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Landgericht München Beschluss vom 23.02.2016 - 31 T 2775/16 - Keine einstweilige Verfügung auf Herausgabe eines abgeschleppten Kfz

LG München v. 23.02.2016: Keine einstweilige Verfügung auf Herausgabe eines abgeschleppten Kfz


Das Landgericht München (Beschluss vom 23.02.2016 - 31 T 2775/16) hat entschieden:
  1. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Herausgabe eines im Wege der Selbsthilfe (§ 859 BGB) abgeschleppten Fahrzeuges ist im Hinblick auf § 273 Abs. 3 BGB (Abwendung des Zurückbehaltungsrechts durch Sicherheitsleistung) nicht erforderlich.

  2. Die Frage der Angemessenheit der Höhe des Schadensersatzanspruches des beeinträchtigten Grundstücksbesitzers aufgrund der verbotenen Eigenmacht hat grundsätzlich keine Bedeutung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Selbsthilfemaßnahme als solche.

Siehe auch Privates Falschparken - Besitzstörung - private Abschleppkosten und Zurückbehaltungsrecht des Abschleppunternehmers


Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung die Herausgabe des auf den Betriebshof der Antragsgegnerin verbrachten Fahrzeuges des Antragstellers, hilfsweise Zug um Zug gegen Zahlung von 238,- Euro. Das Fahrzeug befand sich ohne Kennzeichen und ohne Genehmigung auf dem Tankstellengelände des Pächters ... in Eching. Die Antragsgegnerin hat in dessen Auftrag das Fahrzeug entfernt und zu ihrem Betriebshof in München verbracht. Die Forderung des Tankstellenpächters bezüglich der Abschleppkosten wurde an die Antragsgegnerin abgetreten. Als der Antragsteller sein Fahrzeug dort abholen wollte, wurde ihm mitgeteilt, dass eine Herausgabe nur gegen Zahlung eines Betrages von 422,- Euro erfolgt. Daraufhin verblieb das Fahrzeug bei der Antragsgegnerin.

Das Amtsgericht hat den Antrag des Antragstellers zurückgewiesen. Dagegen hat der Antragsteller sofortige Beschwerde unmittelbar zum Landgericht München I eingelegt.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde (Abhilfeverfahren ist nicht zwingend erforderlich, vgl. Zöller 31. Aufl. 2016 § 572 Rn. 4) ist unbegründet. Auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts München kann Bezug genommen werden.

Aufgrund der Beschwerdebegründung und des Schriftsatzes vom 22.02.2016 des Antragstellers ist keine andere Beurteilung veranlasst. Die Antragsgegnerin hat nicht ihrerseits ebenfalls eine verbotene Eigenmacht begangen, so dass ein Anspruch des Antragstellers auf Herausgabe gem. § 861 BGB gegeben sein könnte.

Das Entfernen des Fahrzeuges als solches verstößt nicht gegen das Übermaßverbot. Denn ist es weder ersichtlich noch vorgetragen, dass die Antragsgegnerin in anderer, schonenderer Weise von ihrem Selbsthilferecht hätte Gebrauch machen können (vgl. BGH Urteil vom 5. Juni 2009 Az. V ZR 144/08). Da an dem streitgegenständlichen Fahrzeug keine Kennzeichen angebracht waren, konnte dieses auch nicht irgendwo auf einer öffentlichen Verkehrsfläche abgestellt werden, zumal dann die Erfüllung der Obhutspflicht seitens der Antragsgegnerin problematisch gewesen wäre. Die Verbringung des Fahrzeuges auf ihrem Betriebshof erscheint von daher als die einzige in Betracht kommende bzw. angemessene Maßnahme. Dabei befindet sich der Betriebshof in derselben Stadt wie der Wohnsitz des Antragstellers, nämlich in München, wobei auch die Gemeinde Eching noch im näheren Umkreis von München liegt. Eine Abholung des Fahrzeuges seitens des Antragstellers ist somit noch mit zumutbarem Aufwand möglich und wurde ja auch von ihm bereits versucht. Die streitgegenständliche Vorgehensweise kann daher letztlich nicht als treuwidrig oder unverhältnismäßig angesehen werden. Dem Antragsteller sind durch die streitgegenständliche Maßnahme auch keine sonstigen „unverhältnismäßig großen Nachteile“ (vgl. BGH, Urteil vom 05.06.2009 - V ZR 144/08) zugefügt worden.

Der seitens des Antragstellers angeführte Beispielsfall einer Verbringung des Fahrzeugs nach Hamburg ist damit ersichtlich nicht vergleichbar und muss hier aber auch nicht entschieden werden. Es geht nicht um die Entscheidung einer abstrakten Rechtsfrage, sondern um den konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände.

Dass es dem Antragsteller gewisse Mühe bedeutet, sein Fahrzeug wieder zu erlangen, liegt in der Natur der Sache und hat auch letztlich er selbst zu vertreten. Wie bereits das Amtsgericht festgestellt hat, hat diese Frage bzw. diejenige, ob ein anderer Abschleppdienst, etwa die vom Antragsteller genannte Firma Abschleppdienst X. hätte beauftragt werden müssen, letztlich nur Bedeutung für die Höhe der Kosten, welche der Antragssteller der Antragsgegnerin zu erstatten hat, worüber hier jedoch nicht zu befinden ist. Die Rechtmäßigkeit der tatsächlichen Abschlepp-​Maßnahme an sich - was Gegenstand des vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahrens ist - wird dadurch indes nicht berührt. Es wäre auch systemwidrig, die Frage der Rechtmäßigkeit einer tatsächlichen Maßnahme - Ausübung des Selbsthilferechts mittels Gewalt - mit der Frage der Höhe der aufgrund der Ausübung des Selbsthilferechts entstehenden Schadensersatzansprüche des Berechtigten zu verknüpfen. Das würde letztlich dieses Recht auch in seiner Wirksamkeit einschränken, was eben als Voraussetzung im Wesentlichen nur das Vorliegen einer verbotenen Eigenmacht hat (vgl. auch § 863 BGB).

