensationsmöglichkeiten für die Verhaltens​dimensionen die Orientierung, Konzentration, Aufmerksamkeit, risikobezogene Selbstkontrolle und Handlungszuverlässigkeit zu erschließen. Es traten bei der Fahrprobe relevante Defizite auf, vor allem in der Verkehrsbeobachtung und Spureinhaltung. So wurden Radfahrer und Fußgänger während des Fahrens kaum beachtet. Auffällig sei zudem gewesen, dass der Antragsteller auf freien Strecken ohne Gegenverkehr die gesamte Straße für sich eingenommen habe. Sobald auf der Gegenfahrbahn Verkehr war, sei er sehr weit rechts gefahren und habe mehrmals fast den Bordstein berührt. Der Fahrlehrer habe zudem bemerkt, dass der Antragsteller häufig nicht in einen geringeren Gang zurück geschaltet habe. Insgesamt müsse aufgrund der allgemein geminderten Leistungsvoraussetzungen bei einer aktiven Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einer Unfallverursachung ausgegangen werden (Bl. 62 des Gutachtens).

Zusammenfassend stellt das ausführliche und überzeugende Gutachten zudem fest, der Antragsteller habe sich nicht ausreichend selbstkritisch mit seinen Unfällen 2007 und 2010 auseinandergesetzt und weise Defizite in der realistischen Beurteilung gegenüber den eigenen Gesundheitsstörungen bzw. Erkrankungen auf, und gelangt abschließend zum Ergebnis, der Antragsteller erfülle die körperlichen und geistigen Anforderungen an das Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 nicht.

Das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der rechtmäßigen Entziehungsverfügung ist ebenfalls gegeben. Wenn sich ein Kraftfahrer als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, muss dies nicht nur zur Entziehung der Fahrerlaubnis, sondern in aller Regel auch dazu führen, dass diese Anordnung sofort vollzogen wird, um den ungeeigneten Führerscheininhaber unverzüglich von der weiteren Teilnahme am Straßenverkehr auszuschließen, da ein berechtigtes Interesse der Allgemeinheit daran besteht, dass die Gefahren, die von ungeeigneten Kraftfahrern für ihre Sicherheit ausgehen, nicht länger hingenommen. Dies gilt auch in Anbetracht der besonderen Angewiesenheit des Antragstellers auf ein Kraftfahrzeug, die bedauerlicherweise keine Ausnahme von der Regel gebietet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus den §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG. Da vorliegend keine Besonderheiten erkennbar sind, die eine abweichende Festsetzung angezeigt erscheinen lassen, ist unter Heranziehung der Nr. 46 des Streitwert​kataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327 ff.) für die Fahrerlaubnis der Klassen BE, M, S, L und T von einem Streitwert in Höhe von 7500,00 € auszugehen, der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren war.