Das Verkehrslexikon

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VGH München Beschluss vom 06.12.2010 - 11 CS 10.2311 - Zum Nachweis des 185-Tage-Aufenthalts-Erfordernisses

VGH München v. 06.12.2010: Zum Nachweis des 185-Tage-Aufenthalts-Erfordernisses


Der VGH München (Beschluss vom 06.12.2010 - 11 CS 10.2311) hat entschieden:
Liegen zwischen der behördlichen Registrierung des Fahrerlaubnisbewerbers in einem amtlichen Verzeichnis (Einwohnermelderregister, Ausländerregister etc.) des Ausstellermitgliedstaates und der Erteilung der Fahrerlaubnis weniger als die in Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG erwähnten 185 Tage, so beweist das - für sich alleine - allerdings einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis noch nicht zwingend. Der Verstoß kann sich aber darauf ergeben, dass die Behörden des Ausstellungsstaates den Betroffenen vor Ablauf der 185 Tage wieder aus dem Register ausgetragen haben.


Siehe auch Das Wohnsitzprinzip bei der Erteilung eines EU-Führerscheins und Stichwörter zum Thema EU-Führerschein


Gründe:

I.

Durch rechtskräftig gewordenes Urteil vom 23. Juni 2009 verhängte das Amtsgericht Pfaffenhofen a. d. Ilm gegen den Antragsteller wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tatmehrheit mit Nötigung in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gleichzeitig entzog es ihm die Fahrerlaubnis unter Festsetzung einer Sperrfrist für ihre Neuerteilung von drei Monaten. Damit wurde zum einen geahndet, dass der Antragsteller am 25. Februar 2008 auf einer Staatsstraße den von ihm geführten Personenkraftwagen während eines Überholvorgangs, den er kurz vor einer unübersichtlichen Kurve unternahm, dreimal in Richtung auf das überholte Kraftfahrzeug gelenkt hatte, wobei das im dritten Fall in der Absicht geschah, den Überholten auf diese Weise abzudrängen. Hierdurch kam es zu einem seitlichen Zusammenstoß beider Fahrzeuge, was der Antragsteller zumindest billigend in Kauf genommen hatte. Zum anderen lag der Verurteilung zugrunde, dass der Antragsteller am 24. Februar 2008 auf einer Bundesstraße trotz Überholverbots und sichtbaren Gegenverkehrs einen anderen Kraftfahrer überholt hatte und er, nachdem er knapp vor dem Überholten wieder eingeschert war, sein Fahrzeug plötzlich und ohne verkehrsbedingten Anlass abgebremst hatte, so dass der Überholte - was der Antragsteller beabsichtigt hatte - ebenfalls eine Vollbremsung durchführen musste, um ein Auffahren zu vermeiden. Der Schuldspruch wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis erfolgte, da der Antragsteller am 4. November 2008 ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt hatte, obwohl ihm wegen der am 25. Februar 2008 begangenen Straftat die Fahrerlaubnis durch gerichtliche Entscheidung vorläufig entzogen worden war.

Am 17. November 2009 gab der Antragsteller gegenüber Landespolizei an, er habe in der Tschechischen Republik eine Fahrerlaubnis erworben. Das Gemeinsame Zentrum der deutsch-​tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit teilte dem Landratsamt Pfaffenhofen a. d. Ilm am 19. April 2010 mit, dass eine tschechische Behörde dem Antragsteller am 14. Oktober 2009 aufgrund einer am gleichen Tag abgelegten Prüfung eine Fahrerlaubnis der Klasse B ausgestellt hatte. Im zugehörigen Führerschein und im Einwohnerregister sei eine Adresse in Tschechien eingetragen. Aus dem Ausländerregister gehe hervor, dass der Antragsteller vom 24. August 2009 bis zum 7. Dezember 2009 einen Aufenthalt an dieser Adresse gemeldet habe.

