Das Verkehrslexikon

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OLG Brandenburg Beschluss vom 28.07.2015 - 1 B) 53 Ss-OWi 278/15 (149/15) - Ein anthropologisches Vergleichsgutachten ist kein standardisiertes Verfahren

OLG Brandenburg v. 28.07.2015: Ein anthropologisches Vergleichsgutachten ist kein standardisiertes Verfahren


Das OLG Brandenburg (Beschluss vom 28.07.2015 - (1 B) 53 Ss-OWi 278/15 (149/15)) hat entschieden:
Eine im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränkte Darstellung kann zwar ausreichen, wenn es sich um ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren wie das daktyloskopische Gutachten, die Blutalkoholanalyse oder die Bestimmung von Blutgruppen handelt. Ein standardisiertes Verfahren ist aber ein anthropologisches Vergleichsgutachten, bei dem anhand von Tatbildern einer Dokumentationskamera im Straßenverkehr eine bestimmte Zahl deskriptiver morphologischer Merkmale (z.B. Nasenfurche, Nasenkrümmung etc.) oder von Körpermaßen des Täters herausgearbeitet und mit den entsprechenden Merkmalen des Tatverdächtigen verglichen werden aber gerade nicht.


Siehe auch Anthropologisch-biometrisches Identitätsgutachten / morphologischer Bildvergleich und Der Beweisantrag im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren


Gründe:

I.

Die Zentrale Bußgeldstelle des Landes Brandenburg hat unter dem Datum des 2. Juni 2014 gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 33 km/h (nach Toleranzabzug) ein Bußgeld in Höhe von 170,00 Euro festgesetzt sowie ein Fahrverbot von einem Monat Dauer angeordnet. Nachdem der Betroffene gegen diesen Bußgeldbescheid form- und fristgerecht Einspruch eingelegt hatte, hat das Amtsgericht Oranienburg mit Urteil vom 12. März 2015 auf eine Geldbuße von 700,00 Euro erkannt und von der Anordnung eines Fahrverbotes abgesehen. Nach den Urteilsfeststellungen befuhr der Betroffene am 22. März 2014 mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen …., die BAB …. in Fahrtrichtung H…, wobei er fahrlässig die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 33 km/h (nach Toleranzabzug) überschritt.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er mit näheren Ausführungen die allgemeine Sachrüge erhebt. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat mit Stellungnahme vom 15. Juni 2015 beantragt wie entschieden.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthafte und gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i. V. m. § 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht angebrachte Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Die Rechtsbeschwerde hat auch mit der erhobenen Sachrüge Erfolg.

Die Urteilsgründe erweisen sich im Rahmen der Beweiswürdigung als lückenhaft.

Hierzu führt die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 15. Juni 2015 aus:
"Das Amtsgericht hat sich von der Täterschaft des Betroffenen nach eigener Prüfung auf Grund der glaubhaften und nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen Diplom-​Biologin …. überzeugt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer - wenn auch nur gedrängten - zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. BGH NStZ 2000, 106, 107).

Die Tatrichterin hat zu dem eingeholten Gutachten lediglich folgendes ausgeführt:
"Diese hat ausgeführt, dass aus dem Messfoto 54 Merkmale des Fahrers ersichtlich sind, die sich zu einer Identifizierung eignen würden. Die Sachverständige hat in der Hauptverhandlung Fotos von dem Betroffenen gefertigt und diese mit dem Messfoto verglichen. Im Ergebnis ihres Gutachtens kommt die sie zu der Schlussfolgerung, dass zwischen dem Fahrer und dem Betroffenen 37 Übereinstimmungen bestehen. Es hätten sich keinerlei Widersprüche oder Zweifel ergeben: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seien der Betroffene und der Fahrer auf dem Tatfoto dieselbe Person."
Eine derartige, im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränkte Darstellung kann zwar ausreichen, wenn es sich um ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren wie das daktyloskopische Gutachten (BGHR StPO § 261 Sachverständiger 4), die Blutalkoholanalyse (BGHSt 28, 235 f) oder die Bestimmung von Blutgruppen (BGHSt 12, 311, 314) handelt (vgl. BGHSt 39, 291, 297 ff.). Ein standardisiertes Verfahren ist aber ein anthropologisches Vergleichsgutachten, bei dem anhand von Tatbildern einer Dokumentationskamera im Straßenverkehr eine bestimmte Zahl deskriptiver morphologischer Merkmale (z.B. Nasenfurche, Nasenkrümmung etc.) oder von Körpermaßen des Täters herausgearbeitet und mit den entsprechenden Merkmalen des Tatverdächtigen verglichen werden (vgl. BGH NStZ 1991, 596), aber gerade nicht.

