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BGH Urteil vom 14.07.2015 - VI ZR 326/14 - Abschluss eines Vergleichs auf Vorschlag des Gerichts

BGH v. 14.07.2015: Voraussetzungen eines wirksamen Abschlusses eines Vergleichs auf Vorschlag des Gerichts


Der BGH (Urteil vom 14.07.2015 - VI ZR 326/14) hat entschieden:

   Ein Vergleich nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Fall 2 ZPO kann nur durch Annahme des schriftlichen Vergleichsvorschlags des Gerichts mit Schriftsatz der Parteien wirksam geschlossen werden.

Siehe auch
Abfindungsvergleich
und
Prozessvergleich - Abschluss - Widerruf

Tatbestand:


Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen einer angeblich fehlerhaften privatärztlichen Behandlung in Anspruch.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung am 26. März 2014 den Parteien vorgeschlagen, sich wie folgt zu vergleichen:

  1.  Der Beklagte zahlt an die Klägerin ohne Anerkennung einer darüber hinausgehenden Rechtspflicht zur Abgeltung sämtlicher in diesem Rechtsstreit geltend gemachter eventueller Ansprüche 3.600,00 €. Damit sind sämtliche eventuellen Ansprüche - seien sie vorhersehbar oder nicht - der Klägerin gegen den Beklagten oder weiteres Personal des Klinikums Itzehoe sowie gegen das Klinikum Itzehoe erledigt.

  2.  Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen die Klägerin zu 78 % und der Beklagte zu 22 %. Diese Regelung gilt auch für die Kosten des Vergleichs."

Den Vergleichstext hat der Vorsitzende des Senats zu Protokoll der mündlichen Verhandlung auf einen Tonträger diktiert. Die Aufzeichnung ist den Parteivertretern und den Parteien vorgespielt worden. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat sodann erklärt:

   "Der Vergleichstext ist uns soeben vorgespielt worden. Er wird genehmigt und es wird hiermit die Zustimmung nach § 278 Abs. 6 ZPO erklärt."

Diese Erklärung ist ebenfalls zu Protokoll der mündlichen Verhandlung auf einen Tonträger diktiert und, nachdem sie den Parteivertretern und den Parteien vorgespielt worden ist, vom Klägervertreter genehmigt worden. Das Berufungsgericht hat anschließend einen Beschluss verkündet, der unter anderem beinhaltete, dass der Beklagte Gelegenheit zur Zustimmung zum Vergleichsvorschlag nach § 278 Abs. 6 ZPO binnen drei Wochen erhalte.

Das die Aufzeichnung wiedergebende schriftliche Protokoll der mündlichen Verhandlung ist den Parteivertretern jeweils am 2. April 2014 zugestellt worden. Mit am 14. April 2014 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat der Beklagte dem Vergleichsvorschlag des Berufungsgerichts zugestimmt. Daraufhin hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom 16. April 2014 gemäß § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen des Vergleichs festgestellt. Der Beschluss ist dem Klägervertreter am 22. April 2014 zugestellt worden. Mit am 14. Mai 2014 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag hat die Klägerin den Prozessvergleich wegen Irrtums und arglistiger Täuschung angefochten und die Störung der Geschäftsgrundlage eingewandt. Sie hat außerdem geltend gemacht, der Vergleich sei prozessual nicht wirksam zustande gekommen.

Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der Rechtsstreit durch Vergleich erledigt ist. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge auf Fortsetzung des Prozesses und Feststellung der prozessualen Unwirksamkeit des Vergleichs weiter.




Entscheidungsgründe:


I.