Durch Bescheid vom 25. Juni 2010 sprach das Landratsamt aus, dass die dem Antragsteller erteilte tschechische Fahrerlaubnis ihn nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet berechtige und ihn zu keiner Zeit dazu berechtigt habe. Da eine solche ausländische Fahrerlaubnis bereits ab ihrer Erteilung im Bundesgebiet keine Rechtswirkungen entfalte, seien alle weiteren von einer ausländischen Behörde vorgenommenen Ersatzausstellungen ebenfalls ungültig (Nummer 1 des Bescheidstenors). Unter der Nummer 2 des Tenors wurde dem Antragsteller aufgegeben, den ihm am 14. Oktober 2009 ausgestellten Führerschein spätestens innerhalb einer Woche ab der Zustellung des Bescheids beim Landratsamt zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen. Die sofortige Vollziehung des Bescheids wurde angeordnet. Falls der Antragsteller der Pflicht zur Vorlage seines ausländischen Führerscheins nicht innerhalb der vorgenannten Frist nachkomme, werde ein Zwangsgeld fällig.

Über die vom Antragsteller zum Verwaltungsgericht München erhobene Klage, mit der er die Aufhebung des Bescheids vom 25. Juni 2010 und eines weiteren Bescheids des Landratsamts erstrebt, in dem ihm die Anwendung unmittelbaren Zwanges wegen unterbliebener Vorlage des ihm am 14. Oktober 2009 ausgestellten Führerscheins angedroht wurde, wurde nach Aktenlage noch nicht entschieden.

Den Antrag, hinsichtlich des Bescheids vom 25. Juni 2010 "die Aufhebung der sofortigen Vollziehbarkeit" anzuordnen, lehnte das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 18. August 2010 ab. Auf die Begründung dieser Entscheidung wird Bezug genommen.

Mit der hiergegen eingelegten Beschwerde beantragt der Antragsteller, den Beschluss vom 18. August 2010 aufzuheben und die Aufhebung der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids vom 25. Juni 2010 anzuordnen. Es sei nach wie vor umstritten, inwiefern die bisherige Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs auch auf die neue Fassung der Fahrerlaubnis-​Verordnung Anwendung finde. Bei Fortgeltung dieser Rechtsprechung könne ihm der Gebrauch der tschechischen Fahrerlaubnis nicht nach § 28 FeV untersagt werden. Sein Aussetzungsinteresse überwiege daher das behördliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheids. Zu Unrecht werde im angefochtenen Beschluss die Auffassung vertreten, er habe seinen ordentlichen Wohnsitz im Sinn von Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl L 403 vom 30.12.2006, S. 18) nicht in Tschechien innegehabt. Die Auskunft des Gemeinsamen Zentrums der deutsch-​tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit vom 19. April 2010 sei unrichtig; er habe sich in Tschechien nicht abgemeldet. Die Krankenversicherung, die Voraussetzung für die Anmeldung eines Wohnsitzes in der Tschechischen Republik sei, habe vom 25. August 2009 bis zum 24. Februar 2010 bestanden. Die "185-​Tage-​Regelung" habe er mithin erfüllt. Zudem handele es sich bei dem Schreiben des Gemeinsamen Zentrums vom 19. April 2010 um keine unbestreitbare Auskunft des Ausstellerstaates, da dieses Schriftstück von einem deutschen Polizeibeamten stamme und aus diesem Dokument nicht hervorgehe, welcher tschechische Polizist die Auskunft erteilt habe. Auch sei diesem Schreiben keine Ablichtung aus dem Ausländerregister beigefügt gewesen.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, da das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die vom Verwaltungsgericht beigezogene, den Antragsteller betreffende Fahrerlaubnisakte verwiesen.


II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers zutreffend dahingehend ausgelegt, dass er die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der anhängigen Klage begehrt. Der Annahme, der Antragsteller erstrebe lediglich die Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Nummern 1 und 2 des Bescheids vom 25. Juni 2010, wie das der Wortlaut der in beiden Rechtszügen gestellten Anträge nahe legen könnte, steht entgegen, dass eine solche Entscheidung nur dann in Betracht kommt, wenn eine Sofortvollzugsanordnung nicht in einer den formellen Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise begründet wurde. Dass dies der Fall sei, hat der Antragsteller in keinem Stadium des Verfahrens behauptet.

