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OLG Naumburg Urteil vom 30.09.2015 - 12 U 58/15 - Abkommen auf die Gegenfahrbahn und Verursachung eines Auffahrunfalls

OLG Naumburg v. 30.09.2015: Abkommen auf die Gegenfahrbahn und Verursachung eines Auffahrunfalls


Das OLG Naumburg (Urteil vom 30.09.2015 - 12 U 58/15) hat entschieden:
Befindet sich ein PKW-Fahrer auf einer zweispurigen Bundesstraße mit dem Großteil seines Fahrzeuges über den langen Zeitraum von fast vier Sekunden auf der Gegenfahrbahn, um einen vor ihm fahrenden LKW zu überholen, so dass ein entgegenkommender LKW stark bis zum Stillstand bremsen muss, wobei aus diesem Grund ein hinter diesem LKW fahrender Motorradfahrer, dem die Sicht auf das Verkehrsgeschehen versperrt ist und der einen deutlich zu geringen Sicherheitsabstand einhält, auffährt, dann kommt eine Haftung des PKW-Fahrers gegenüber dem Motorradfahrer im Umfang von 60% in Betracht.


Siehe auch Begegnungsunfall und Unfälle mit Kradbeteiligung - Motorradunfälle


Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz, Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden wegen eines Verkehrsunfalls in Anspruch, der sich am 22. Juni 2009 um 06:10 Uhr auf der B ... in der Ortslage J. ereignete.

Der Kläger befuhr mit seinem Motorrad Honda RC 43 mit dem amtlichen Kennzeichen ... die B ... in Fahrtrichtung R. . Vor ihm fuhr ein Lkw mit Anhänger, geführt vom Zeugen G. . Auf der Gegenfahrbahn näherte sich die Beklagte zu 1) mit ihrem Fahrzeug Mazda 2 mit dem amtlichen Kennzeichen ..., welches bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist. Halterin des Fahrzeuges ist die Beklagte zu 1).

Die Beklagte zu 1) beabsichtigte, ein vor ihr fahrendes Silofahrzeug zu überholen und scherte zum Überholen aus. Nachdem sie den entgegenkommenden Lkw, geführt vom Zeugen G., sah, ließ sie schließlich von dem Überholvorgang ab und ordnete sich wieder nach hinten in ihre Fahrbahn ein. Der ihr entgegenkommende Lkw bremste, um eine Kollision mit der Beklagten zu 1) zu vermeiden und kam in der Folge zum Stehen. Der hinter dem Lkw fahrende Kläger kollidierte mit dem vor ihm befindlichen Lkw und wurde auf den Anhänger des Lkw geschleudert. Hierbei wurde der Kläger verletzt. Er erlitt unter anderem eine Brustwirbelkörper-​12-​Fraktur, eine Mehretagenfraktur des linken Unterschenkels, eine Tibiakopffraktur III. Grades und eine Schädelprellung, weswegen er sich vom 22. Juni bis 11. August 2009 in stationärer Behandlung befand. Zudem wurden das Motorrad und die Motorradbekleidung des Klägers beschädigt.

Der Kläger hat behauptet, er sei mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h gefahren, wobei er zu dem vorausfahrenden Lkw einen Sicherheitsabstand von ca. 30 m eingehalten habe. Zunächst hätten andere vor ihm fahrende Fahrzeuge den Lkw überholt. Dann habe er beabsichtigt, diesen zu überholen. Da er jedoch aufgrund der Beladung des Lkw nicht habe feststellen können, ob sich Fahrzeuge im Gegenverkehr befinden, sei er hinter dem Lkw geblieben, um abzuwarten. Als er gemerkt habe, dass der LKW vor ihm eine Vollbremsung eingeleitet habe, habe er sogleich auch stark gebremst. Dabei habe er gemerkt, dass das von ihm geführte Motorrad nach hinten ausbricht, so dass er die Bremse gelöst habe, um nicht die Gewalt über das Motorrad zu verlieren.

Der Kläger ist der Ansicht gewesen, dass es allein aufgrund des fehlerhaften Fahrverhaltens der Beklagten zu 1) zu der Einleitung der Gefahrenbremsung des Lkw und somit zum Unfall gekommen sei. Die Beklagte zu 1) habe verkehrswidrig einen Überholvorgang eingeleitet und dabei den Gegenverkehr gefährdet. Aufgrund seines eventuell zu geringen Sicherheitsabstandes rechne er sich eine Betriebsgefahr von 30 % an, so dass die Beklagten hinsichtlich der restlichen 70 % haften würden.

Der Kläger hat außerdem behauptet, dass es durch den Unfall zu bleibenden Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich des linken Unterschenkels und Kniegelenks gekommen sei, wobei er wegen der Einzelheiten auf das eingeholte Gutachten des Institutes für medizinische Begutachtung M. vom 16. Juni 2010 verwiesen hat. Aufgrund seiner durch den Unfall erlittenen Verletzungen und Beschwerden und des eingetretenen Dauerschadens halte er ein Schmerzensgeld in Höhe von 65.000,00 € für angemessen.

Darüber hinaus hat der Kläger behauptet, ihm seien infolge des Unfallereignisses auch materielle Schäden in Höhe von insgesamt 3.898,64 € entstanden, woraus sich unter Berücksichtigung seiner Mithaftungsquote von 30 % ein Schadensersatzanspruch von 2.729,05 € ergebe. Für ärztliche Befundberichte seien ihm Kosten in Höhe von 78,92 €, 57,63 € und 21,29 € entstanden. Außerdem seien Abschleppkosten in Höhe von 226,10 € und Abmeldekosten in Höhe von 5,60 € angefallen. Die bei dem Unfall getragene Brille sei irreparabel beschädigt worden. Für die Ersatzbeschaffung seien 598,50 € aufgewendet worden. Wegen des körperlichen Dauerschadens habe er in seiner Dusche einen Sicherheitsgriff anbringen lassen müssen, wofür Kosten in Höhe von 336,12 € entstanden seien. Den Zeitwert der bei dem Unfall beschädigten Kleidungsstücke beziffere er mit 300,00 €. Des weiteren seien Kosten in Höhe von 1.625,40 € für insgesamt 33 Fahrten (tabellarisch dargestellt in der Klageschrift [Bl. 15 f. Band I d.A.]) im Zusammenhang mit dem Unfallereignis angefallen. Dies seien zum einen Besuchsfahrten der Ehegattin während der Krankenhausbehandlung bzw. zu Polizei und Rechtsanwalt, welche an den Kläger abgetreten seien, und zum anderen weitere Fahrten, die durch den Kläger selbst durchgeführt worden seien. Schließlich macht der Kläger auch eine Kostenpauschale in Höhe von 25,00 € geltend.