Das Berufungsgericht hat angenommen, dass der Prozess durch den Vergleich beendet worden ist. Die Formvorschriften des § 278 Abs. 6 Satz 1 Fall 2 ZPO seien eingehalten worden. Der zunächst auf Tonträger aufgezeichnete Vergleichsvorschlag des Gerichts sei mit der Erstellung der Niederschrift und den Unterschriften des Vorsitzenden sowie der Urkundsbeamtin verschriftlicht worden. Mit der Zustellung des Protokolls hätten die Parteien den Vergleichsvorschlag in schriftlicher Form erhalten. Die zu Protokoll erklärte Annahmeerklärung der Klägerin stehe der Annahme durch anwaltlichen Schriftsatz gleich. Im Prozess könnten in einem Schriftsatz oder zu Protokoll des Gerichts die Anträge gestellt und Erklärungen abgegeben werden. In entsprechender Anwendung der Vorschriften in § 160 Abs. 3 Nr. 1, § 162 Abs. 1 Satz 2 ZPO habe das Berufungsgericht der Klägerin ihre Annahmeerklärung vorgespielt und diese von ihr genehmigen lassen. Mit der Erstellung der Niederschrift und den Unterschriften des Vorsitzenden sowie der Urkundsbeamtin sei auch die Annahmeerklärung verschriftlicht worden. Der Vergleich sei mit der im Schriftsatz des Beklagten vom 11. April 2014, eingegangen bei Gericht am 14. April 2014, erklärten Zustimmung wirksam geworden. In dem gerichtlichen Beschluss vom 16. April 2014 sei der abgeschlossene Vergleich festgestellt worden.

Die Regelung in § 278 Abs. 6 Satz 1 Fall 2 ZPO schreibe nicht vor, dass der Vergleichsvorschlag des Gerichts den Parteien vor Erklärung der Zustimmung in schriftlicher Form zugehe. Die Formvorschriften seien auch gewahrt, wenn die Partei dem ins Protokoll diktierten Vergleichsvorschlag des Gerichts in der mündlichen Verhandlung zustimme und der Vergleichsvorschlag mit der Zustimmungserklärung der Partei zeitgleich in der Niederschrift des Protokolls niedergelegt werde. Durch die Verschriftlichung mit der Erstellung der Niederschrift des Protokolls seien sowohl der Inhalt des gerichtlichen Vergleichsvorschlags als auch die hierzu abgegebene Erklärung der Partei dokumentiert. Dadurch, dass das Berufungsgericht wie bei der formstrengeren Protokollierung eines Vergleichs nach §§ 159, 160 Abs. 3 Nr. 1, § 162 Abs. 1 ZPO den Parteien sowohl den Vergleichsvorschlag als auch die Annahmeerklärung der Klägerin vorgespielt habe, die von der Klägerin anschließend genehmigt worden seien, sei ein ausreichender Schutz vor Übereilung gewährleistet gewesen.

Der Vergleich sei auch materiellrechtlich wirksam zustande gekommen. Die Klägerin habe die am 26. März 2014 durch ihren Prozessbevollmächtigten abgegebene Erklärung nicht wirksam angefochten. Der Prozessbevollmächtigte, auf dessen Person es nach § 166 BGB ankomme, habe sich weder über Bedeutung und Tragweite der Zustimmungserklärung geirrt noch habe eine solche Zustimmungserklärung nicht seinem Willen entsprochen (§ 119 Abs. 1 BGB). Die Voraussetzungen eines Eigenschaftsirrtums im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB seien nicht gegeben, da weder Eigenschaften der am Vergleich beteiligten Personen Geschäftsgegenstand noch eine Sache Objekt des geschlossenen Vergleichs gewesen seien. Für den Anfechtungsgrund des § 123 Abs. 1 BGB fehle es sowohl an einer für einen Irrtum ursächlichen arglistigen Täuschung als auch an einer Bedrohung des - nach § 166 Abs. 1 BGB auch hier maßgeblichen - Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Ein Fall der Unwirksamkeit des Vergleichs nach § 779 Abs. 1 BGB sei nicht vorgetragen. Das Fehlen oder der Wegfall der Geschäftsgrundlage des Vergleichs könne zwar nach § 313 Abs. 1 BGB grundsätzlich zu dessen Anpassung führen, berühre aber seinen rechtlichen Bestand und seine prozessbeendende Wirkung nicht.




II.

Hiergegen wendet sich die Revision im Ergebnis ohne Erfolg.