Zwar lässt sich gegenwärtig noch nicht mit Sicherheit beurteilen, wie über die anhängige Klage zu befinden sein wird. Sowohl unter tatsächlichem als auch unter rechtlichem Blickwinkel sprechen jedoch die gewichtigeren Argumente dafür, dass sich jedenfalls die wesentlichen Teile des streitgegenständlichen Bescheids als rechtmäßig erweisen werden. Eine von den Erfolgsaussichten der Klage unabhängige Interessenabwägung gebietet es ebenfalls, an der sofortigen Vollziehbarkeit dieses Bescheids festzuhalten.

1. Nicht zweifelhaft ist, dass die jeweiligen Sätze 1 der Nummern 1 und 2 sowie die Nummer 4 des angefochtenen Bescheids bei einer auf das Recht der Bundesrepublik Deutschland beschränkten Betrachtung der Nachprüfung im Hauptsacheverfahren standhalten werden. Dass die dem Antragsteller am 14. Oktober 2009 erteilte tschechische Fahrerlaubnis ihn nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt, ergibt sich aus § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, Satz 3 FeV. Denn ihm wurde eine deutsche Fahrerlaubnis durch das Urteil vom 23. Juni 2009 entzogen. Diese Entscheidung war nach § 28 Abs. 3 Nrn. 1 und 2 StVG in das Verkehrszentralregister einzutragen; sie war im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt (dem Tag der Bekanntgabe des Bescheids vom 25.6.2010) gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. Nr. 2 Buchst. a StVG dort noch nicht zu tilgen. Die Rechtsgrundlage für die im Satz 1 der Nummer 2 des streitgegenständlichen Bescheids angeordnete Vorlage eines Führerscheins, dem eine im Bundesgebiet ungültige Fahrerlaubnis zugrunde liegt, sieht der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht (vgl. BVerwG vom 11.12.2008 DAR 2009, 212/215) in einer entsprechenden Anwendung des § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG und des § 47 Abs. 2 Satz 1 FeV. Wegen der Bestimmungen, aus denen sich die Rechtmäßigkeit der im Bescheid vom 25. Juni 2010 ausgesprochenen Zwangsgeldandrohung ergibt, wird entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO auf die Darlegungen in Abschnitt IV der Bescheidsgründe verwiesen. Angriffe gegen die Regelungen, die im Satz 2 der Nummer 1 sowie in den Sätzen 3 und 4 der Nummer 2 des Bescheidstenors getroffen wurden, hat der Antragsteller in der Beschwerdebegründung nicht vorgebracht, so dass sich gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO eine Befassung des Verwaltungsgerichtshofs mit diesen Teilen des Streitgegenstandes erübrigt.

2. Grundsätzlich zutreffend weist der Antragsteller allerdings darauf hin, dass die Vereinbarkeit des vorstehend dargestellten Ergebnisses mit dem Recht der Europäischen Union gegenwärtig als ungeklärt angesehen werden muss.

Die Prüfungsmaßstäbe für die Europarechtskonformität der sich aus § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV ergebenden Rechtsfolge sind - wovon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen ist und was die Beschwerdebegründung nicht in Abrede stellt - zumindest vorrangig der Richtlinie 2006/126/EG zu entnehmen. Auf der Grundlage der vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof seit dem Beschluss vom 10. November 2009 (ZfS 2010, 116) in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung begegnet die Inlandsungültigkeit der dem Antragsteller am 14. Oktober 2009 erteilten tschechischen Fahrerlaubnis auch unter europarechtlichem Blickwinkel keinen Bedenken. Denn bei einer am Wortlaut, an der Entstehungsgeschichte, dem Sinn und Zweck sowie der systematischen Stellung des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG orientierten Auslegung dieser Bestimmung ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins abzulehnen, den ein anderer Mitgliedstaat - wie hier der Fall - einer Person ausgestellt hat, der in Deutschland die Fahrerlaubnis entzogen wurde. Zu einem damit übereinstimmenden Ergebnis gelangen das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-​Westfalen (vgl. grundlegend den dortigen Beschluss vom 20.1.2010 ZfS 2010, 236), der Verwaltungsgerichtshof Baden-​Württemberg (Beschluss vom 21.1.2010 DAR 2010, 153), das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-​Vorpommern (Beschluss vom 23.2.2010 Az. 1 M 172/09) und das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (vgl. z.B. den Beschluss vom 11.8.2010 Az. 12 ME 130/10 ). Demgegenüber gehen der Hessische Verwaltungsgerichtshof (HessVGH vom 4.12.2009 Blutalkohol Bd. 47 [2010], S. 154), das Oberverwaltungsgericht Rheinland-​Pfalz (vgl. z.B. Beschluss vom 17.2.2010 DAR 2010, 406) und das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes (Beschluss vom 16.6.2010 ZfS 2010, 530) davon aus, dass der zu Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (ABl. L 237 vom 28.8.1991, S. 1) ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch unter der Geltung der Richtlinie 2006/126/EG weiterhin Bedeutung zukommt.