Der Kläger hat außerdem die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für zukünftige Schäden begehrt, da aufgrund des eingetretenen Dauerschadens und eines noch nicht abschließend bezifferbaren Haushaltsführungsschadens weitere Schäden nicht auszuschließen seien.

Der Kläger hat beantragt,
  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 2.729,05 € nebst 5 % Zinsen seit Rechtshängigkeit sowie weitere 2.211,97 € zu zahlen,

  2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5 % Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

  3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner auch sämtliche materiellen und immateriellen Schäden des Klägers aus dem Verkehrsunfallereignis vom 22. Juni 2009 um 06:10 Uhr in der Ortslage J. in Fahrtrichtung R. in Höhe von 70 % zu zahlen haben, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben die Einrede der Verjährung erhoben. Darüber hinaus sind sie der Ansicht gewesen, dass der Kläger allein für den Auffahrunfall hafte, da er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand gemäß § 4 StVO nicht eingehalten habe oder entgegen § 3 StVO zu schnell gefahren sei und insoweit den Unfall verursacht habe.

Darüber hinaus haben die Beklagten im einzelnen die von dem Kläger geltend gemachten Schadenspositionen angegriffen. Die Beklagten sind außerdem der Ansicht gewesen, dass das Schmerzensgeld überhöht sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts der ersten Instanz wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen G. sowie den Kläger und die Beklagte zu 1) persönlich angehört. Wegen des Beweisergebnisses wird auf das Sitzungsprotokoll vom 03. Juli 2013 (Bl. 87 ff. Band I d.A.) verwiesen. Das Landgericht hat außerdem ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt, wobei wegen der Einzelheiten auf das Gutachten des Sachverständigen W. vom 15. Mai 2014, dessen ergänzende Ausführungen vom 7. September 2014 (Bl. 135 ff. Band I d.A.) und dessen mündliche Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung am 18. März 2015 (Bl. 165 ff. Band I d.A.) Bezug genommen wird.

Das Landgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 20.607,55 € nebst Zinsen und außergerichtlichen Anwaltskosten zu zahlen. Außerdem hat es festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis in Höhe von 1/3 zu zahlen haben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Ansprüche des Klägers nicht verjährt seien. Die Beklagten hafteten dem Kläger im Ergebnis der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge zu 1/3 für die Schäden des Klägers. Dieser habe den Unfall in erheblichem Maße verschuldet, ihm sei ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO anzulasten. Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen W. liege ein Anstoß des Motorrades des Klägers gegen die Heckpartie des vor ihm auf demselben Fahrstreifen befindlichen, vom Zeugen G. geführten Lkw nebst Anhänger, vor. Dies sei ein typischer Auffahrunfall, bei dem der Anschein dafür spreche, dass der Auffahrende unaufmerksam gewesen war oder zu dicht aufgefahren ist. Den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis habe der Kläger nicht erschüttert. Vielmehr sei nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen W. davon auszugehen, dass der Kläger den erforderlichen Sicherheitsabstand unter Berücksichtigung der üblichen Grundsätze für die Bemessung dieses Abstandes in erheblichem Maße nicht eingehalten bzw. nicht aufmerksam reagiert habe. Auch wenn der Kläger in seiner informatorischen Anhörung angegeben habe, dass er etwa mit einer Geschwindigkeit von 50 - 70 km/h unterwegs gewesen sei, so dass der regelmäßige Sicherheitsabstand, ausgehend von der Faustregel des halben Tachometerabstandes hier ca. 30 m betragen habe, habe der tatsächlich gefahrene Abstand zwischen dem Fahrzeug des Klägers und dem vorausfahrenden Lkw mit Anhänger weniger als 13,4 m betragen. Dies folge aus den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen W.. Dieser habe nämlich einen tatsächlichen Abstand von lediglich 6,6 m errechnet. Ein Verstoß des Klägers gegen das Sichtfahrgebot nach § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO folge auch daraus, dass dem Kläger durch das vorausfahrende Fahrzeug mit Anhänger die Sicht nach vorn versperrt gewesen sei und dass der Fahrbahnverlauf in Fahrtrichtung des Klägerfahrzeugs über eine Kuppe geführt habe, was die Sicht des Klägers auf den Gegenverkehr nochmals erschwert habe.

Demgegenüber habe die Beklagte zu 1) gegen ihre Pflichten aus § 5 Abs. 4 StVO verstoßen. Sie habe zum Überholen angesetzt und dabei den entgegenkommenden Verkehr, hier den Zeugen G. sowie den dahinter fahrenden Kläger gefährdet. Nach den auch insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen habe sich das Beklagtenfahrzeug in einer Entfernung von 141,3 m zu dem entgegenkommenden Lkw befunden, als sie den Überholvorgang eingeleitet habe. Der Zeuge G. habe durch ein sofort eingeleitetes Bremsmanöver eine Kollision mit der Beklagten zu 1) vermeiden können, gleichwohl habe diese durch ihr riskantes Fahrmanöver die Ursache für den eigentlichen Unfall gesetzt.

Unter Berücksichtigung dieser beiden Haftungsanteile, wobei das Verschulden des Klägers schwerer wiege als das der Beklagten zu 1), und der Betriebsgefahren der beiden Fahrzeuge erachte es eine Haftungsverteilung von 2/3 zu Lasten des Klägers und 1/3 zu Lasten der Beklagten für angemessen.