1. Der erkennende Senat teilt allerdings nicht die Auffassung des Berufungsgerichts, wonach der Abschluss des Vergleichs den Formvorschriften des § 278 Abs. 6 Satz 1 Fall 2 ZPO entsprochen habe. Der Prozessvergleich ist zwar nicht formwirksam (unter c). Die Klägerin kann sich jedoch nach den gegebenen Umständen darauf nicht berufen (unter d). Der Rechtsstreit zwischen den Parteien ist durch den Prozessvergleich, der mit Beschluss vom 16. April 2014 festgestellt worden ist, beendet worden.

a) Der Prozessvergleich hat eine rechtliche Doppelnatur. Er ist zum einen Prozesshandlung, durch die der Rechtsstreit beendet wird und deren Wirksamkeit sich nach verfahrensrechtlichen Grundsätzen bestimmt. Dazu ist er ein privates Rechtsgeschäft, für das die Vorschriften des materiellen Rechts gelten und mit dem die Parteien Ansprüche und Verbindlichkeiten regeln (BGH, Urteil vom 30. September 2005 - V ZR 275/04, BGHZ 164, 190, 193 f. mwN; vgl. auch BGH, Urteile vom 18. Juni 1999 - V ZR 40/98, BGHZ 142, 84, 88; vom 3. Dezember 1980 - VIII ZR 274/79, BGHZ 79, 71, 74; vom 15. April 1964 - Ib ZR 201/62, BGHZ 41, 310, 311; vom 29. September 1958 - VII ZR 198/57, BGHZ 28, 171, 172; vom 10. März 1955 - II ZR 201/53, BGHZ 16, 388, 390; OLG Hamm, NJW-RR 2012, 882). Prozesshandlung und privates Rechtsgeschäft stehen nicht getrennt nebeneinander. Vielmehr sind die prozessualen Wirkungen und die materiellrechtlichen Vereinbarungen voneinander abhängig (BGH, Urteile vom 30. September 2005 - V ZR 275/04, aaO, 194; vom 3. Dezember 1980 - VIII ZR 274/79, aaO). Der Prozessvergleich ist nur wirksam, wenn sowohl die materiellrechtlichen Voraussetzungen für einen Vergleich als auch die prozessualen Anforderungen erfüllt sind, die an eine wirksame Prozesshandlung zu stellen sind. Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, liegt ein wirksamer Prozessvergleich nicht vor; die prozessbeendigende Wirkung tritt nicht ein (BGH, Urteil vom 30. September 2005 - V ZR 275/04, aaO; vgl. auch BGH, Urteil vom 10. März 1955 - II ZR 201/53, aaO). Das gilt auch für den Prozessvergleich im Sinne des § 278 Abs. 6 ZPO (vgl. BT-Drucks. 14/4722, S. 82; BAGE 120, 251 Rn. 15; OLG Hamm, NJW-RR 2012, 882; Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 278 Rn. 79; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl., § 794 Rn. 2 f.).

b) Die Revision wendet sich nicht gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Vergleich nicht schon aufgrund der Anfechtung wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung oder wegen fehlender Geschäfts- oder Vergleichsgrundlage (§ 779 Abs. 1 BGB) materiellrechtlich unwirksam sei. Dagegen bestehen auch keine rechtlichen Bedenken.

c) Sie wendet sich aber zu Recht gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Formvorschriften des § 278 Abs. 6 Satz 1 Fall 2 ZPO gewahrt worden seien. Nach der Regelung des § 278 Abs. 6 Satz 1 Fall 2 ZPO kann ein gerichtlicher Vergleich dadurch geschlossen werden, dass die Parteien einen schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht annehmen. Diese Erfordernisse sind im Streitfall nicht erfüllt.


aa) Dem Berufungsgericht kann noch darin gefolgt werden, dass der Vergleichsvorschlag des Gerichts der Schriftform genügt. Zwar wurde der Vorschlag zunächst vorläufig auf Tonträger gemäß § 160a Abs. 1 ZPO aufgezeichnet. Doch ist dadurch, dass die Aufzeichnung in das vom Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterzeichnete Protokoll (§ 160a Abs. 2; § 163 Abs. 1 ZPO) übertragen worden ist, das Schriftformerfordernis gewahrt (ebenso Nungeßer, AR-Blattei SD 160.9, Rn. 467 (Stand: November 2005); dies., NZA 2005, 1027, 1030 f.). Dies zieht auch die Revision nicht in Zweifel.