Um insoweit eine Klärung herbeizuführen, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof durch Beschluss vom 16. August 2010 (ZfS 2010, 536) eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu folgender Frage eingeholt:
"Sind Art. 2 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG dahingehend auszulegen, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ablehnen muss, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person außerhalb einer für sie geltenden Sperrzeit ausgestellt wurde, wenn deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats entzogen worden ist, und diese Person zum Zeitpunkt der Führerscheinausstellung ihren ordentlichen Wohnsitz im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaates hatte?"
3. Da die Beschlussfassung über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht zurückgestellt werden kann, bis der Europäische Gerichtshof die Vorlagefrage beantwortet hat, kommt eine Aussetzung solcher Verfahren nicht in Betracht. Bei der Entscheidung derartiger Streitsachen sind die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht darauf beschränkt, lediglich darauf abzustellen, welche Folgen einerseits einträten, wenn es bei der sofortigen Vollziehbarkeit eines Bescheids der hier inmitten stehenden Art verbliebe, er angesichts des Ergebnisses des Vorabentscheidungsverfahrens jedoch als rechtswidrig angesehen werden müsste, und wie es andererseits zu bewerten wären, wenn der anhängigen Klage aufschiebende Wirkung zuerkannt würde, der Bescheid jedoch der Nachprüfung im Hauptsacheverfahren standhielte. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung darf vielmehr auch berücksichtigt werden, wie die einschlägigen europarechtlichen Normen aus der Sicht des zur Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes aufgerufenen Gerichts zu verstehen sind. Denn auch die Gerichte der Mitgliedstaaten sind zur Auslegung des Rechts der Europäischen Union berechtigt und verpflichtet. Ebenso wie in den Fällen, in denen der Bedeutungsgehalt einer Vorschrift des nationalen Rechts höchstrichterlich noch nicht geklärt ist, haben sie - unbeschadet ihrer Befugnis und ggf. ihrer Verpflichtung, auf eine Klärung der Rechtslage durch die dazu letztinstanzlich berufene Stelle hinzuwirken - über an sie herangetragene Streitsachen jedenfalls dann auf der Grundlage ihrer eigenen Rechtsüberzeugung zu befinden, wenn die Entscheidung über solche Rechtsschutzgesuche nicht zurückgestellt werden kann (vgl. zur Vereinbarkeit des Umstands, dass das Gericht eines Mitgliedstaates die Frage der zutreffenden Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts dem Europäischen Gerichtshof unterbreitet hat, mit der Tatsache, dass es hierzu selbst einen klaren Rechtsstandpunkt vertritt, Kotzur in Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2010, RdNr. 19 zu Art. 267 AEUV).

Nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs steht eine Auslegung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV, der zufolge eine ausländische EU-​Fahrerlaubnis bereits dann im Inland ungültig ist, wenn wenigstens eine der Tatbestandsalternativen dieser Bestimmung in Verbindung mit § 28 Abs. 4 Satz 3 FeV erfüllt ist, jedenfalls in Fallgestaltungen der hier inmitten stehenden Art mit dem Recht der Europäischen Union in Einklang. Zusätzlicher Voraussetzungen, wie sie der Europäische Gerichtshof in den zur Richtlinie 91/439/EWG ergangenen Entscheidungen gefordert hat (z.B. in Gestalt eines Erwerbs der ausländischen EU-​Fahrerlaubnis noch während des Laufs einer im Aufnahmestaat verhängten Sperrfrist oder in der Gestalt eines Verstoßes gegen das Wohnsitzprinzip, der sich aus dem Führerschein selbst oder aus anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden, unbestreitbaren Informationen ergibt), bedarf es bei Fahrerlaubnissen, die ab dem Beginn der Anwendbarkeit des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG (d.h. ab dem 19.1.2009) erteilt wurden, nicht mehr. Im Beschluss vom 7. Oktober 2010 (Az. 11 CS 10.1380 RdNrn. 25 bis 44 und 47) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hierzu ausgeführt:
1. Eine am Wortlaut der Richtlinie 2006/126/EG orientierte Auslegung führt zu dem Ergebnis, dass das Europäische Parlament und der Rat den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Frage, ob Personen eine Fahrerlaubnis erteilt werden darf, denen eine solche Berechtigung in einem anderen Mitgliedstaat zuvor eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen wurde (abgesehen von dem in Art. 11 Abs. 4 Satz 3 dieser Richtlinie geregelten Fall der 'Aufhebung' einer Fahrerlaubnis), keinen Entscheidungsspielraum mehr einräumen wollten. Während Art. 8 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 91/439/EWG es noch in das Ermessen des Aufnahmestaates stellte, ob er solchen Personen eine Fahrerlaubnis erteilt, untersagt Art. 11 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2006/126/EG eine solche Maßnahme strikt. Ebenfalls von einer bloßen 'Kann'-​Regelung zu einem verpflichtenden rechtlichen Gebot übergegangen ist die Richtlinie 2006/126/EG hinsichtlich der Frage, wie der Staat, in dem es zu einer Einschränkung, Aussetzung oder Entziehung der Fahrerlaubnis gekommen ist, mit Fahrerlaubnissen zu verfahren hat, die ein anderes EU-​Mitglied dem Adressaten einer solchen Maßnahme erteilt hat: Der Aufnahmestaat ist nicht mehr nur berechtigt, sondern nach dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG darüber hinaus verpflichtet, die Anerkennung der Gültigkeit der Fahrerlaubnis abzulehnen.

2. Unter dem Blickwinkel einer systematischen Auslegung ist von Bedeutung, dass die Richtlinie 2006/126/EG die Reihenfolge zwischen den Normen, die sich an den (potentiellen) Ausstellerstaat einer EU-​Fahrerlaubnis und an den Aufnahmestaat richten, im Vergleich zur Abfolge der Sätze 1 und 2 des Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG umgekehrt hat. An erster Stelle statuiert - was unter sachgesetzlichem Blickwinkel konsequent erscheint - Art. 11 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2006/126/EG nunmehr das an alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union gerichtete Verbot, einer Person, die sich in einem anderen Mitgliedstaat einer Einschränkung, einer Aussetzung oder einem Entzug der Fahrerlaubnis ausgesetzt gesehen hat, ihrerseits eine Fahrerlaubnis zu erteilen. Obwohl bereits diese Regelung zur Folge hat, dass die Zuständigkeit zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis in solchen Fällen bei dem Mitgliedstaat monopolisiert wird, der die in Art. 11 Abs. 4 Sätze 1 und 2 der Richtlinie 2006/126/EG erwähnten fahrerlaubnisrechtlichen Maßnahmen erlassen hat, sieht Art. 11 Abs. 4 Satz 2 dieser Richtlinie einen zusätzlichen Sicherungsmechanismus vor, um dem sich aus dem vorangehenden Satz ergebenden Verbot umfassende Wirksamkeit zu verschaffen: Kommt es unter Verstoß gegen Art. 11 Abs. 4 Satz 1 zur Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, so gebietet es Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG dem Aufnahmestaat, diese Fahrerlaubnis nicht anzuerkennen.

