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OLG Frankfurt am Main Urteil vom 02.04.2015 - 14 U 208/14 - Kein Kausalitätsgegenbeweis bei Obliegenheitsverletzung durch Unfallflucht

OLG Frankfurt am Main v. 02.04.2015: Kein Kausalitätsgegenbeweis bei Obliegenheitsverletzung durch Unfallflucht


Das OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 02.04.2015 - 14 U 208/14) hat entschieden:
Wenn der Versicherungsnehmer mit seinem Pkw nachts eine Sandsteinmauer streift und beschädigt und den Unfallort verlässt, ohne den Geschädigten oder die Polizei zu verständigen oder eine Wartezeit einzuhalten, verletzt die Warteobliegenheit gemäß E.1.3 S. 2 AKB 2008 mit der Rechtsfolge des Leistungsfreiheit des Kfz-Kaskoversicherers. Einen Kausalitätsgegenbeweis im Sinne des § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG kann der Versicherungsnehmer nicht führen, auch wenn er am Morgen nach dem Unfall gegen 9:00 Uhr bei dem Geschädigten geklingelt hat, denn dem Versicherer sind Feststellungsnachteile entstanden, die sich nachträglich nicht mehr ausgleichen lassen, vor allem weil keine objektiven Feststellungen mehr dazu getroffen werden können, ob der Versicherungsnehmer bei dem Unfall unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stand.


Siehe auch Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort - Unfallflucht - im Versicherungsrecht und Stichwörter zum Thema unerlaubtes Entfernen vom Unfallort


Gründe:

I.

Von einer Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil sowie von der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen, weil die Revision nicht zugelassen wurde und ein Rechtsmittel gegen das Urteil deshalb bei einer Beschwer der Parteien von jeweils nicht über 20.000 Euro unzweifelhaft nicht zulässig ist (§ 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO, § 544 ZPO).


II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das angegriffene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 ZPO.

1. Die vom Kläger im Berufungsverfahren vorgenommene Umstellung seines erstinstanzlichen Freistellungsantrags in einen Zahlungsantrag ist gemäß § 264 Nr. 1 ZPO zulässig (vgl. Vorwerk/Wolf/Bacher, ZPO, Stand 1. Januar 2015, § 264 Rn. 5, 5.1).

2. Dem Kläger steht jedoch wegen der Beschädigung der Sandsteinmauer des Anwesens ... in O1 in der Nacht vom .... auf den ... 2013 kein Zahlungsanspruch in Höhe von 8.823,49 Euro gegen die beklagte Versicherung zu. Die Beklagte ist gemäß E.6.1 AKB 2008, § 31 VVG i. V. mit E.1.3 AKB 2008, § 28 Abs. 2 VVG von der Leistung aus der mit dem Kläger geschlossenen Kaskoversicherung frei, weil dieser seine Aufklärungsobliegenheiten vorsätzlich verletzt hat.

a. aa. Gemäß E.1.3 Satz 2 AKB 2008 darf der Versicherungsnehmer den Unfallort nicht verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen (vgl. Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 16. Oktober 2014, 7 U 121/14, BeckRS 2014, 22178, Rn. 22 ff.). Diese dem Versicherungsvertrag der Parteien zugrundeliegende Allgemeine Versicherungsbedingung ist so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (vgl. ebenda). Nach dem eindeutigen Wortlaut von E.1.3 Satz 2 AKB 2008 ist der Versicherungsnehmer gehalten, nach dem Eintritt des Versicherungsfalles an der Unfallstelle zu bleiben, bis die Polizei oder der Geschädigte eintreffen und die erforderlichen Feststellungen zum Unfallhergang und der Beteiligung des Versicherungsnehmers getroffen wurden; dabei kommt es nicht darauf an, ob der Versicherungsnehmer den Straftatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) erfüllt (vgl. ebenda).

bb. Seiner Obliegenheit, nach dem streitgegenständlichen Vorfall an der Unfallstelle zu bleiben, bis die Polizei oder der Geschädigte eintreffen und die erforderlichen Feststellungen zum Unfallhergang und der Beteiligung des Versicherungsnehmers getroffen wurden, hat Kläger schon nach seinem eigenen Vortrag nicht genügt. Denn er trägt selbst vor, dass er, nachdem er mit seinem Pkw die Sandsteinmauer gestreift hatte, den Unfallort verließ, ohne den Geschädigten oder die Polizei zu verständigen oder eine Wartezeit einzuhalten.

Dass es dem Kläger möglich und zumutbar gewesen wäre, den Geschädigten oder die Polizei zu verständigen oder eine Wartezeit einzuhalten, hat das Landgericht zu Recht angenommen; insoweit kann auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils verwiesen werden.

cc. Der Kläger hat hinsichtlich der Verletzung der Aufklärungsobliegenheit auch vorsätzlich im Sinne von E.6.1 AKB 2008 i. V. m. § 28 Abs. 2 VVG gehandelt.