bb) Der erkennende Senat teilt allerdings in Übereinstimmung mit der Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 2012, 882) und Stimmen in der Literatur (Assmann in Wieczorek/Schütze, aaO Rn. 89; Reichold in Thomas/Putzo, aaO, § 278 Rn. 15; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 278 Rn. 17a; PG/Geisler, ZPO, 7. Aufl., § 278 Rn. 19; Baumbach/ Lauterbach/ Albers/ Hartmann, ZPO, 73. Aufl., § 278 Rn. 63; Kontusch, NJ 2012, 474; ebenso Elzer in Bork/ Jacoby/ Schwab, FamFG, 2. Aufl., § 36 Rn. 27) nicht die Meinung des Berufungsgerichts, w onach die zu Protokoll des Gerichts erklärte Annahme des gerichtlichen Vergleichsvorschlags durch die Klägerin ebenfalls dem Formerfordernis nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Fall 2 ZPO genügte.

(1) Ausgehend vom Wortlaut verlangt die Vorschrift eine Erklärung der Partei durch Schriftsatz. Die Niederschrift einer mündlichen Erklärung der Partei zu Protokoll genügt dafür nicht. Diese bietet zwar Beweis dafür, dass die Erklärung von der betreffenden Partei mit dem protokollierten Inhalt abgegeben worden ist (vgl. Senatsurteile vom 3. Juni 2014 - VI ZR 394/13, VersR 2014, 1018 Rn. 15; vom 9. November 1993 - VI ZR 248/92, NJW 1994, 799, 800). Das Protokoll stellt aber eine schriftliche Erklärung des Gerichts über Förmlichkeiten und Inhalt einer mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme dar. Es ist nicht die schriftliche Erklärung der Partei.

(2) Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte mit der Einfügung des § 278 Abs. 6 ZPO zwar ein Vergleichsschluss außerhalb der mündlichen Verhandlung in einem schriftlichen Verfahren ohne Wahrnehmung eines Termins erleichtert werden (BT-Drucks. 14/4722, S. 61, 82). Eine rechtliche Möglichkeit für die einzelne Partei, zu Protokoll eine Zustimmungserklärung zu einem Vergleichsvorschlag abzugeben, dem die Gegenpartei innerhalb gesetzter Frist mit Schriftsatz zustimmen kann, sollte allerdings mit der Neuregelung nicht eröffnet werden.

Gegen eine solche Absicht des Gesetzgebers, die im Gesetzestext auch keinen Niederschlag gefunden hat, spricht der Umkehrschluss aus der Regelung in § 269 Abs. 2 Satz 2 ZPO über die Prozessbeendigung durch Klagerücknahme. Für die Zurücknahme der Klage lässt das Gesetz ausdrücklich die Einreichung eines Schriftsatzes oder die Erklärung in der mündlichen Verhandlung genügen. Dementsprechend ist gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 8 ZPO im Protokoll eine in mündlicher Verhandlung erklärte Zurücknahme der Klage festzustellen. Eine derartige Regelung fehlt aber für die Erklärung der Partei, einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag anzunehmen.

Beim Abschluss eines Prozessvergleichs ist außerdem im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs und der Parteien grundsätzlich Formstrenge geboten. Sie verlangt klare Abgrenzungen. Ein gerichtlicher Vergleich ist als verfahrensbeendigende Prozesshandlung und als Vollstreckungstitel deshalb nur wirksam, wenn er nach den maßgeblichen gesetzlichen Formvorschriften geschlossen worden ist. Die Schaffung einer von Gesetzes wegen prozessrechtlich nicht vorgesehenen Möglichkeit eines gerichtlichen Vergleichsabschlusses würde zu Rechtsunsicherheit führen.