Um dem Senat die Überprüfung der Schlüssigkeit des Gutachtens und seines Beweiswertes zu ermöglichen, hätte zunächst dargelegt werden müssen, auf welche übereinstimmende metrische und deskriptive Körpermerkmale die Sachverständige sich bei seiner Bewertung gestützt hat (vgl. BGH NStZ 2000, 106 f; OLG Hamm StV 2010, 124 ff.; OLG Jena NStZ-​RR 2009, 116). Des Weiteren hätte es Ausführungen dazu bedurft, welche Häufigkeit hinsichtlich der jeweils übereinstimmenden Merkmale der Wahrscheinlichkeitsberechnung zugrunde gelegt und wie sie ermittelt worden ist (vgl. BGH NStZ 2000, 106 f.; OLG Hamm StV 2010, 124 ff.; OLG Jena a. a. O.). Denn diesen Angaben kommt Bedeutung bei der Beurteilung des Beweiswertes der von der Sachverständigen getroffen Wahrscheinlichkeitsaussage zu (vgl. OLG Hamm StV 2010, 124 ff.; OLG Jena a. a. O). Dem steht nicht entgegen (vgl. dazu OLG Hamm DAR 2008, 399 ff.; OLG Oldenburg a. a. O.), dass zwischen den Klassifizierungen von Einzelmerkmalen ein gleitender Übergang besteht, weswegen in der Regel keine genauen Angaben über die Häufigkeit der Merkmale in der Bevölkerung, der die zu identifizierende Person angehört, gemacht werden können (vgl. BGH NZV 2006, 160 f .) und das daher der Gutachter häufig auf Schätzungen aufgrund seiner Sachkenntnis angewiesen sein wird.

Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht.

Zudem beruht das Gutachten auf der Auswertung des in Augenschein genommenen Messfotos. Bei Identifikation des Fahrers durch ein Messfoto müssen die Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen (vgl. BGHSt 41, 376 ff.). Hierzu kann es ausreichend sein, dass in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG konkret Bezug genommen wird, wodurch das Foto zum Bestandteil der Urteilsgründe wird und vom Rechtsbeschwerdegericht dann zur Prüfung der Frage, ob es als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist, selbst in Augenschein genommen werden kann. Macht der Tatrichter von dieser Möglichkeit Gebrauch und ist das Foto zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet, so sind darüber hinausgehende Ausführungen zur Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers entbehrlich (vgl. OLG Brandenburg, NStZ-​RR 1998, 240). Denn dem Rechtsbeschwerdegericht ist damit die Möglichkeit eröffnet, aus eigener Anschauung zu beurteilen, ob die Abbildung als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist. Eine Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO kann sich unter Umständen bereits aus dem Inbegriff des Urteils ergeben, muss aber unzweifelhaft sein (vgl. OLG Hamm, NZV 1998, S. 170; OLG Hamm, NZV 2000, S. 428).

Dass das Frontfoto zum Inhalt der Urteilsurkunde gemacht worden sind, lässt sich vorliegend aus der Darlegung der richterlichen Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen nicht entnehmen. Sieht der Tatrichter - wie hier - von der Verweisung gemäß § 267 StPO ab, so genügt es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch wenn er die von ihm zur Identifizierung herangezogenen abstrakten Merkmale auflistet. Vielmehr muss er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. In diesem Fall muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität, dabei insbesondere zur Bildschärfe, enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifikationsmerkmale in ihren charakteristischen Eigenschaften so präzise beschreiben, dass dem Rechtsbeschwerdegericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise hier bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit des Fotos ermöglicht wird (vgl. BGHSt 41, S. 376 ff.; Beschlüsse des OLG Brandenburg vom 5. Mai 2004 - 1 Ss 179 B/04 30. Juli 2008 - 1 Ss (OWi) 122 B/08 - und 8. August 2008 - 1 Ss (OWi) 146 B/08 -).

Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gleichfalls nicht gerecht."
Der Senat pflichtet diesen Ausführungen bei, sie entsprechen der Sach- und Rechtslage.

Das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg war hiernach mit den getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Oranienburg zurückzuverweisen.