Ein solcher Vorsatz ist anzunehmen, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheitsverletzung für möglich hält und billigend in Kauf nimmt. Für das Bewusstsein der Obliegenheitswidrigkeit genügt es, dass er kraft "Parallelwertung in der Laiensphäre" die Merkmale der Obliegenheit im Kern kennt (vgl. Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 16. Oktober 2014, 7 U 121/14, BeckRS 2014, 22178, Rn. 42 ff.).

Der Kläger wusste, dass er mit seinem Fahrzeug die Sandsteinmauer gestreift und beschädigt hatte. Dass man nach einem solchen Unfall die Unfallstelle nicht verlassen darf, ist jedem Kraftfahrer bekannt (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 1. Dezember 1999, NJW-​RR 2000, S. 553, 554). Wenn der Kläger gleichwohl die Unfallstelle verließ, verstieß er bewusst gegen seine Warteobliegenheit. Das vom Kläger insoweit angegebene Motiv, er habe in der Nacht niemanden belästigen oder gar wecken wollen, steht dem nicht entgegen. Entscheidend ist, dass der Kläger hierbei eine Verletzung seiner Warteobliegenheit bewusst in Kauf genommen hat.

dd. Da der Kläger seine Aufklärungsobliegenheit bereits in dem Zeitpunkt verletzt hatte, als er in der Nacht den Unfallort verließ, kommt es auf seinen Tatsachenvortrag, er habe am Morgen nach dem Unfall gegen 9:00 Uhr bei dem Geschädigten geklingelt, nicht mehr an. Denn die Ermöglichung nachträglicher Feststellungen kann nur einen Versicherungsnehmer entlasten, der sich in erlaubter Weise vom Unfallort entfernt hatte (vgl. das vom Kläger angeführte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. November 2012, NJW 2013, S. 936 ff. Rn. 16; Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 16. Oktober 2014, 7 U 121/14, BeckRS 2014, 22178, Rn. 34 ff.). Der Kläger hatte sich nicht in erlaubter Weise vom Unfallort entfernt. Er kann sich also nicht damit entlasten, dass er nachträglich Feststellungen ermöglichen wollte, indem er am Morgen nach dem Unfall gegen 9:00 Uhr bei dem Geschädigten klingelte. Insoweit bedurfte es auch keiner Beweiserhebung.

ee. Einen Kausalitätsgegenbeweis im Sinne des § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG hat der Kläger nicht angetreten. Er kann einen solchen auch nicht führen. Denn schon dadurch, dass er sich nach dem Unfall von der Unfallstelle entfernt hat, sind der Beklagten Feststellungsnachteile entstanden, die sich nachträglich nicht mehr ausgleichen ließen. Vor allem konnten keine objektiven Feststellungen mehr dazu getroffen werden, ob er bei dem Unfall unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stand, was wegen des Verbots in D.2.1 AKB 2008 gemäß D.3.1 Satz 1 und 2 AKB 2008 zum Verlust seines Versicherungsschutzes führen könnte. Hätte er die Polizei verständigt und an der Unfallstelle gewartet, wäre dies objektiv überprüfbar gewesen (vgl. Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 16. Oktober 2014, 7 U 121/14, BeckRS 2014, 22178, Rn. 45). Der Kläger kann den Kausalitätsgegenbeweis auch nicht durch Benennung seiner Lebensgefährtin als Zeugin führen. Bei dem Unfall selbst war die Zeugin nach dem Vortrag des Klägers nicht zugegen; über dessen Fahrtüchtigkeit oder eine alkoholische Beeinflussung könnte eine Aussage der Zeugin nicht mit der gleichen Sicherheit Aufschluss geben wie eine direkt nach dem Unfall durchgeführte Blutprobe (vgl. Kammergericht, Beschluss vom 27. August 2010, 6 U 66/10, juris Rn. 14).

ff. Insoweit kann offenbleiben, ob ein Kausalitätsgegenbeweis gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG ausgeschlossen ist, weil der Kläger seine Aufklärungsobliegenheit arglistig verletzt hat.

b. Nach den vorstehenden Ausführungen erweist sich auch die Berufungsrüge als unbegründet, das Landgericht habe das angegriffene Urteil auf den streitigen Vortrag der Beklagten gestützt, er, der Kläger, sei bei dem Unfall alkoholisiert gewesen, ohne hierüber Beweis zu erheben. Das Urteil des Landgerichts beruht nicht der Annahme, der Kläger sei bei dem Unfall alkoholisiert gewesen. Dahingehende Ausführungen finden sich in dem angegriffenen Urteil nicht. Vielmehr hat das Landgericht - zu Recht - darauf abgestellt, dass der Kläger nach dem Vorfall den Unfallort verließ, ohne den Geschädigten oder die Polizei zu verständigen oder eine Wartezeit einzuhalten, um zuverlässige Feststellungen zum Unfallhergang, zur Person des Fahrers und zu dessen Fahrtüchtigkeit zu ermöglichen.

c. Inwieweit dem Kläger aufgrund der mit der Beklagten abgeschlossenen Kaskoversicherung ein Anspruch auf Ersatz von Mietwagenkosten zustehen könnte, ist nicht ersichtlich.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10 Satz 1 und 2, 711, 713 ZPO.

3. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht, § 543 Abs. 2 ZPO.