Hieraus ergibt sich ein entscheidender Unterschied zu der Rechtslage, die unter der alleinigen Geltung der Richtlinie 91/439/EWG bestand. Erteilte ein Mitgliedstaat vor dem 19. Januar 2009 einer Person eine Fahrerlaubnis, der diese Berechtigung in einem anderen Mitgliedstaat entzogen worden war, so verstieß dieser Ausstellerstaat wegen des nur fakultativen Charakters des Art. 8 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 91/439/EWG dann nicht gegen europäisches Recht, wenn er sich über die Eignung und Befähigung des Fahrerlaubnisbewerbers in einer Weise vergewissert hatte, die den europarechtlichen Mindestanforderungen genügte, und wenn der Bewerber im Hoheitsgebiet des Ausstellerstaates seinen ordentlichen Wohnsitz unterhielt. Seit dem 19. Januar 2009 ist die Erteilung einer Fahrerlaubnis an eine Person, gegen die in einem anderen EU-​Mitgliedsland eine Maßnahme im Sinn von Art. 11 Abs. 4 Sätze 1 und 2 der Richtlinie 2006/126/EG ergriffen wurde, nach dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 4 Satz 1 demgegenüber auch dann strikt verboten, wenn das Wohnsitzerfordernis gewahrt ist und der Ausstellerstaat eine europarechtskonforme Eignungs- und Befähigungsüberprüfung durchgeführt hat. Anerkennt der Aufnahmestaat eine im EU-​Ausland unter Verstoß gegen Art. 11 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2006/126/EG erteilte Fahrerlaubnis in seinem Gebiet nicht an, so schwingt er sich damit nicht zum Richter über die Korrektheit des Vollzugs des EU-​Fahrerlaubnisrechts durch einen anderen Mitgliedstaat auf, wie das während der Zeit der Fall war, in der kein striktes Neuerteilungsverbot bestand. Denn die Entscheidung, von dem durch Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 91/439/EWG eröffneten Ermessen in Gestalt einer Nichtanerkennung Gebrauch zu machen, konnte damals der Sache nach nur damit begründet werden, der Ausstellerstaat habe sich wegen Missachtung des europarechtlichen Wohnsitzerfordernisses (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439/EWG) entweder eine ihm nach der Zuständigkeitsordnung innerhalb der Europäischen Union nicht zukommende Entscheidungskompetenz angemaßt, oder er habe die aus der Sicht des Aufnahmestaates fortbestehende fahrerlaubnisrechtliche Nichteignung des Betroffenen nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt. Wenn der Aufnahmestaat unter den Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG eine ausländische EU-​Fahrerlaubnis nicht anerkennt, so setzt das - mangels verbleibenden Ermessensspielraums - demgegenüber kein wertendes Urteil mehr darüber voraus, ob deren Erteilung aus der Sicht des Aufnahmestaates hingenommen werden kann oder nicht. Dieses EU-​Mitglied kommt durch die Nichtanerkennung vielmehr einer originär ihm durch das Recht der Europäischen Union auferlegten eigenen Verpflichtung nach, ohne dass es zur sachlichen Rechtfertigung dieser Entscheidung noch einer Auseinandersetzung mit dem Verhalten des Ausstellerstaates bedarf. Ein Grund, die Nichtanerkennungsbefugnis z.B. davon abhängig zu machen, dass sich der Ausstellerstaat durch eigene Erklärungen einer Missachtung des Wohnsitzerfordernisses (und damit eines Verstoßes gegen europäisches Recht) bezichtigt hat, besteht deshalb nicht mehr.

