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Amtsgericht Berlin-Mitte Urteil vom 30.10.2014 - 13 C 3119/13 - Behandlung der Umsatzsteuer bei fiktiver Schadensabrechnung

AG Berlin-Mitte v. 30.10.2014: Behandlung der Umsatzsteuer bei fiktiver Schadensabrechnung


Das Amtsgericht Berlin-Mitte (Urteil vom 30.10.2014 - 13 C 3119/13) hat entschieden:
Verzichtet der Geschädigte auf eine Ersatzbeschaffung und fällt deshalb tatsächlich keine Umsatzsteuer an, ist eine solche im Rahmen einer fiktiven Schadensabrechnung auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens nach § 249 Abs. 2 S. 2 BGB nicht ersatzfähig, weil diese Vorschrift insoweit die Dispositionsfreiheit des Geschädigten begrenzt. Von dem im Gutachten angegebenen Bruttowiederbeschaffungswert ist die darin enthaltene Umsatzsteuer abzuziehen.


Siehe auch Totalschaden und Umsatzsteuerersatz - Differenzbesteuerung und Der Ersatz der unfallbedingten Umsatzsteuer


Tatbestand:

Der als Kraftfahrzeughändler vorsteuerabzugsberechtigte und vorsteuerabzugsverpflichtete Kläger begehrt als Eigentümer eines ... von dem Beklagten zu 1) als Fahrer sowie der Beklagten zu 2) als Haftpflichtversicherer des unfallgegnerischen Kraftfahrzeuges ... weiteren Schadensersatz auf der Grundlage einer Haftungsquote von 100 % in Höhe von weiteren etwa 2.600,00 € im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall am 12.12.2012 auf der Kreuzung der ..., wobei sich die Parteien in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einig sind, dass die Beklagten dem Grunde nach zu 100 % für die Unfallfolgen einzustehen haben.

Die Parteien streiten jedoch über die zutreffende Abrechnung des Schadenfalls, weil der Kläger zum einen das Fahrzeug (im Rahmen seines Erwerbsgeschäfts) bereits etwa vier Monate nach dem Unfall weiter verkauft hat, und zum anderen die Parteien auf der Grundlage der jeweils von ihnen eingeholten Privatgutachten darüber streiten, wie hoch der Wiederbeschaffungswert und Restwert des klägerischen Fahrzeuges ist, wobei die Parteien auch darüber streiten, in welcher Höhe jeweils Mehrwertsteuer in den entsprechenden Beträgen enthalten ist, und wie diese zu verrechnen ist.

Jedenfalls sind durch den Unfall an dem klägerischen Fahrzeug fiktive Reparaturkosten in Höhe von 9.312,65 € eingetreten und ein Wertverlust in Höhe von 572,21 € ist durch den Unfall bedingt. Auf diesen Gesamtschaden in Höhe von 9.884,86 € leistete die Beklagte zu 2) vorprozessual 7.260,50 € mit der Folge, dass der Kläger im vorliegenden Fall die Zahlung weiterer 2.624,36 € auf den Sachschaden begehrt.

Der Kläger beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 2.624,36 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-​Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.03.2013 zu zahlen und

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, den Kläger von 100,10 € an weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten seiner Prozessbevollmächtigten freizustellen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat auf der Grundlage der Beweisbeschlüsse vom 14.11.2013 und 28.04.2014 (Band I Bl. 88, 235 d. A.) ein Sachverständigengutachten zu dem Wiederbeschaffungswert und dem Restwert und den darin enthaltenen Mehrwertsteueranteilen des klägerischen Fahrzeuges des Sachverständigen ... vom 07.03.2014 (Aktenrücken) sowie eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen vom 10.07.2014 (Band I Blatt 245 d. A.) eingeholt.


Entscheidungsgründe:

Die auf §§ 7, 18 StVG; 115 VVG gestützte Klage ist in voller Höhe von 2.624,36 € begründet.

