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Amtsgericht Oranienburg Urteil vom 18.12.2014 - 21 C 197/14 - Warnhinweise auf fehlende Finanzierungsmittel zur Reparaturdurchführung

AG Oranienburg v. 18.12.2014: Warnhinweise auf fehlende Finanzierungsmittel zur Reparaturdurchführung


Das Amtsgericht Oranienburg (Urteil vom 18.12.2014 - 21 C 197/14) hat entschieden:
  1. Es besteht auch bei fehlenden finanziellen Mitteln zur Reparaturbeauftragung keine Verpflichtung seitens des Unfallgeschädigten, vor Beginn der Reparatur seines verunfallten Wagens bzw. vor der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs außergerichtlich substantiiert zu seinen Vermögensverhältnissen vorzutragen, nur, um das beschädigte Fahrzeug instandsetzen zu lassen oder Anspruch auf einen Mietwagen zu haben. Es reicht aus, wenn der Geschädigte gegenüber der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung darauf hinweist, wirtschaftlich nicht genügend leistungsfähig zu sein, um die Reparaturkosten (hier: in Höhe von 3.000 Euro) zahlen zu können. Dem Geschädigten ist dann eine lange Mietdauer für ein Ersatzfahrzeug nicht vorwerfbar (hier: 58 Tage).

  2. Auch einem schwerbehinderten Verkehrsunfallgeschädigten ist es zuzugestehen - völlig unabhängig von einer eventuellen Mindestnutzung eines angemieteten Ersatzfahrzeugs - eine individuelle Mobilität nach einem Verkehrsunfall beanspruchen zu können.

Siehe auch Schadensminderungspflicht bei der Ausfallentschädigung und Stichwörter zum Thema Ausfallentschädigung


Tatbestand:

Der Kläger macht Restschadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall, welcher sich am 06.09.2013 in Velten ereignet hat, geltend.

Unstrittig stehen dem Kläger Ersatzansprüche zu 100 % aus dem Unfallgeschehen gegen die Beklagte zu. Das Fahrzeug des Klägers, ein Pkw Peugeot, amtl. Kennz, ..., war nach dem Verkehrsunfall nicht mehr fahrtauglich. Eine Notreparatur war ausgeschlossen. Der eingeschaltete Sachverständige kalkulierte Reparaturkosten in Höhe von 3.248,55 € netto. Der Kläger ist zu einem Grad von 100 % schwerbehindert. Insgesamt nahm der Kläger einen Mietwagen für die Dauer von 58 Tagen in Anspruch, wofür ein Betrag in Höhe von 2.319,76 € brutto zu zahlen war. Seitens der Beklagten wurden auf Basis einer Abrechnung für 18 Tage vom 06. - 12.09.2013 und für die Reparatur vom 24.10. - 04.11.2013 auf die Mietwagenkosten insgesamt 728,82 € gezahlt. Der erwerbsunfähige Kläger verfügte zum Unfallzeitpunkt über eine monatliche Rente in Höhe von 917,76 €. Die ebenfalls erwerbsunfähige Ehefrau des Klägers verfügte über eine monatliche Rente in Höhe von 674,86 €. Das Ehepaar lebte und lebt zur Miete und verfügt auch sonst über keine dinglichen Rechte bzw. finanzielle Sicherheiten. Auf dem Konto der Eheleute bestand zum Unfallzeitpunkt ein Kreditlimit In Höhe von 2.150,00 €, die tatsächliche Belastung betrug am 05.09.2013 -2.175,74 € und -2.385,82 € am 25.09.2013. Mit Schreiben vom 09.09.2013 wandte sich die Klägerseite an die Beklagte mit dem Hinweis, dass der Kläger "zur Vorfinanzierung der Reparaturkosten wirtschaftlich nicht in der Lage", aber dringend auf ein Fahrzeug angewiesen sei und derzeit einen Mietwagen nutze. Erneut durch Schreiben vom 16.09.2013 wandte sich die Klägerseite an die Beklagte unter Hinweis auf die Reparaturkosten in Höhe von 3.865,77 € und mit der Bitte, "umgehend Reparaturkostenübernahmeerklärung an die ...... bereits benannte Werkstatt zu erteilen und ..... entsprechend zu informieren." In diesem Schreiben findet sich erneut ein Hinweis auf die fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Klägerseite. Wegen der Einzelheiten der Schreiben vom 09.09. und 16.09.2013 wird Bezug genommen auf die Anlagen K7 und K8 zur Klageschrift vom 16.06.2014 (Bl. 21, 22 bzw. Bl. 23, 24 d. A.). Mit am 24.10.2013 bei der Klägerseite eingegangenem Schreiben vom 23.10.2013 erteilte die Beklagte die Reparaturkostenübernahmebestätigung.

Von den durch Kostenrechnung vom 13.02.2014 geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 655,69 € zahlte die Beklagte einen Betrag in Höhe von 571,44 € und erkannte nur eine Geschäftsgebühr von 1,3 und nicht wie geltend gemacht in Höhe von 1,5 an.

