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Landgericht Berlin Urteil vom 25.02.2015 - 42 S 183/14 - Restwertveräußerung ohne Abwarten eines Restwertangebots der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung

LG Berlin v. 25.02.2015: Restwertveräußerung ohne Abwarten eines Restwertangebots der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung


Das Landgericht Berlin (Urteil vom 25.02.2015 - 42 S 183/14) hat entschieden:
  1. Ein Unfallgeschädigter ist nicht verpflichtet eine Restwertangebot seitens der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung abzuwarten; er kann sein total beschädigtes Fahrzeug vielmehr direkt nach Erhalt des Schadensgutachtens veräußern.

  2. Mit dem Verkauf eines Unfallfahrzeugs verstößt der Geschädigte nicht gegen die Pflicht zur Geringhaltung des Schadens. Dies gilt insbesondere, wenn gar kein günstigeres Angebot unterbreitet wurde, welches ohne weiteres wahrzunehmen gewesen wäre, sondern ein bloßer schriftlicher Hinweis auf eine preisgünstigere Möglichkeit der Verwertung gegeben wurde, um deren Realisierung sich der Kraftfahrzeughalter erst noch hätte bemühen müssen.

Siehe auch Der Restwert des unfallbeschädigten Fahrzeugs bei Totalschaden und Totalschaden - Wiederbeschaffungswert


Gründe:

I.

Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 Abs. 2 in Verbindung mit 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.


II.

Die zulässige, insbesondere fristgemäß eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat im Wesentlichen Erfolg anders als die Anschlussberufung, die zurückzuweisen war. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts beträgt der von den Beklagten dem Kläger zu ersetzende reine Fahrzeugschaden insgesamt 9399,- EUR, da im Rahmen der Totalschadensabrechnung ein Restwert von 600,00 EUR und nicht ein solcher von 2290,00 EUR zu berücksichtigen ist.

In ständiger Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof (vergleiche nur BGH vom 30. November 1999, VI ZR 219/98 = BGHZ 143, 189-198=NJW 2000, 800-803=NZV 2000, 162-163 mit weiteren Nachweisen) betont, dass auch für die Frage, in welcher Höhe der Restwert des Fahrzeuges bei der Totalschadenabrechnung berücksichtigt werden muss, das Wirtschaftlichkeitsgebot gilt, da sich der Geschädigte grundsätzlich auch bei der Verwertung des beschädigten Fahrzeuges im Rahmen der wirtschaftlichen Vernunft halten muss. Das beruht auf dem Gedanken, dass er bei der Ersatzbeschaffung nach § 249 Satz 2 BGB nur den dafür erforderlichen Geldbetrag verlangen kann.

Dem Gebot zur Wirtschaftlichkeit leistet der Geschädigte indessen im allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Behebung durch § 249 Satz 2 BGB gezogenen Grenzen, wenn er das Unfallfahrzeug auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens und des darin ausgewiesenen Restwertes verkauft oder in Zahlung gibt. Denn das Gutachten eines anerkannten Sachverständigen bildet in aller Regel eine geeignete Grundlage für die Bemessung des Restwertes, so dass der Geschädigte den so ermittelten Restwertbetrag grundsätzlich seiner Schadensberechnung zu Grunde legen darf.

