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OLG Celle Urteil vom 13.07.2006 - 11 U 254/05 - Wesentliches Auseinanderfallen von Herstellungsdatum und Erstzulassung eines Vorführwagens

OLG Celle v. 13.07.2006: Wesentliches Auseinanderfallen von Herstellungsdatum und Erstzulassung eines Vorführwagens


Das OLG Celle (Urteil vom 13.07.2006 - 11 U 254/05) hat entschieden:
Bei einem Gebrauchtwagenkauf kann das wesentliche Auseinanderfallen von Produktionsdatum und Erstzulassung einen Sachmangel im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB begründen (Anschluss an OLG Celle, 26. Februar 1998, 7 U 58/97, OLGR Celle 1998, 160 und OLG Karlsruhe, 26. Mai 2004, 1 U 10/04, NJW 2004, 2456).


Siehe auch Zeitablauf zwischen Herstellung und Zulassung des Fahrzeugs und Autokauf - Gewährleistung und Garantie beim Neuwagenkauf


Gründe:

Die Parteien streiten um die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über einen Citroen Xsara 1,6 SX vom 3./8. November 2004.

Der Kläger kaufte das streitgegenständliche Fahrzeug für 11.400 € als Gebrauchtwagen. Das Fahrzeug, welches ursprünglich bei einem Citroen-Vertragshändler als Vorführwagen gedient hatte, hatte einen Kilometerstand von lediglich 10 km. Es hatte deshalb auch, so jedenfalls die Zeugenaussage des Ehemanns der Beklagten, einen so günstigen Preis (mindestens 7.000 € unter Neupreis; Bl. 57 d. A.).

Wegen verschiedener streitiger Sachmängel - ob diese tatsächlich vorliegen und dem Beklagten insoweit Gelegenheit zur Nachbesserung eingeräumt wurde, ist vom Landgericht nicht aufgeklärt worden - begehrt der Kläger die Rückabwicklung des Kaufvertrages. Dabei hat er sich hilfsweise auch auf sein vorprozessuales Schreiben vom 1. April 2005 bezogen, mit dem er die Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung erklärt hatte (Bl. 25 f. d. A.). In diesem Schreiben heißt es auszugsweise:
„Unabhängig hiervon hat unser Mandant nunmehr darüber hinaus feststellen müssen, dass das Fahrzeug bereits im Februar 2002 gebaut worden ist. Aus dem von der CC-Bank übersandten Fahrzeug-Brief ergibt sich des Weiteren, dass das Fahrzeug über einen Zeitraum von 3 Monaten auf Citroen zugelassen worden ist. Hiervon hat Ihre Auftraggeberin jedoch kein Wort erwähnt. Im Gegenteil: Ihre Auftraggeberin hat nachweislich erklärt, dass es sich bei dem Pkw um eine Tageszulassung handeln würde.“
Das Landgericht hat der Klage, abgesehen davon, dass es eine höhere Nutzungsentschädigung, als vom Kläger eingeräumt, abgesetzt hat, stattgegeben. Das streitgegenständliche Fahrzeug habe nicht die vereinbarte Beschaffenheit aufgewiesen (§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB). Anders als bei einem Neuwagen könne der Käufer eines Gebrauchtwagens mangels näherer Angaben zwar nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass das Fahrzeug sofort nach der Herstellung vom Straßenverkehr zugelassen worden sei. Er dürfe aber grundsätzlich darauf vertrauen, dass zwischen Herstellung und Erstzulassung ein relativ überschaubarer Zeitraum liege. Auch wenn die Angabe des Baujahres im Kfz-Brief nicht mehr vorgenommen werde, ändere dies nichts daran, dass nach der Verkehrsanschauung das Baujahr eine kaufentscheidende Rolle spiele. Der Käufer eines Gebrauchtfahrzeuges könne deshalb ebenfalls grundsätzlich davon ausgehen, dass das Produktionsdatum des Fahrzeugs einigermaßen zeitnah zur Erstzulassung liege (OLGR Celle 1998, 160 und OLG Karlsruhe, NJW 2004, 2456). Demgegenüber hätten hier etwa zwei Jahre zwischen dem Produktionszeitpunkt und der Erstzulassung gelegen. Der Kläger habe somit einen Anspruch auf Rückgängigmachung des Kaufvertrages.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie macht geltend, der vorliegende Sachverhalt sei mit demjenigen, über den das OLG Karlsruhe entschieden habe, nicht zu vergleichen, weil es dort um eine arglistige Täuschung gegangen sei. Im Übrigen habe der Kläger niemals erklärt, dass es für ihn kaufentscheidend gewesen sei, dass das Herstellungsdatum des Fahrzeugs nicht vom Zulassungsdatum erheblich abweichen dürfe. Auch der als Zeugin vernommenen Ehefrau des Klägers sei es offensichtlich egal gewesen, wann das Fahrzeug erstmals zugelassen war. Ihr sei es ausschließlich darauf angekommen, dass es sich um eine sogenannte Tageszulassung gehandelt habe, was allerdings niemals zugesichert worden sei. Der als Zeuge vernommene Ehemann der Beklagten habe ausgeführt, über das Herstellungsdatum sei nicht gesprochen worden, weil dies seines Erachtens bei einem gebrauchten Fahrzeug unerheblich sei. Auf das Herstellungsdatum habe er deshalb nicht geachtet, weil es nur bei einem Verkauf als Neuwagen relevant sei.