Der Kläger beantragt,
wie erkannt.
[Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den Mietwagenkosten in Höhe von 1.590,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.11.2013, gegenüber der ..., freizustellen.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den Kosten für die außergerichtliche Rechtverfolgung in Höhe von 84,25 € der Prozessbevollmächtigten des Klägers freizustellen.]
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, es sei Aufgabe des Klägers gewesen, die aufgetretenen Stand- und Wartezeiten dadurch zu vermeiden, dass umgehend ein Reparaturauftrag erteilt wird. Der Geschädigte habe dafür zu sorgen, dass die Ausfallzeit so gering wie möglich ausfalle. Insbesondere dürfe der Geschädigte die Auftragserteilung nicht von einer Reparaturkostenübernahmeerklärung abhängig machen. Die Beklagte meint weiter, der Kläger habe das persönliche Unvermögen, die Reparatur nicht schnellstmöglich durchführen lassen zu können, nicht in der gehörigen Form mitgeteilt und angezeigt. Im Schreiben vom 09.09.2013 finde sich nur der pauschale Hinweis auf wirtschaftliche Schwierigkeiten. Es sei nicht ersichtlich, dass es dem Kläger tatsächlich aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich gewesen sei, für eine umgehende Reparatur zu sorgen. Darüber hinaus seien die Voraussetzungen für die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges nicht substantiiert dargelegt, da bei einem nur geringen Fahrbedarf davon ausgegangen werden könne, dass kein Anspruch auf Ersatz von Mietwagenkosten bestehe. Der vorgelegten Rechnung lasse sich aber nicht entnehmen, wie viele Kilometer in der Mietzeit mit dem angemieteten Fahrzeug zurückgelegt worden seien.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie dem gesamten Akteninhalt.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Dem Kläger steht gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG i. V. mit § 249 BGB der erkannte Anspruch zu.

An der Kausalität des Unfalls für die Mietwagenkosten bestehen keine Zweifel. Auch die Höhe der Mietwagenkosten ist nicht im Streit. Die Beklagte bezweifelt lediglich, dass die Dauer der Inanspruchnahme des Mietwagens gerechtfertigt war. Maßstab zur Beurteilung dieser Frage ist § 254 Abs. 1 bzw. Abs. 2 S. 1 BGB.

Ein Verstoß gegen seine Schadensminderungsobliegenheit ist dem Kläger aber nicht vorzuwerfen.

Beweisbelastet führt das Verschulden des Geschädigten bzw. dessen Ursächlichkeit ist der Ersatzpflichtige, wobei der Geschädigte aber ggf. darlegen muss - soweit es sich um Umstände aus seiner Sphäre handelt - was er zur Schadensminderung unternommen hat. Ob der Geschädigte verpflichtet ist, den zur Schadensbeseitigung erforderlichen Betrag aus eigenen Mitteln oder durch Kreditaufnahme vorzufinanzieren, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Grundsätzlich hat der Schädiger die Schadensbeseitigung zu finanzieren. Ein Einsatz eigener Mittel ist dem Geschädigten nur zuzumuten, wenn dies ohne Einschränkung der gewohnten Lebensführung möglich ist. Eine Kreditaufnahme ist allenfalls zumutbar, wenn der Kredit leicht zu beschaffen ist und den Geschädigten nur unerheblich belastet. Der Geschädigte ist verpflichtet, auf eine fehlende Finanzierungsmöglichkeit hinzuweisen (vgl. Grüneberg in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 74. Auflage, 2015, § 254, Rn. 43, m. w. N.).

Diesen Grundsätzen folgend war die Beklagte für alle 58 Tage der Inanspruchnahme des Mietwagens ersatzpflichtig. Angesichts des Einkommens in Höhe von 917,76 € des Klägers und seiner Ehefrau in Höhe von 674,86 €, fehlenden dinglichen Rechten bzw. sonstigen Sicherheiten, einem Kreditlimit in Höhe von 2.150,00 €, das am 05.09.2013 fast ausgeschöpft und am 25.09.2013 überschritten war, ist nicht ersichtlich, wie sich der Kläger ohne Weiteres die Reparaturkosten von über 3.000,00 € hätte beschaffen sollen.

Auf die fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hatte er auch über seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten durch Schreiben vom 09. und 16.09.2013 gegenüber der Beklagten hingewiesen. Der Kläger musste zu diesem Zeitpunkt keineswegs schon wie im jetzigen Verfahren substantiiert seine fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Beklagten gegenüber auseinandersetzen. In diesem Zusammenhang genügte der bloße Hinweis auf dieselbige. Soweit von Seiten der Beklagten lediglich pauschal bestritten wird, eine Vorfinanzierung sei dem Kläger nicht möglich gewesen, geht das angesichts des detaillierten Vortrages zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers jedenfalls durch Schriftsatz vom 18.11.2014 ins Leere. Vielmehr bleibt die nach wie vor insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte eine Erklärung schuldig, wie sich der Kläger im Einzelnen den Betrag hätte verschaffen sollen.

Soweit die Beklagte rügt, der vorgelegten Rechnung lasse sich nicht entnehmen, wie viele Kilometer in der Mietzeit zurückgelegt worden sei und damit lasse sich nicht beurteilen, ob aufgrund des Fahrbedarfs auch auf die Ersatzfähigkeit der Mietwagenkosten geschlossen werden könne, kann dem nicht gefolgt werden. Eine Verpflichtung der Klägerseite, solche Auskünfte in diesem Prozess zu erteilen, ist schon nicht ersichtlich. Die Beklagtenseite hätte sich etwaige Informationen im Rahmen ihrer Darlegungs- und Beweislast auch von der Mietwagenfirma holen können. Letztlich kann das aber auch dahinstehen, da der Kläger unstrittig unter einer Schwerbehinderung leidet. Allein deswegen ist davon auszugehen, dass er auf einen Mietwagen angewiesen war. Dafür spricht auch, dass er von Anfang an einen Mietwagen In Anspruch genommen hat.

Darüber hinaus hatte der Kläger auch Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von weiteren 84,25 €. Die Ansetzung von 1,5 Gebühren war nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

Streitwert: 1.590,94 €.