Diese Grundsätze schließen es freilich nicht aus, dass besondere Umstände dem Geschädigten Veranlassung geben können, günstigere Verwertungsmöglichkeiten wahrzunehmen, um seiner sich aus § 254 Abs. 2 BGB ergebenden Verpflichtung zur Geringhaltung des Schadens zu genügen. Denn der Geschädigte steht bei der Schadensbehebung gemäß § 249 Satz 2 BGB nicht nur unter dem allgemeinen Gebot, einen wirtschaftlich zulässigen Weg zu wählen. Vielmehr kann er aus dem letztlich auf § 242 BGB zurückgehenden Rechtsgedanken der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 BGB (vergleiche nur BGHZ 132, 373, 376) auch gehalten sein, unter besonderen Umständen von einer zulässigen Verwertung Abstand zu nehmen und andere sich ihm darbietende Möglichkeiten der Verwertung im Interesse der Geringhaltung des Schadens im Rahmen des Zumutbaren zu ergreifen. Doch müssen derartige Ausnahmen, deren Voraussetzungen zur Beweislast des Schädigers stehen, in engen Grenzen gehalten werden, weil anderenfalls die dem Geschädigten nach § 249 Satz 2 BGB zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen würde. Nach dem gesetzlichen Bild des Schadensersatzes ist der Geschädigte Herr des Restitutionsgeschehens. Diese Stellung darf ihm durch eine zu weite Ausnahmehandhabung nicht genommen werden. Insbesondere dürfen ihm bei der Schadensbehebung die von der Versicherung gewünschten Verwertungsmöglichkeiten nicht aufgezwungen werden. So ist er grundsätzlich nicht verpflichtet, einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen und kann vom Schädiger auch nicht auf einen höheren Restwerterlös verwiesen werden, der auf einem solchen Sondermarkt durch spezialisierte Restwertaufkäufer erzielt werden könnte; er muss sich einen höheren Erlös allerdings anrechnen lassen, wenn er ihn bei tatsächlicher Inanspruchnahme eines solchen Sondermarktes ohne besondere Anstrengungen erzielt. Dabei können besondere Umstände dem Geschädigten Veranlassung geben, eine ihm ohne weiteres zugängliche, günstigere Verwertungsmöglichkeit wahrzunehmen und durch eine entsprechende Verwertung seines Fahrzeuges in Höhe des tatsächlich erzielten Erlöses den ihm entstandenen Schaden auszugleichen (vergleiche BGHZ 143, 189, 194; BGH, NJW 2007, 2918 f).

Nach diesen Grundsätzen muss zunächst festgestellt werden, dass es sich bei dem vom Kläger mit der Schadensschätzung beauftragten Kfz-​Sachverständigen Maik G. um einen geprüften und zertifizierten Kfz-​Sachverständigen handelt, seine Eignung steht damit nicht in Frage und ist beklagtenseits auch nicht beanstandet worden.

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts genügt die von ihm durchgeführte Restwertbeurteilung auch den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Anforderungen. So hat der mit der Schadensschätzung vom Geschädigten zum Zwecke der Schadensregulierung beauftragte Sachverständige als geeignete Schätzgrundlage für den Restwert im Regelfall drei Angebote auf dem maßgeblichen regionalen Markt zu ermitteln und diese in seinem Gutachten konkret zu benennen (vergleiche hierzu BGH vom 13. Oktober 2009 – VI ZR 318/08). Genau dies ist auf Seite 7 des Gutachtens geschehen. Danach haben die Firmen Auto … Berlin und … Berlin ersichtlich den Restwert auf 0,- Euro bestimmt, sich lediglich zur kostenlosen Abholung und Entsorgung der Fahrzeugreste bereit gefunden, während die Firma … Mobile B. S. 600,- Euro geboten hat. Genau dieses Angebot hat der Kläger am 26. September 2013 ausweislich des in Kopie zur Akte gereichten Kaufvertrages angenommen.

Mit diesem Verkauf hat der Kläger entgegen der Auffassung des Amtsgerichts auch nicht gegen seine Pflicht zur Geringhaltung des Schadens verstoßen, weil ihm seitens des Schädigers schon kein günstigeres Angebot unterbreitet wurde, das von ihm ohne weiteres wahrzunehmen gewesen wäre. Das beklagtenseits angeführte Schreiben vom 26. September 2013 (Anlage K3 = 129.) genügt den höchstrichterlichen Anforderungen nämlich nicht. Es beinhaltet gerade kein an den Kläger gerichtetes konkretes Angebot, das dieser nur noch hätte annehmen müssen. Mit diesem Schreiben teilt die Beklagte zu 2. lediglich mit, dass ihr ein Restwertangebot in Höhe von 2290,- Euro vorliegt, welches verbindlich und bis zum 25. Oktober 2013 gültig sei. Mit diesem Schreiben wird der Kläger aufgefordert, sich mit der genannten Firma XX Cars in Verbindung zu setzen unter Angabe der dort aufgeführten Auftragsnummer. Das Angebot ist damit zunächst nicht an den Kläger gerichtet und stellt im Übrigen einen bloßen Hinweis auf eine preisgünstigere Möglichkeit der Verwertung dar, um deren Realisierung sich der Kläger erst noch hätte bemühen müssen. Genau dies genügt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung jedoch nicht, um Schadensminderungsobliegenheiten beim Kläger auszulösen (vergleiche hierzu grundlegend schon BGH, NJW 2000, 800 ff).