Unter den dargelegten Umständen sei die Beklagte nicht verpflichtet gewesen, ungefragt darüber aufzuklären, wann der Wagen produziert worden war. Das Landgericht habe nicht ausgeführt, warum der Kläger im vorliegenden Fall davon habe ausgehen können, dass das Produktionsdatum zeitnah zur Erstzulassung liege. Das Gegenteil sei der Fall. Dem Kläger sei es offensichtlich überhaupt nicht darauf angekommen, wann das Fahrzeug produziert worden ist. Eine Offenbarungspflicht bestehe nur hinsichtlich bekannter Umstände. Der Kläger habe jedoch weder vorprozessual noch im Rechtsstreit vorgetragen, dass dem Beklagten das Produktionsdatum bekannt gewesen sei. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hätten die Parteien nicht als Beschaffenheit vereinbart, dass zwischen dem Herstellungsdatum und der Tageszulassung weniger als zwei Jahre liegen.

Schließlich rügt die Beklagte, dass das Landgericht nicht darauf hingewiesen habe, dass die Abweichung zwischen Produktionsdatum Erstzulassung streitentscheidend sei.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und vertritt die Auffassung, eine eventuelle Verletzung der richterlichen Hinweispflicht sei unerheblich, weil die Beklagte mit ihrer Berufung nicht vorgetragen habe, welchen Vortrag sie hinsichtlich des langen Zeitraums zwischen Produktionsdatum und Erstzulassung gehalten hätte, wenn insoweit ein richterlicher Hinweis durch das Landgericht erteilt worden wäre.

Zutreffend habe im Übrigen das Landgericht ausgeführt, dass bei einer derartigen Zeitspanne zwischen Produktionszeitpunkt und Erstzulassung, wie hier, ein entsprechender Hinweis der Beklagten als Verkäuferin hätte erfolgen müssen. Dass der Herstellungszeitpunkt auch für ihn von kaufentscheidender Bedeutung gewesen sei, ergebe sich aus dem vorprozessualen Anfechtungsschreiben vom 1. April 2005, in welchem er das Alter des Fahrzeugs zum Anlass genommen habe, den Kaufvertrag wegen Täuschung anzufechten. Deutlicher könne man kaum zum Ausdruck bringen, dass der Herstellungszeitpunkt von eminenter Bedeutung für die Kaufentscheidung gewesen sei.

Schließlich sei über die Frage des Alters des Fahrzeugs auch ausführlich in der mündlichen Verhandlung gesprochen worden, sodass die Beklagte gewusst habe, dass es dem Gericht hierauf ankomme.