cc) Fehlt bereits - wie im Streitfall - die gesetzlich geforderte Schriftsatzform für die Annahme des gerichtlichen Vergleichsvorschlags, muss nicht entschieden werden, ob eine Partei schon vor dem Vorliegen des schriftlichen gerichtlichen Vergleichsvorschlags dessen Annahme erklären könnte (verneinend OLG Hamm, NJW-RR 2012, 882; Nungeßer, NZA 2005, 1027, 1031; dies., AR-Blattei SD 160.9, Rn. 480 (Stand: November 2005)).




d) Nach diesen Grundsätzen ist der Prozessvergleich zwar nicht formwirksam geschlossen worden. Dennoch ist der Prozess beendet.

aa) Zwar macht die Revisionserwiderung erfolglos geltend, dass die Klägerin wegen eines Rügeverzichts gemäß § 295 ZPO mit der Rüge der Nichteinhaltung des Schriftsatzerfordernisses für ihre Annahmeerklärung ausgeschlossen sei. Weder liegt ein nach dem Verfahrensverstoß erklärter Verzicht der Klägerin auf das Schriftsatzerfordernis des § 278 Abs. 6 Satz 1 Fall 2 ZPO vor, noch hat sich die Klägerin in der auf den Verfahrensverstoß folgenden mündlichen Verhandlung rügelos eingelassen. Sie hat vielmehr unter Übergabe des Urteils des Oberlandesgerichts Hamm vom 13. Januar 2012 (NJW-RR 2012, 882) die Formunwirksamkeit des Vergleichs geltend gemacht.

bb) Die Klägerin kann sich jedoch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht darauf berufen, dass der vom Berufungsgericht nach § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO festgestellte Vergleich prozessual nicht wirksam zustande gekommen ist.

(1) Der Grundsatz von Treu und Glauben findet auch im Prozessrecht Anwendung (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteile vom 23. Oktober 1990 - VI ZR 105/90, BGHZ 112, 345, 349 mwN; vom 3. Februar 1987 - VI ZR 56/86, BGHZ 99, 391, 398; vom 17. Mai 1977 - VI ZR 174/74, BGHZ 69, 37, 43; Beschlüsse vom 20. Mai 2014 - VI ZB 9/13, VersR 2014, 1272 Rn. 6; vom 20. November 2012 - VI ZB 3/12, VersR 2013, 1283 Rn. 9 mwN; vom 11. September 2012 - VI ZB 59/11, VersR 2013, 207 Rn. 9 mwN; BGH, Beschlüsse vom 28. Februar 2013 - V ZB 18/12, BGHZ 196, 243 Rn. 23 mwN; vom 24. März 2011 - I ZR 108/09, BGHZ 189, 56 Rn. 13 mwN). Widersprüchliches Verhalten einer Partei (venire contra factum proprium) im Prozess kann rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig sein (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 1997 - X ZR 73/95, NJW 1997, 3377, 3379; Beschluss vom 30. April 2009 - III ZB 91/07, NJW-RR 2009, 1582 Rn. 8 f.).

Rechtsmissbräuchlich ist widersprüchliches Verhalten dann, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden ist oder besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (Senatsurteil vom 1. Juli 2014 - VI ZR 391/13, VersR 2014, 1226 Rn. 42 mwN; BGH, Urteile vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 33 mwN, und IV ZR 88/13, BGHZ 202, 122 Rn. 25 mwN; vom 7. Mai 2014 - IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 40 mwN; BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2010 - III ZB 100/09, BGHZ 188, 1 Rn. 17). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine Rechtsausübung etwa dann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick darauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (BGH, Urteile vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, aaO; vom 7. Mai 2014 - IV ZR 76/11, aaO; vom 4. Februar 2015 - VIII ZR 154/14, WuM 2015, 296 Rn. 25; vom 15. November 2012 - IX ZR 103/11, NJW-RR 2013, 757 Rn. 12; jeweils mwN).


(2) So liegt der Fall hier.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat die Zustimmung zum gerichtlichen Vergleichsvorschlag ausdrücklich "nach § 278 Abs. 6 ZPO" erklärt.