Dessen ungeachtet war der Kläger auch nicht gehalten, die Beklagte zu 2. vor dem beabsichtigten Verkauf der Fahrzeugreste zunächst zu informieren und ihr Gelegenheit zu geben, ein höheres Restwertangebot abzugeben (vergleiche nur BGH, NJW 2000, 800 ff), denn der Geschädigte ist Herr des Restitutionsgeschehens. Nichts anderes folgt aus der in Bezug genommenen Entscheidung des Kammergerichts vom 30. März 2009 - 22 W 12/09-. Diese befasst sich ersichtlich nur mit der Frage, inwieweit eine gegebenenfalls vorfristige Klageerhebung die Kostenfolge des § 93 ZPO auslösen kann.

Daher waren die Beklagten noch zur Zahlung des offenen Fahrzeugrestschadens in Höhe von 1690,- Euro zu verurteilen. Der Zinsausspruch resultiert aus §§ 286, 288 BGB.

Demgegenüber kann der Kläger keine Zahlung weiterer Rechtsanwaltskosten für deren vorprozessuale Tätigkeit an seine Rechtschutzversicherung beanspruchen.

Im Ansatz ist, wie das Amtsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, nur eine 1,3 Geschäftsgebühr gerechtfertigt, die auch bei Zugrundelegung des höheren Geschäftswertes von 12.460,- Euro zu keinen höheren Gebühren führt als das Amtsgericht in den Entscheidungsgründen auf Seite 8 ausgewiesen hat, da zwischen dem dort angenommenen Gegenstandswert von 10.770,- Euro und dem berechtigten Gegenstandswert von 12.460,- Euro kein Gebührensprung liegt.

Vorprozessual angefallene Rechtsanwaltsgebühren sind zu erstatten, der Höhe nach jedoch beschränkt auf 1,3 der Regelgebühr gemäß § 14 Abs. 1 RVG. Der vorliegende Sachverhalt ist nach Schwierigkeitsgrad und Umfang als durchschnittlich einzustufen, so dass die in Ansatz gebrachte höhere Gebühr nicht gerechtfertigt ist (vergleiche hierzu auch BGH, NJW – RR 2007, 420; KG vom 14. Januar 2013 – 22 U 136/11 – ). Eine höhere Gebühr als 1,3 kann nach Nr. 2300 VV zum RVG nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfangreich oder schwierig war. Dass für die Abwicklung des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls ein überdurchschnittlicher Aufwand erforderlich war, ist weder hinreichend dargelegt noch sonst ersichtlich. Die volle Einstandspflicht stand von Anfang an zwischen den Parteien nicht im Streit.

Die Anschlussberufung der Beklagten hat keinen Erfolg, da die vom Amtsgericht vorgenommene Berechnung der dem Kläger zu ersetzenden Mietwagenkosten nicht zu beanstanden ist. Das Gericht macht sich zunächst die in jeder Hinsicht zutreffenden Ausführungen des Amtsgericht in den Entscheidungsgründen zu eigen, Ermessenfehler bei der Schadensschätzung gem. § 287 ZPO sind nicht ersichtlich. Insbesondere war das Amtsgericht nicht gehalten, eine Schätzung nach dem arithmetischen Mittelwert der Durchschnittsmieten nach Maßgabe der Markterhebungen des Schwacke-​Mietpreisspiegels und dem Mietspiegel des Fraunhofer-​Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation vorzunehmen. Wie das Kammergericht in der angeführten Entscheidung vom 8. Mai 2014 -22 U 119/13- auf Seite 3 klar herausgestellt hat, handelt sich bei dieser durchaus auch statthaften Schätzung nur um eine von mehreren möglichen Schätzgrundlagen. Nichts anderes ist der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu entnehmen (vgl. nur BGH Urteil vom 12.4.2011 -VI ZR 300/09-, zitiert nach juris), von einer Änderung der Rechtsprechung kann also keine Rede sein.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 91, 92 Abs. 1, 97 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit basiert auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m § 26 Nr. 8 EGZPO.

Erklärungsfristen waren nicht zu gewähren, da die in Bezug genommenen Schriftsätze keinen entscheidungserheblichen Inhalt haben.

Die Revision war nach § 543 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 ZPO i.V.m. § 26 Ziff. 7 EGZPO nicht zuzulassen, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch eine Entscheidung des Revisionsgerichtes zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.