Der Senat hat die Parteien darauf hingewiesen, dass für die weitere Nutzung des Pkw entsprechend der vom Landgericht zutreffend herangezogenen Berechnungsformel (0,67 % des gezahlten Kaufpreises je gefahrene 1.000 km) ggf. eine weitere Entschädigung vom Kaufpreis abzuziehen sei. Der Kläger hat daraufhin erklärt, er habe insgesamt 30.000 km, also seit dem landgerichtlichen Urteil weitere 15.000 km mit dem Fahrzeug zurückgelegt und erkenne deshalb einen Abzug von abermals 1.145,70 € als Nutzungsentschädigung an.


II.

Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Der vom Landgericht festgestellte und insoweit auch zwischen den Parteien unstreitige Sachverhalt rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht.

1. Das Landgericht hat zurecht auf das Alter des Fahrzeugs abgestellt, weil dieses Gegenstand des Klagevortrags war. Das Anfechtungsschreiben vom 1. April 2005, auf das sich der Kläger im ersten Rechtszug jedenfalls hilfsweise bezogen hat (Bl. 22 d. A.), sowie seine Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme (Bl. 64 d. A.), machen deutlich, dass es ihm neben den zunächst in den Vordergrund gerückten, nach wie vor streitigen Mängeln, auch auf das Alter des Fahrzeugs ankam.

Zur Rechtslage in solchen Fällen hat der Bundesgerichtshof, wenn auch hinsichtlich eines als fabrikneu verkauften Pkws, in seinem Urteil vom 15. Oktober 2003 ausgeführt, nach der Verkehrsanschauung sei die Lagerdauer eines Autos für die Wertschätzung von wesentlicher Bedeutung. Eine lange Standdauer sei ein wertmindernder Faktor, weil jedes Kraftfahrzeug einem Alterungsprozess unterliege, der mit dem Verlassen des Herstellungsbetriebes einsetze. Grundsätzlich verschlechtere sich der Zustand eines Fahrzeugs durch Zeitablauf aufgrund von Materialermüdung, Oxidation und anderen physikalischen Veränderungen. Selbst eine Aufbewahrung unter optimalen Bedingungen vermöge dies nur zu verlangsamen, aber nicht zu verhindern. Im Regelfalls sei deshalb davon auszugehen, dass eine Lagerzeit von mehr als zwölf Monaten die Fabrikneuheit eines Kraftfahrzeugs im Rechtssinne beseitige (NJW 2004, 160; vgl. auch OLGR Köln, 2005, 9).

16Diese Erwägungen sind von der obergerichtlichen Rechtsprechung auch auf Gebrauchtwagen übertragen worden. Danach stellt ein Auseinanderfallen von Produktions- und Erstzulassungsdatum um mehrere Jahre einen Sachmangel i. S. d. § 459 Abs. 1 BGB a. F. bzw. des § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB n. F. dar. Insoweit ist auf die vom Landgericht zutreffend zitierten Urteile des OLG Celle und des OLG Karlsruhe zu verweisen, die hier einschlägig sind. Denn auch im vorliegenden Fall ist das Erstzulassungsdatum bzw. die relative Neuwertigkeit des Fahrzeugs Vertragsgrundlage geworden. So hat der Kläger unstreitig einen Vorführwagen mit einem Kilometerstand von lediglich 10 km erworben, den er selbst, wenn auch im rechtlichen Sinn nicht zutreffend, sogar als Neuwagen betrachtet hat. Zudem war, wenn auch nicht aus dem Bestellformular, so doch aus der Rechnung vom 8. November 2004, das Erstzulassungsdatum 29.01.2004 ersichtlich (Bl. 3, 4 d. A.).