Sofern man dies anders sehen sollte, ist jedenfalls nicht glaubhaft gemacht (vgl. §§ 920 Abs. 2, 936 ZPO), dass der Abschleppdienst xxx zum konkreten Zeitpunkt auch tätig geworden wäre. Der Ausdruck der Internetseite dieses Abschleppdienstes (Anlage AS 6), welche nur eine allgemeine Werbeanzeige darstellt, ist hierfür nicht ausreichend (§ 294 ZPO).

Sofern in der Beschwerdebegründung auf Palandt § 859 Rn. 1 verwiesen wird, findet sich dort die Entscheidung des OLG Schleswig, Beschluss vom 26.08.1986 - 1 Ss 303/86. Darin wird u.a. festgestellt, dass die angewendete Gewalt nur so weit gehen darf, wie sie zur Abwehr der verbotenen Eigenmacht erforderlich ist. Die „angewendete Gewalt“ bedeutet vorliegend den Abschleppvorgang an sich, nicht jedoch die Verursachung von etwaigen Schadensersatzansprüchen der Anspruchsgegnerin gegenüber dem Beschwerdeführer. Außerdem betont das OLG, dass es berechtigt war, den Wagen auf das Gelände des Abschleppunternehmers zu fahren, da er den ihm zustehenden Besitz dort am leichtesten und sichersten ausüben konnte. Vorliegend war dies - wie bereits erwähnt - eben gerade der Betriebshof der Antragsgegnerin. So wäre ein Beispiel für eine unverhältnismäßige Selbsthilfemaßnahme etwa das Zerstören einer Sache, wenn deren Beseitigung genügt (vgl. RGSt. 34, 249).

Dabei unterfällt das Verbringen des Fahrzeuges zu einem anderen Ort notwendigerweise bzw. aufgrund Sachzusammenhangs noch dem Selbsthilferecht. Der § 859 Abs. 1 BGB enthält diesbezüglich zwar keine näheren Angaben, jedoch aber auch keine Einschränkungen. So muss das entfernte Fahrzeug ja zwangsläufig wieder irgendwo abgestellt werden. Sofern man jedoch die weitere Verbringung des Fahrzeuges - nach dem unmittelbaren Entfernen vom Tankstellengelände - als Geschäftsführung ohne Auftrag im Sinne der §§ 677 BGB ff. ansehen sollte, hätte dies keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Selbsthilfemaßnahme als solche und wiederum lediglich Bedeutung für etwaige Zahlungs- bzw. Aufwendungsersatzansprüche seitens des Antragsgegners.

Andernfalls würde dem Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Herausgabe entgegenstehen, dass es sich dann um eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache handeln würde und die Voraussetzungen für eine sog. Leistungsverfügung (vgl. Thomas/Putzo 36. Aufl. 2015 § 940 Rn. 6ff.) nicht vorliegen. Die Vermutung der Dringlichkeit im Falle einer verbotenen Eigenmacht bzw. deren grundsätzlicher Entfall als sonst notwendige Voraussetzung würde dann nämlich nicht mehr gegeben sein, da man die Maßnahme ja dann im Zeitpunkt der weiteren Verbringung auf das Betriebsgelände als bereits abgeschlossen ansehen müsste.

Im Hinblick auf die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts hat im Übrigen der BGH die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts in solchen Fällen als rechtmäßig angesehen (vgl. BGH Urteil vom 02.12.2011 - V ZR 30/11) und auch die Kammer hat bereits in der Entscheidung vom 14.04.2011 (31 S 19129/10) den Erlass einer einstweiligen Verfügung unter Hinweis auf die Möglichkeit des § 273 Abs. 3 BGB zurückgewiesen, wonach der Gläubiger (des Herausgabeanspruches) die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts durch Sicherheitsleistung abwenden kann, so dass eine vorläufige gerichtliche Regelung nicht erforderlich ist (vgl. z.B. auch LG Marburg Beschluss vom 10.08.2006 - 10 O 1543/06 und BGH aaO.). Die Frage der (berechtigten) Höhe des dem Schuldner zustehenden Schadensersatzanspruches ist grundsätzlich im Hauptsacheverfahren zu klären. Dabei ist die seitens der Antragsgegnerin geltend gemachte Forderung auch nicht ohne weiteres erkennbar (so erheblich) überhöht, so dass die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts möglicherweise gem. § 242 BGB unzulässig sein könnte. Da der Schuldner (des Herausgabeanspruches) aufgrund einer Hinterlegung lediglich ein Pfandrecht an dem hinterlegten Geld erwirbt (vgl. § 233 BGB), wird auch dessen Insolvenzrisiko nicht dem Gläubiger aufgebürdet.

Somit erweist sich bei jeder möglichen rechtlichen Beurteilung die Beschwerde als unbegründet.

Kosten: § 97 ZPO; Streitwert: § 3 ZPO.