Er gab mithin seine Zustimmungserklärung, obschon er diese nur mündlich erklärte, ausdrücklich als Annahmeerklärung im Sinne des § 278 Abs. 6 Satz 1 Fall 2 ZPO ab. Obwohl dem Prozessbevollmächtigten das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 2. April 2014 zugestellt worden ist und die Zustimmung des Beklagten erst am 14. April 2014 zu den Akten gelangt ist, machte der Prozessbevollmächtigte den die Wirksamkeit des Vergleichs in Frage stellenden Mangel auch in der Folgezeit nicht geltend. Er ließ vielmehr den gerichtlichen Vergleich durch Beschluss vom 16. April 2014 feststellen und blieb nach Zustellung des Beschlusses am 22. April 2014 länger als drei Wochen untätig. Auch in den Schriftsätzen vom 14. Mai und 19. Juni 2014 berief sich die Klägerin nicht auf die wegen des Formverstoßes gegen § 278 Abs. 6 Satz 1 Fall 2 ZPO gegebene Unwirksamkeit des Vergleichs. Hierzu steht es objektiv in Widerspruch, wenn sich die Klägerin, die sich das Verhalten ihres Prozessbevollmächtigten nach § 85 ZPO zurechnen lassen muss, nunmehr auf den Standpunkt stellt, mangels ihrer nach Vorliegen des schriftlichen gerichtlichen Vergleichsvorschlags schriftsätzlich erklärten Zustimmung sei ein formwirksamer Prozessvergleich nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Fall 2 ZPO nicht zustande gekommen (vgl. Kontusch, NJ 2012, 474, 475).



Auch ist das Vertrauen des Beklagten auf die ausdrücklich auf Abschluss eines Prozessvergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO abzielende Erklärung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung schutzwürdig. Angesichts einer fehlenden entgegenstehenden Rechtsprechung durfte der Beklagte darauf vertrauen, dass die Klägerin nicht aufgrund eines Formmangels ihrer Zustimmungserklärung das wirksame prozessuale Zustandekommen des Vergleichs in Frage stellen würde.

cc) Der Vorrang öffentlicher Interessen oder das Gebot der Rechtssicherheit führen im Streitfall nicht zu einem Zurücktreten des Grundsatzes von Treu und Glauben (so aber - in ähnlichem Zusammenhang - OLG Hamm, NJW-RR 2012, 882, 883). Allerdings kann die Anwendbarkeit des Grundsatzes von Treu und Glauben durch das öffentliche Interesse am sicheren Ablauf des Verfahrens ausgeschlossen sein (vgl. Senatsurteil vom 18. September 1973 - VI ZR 200/72, NJW 1973, 2110, 2111 mwN; Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Aufl., § 242 Rn. 4; BeckOK BGB/Sutschet, § 242 Rn. 9 (Stand: 01.02.2015) Staudinger/ Olzen/ Looschelders, BGB, Neubearb. 2015, § 242 Rn. 1104). Im Streitfall stehen aber die schutzwürdigen Interessen des Beklagten im Vordergrund, während öffentliche Interessen nur nachrangig berührt sind. Zwar hält die Erklärung der Klägerin das Schriftsatzgebot des § 278 Abs. 6 Satz 1 Fall 2 ZPO nicht ein. Das öffentliche Interesse an der durch die Schriftform gewährleisteten Sicherheit im Hinblick auf die Abgabe und den Inhalt der Annahmeerklärung ist jedenfalls dann nicht beeinträchtigt, wenn - wie hier - sowohl der Vergleichsvorschlag des Gerichts als auch die Annahmeerklärung protokolliert, vorgespielt und von der Partei genehmigt wurden. Immerhin entspricht diese Verfahrensweise den Formvorschriften, die im Falle eines in mündlicher Verhandlung geschlossenen Vergleichs gelten (§ 160 Abs. 3 Nr. 1, § 162 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

dd) Ist der Klägerin die Berufung auf die Formunwirksamkeit des Prozessvergleichs verwehrt, kann sie mit ihrem Antrag auf Fortsetzung des Prozesses keinen Erfolg haben. Gleiches gilt für den Antrag, die prozessuale Unwirksamkeit des Vergleichs festzustellen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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