Der Höhe nach könne der Kläger einen Sachschaden von 607,55 € von den Beklagten ersetzt verlangen. Dem liege ein erstattungsfähiger Schadensbetrag von 1.822,66 € zugrunde, nämlich die Kosten für die Einholung ärztlicher Befundberichte in Höhe von insgesamt 157,84 €, Abschleppkosten in Höhe von 226,10 €, Abmeldekosten in Höhe von 5,60 €, Kosten für die Anbringung des Sicherheitsgriffes in der Dusche in Höhe von 336,12 €, geschätzte Kosten für den Ersatz von Kleidungsstücken in Höhe von 50,00 € und eine Kostenpauschale in Höhe von 25,00 €. Hinsichtlich der Fahrtkosten erachte das Gericht lediglich einen Betrag in Höhe von 1.022,00 € nach richterlicher Schätzung gemäß § 287 ZPO für erstattungsfähig. Trotz substantiierten Bestreitens seitens der Beklagten hinsichtlich der angegebenen Entfernungen und des fehlenden Vortrages, für welche Fahrten im Einzelnen die Kosten überhaupt angefallen seien, habe der Kläger hierauf wiederum nicht erwidert. Das Gericht erachte jedoch die angegebenen Besuchsfahrten der Ehegattin zum Kläger während der Zeit seines stationären Aufenthaltes im Krankenhaus für erstattungsfähig, da dies notwendige Heilungskosten seien. Nach Überprüfung der Entfernung der einfachen Fahrtstrecke von 146 km von B. nach D. halte das Gericht daher die 14 angegebenen Fahrten für den anderthalbmonatigen Aufenthalt des Klägers für angemessen, so dass der Kläger hierfür eine Kilometerpauschale von 0,25 € nach § 5 JVEG ansetzen könne. Die Kosten für eine beschädigte Brille in Höhe von 598,50 € seien von den Beklagten nicht zu erstatten. Die Beklagten hätten hierzu substantiiert bestritten, dass der Kläger die Brille bei dem Unfall getragen habe, dass überhaupt Kosten für die Ersatzbeschaffung angefallen seien und dass die behauptete als Ersatz beschaffte Brille dieselbe wie die verunfallte gewesen sei. Hierauf habe der Kläger nicht erwidert und keine Rechnung für die behauptete Ersatzbeschaffung vorgelegt. Der zunächst eingereichte Kostenvoranschlag sei für den Erstattungsanspruch nicht ausreichend.

Dem Kläger stehe unter Berücksichtigung der vom Kläger erlittenen Verletzungen und Beeinträchtigungen, der Dauer seines unfallbedingten stationären Aufenthaltes und seiner Arbeitsunfähigkeit sowie des eingetretenen Dauerschadens, andererseits aber auch des eigenen Haftungsanteils des Klägers von 2/3 ein Schmerzensgeld nur in Höhe von 20.000,00 € zu. Auch der Feststellungsantrag sei begründet. Das Feststellungsinteresse ergebe sich daraus, dass ein Dauerschaden verbleibe und mit weiteren Operationen und damit verbundenen weiteren Schäden - materiell und immateriell - zu rechnen sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge - mit Ausnahme kleinerer Schadensbeträge - nahezu vollständig weiterverfolgt, soweit er damit noch nicht durchgedrungen ist. Das angefochtene Urteil sei hinsichtlich der Bildung der Haftungsquote fehlerhaft, weil es ausführe, dass die Beklagte zu 1) gegen § 5 Abs. 4 StVO verstoßen habe. Vielmehr sei der Beklagten zu 1) nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein Verstoß gegen § 5 Abs. 2 StVO zur Last zu legen. Sie habe nämlich in einer Entfernung von nur 141,3 m zum Zeugen G. den Überholvorgang eingeleitet, obwohl der Zeuge G. mit dem von ihm geführten Lkw zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich für sie sichtbar gewesen sei. Des Weiteren wäre es zur Kollision zwischen dem Fahrzeug der Beklagten und dem Fahrzeug des Zeugen G. gekommen, wenn dieser keine Gefahrenbremsung bis hin zum Stillstand durchgeführt hätte. Wegen dieser fehlerhaften Feststellung des Verkehrsverstoßes seien die Verschuldensbeiträge der Parteien fehlerhaft gewichtet worden. § 5 Abs. 2 StVO bedeute äußerste Sorgfalt. Jeder geringste Zweifel, ob nicht der Gegenverkehr auch nur zur Verlangsamung veranlasst werden könnte, müsse zwangsläufig dazu führen, das Überholmanöver zu unterlassen. Der Sachverständige habe auch ausgeführt, dass bei einem rechtzeitigen Abbrechen des Überholvorganges und einem Verbleiben hinter dem der Beklagten zu 1) vorausfahrenden Sattelzug die erforderliche Abbremsung des im Gegenverkehr befindlichen Zeugen G. nicht erforderlich und vermeidbar gewesen wäre.

Demgegenüber sei ihm nur ein Verstoß gegen § 4 StVO zur Last zu legen, weil er keinen ausreichenden Abstand zum vorausfahrenden Lkw des Zeugen G. eingehalten habe. Insofern könne durch ihn nur der Unvermeidbarkeitsnachweis nicht geführt werden. Dabei wende das Landgericht fehlerhaft die Grundsätze des Anscheinsbeweises auf die hiesige Unfallkonstellation an und begründe damit auch noch ein überwiegendes Verschulden von ihm. Im Ergebnis der Beweisaufnahme handele es sich allerdings gerade nicht um eine typische Unfallkonstellation für einen Auffahrunfall. Insgesamt werde durch das Landgericht nicht ausreichend berücksichtigt, dass durch die Regelung zu § 5 Abs. 2 StVO dem Überholenden die fast ausschließliche Verantwortlichkeit für die gefahrlose Durchführung des Überholvorganges auferlegt werde, da er dafür Sorge zu tragen habe, dass jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. Die Verletzung dieser Sorgfaltspflicht begründe daher einen schwerwiegenden Verschuldensvorwurf. Dieser wiege im Vergleich zum Vorwurf der Nichteinhaltung des notwendigen Sicherheitsabstandes wesentlich schwerer. Die von ihm zugrunde gelegte Haftungsquote der Beklagten von 70 % sei daher korrekt.