Dabei ist das Gericht aufgrund der Parteiherrschaft weder gehalten noch befugt, die Haftung für die Folgen des Verkehrsunfalls dem Grunde nach zu untersuchen, weil die Parteien in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht sich darüber einig sind, dass die Beklagten zu 100 % für die Unfallfolgen einzustehen haben.

Auf der Grundlage einer 100 %igen Haftung der Beklagten ergibt sich allerdings ein Restanspruch des Klägers in Höhe von 2.652,15 €, so dass der mit der Klage geltend gemachte weitere Betrag von 2.624,36 € jedenfalls begründet ist.

Das Gericht geht nämlich auf der Grundlage des eingeholten Sachverständigengutachtens des Sachverständigen ... von einem Wiederbeschaffungswert des klägerischen Fahrzeuges in Höhe von 15.795,00 € netto sowie von einem Restwert in Höhe von 5.882,35 € netto mit der Folge aus, dass dem Kläger insoweit ein Schadenersatzanspruch in Höhe von 9.912,65 € zusteht, auf den die Beklagte zu 2) vorprozessual 7.260,50 € leistete mit der Folge, dass an sich ein Restanspruch in Höhe von 2.652,15 € verbleibt:

Wiederbeschaffungswert netto 15.795,00 €
abzgl. Restwert netto ./. 5.882,35 €
Wiederbeschaffungsaufwand 9.912,65 €
abzgl. Zahlung der Beklagten zu 2. ./. 7.260,50 €
Restanspruch des Klägers 2.652,15 €


Das Gericht ist im Rahmen seiner Schadensschätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO davon überzeugt, dass der genannte Wiederbeschaffungswert von 15.795,00 € netto sowie der genannte Restwert von 5.882,35 € netto der Schadensberechnung zugrunde zu legen ist.

Diese beiden Werte beruhen auf den nachvollziehbaren, detailreichen, widerspruchsfreien, überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ... im Rahmen seines schriftlichen Gutachtens vom 07.03.2014 (Aktenrücken) sowie seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10.07.2014 (Band I Bl. 245 d. A.).

Der Sachverständige hat im Einzelnen ausgeführt, wie er die dargelegten Beträge selbst und auch die Umstände ermittelt hat, aus welchen davon auszugehen ist, dass in dem Wiederbeschaffungswert zum ganz überwiegenden Teil lediglich ein Differenzsteueranteil enthalten ist, während in dem Restwert zum ebenfalls ganz überwiegenden Teil der volle Mehrwertsteueranteil von 19 % enthalten ist.

Das Gericht hat das Gutachten und die ergänzende Stellungnahme auch im Hinblick auf die Einwendungen der Parteien eingehend geprüft, es für überzeugend erachtet und es sich deswegen zu eigen gemacht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird deswegen auf das Gutachten selbst sowie auf die ergänzende Stellungnahme Bezug genommen.

Auf dieser Grundlage sind die vom Sachverständigen ermittelten Nettowerte hinsichtlich des Wiederbeschaffungswertes von 15.795,00 € und des Restwertes von 5.882,35 € in die Berechnung der Schadenshöhe einzustellen, weil zum einen ein Geschädigter im Rahmen einer fiktiven Abrechnung auch bei der Abrechnung nach dem Wiederbeschaffungsaufwand lediglich den Nettowiederbeschaffungswert ersetzt verlangen kann, und andererseits der vorsteuerabzugsberechtigte und vorsteuerabzugsverpflichtete Kläger als Kraftfahrzeughändler die in den vom Sachverständigen ermittelten Restwert enthaltene Mehrwertsteuer von 19 % direkt an das Finanzamt abführen muss mit der Folge, dass lediglich der Nettobetrag des Restwertes von dem Schadenersatzanspruch des Klägers im Hinblick auf den Wiederbeschaffungswert seines Fahrzeuges in Abzug zu bringen ist.