17Nach den oben dargelegten, von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, von denen abzuweichen der Senat keinen Anlass sieht, ist im vorliegenden Fall, in dem die Erstzulassung ein Jahr und elf Monate nach dem Herstellungsdatum erfolgt ist, objektiv vom Vorliegen eines Sachmangels nach § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB (n. F.) auszugehen. Somit kommt es auch auf den von der Beklagten angeführten Gesichtspunkt, ihr sei das Herstellungsdatum nicht bekannt gewesen, sodass sie den Kläger hierauf nicht hätte hinweisen können, nicht an. Denn hier geht es, anders als in dem vom OLG Karlsruhe entschiedenen Fall, nicht um die Durchbrechung eines Gewährleistungsausschlusses aufgrund einer arglistigen Täuschung. Der Beklagten wird mit dem angefochtenen Urteil nicht vorgeworfen, das Herstellungsdatum gekannt, trotz Bestehens einer Offenbarungspflicht aber (arglistig) verschwiegen zu haben. Es geht vielmehr um die „normale“ Sachmängelhaftung nach §§ 434 ff. BGB, welche allein an das objektive Vorliegen eines Sachmangels anknüpft, dagegen keinen subjektiven Tatbestand des Inhalts, dass dem Verkäufer der betreffende Mangel bekannt war und er über diesen getäuscht haben müsste, erfordert.

2. Schließlich ist die von der Beklagten gerügte Verletzung der richterlichen Hinweispflicht durch das Landgericht rechtlich nicht erheblich. Selbst wenn man der Beklagten darin folgen wollte, dass der Vorderrichter eine Hinweispflicht gehabt hätte, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, was die Beklagte hätte vortragen wollen und können, um eine Verurteilung zu vermeiden. Denn zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das Fahrzeug im Februar 2002 hergestellt und im Januar 2004 das erste Mal zugelassen worden ist. Hieran kann im Nachhinein nichts mehr geändert werden.

Aus diesem Grund bestand insoweit auch keine Nachbesserungsmöglichkeit, weshalb der im Hinblick auf die gerügten technischen Mängel rechtlich erhebliche Einwand der Beklagten, ihr sei vom Kläger keine Gelegenheit zur Nachbesserung gegeben worden, in Bezug auf das Auseinanderfallen von Produktions- und Erstzulassungsdatum nicht durchgreifen kann (vgl. Palandt/Putzo, BGB, 64. Aufl., § 437, Rn. 50).

3. Vom Kaufpreis ist, wie vom Kläger zugestanden, eine weitere Nutzungsentschädigung von 1.145,70 € abzusetzen, weil er weitere 15.000 km mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug zurückgelegt hat. Zur Berechnung wird auf die auch insoweit zutreffenden Ausführungen der Landgerichts hinsichtlich der Nutzungsentschädigung für die ersten 15.000 km Bezug genommen.

Nach alledem verbleiben vom Kaufpreis (11.400 €) abzüglich der vom Landgericht zutreffend errechneten Nutzungsentschädigung von 1.145,70 € sowie einer weiteren Nutzungsentschädigung von 1.145,70 € restliche 9.108,60 €. Hinzu kommen vorgerichtliche Anwaltskosten von 408,20 €, die als solche im Berufungsrechtszug nicht im Streit gestanden haben.


III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Dabei wirkt sich der Abzug der Nutzungsentschädigung im Berufungsrechtszug nicht aus, weil hierüber nicht streitig verhandelt worden ist.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1 und § 713 ZPO.

Die Zulassung der Revision kommt nicht in Betracht. Sachliche Gründe dafür, weshalb der vom Bundesgerichthof für Neufahrzeuge entwickelte Grundsatz, ein Pkw mit einer Lagerzeit von mehr als zwölf Monaten sei nicht mehr fabrikneu, nicht entsprechend der zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung in der Weise auf Gebrauchtwagen übertragen werden sollte, dass das wesentliche Auseinanderfallen von Erstzulassung und Produktionsdatum als Sachmangel angesehen wird, sind nicht ersichtlich. Dies gilt jedenfalls bei vermeintlich neuwertigen Fahrzeugen, wie im vorliegenden Fall.