Hinsichtlich der Fahrtkosten habe das Landgericht nur 1.022,00 € für unfallkausal angesehen, ohne zunächst sämtliche angebotenen Beweise zu erheben. Außerdem sei dem Landgericht eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung vorzuwerfen, soweit es ohne entsprechende Beweisaufnahme lediglich 14 Fahrten zu 292 km für die Fahrten zum Krankenhaus als erstattungsfähig erachte. Bereits mit der Klageschrift sei für die angefallenen Fahrtkosten sowohl tabellarisch aufgeführt worden, um welche Fahrtziele es sich gehandelt habe und wann diese stattgefunden hätten, als auch der Anfall der Fahrten unter den Beweis durch das Zeugnis der Ehegattin des Klägers gestellt worden sei. Es folgten keinerlei Ausführungen in dem Urteil, weshalb das angebotene Beweismittel nicht zu erheben gewesen sei. Das Landgericht habe auch nicht berücksichtigt, dass durch die Beklagten lediglich die angegebenen Entfernungen unzulässigerweise mit Nichtwissen bestritten worden seien. Der Anfall der einzelnen Fahrten sei durch die Beklagten nicht bestritten worden.

Hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Brille sei zwar durch die Beklagten mit Nichtwissen bestritten worden, dass für die Ersatzbeschaffung der Brille ein Kostenaufwand in Höhe von 655,50 € entstanden sei. Auf dieses Bestreiten sei allerdings mit Schriftsatz des Klägers vom 15. März 2013 reagiert worden und bis heute unstreitig vorgetragen worden, dass die Kosten für die Ersatzbeschaffung der Brille sich tatsächlich auf 598,50 € belaufen hätten. Nur vorsorglich werde zum Beweis für das Entstehen der Kosten die Rechnung der F. AG & Co. OHG vom 12. Oktober 2009 überreicht.

Was die vorgerichtlichen anwaltlichen Kosten angehe, sei nicht nur eine 1,3-​Geschäftsgebühr in Ansatz zu bringen, sondern eine 1,5-​Geschäftsgebühr, da es sich nicht um eine durchschnittliche, sondern vielmehr um eine überdurchschnittliche Angelegenheit handele. Dies ergebe sich nicht nur aus der Tatsache, dass der Kläger erhebliche körperliche Schäden davongetragen habe, sondern auch daraus, dass es sich nicht um eine typische Unfallkonstellation gehandelt habe, die eine anwaltliche Kommunikation auch mit der zuständigen Staatsanwaltschaft und den behandelnden Medizinern erforderlich gemacht habe.

Der Kläger beantragt:
  1. Unter Abänderung des am 02. April 2015 verkündeten Urteils des Landgerichts Dessau-Roßlau zu Az.: 4 O 880/12 werden die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger weitere 46.320,01 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit nebst weiterer vorgerichtlicher anwaltlicher Kosten in Höhe von 1.026,02 € zu zahlen.

  2. Unter Abänderung des am 02. April 2015 verkündeten Urteils des Landgerichts Dessau-Roßlau zu Az.: 4 O 880/12 wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner sämtliche materiellen und immateriellen Schäden des Klägers aus dem Unfallereignis vom 22. Juni 2009 um 06:10 Uhr in der Ortslage J. in Fahrtrichtung R. in Höhe von 70 % zu zahlen haben, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung und wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.


II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache zum Teil Erfolg.

Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Rechtsfehler (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO) und die gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen teilweise eine abweichende Beurteilung.

1. Der Kläger kann von den Beklagten die Zahlung von 26.137,39 € verlangen. Er hat gegen die beiden Beklagten als Gesamtschuldner (§ 840 BGB, § 115 Abs.1 Satz 4 VVG) wegen des Verkehrsunfalls, der sich am 22. Juni 2009 gegen 06:10 Uhr in der Ortslage J. auf der B ... ereignete, einen Anspruch auf Ersatz seiner materiellen und immateriellen Schäden zu einer Haftungsquote von 6/10 aus den straßenverkehrsrechtlichen Haftungsnormen der §§ 7 Abs.1, 17 Abs.1, 17 Abs.2, 18 Abs.1 StVG in Verbindung mit § 115 Abs.1 VVG. Die Beklagte zu 1) haftet dem Kläger aus der straßenverkehrsrechtlichen Gefährdungshaftung des § 7 Abs.1 StVG. Die Beklagte zu 2) ist dem Kläger aus dem versicherungsrechtlichen Direktanspruch des § 115 Abs.1 VVG einstandspflichtig.

Die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für eine Halterhaftung der Beklagten zu 1) sind hier aus § 7 Abs.1 StVG gegeben. Sie ist Halter des unfallbeteiligten Pkw Mazda 2 und damit grundsätzlich anspruchsverpflichtet. Der Kläger wurde durch das streitgegenständliche Unfallgeschehen als Führer des Motorrades Honda RC 43, an dem die Beklagte zu 1) beteiligt war, schwer verletzt. Zugleich sind ihm hieraus materielle Schäden erwachsen. Die Einstandspflicht der Beklagten zu 1) als Halter des Mazda 2 ist nicht nach § 7 Abs.2 StVG ausgeschlossen. Dass die Kollision für sie auf höherer Gewalt beruhte, behaupten die Beklagten schon nicht.