Die Mehrwertsteuer ist dabei unabhängig von der Frage aus dem vom Sachverständigen festgestellten Wiederbeschaffungswert herauszurechnen, dass der Kläger vorsteuerabzugsberechtigt ist. Denn gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB kann die nicht angefallene Mehrwertsteuer nicht ersetzt verlangt werden, denn der Kläger hat nicht dargelegt, dass er tatsächlich ein Ersatzfahrzeug angeschafft hat. Der angegebene Mehrwertsteueranteil des Wiederbeschaffungswert ist also tatsächlich nicht angefallen.

Will der Geschädigte seinen Schaden fiktiv auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens abrechnen, ist von einem dort angegebenen Bruttowiederbeschaffungswert eine darin enthaltene Umsatzsteuer abzuziehen. Hierfür hat der Tatrichter zu klären, ob solche Fahrzeuge üblicherweise auf dem Gebrauchtwagenmarkt nach § 10 UStG regelbesteuert oder nach § 25a UStG differenzbesteuert oder von privat und damit umsatzsteuerfrei erworben werden können, wobei er diese Feststellung im Rahmen einer Schätzung nach § 287 ZPO treffen kann. Im Rahmen der gebotenen "subjektbezogenen Schadensbetrachtung” kann es dem Geschädigten zwar nicht zum Nachteil gereichen, wenn er bei der konkreten Ersatzbeschaffung auf dem Gebrauchtwagenmarkt von den umsatzsteuerrechtlich möglichen, verschiedenen Erwerbsmöglichkeiten nicht gerade diejenige realisiert, die der Sachverständige als die statistisch wahrscheinlichste bezeichnet hat. Erwirbt der Geschädigte tatsächlich ein Ersatzfahrzeug zu einem Preis, der dem in einem Sachverständigengutachten ausgewiesenen Bruttowiederbeschaffungswert des unfallbeschädigten Kraftfahrzeuges entspricht oder diesen übersteigt, kann er im Wege konkreter Schadensabrechnung die Kosten der Ersatzbeschaffung bis zur Höhe des Bruttowiederbeschaffungswertes des unfallbeschädigten Kraftfahrzeuges - unter Abzug des Restwertes - ersetzt verlangen. Auf die Frage, ob und in welcher Höhe dem im Gutachten ausgewiesenen Bruttowiederbeschaffungswert Umsatzsteuer enthalten ist, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.

Verzichtet der Geschädigte - wie hier - allerdings auf eine Ersatzbeschaffung und fällt tatsächlich keine Umsatzsteuer an, dann ist eine solche im Rahmen einer fiktiven Schadensabrechnung auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens nach § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht ersatzfähig, weil diese Vorschrift insoweit die Dispositionsfreiheit des Geschädigten begrenzt (BGH, Urteil vom 09.05.2006, Az.: VI ZR 225/05, NJW 2006, 2181 - 2182, zitiert nach Juris).

Der Kläger hat nicht dargelegt, dass er tatsächlich ein Ersatzfahrzeug angeschafft hat, weswegen der entsprechende Mehrwertsteueranteil aus dem Wiederbeschaffungswert herauszurechnen ist.

Als Nebenanspruch steht dem Kläger die Freistellung von dem Gebührenanspruch des Klägervertreters zu, der durch die vom Klägervertreter vorgenommene Schadensabwicklung und seine vorprozessuale, an die Beklagte zu 2. gerichtete Zahlungsaufforderungen in Höhe von 703,80 € netto entstanden sind [1,3 Geschäftsgebühr zuzüglich Nebenkosten aus einem (berechtigten) Streitwert von etwa 11.000,00 €]. Weil die Beklagten auf diese Summe vorprozessual bereits 603,10 € zahlten, ist der geltend gemachte Restanspruch in Höhe von 100,10 € netto begründet.

Mit dem Schreiben des Klägervertreters vom 19.02.2013 (Anlage K7; Bl. 63 d.A.) ist die Beklagte zu 2. erfolglos zur Zahlung des im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Restbetrages bis zum 28.02.2014 aufgefordert worden, weswegen sie am Folgetag in Zahlungsverzug geraten ist und dem Kläger der geltend gemachte Zinsanspruch gemäß den §§ 286, 288 BGB zusteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.



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