Auf die insoweit dem Grunde nach gegebene straßenverkehrsrechtliche Gefährdungshaftung muss sich der Kläger im Ergebnis der nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG gebotenen Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- und Verschuldensanteile sowie der Betriebsgefahren der unfallbeteiligten Fahrzeuge allerdings einen Eigenhaftungsanteil in Höhe von 4/10 anrechnen lassen. Ein schadensrechtlicher Ausgleich ist hier nach Maßgabe des § 17 Abs.1, Abs.2 StVG vorzunehmen gewesen, weil auch der Kläger seinerseits als Halter des unfallgeschädigten Motorrades Honda RC 43 für den Unfall grundsätzlich gemäß § 7 Abs.1 StVG einstandspflichtig wäre und sich der Unfall weder für den Kläger noch für die Beklagte zu 2) als ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs.3 StVG darstellte.

Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg auf einen Ausschluss seiner Halterhaftung nach § 17 Abs.3 StVG berufen. Dem steht schon entgegen, dass der Kläger selbst einen erheblichen Verkehrsverstoß begangen hat. Das Landgericht hat nach erschöpfender Beweiserhebung durch Vernehmung des Zeugen G., durch Anhörung des Klägers und der Beklagten zu 1) und durch das Gutachten des Sachverständigen W. mit überzeugender Begründung festgestellt, dass der Kläger gegen das Gebot des § 4 Abs. 1 StVO in der bis zum 31. März 2013 geltenden Fassung verstoßen hat, den erforderlichen Sicherheitsabstand zu dem vor ihm fahrenden LKW einzuhalten. Der Abstand zwischen Motorrad des Klägers und dem LKW mit Anhänger des Zeugen G. betrug im Zeitpunkt der ersten Reaktionsmöglichkeit des Klägers durch Aufleuchten der Bremsleuchten des vor ihm fahrenden LKW gerade einmal 6,6 Meter. Der in der seinerzeitigen Verkehrssituation gebotene Sicherheitsabstand hätte demgegenüber ca. 13,4 Meter betragen. Der Kläger ist der Feststellung seines Verkehrsverstoßes gemäß § 4 Abs. 1 StVO mit der Berufung auch gar nicht mehr entgegen getreten.

Ebenso wenig war der Unfall für die Beklagte zu 1) ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG. Dem steht nämlich entgegen, dass sie einen Verstoß gegen § 5 Abs. 2 StVO in der bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung begangen hat. Nicht zutreffend ist allerdings die von dem Landgericht vorgenommene Einordnung des Verhaltens der Beklagten zu 1) als Verstoß gegen § 5 Abs. 4 StVO. Soweit sich, wer zum Überholen ausscheren will, so verhalten muss, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist (§ 5 Abs. 4 Satz 1 StVO), schützt diese Vorschrift ersichtlich nur den nachfolgenden Verkehr, der bei dem hiesigen Unfallgeschehen keine Rolle spielt. Soweit beim Überholen ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern eingehalten werden muss (§ 5 Abs. 4 Satz 2 StVO), kann diese Vorschrift sowohl gegenüber dem überholten Verkehrsteilnehmer verletzt werden als auch gegenüber Fahrzeugen im Gegenverkehr. Indes ist ein unzureichender Seitenabstand, der Einfluss auf den Unfall gehabt hätte, hier nicht festzustellen. Im Ergebnis der Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen hat die Beklagte zu 1) den eingeleiteten Überholvorgang abgebrochen und ihr Fahrzeug in ihre Spur zurückgelenkt. Der seitliche Abstand zu dem LKW, den sie an sich überholen wollte, wurde daher nicht relevant. Ein problematisch geringer seitlicher Abstand zu dem von dem Zeugen G. gesteuerten entgegenkommenden LKW ist dadurch nicht entstanden, dass dieser LKW den von der Beklagten zu 1) gesteuerten PKW in einem Moment passierte, als dieser die Spur des LKW bereits - zumindest ganz überwiegend - verlassen hatte. Ebenso wenig spielen die Pflichten aus § 5 Abs. 4 Satz 3 und Satz 4 StVO für den Unfall eine Rolle, wonach der Überholende sich nach einem Überholvorgang zügig wieder rechts einzuordnen bzw. den Überholten nicht zu behindern hat.

Einschlägig ist hier vielmehr § 5 Abs. 2 Satz 1 StVO, wonach überholen nur derjenige darf, wer übersehen kann, dass während des ganzen Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. Diesen Anforderungen hat die Beklagte zu 1) nicht entsprochen. Im Ergebnis der Beweisaufnahme steht nämlich fest, dass die Beklagte zu 1) mit ihrem Fahrzeug in einer Entfernung von gerade einmal 141 Metern zu dem ihr entgegen kommenden LKW des Zeugen G. den Überholvorgang durch Ausscheren nach links hinter dem vor ihr fahrenden LKW eingeleitet hat, ihr Fahrzeug zu einem gewichtigen Teil auf die Fahrspur des Gegenverkehrs gesteuert hat und dadurch den Zeugen G. zum Abbremsen seines Fahrzeuges veranlasst hat, wobei es ohne dieses Abbremsen zu einer Kollision des LKW mit dem PKW der Beklagten zu 1) gekommen wäre. Erst in einem Abstand von weniger als 16 Metern von der Endstellung des LKW des Zeugen G. hat das Fahrzeug der Beklagten zu 1) die Spur des Gegenverkehrs wieder verlassen.

Dies folgt aus den erstinstanzlich erhobenen und im Berufungsverfahren auch nicht angegriffenen überzeugenden Beweisen, der Aussage des Zeugen G. und dem Gutachten des Sachverständigen W..

Liegen die Voraussetzungen eines Haftungsausschlusses nach § 17 Abs.3 StVG für beide Seiten somit nicht vor, hat gemäß § 17 Abs.1, Abs.2 StVG eine Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- und Verschuldensbeiträge stattzufinden. Die Abwägung ist dabei aufgrund aller festgestellten Umstände des Einzelfalles vorzunehmen, wobei in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang ist, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden stellt einen weiteren, in die Abwägung einzustellender Faktor dar, wobei nach ständiger Rechtsprechung allerdings nur solche Umstände zu berücksichtigen sind, die zugestanden, unstreitig oder nach § 286 ZPO bewiesen und darüber hinaus nachweislich schadensursächlich geworden sind (vgl. BGH NJW 2000, 3069; OLG Saarbrücken NZV 2009, 556; OLG Zweibrücken SP 2009, 175; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42.Aufl., § 17 StVG Rdn.4, 5 m.w.N.).

Entgegen der Bewertung des Landgerichts rechtfertigen die beiderseitigen Verkehrsverstöße keine Haftungsquote von 2/3 zu Lasten des Klägers, sondern vielmehr eine Haftung der Beklagten zu 6/10. Eine Haftung der Beklagten nur mit einem Drittel würde bedeuten, dass sie trotz eines fraglos bewiesenen Verkehrsverstoßes nur mit unwesentlich mehr als mit der von ihnen ohnehin zu tragenden Betriebsgefahr des von der Beklagten zu 1) gesteuerten Fahrzeuges haften würden. Stattdessen ist zu Lasten der Beklagten in die Abwägung einzustellen, dass das Unfallgeschehen gerade durch das Verhalten der Beklagten zu 1) ausgelöst worden ist. Dieses Verhalten hat das Landgericht überdies zutreffend als riskantes Fahrmanöver bewertet. Zwar mag es sich für den Führer eines hinter einem LKW fahrenden PKW erforderlich machen, angesichts einer geraden Fahrstrecke zu klären, ob der LKW überholt werden kann, und zu diesem Zweck für einen kurzen Moment gerade so weit links zu fahren, dass der Gegenverkehr - vorbei an dem zu überholenden LKW - überblickt werden kann. Die Beklagte zu 1) hat sich jedoch darauf nicht beschränkt. Stattdessen ist sie schon nach eigenen Angaben mit ihrem Fahrzeug jedenfalls so weit auf die Gegenfahrbahn ausgeschert, dass sich der Wagen mit seiner Mitte schon auf der Mittellinie befunden hat. Die überzeugende Aussage des Zeugen G. zugrunde gelegt, war der Wagen der Beklagten zu 1) sogar schon auf der Fahrbahn des Zeugen, als dieser sich zum Bremsen veranlasst sah. Die besondere Gefährlichkeit dieses Verhaltens zeigt sich daran, dass die Beklagte zu 1) zu einem Überholmanöver ausgeschert ist, obwohl ein LKW, also ein Fahrzeug mit einer nicht nur geringen Länge, zu überholen war und obwohl sie nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen W. in seinem Gutachten vom 15. April 2014 sofort erkannt haben muss, dass sich im Gegenverkehr ein LKW nähert. Da dieser nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen gerade einmal 141 Meter entfernt gewesen ist, war es erkennbar ausgeschlossen, den Überholvorgang überhaupt durchzuführen, schon gar nicht auf eine Weise, die eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließt. Trotzdem hat sich das Fahrzeug der Beklagten zu 1) über einen vergleichsweise langen Zeitraum von 3,7 Sekunden (vgl. die von dem Sachverständigen skizzierten Einlaufbewegungen der Beteiligten) zumindest teilweise auf der Gegenspur befunden. Erst eine Sekunde vor dem Erreichen der Endstellung des LKW des Zeugen G. und weniger als 15,9 Meter von diesem LKW entfernt hat die Beklagte zu 1) die Gegenspur ganz überwiegend wieder verlassen. Insbesondere die von dem Sachverständigen W. vorgelegten Simulationsvideos (Videos 7 bis 10) - jeweils aus Sicht des Zeugen G. und der Beklagten zu 1) - zeigen sehr deutlich, dass es trotz des Bremsmanövers des Zeugen G. nur sehr knapp zu keiner Kollision gekommen ist.

Überdies ist zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen, dass die Beklagte zu 1) gegen eine Verkehrsregel verstoßen hat, die die Einhaltung des höchsten Sorgfaltsmaßstabes erfordert. Jede Behinderung des Gegenverkehrs muss während des gesamten Überholvorganges ausgeschlossen sein. Dem hat die Beklagte zu 1) nun gar nicht entsprochen.

Demgegenüber fällt ein Verstoß des Klägers gegen das Gebot aus § 4 Abs. 1 StVO, den erforderlichen Sicherheitsabstand einzuhalten, grundsätzlich deutlich weniger ins Gewicht. Indes ist hier zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen, dass der gebotene Sicherheitsabstand immerhin um die Hälfte verkürzt war und dass dem Kläger überdies durch die Aufbauten des vor ihm fahrenden LKW mit Anhänger die Sicht auf das Verkehrsgeschehen davor verwehrt war. Dies hat die Reaktionsmöglichkeiten des Klägers auf ein unerwartetes Verkehrsgeschehen vor ihm offenkundig deutlich verkürzt. Er konnte nämlich erst auf ein Aufleuchten der Bremsleuchten des vor ihm fahrenden LKW seinerseits bremsen. Dies hätte es geboten, in besonderem Maße einen zureichenden Sicherheitsabstand einzuhalten, der ein gefahrloses Abbremsen hinter dem LKW-​Gespann ermöglicht. Ein Abstand von wenig mehr als sechs Metern ist hierfür viel zu gering gewesen, zumal bei regennasser Fahrbahn. Letztlich rechtfertigen diese Umstände in der Gesamtschau eine im geringen Umfange überwiegende Haftung der Beklagten, nämlich zu einer Quote von 6/10.

Der Höhe nach kann der Kläger den Ersatz materieller Schäden von 1.137,39 € verlangen.

Außer Streit sind im Berufungsverfahren Schadenspositionen im Umfang von 480,39 € nach Berücksichtigung einer Haftung der Beklagten zu 60 %. Dem liegen zugrunde die Kosten ärztlicher Befundberichte von 157,84 €, Abschleppkosten von 226,10 €, Abmeldekosten von 5,60 €, Kosten eines Sicherheitsgriff für die Dusche von 336,12 €, Kosten des Ersatzes von Kleidungsstücken von 50,00 € und eine Kostenpauschale von 25,00 €.

Die Kosten einer Brille, zuletzt geltend gemacht in Höhe von 598,50 €, hat das Landgericht demgegenüber zutreffend nicht zugesprochen. Auf das substantiierte Bestreiten der Beklagten, dass der Kläger die Brille bei dem Unfall getragen habe, immerhin finde sich hierzu nichts in der amtlichen Ermittlungsakte, hat der Kläger Beweis nur durch seine Parteivernehmung angeboten. Die Voraussetzungen einer Parteivernehmung des Beweisführers nach § 447 ZPO liegen allerdings nicht vor. Die Beklagten haben ihr Einverständnis mit einer solchen Vernehmung nicht erklärt. Das Landgericht war auch nicht verpflichtet, auf eine ausdrückliche Erklärung des Prozessgegners zu dem Antrag nach § 447 ZPO hinzuwirken (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 30. Aufl., Rdn. 2 zu § 447 ZPO). Ebenso wenig kam eine Parteivernehmung gemäß § 448 ZPO von Amts wegen in Betracht. Der erforderliche Anbeweis war nämlich nicht erbracht. Die Parteivernehmung darf von Amts wegen nur angeordnet werden, wenn aufgrund einer vorausgegangenen Beweisaufnahme oder des sonstigen Verhandlungsinhalts wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache spricht, so dass bereits "einiger Beweis" erbracht ist und das Gericht durch die Parteivernehmung die Ausräumung seiner letzten Zweifel erwartet (BGH, NJW 1994, 320; Greger, in: Zöller, ZPO, 30. Aufl., Rdn. 4a zu § 448 ZPO; Huber, in: Musielak, ZPO, 11. Aufl., Rdn. 3 zu § 448 ZPO). Hier ist nicht bereits einiger Beweis erbracht. Auf der Grundlage des vorgelegten Kostenvoranschlages der Fa. F. vom 30. Juni 2009 kann nicht mehr festgestellt werden, als dass sich der Kläger in einer gewissen zeitlichen Nähe zum dem Unfall am 22. Juni 2009 über die Kosten einer bestimmten Brille informiert hat. Daraus ist nicht bereits die Überzeugung von der Behauptung des Klägers zu gewinnen, er habe eine entsprechende Brille während des Unfalls getragen, so dass es nur noch der Parteivernehmung des Klägers bedarf, um letzte Zweifel auszuräumen. Im Gegenteil, die vorgelegte Rechnung der Fa. F. vom 12. Oktober 2009, mithin fast vier Monate nach dem Unfall, deutet eher darauf, dass der Kläger keine Eile hatte, eine bei dem Unfall beschädigte Brille zu ersetzen. Dies wiederum spricht dagegen, dass es sich hier um eine praktisch täglich benötigte und daher auch regelmäßig getragene Brille handelt, was gegebenenfalls den Schluss auf den erforderlichen Anbeweis zugelassen hätte. Soweit sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 30. September 2015 - er ist dabei ohne Brille erschienen - hierzu persönlich erklärt hat, vermag der Senat aus seinen Angaben, dass er eine Brille aufgehabt habe, die er unter anderem zum Autofahren getragen habe, nicht zu seiner Überzeugung den erforderlichen Anbeweis zu folgern.

Den Ersatz von Fahrtkosten der Ehefrau kann der Kläger nur in Höhe von 657,00 € - nach Berücksichtigung einer Haftung der Beklagten zu 60 % - verlangen. Nicht zu überprüfen hat der Senat, dass das Landgericht als notwendige Heilungskosten die Kosten von 14 Fahrten der Ehefrau des Klägers in der Zeit vom 23. Juni 2009 bis zum 8. August 2009 zu dem Klinikum in D., in das der Kläger vom 22. Juni 2009 bis zum 11. August 2009 stationär aufgenommen worden war, mit einem Betrag in Höhe von 1.022,00 € (14 Besuchsfahrten von 292 km zu je 0,25 € pro km) geschätzt hat. Allerdings hat das Landgericht übersehen, dass tatsächlich 15 Fahrten der gleichen Art geltend gemacht worden sind. Insofern sind entsprechend der nachvollziehbaren Schätzung des Landgerichts weitere 73,00 € anzuerkennen.

Was die weiteren mit der Klage in tabellarischer Form (Bl. 15 f. Band I d.A.) geltend gemachten Kosten von Fahrten der Ehefrau des Klägers angeht, hat diese das Landgericht zu Recht nicht zuerkannt. Zutreffend hätte es schon für die Schlüssigkeit der Klage der Darlegung bedurft, für welche Fahrten im einzelnen die Kosten überhaupt angefallen sind. Erst wenn konkret vorgetragen worden wäre, welchen Zwecken die Fahrten gedient haben, hätte beurteilt werden können, ob die durch sie verursachten Kosten als Heilungskosten einzuordnen wären und daher ersatzfähig sind. Dies gilt um so mehr, als der Kläger offenbar davon ausgeht, dass den Fahrtkosten zum Teil eigene Ansprüche und zum Teil Ansprüche seiner Ehefrau, die nach seiner Behauptung an ihn abgetreten sind, zugrunde liegen, ohne allerdings die Fahrten dem einen oder dem anderen Anspruchsinhaber zuzuordnen. Zwar hat es das Landgericht versäumt, den Kläger vor einer Entscheidung auf die Unzulänglichkeit seines Vortrages hinzuweisen. Dieser Fehler bleibt aber ohne Folgen, weil der Kläger den erforderlichen Vortrag nicht einmal mit der Berufungsbegründung nachgeholt hat, obwohl er in dem angefochtenen Urteil auf das Defizit seines Vortrages erkennbar hingewiesen worden ist.

Der Kläger kann außerdem ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 € verlangen. Im Unterschied zum Ersatz materiellen Schadens ist bei der Bemessung des Schmerzensgeldes das Mitverschulden des Verletzten nicht etwa in der Weise zu berücksichtigen, dass zunächst ein Schmerzensgeld ermittelt wird, wie es ohne das Mitverschulden des Verletzten angemessen wäre, und sodann eine der Mitverschuldensquote entsprechende Kürzung erfolgt. Vielmehr stellt das Mitverschulden bei der Festsetzung des Schmerzensgeldes lediglich ein Bemessungselement neben anderen dar, wobei sich die einzelnen Bemessungselemente je nach den konkreten Umständen des Einzelfalles unterschiedlich auswirken können (vgl. BGH, NZV 1991, 305; OLG Brandenburg, MDR 2009, 1274; OLG Zweibrücken, NJW-​RR 2014, 33). Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist in erster Linie dessen Ausgleichsfunktion zu berücksichtigen. Dabei kommt es auf die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung an. Maßgeblich sind Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden, Entstellungen und psychischen Beeinträchtigungen, wobei Leiden und Schmerzen wiederum durch die Art der Primärverletzung, die Zahl und Schwere der Operationen, die Dauer der stationären und der ambulanten Heilbehandlungen, den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit und die Höhe des Dauerschadens bestimmt werden. Zu berücksichtigen ist - wie ausgeführt - auch ein etwaiges Mitwirken des Verschuldens des Verletzten (z.B. OLG Brandenburg, MDR 2009, 1274).

Das Landgericht ist in der Summe unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände unter Einschluss eines Mitverschuldens des Geschädigten, das es mit 2/3 bemessen hatte, und in Abwägung mit vergleichbaren Fällen aus der Rechtsprechung zu einem aus seiner Sicht angemessenen Schmerzensgeld in Höhe von 20.000,00 € gelangt. Der Senat teilt die Einschätzung des Landgerichts nach eigener Würdigung der von dem Landgericht umfassend herangezogenen Argumente, soweit ein Mitverschulden des Klägers von 2/3 zugrunde zu legen wäre . Der Kläger greift die Bemessung des Schmerzensgeldes auch nur noch insofern an, als er wegen der erhöhten Haftungsquote der Beklagten weiterhin auch ein höheres Schmerzensgeld fordert. Indes kann die dargestellte Minderung der Mithaftungsquote des Klägers von 2/3 (gemäß landgerichtlichem Urteil) auf 4/10 nicht zu einem linear auf 36.000,00 € erhöhten Schmerzensgeld führen. Vielmehr rechtfertigt sich unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände unter Einschluss eines das Mitverschulden des Klägers nicht erheblich überwiegenden Verschuldens der Beklagten zu 1) nach der Überzeugung des Senats ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 €. Maßgeblich sind dabei neben dem Maß des Mitverschuldens vor allem folgende, von dem Landgericht festgestellte gewichtige Umstände: Der Kläger erlitt unfallbedingt einen Unterschenkelmehretagenbruch links, einen Schienbeinkopftrümmerbruch links, einen Polbruch der linken Kniescheibe, ein Kompartmentsyndrom des linken Unterschenkels, einen Stauchungsbruch des 12. Brustwirbelkörpers und eine Schädel-​Hirn-​Verletzung mit geringgradiger Hirnblutung. Deretwegen befand sich der Kläger vom 22. Juni 2009 bis zum 11. August 2009 in stationärer Behandlung. Diese Verletzungen haben zu einem Dauerschaden in Form von bleibenden Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich des linken Unterschenkels und Kniegelenk geführt. Dadurch ist eine dauerhafte Erwerbsminderung um 30 % eingetreten. Aufgrund der verletzungsbedingten Schädigung des Kniegelenks ist mit der Notwendigkeit eines Gelenkflächenersatzes bzw. einer Kniegelenkstotalprothese zu rechnen.

2. Der Kläger kann außerdem Prozesszinsen gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB ab dem 9. Januar 2013 in gesetzlicher Höhe verlangen, also 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz, wie zuletzt mit der Berufung noch beantragt.

3. Die zuerkannte Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Allerdings ergibt sich folgerichtig eine von 1/3 auf 6/10 erhöhte Haftungsquote.

4. Der Kläger kann infolge der zu Lasten der Beklagten erhöhten Haftungsquote statt der erstinstanzlich zuerkannten Anwaltskosten von 1.185,95 € nunmehr 1.373,14 € verlangen. Bei einem Gebührenstreitwert bis 30.000,00 € fällt eine 1,3-​Geschäftsgebühr gemäß 2300 VV RVG in Höhe von 1.121,90 € an. Zutreffend - wenn auch ohne Begründung - hat das Landgericht keine 1,5-​Geschäftsgebühr zuerkannt. Gemäß 2300 VV RVG kann eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Die von dem Kläger vorgebrachten Gründe tragen eine solche Einordnung nicht. Der Umstand, dass neben materiellen Schäden auch immaterielle Schäden entstanden sind, zu deren Bezifferung die Einholung von Befundberichten sowie deren Auswertung erforderlich war, bedeutet nicht, dass der Fall einen größerem Umfang besitzt und schwieriger ist. Ebenso wenig lassen der Eintritt von Dauerschäden und das aus Sicht des Klägers daraus abgeleitete besondere Interesse an der Regulierung nicht darauf schließen, dass die außergerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwaltes schwierig oder umfangreich war. Gleiches gilt für die nach Verkehrsunfällen häufig erforderliche Kommunikation des Rechtsanwalts mit Staatsanwaltschaft und behandelnden Ärzten. Vielmehr kann ein einfacher Verkehrsunfall, dessen Abwicklung in erster Linie materielle Schäden an dem Kraftfahrzeug zum Gegenstand hat, eher als unterdurchschnittlich schwierig und umfangreich bewertet werden. Kommen dann Besonderheiten hinzu, etwa größere gesundheitliche Schäden bis hin zum Dauerschaden, wie von dem Kläger hier geltend gemacht, liegt darin eher ein durchschnittlich umfangreicher und schwieriger Fall für die Tätigkeit des Rechtsanwalts. Hinzuzusetzen ist eine Auslagenpauschale nach 7002 VV RVG von 20,00 €, die Auslagen für Akteneinsicht in Höhe von 12,00 € und die Umsatzsteuer in Höhe von 219,24 €, so dass sich Anwaltsgebühren in Höhe von 1.373,14 € ergeben.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Entscheidung über die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vor.