3. Der Paradigmenwechsel, den der europäische Normgeber durch den Erlass der Richtlinie 2006/126/EG vollzogen hat, um ein Unterlaufen von in einem Land getroffenen fahrerlaubnisrechtlichen 'Negativentscheidungen' dadurch zu verhindern, dass der Betroffene zwecks Erlangung einer neuen Fahrerlaubnis in einen anderen Mitgliedstaat ausweicht, kommt nicht nur in der doppelten Sicherung zum Ausdruck, die Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG durch den Übergang von fakultativen zu bindenden Regelungen und dadurch geschaffen hat, dass das in Art. 11 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2006/126/EG ausgesprochene Verbot der Erteilung einer Fahrerlaubnis durch eine an den Aufnahmestaat gerichtete Nichtanerkennungsverpflichtung ergänzt wurde. Der Wille des Normgebers, den Mitgliedstaaten ein möglichst wirksames Instrument zur Bekämpfung des Führerscheintourismus an die Hand zu geben, lässt sich auch aus den Materialien entnehmen, die aus Anlass der Schaffung der Richtlinie 2006/126/EG angefallen sind.

Bereits im Beschluss vom 22. Februar 2007 (Az. 11 CS 06.1644) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof dargelegt, dass die Richtlinie 2006/126/EG ausweislich zahlreicher Erklärungen, die im Laufe des Normsetzungsverfahrens seitens der Kommission, des Rates sowie des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments abgegeben wurden, u. a. ausdrücklich dem Zweck dient, den Führerscheintourismus zu bekämpfen. Auf die Ausführungen in der Randnummer 25 des in mehreren Fachzeitschriften (DAR 2007, 535; ZfS 2007, 354; NZV 2007, 539) veröffentlichten, zudem im juristischen Informationssystem 'Juris' zugänglichen Beschlusses vom 22. Februar 2007 wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Ebenfalls bereits im Beschluss vom 22. Februar 2007 (a.a.O., RdNr. 25) wurde aufgezeigt, dass die am Normsetzungsverfahren beteiligten Stellen unter 'Führerscheintourismus' - in Übereinstimmung mit dem Sprachgebrauch, der sich insoweit in Deutschland herausgebildet hat - die Erscheinung verstanden, dass Personen, denen die Fahrerlaubnis in einem Mitgliedstaat (z.B. wegen Fahrens unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen) entzogen wurde, einen Scheinwohnsitz im Ausland begründen und dort eine Fahrerlaubnis erwerben, um damit die Voraussetzungen für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zu unterlaufen (vgl. Seite 32 des Berichts des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments vom 3.2.2005, Dok.-​Nr. A6-​0016/2005).

Weiterführend hierzu hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-​Westfalen im Beschluss vom 20. Januar 2010 (a.a.O.) unter Auswertung der einschlägigen Materialien dargelegt, dass es sich bereits der Richtlinienentwurf der Kommission vom 21. Oktober 2003 ausdrücklich zum Ziel gesetzt hatte, den Führerscheintourismus dadurch zu beseitigen, dass es den Mitgliedstaaten untersagt werden sollte, einer Person, der der Führerschein entzogen wurde, einen neuen Führerschein auszustellen. Allerdings enthielt dieser Entwurf noch keine Regelungen, die geeignet gewesen wären, dieses Anliegen effektiv zu verwirklichen. Dieses Defizit wurde dadurch behoben, dass der Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments in Gestalt der Änderungsanträge 54 und 57 Formulierungen vorschlug, die den Mitgliedstaaten jene strikten Verbote auferlegten, die sich (mit geringfügigen sprachlichen Änderungen) heute in Art. 11 Abs. 4 Sätze 1 und 2 der Richtlinie 2006/126/EG finden. Wegen der Einzelheiten wird auf die eingehende Darstellung in den Randnummern 9 bis 27 des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-​Westfalen vom 20. Januar 2010 (a.a.O.) sowie in den Randnummern 17 bis 21 des gleichfalls auf einer Auswertung der einschlägigen Quellen beruhenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs Baden-​Württemberg vom 21. Januar 2010 (a.a.O.) verwiesen.

Dass die Verpflichtung des Aufnahmestaates, die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins abzulehnen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, die sich im Aufnahmestaat einer Einschränkung, einer Aussetzung oder einem Entzug der Fahrerlaubnis ausgesetzt gesehen hat, nach neuem Recht nicht mehr von einem Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis abhängen soll, verdeutlicht auch der Umstand, dass die Delegationen der Mitgliedstaaten es bei der Beratung des Richtlinienentwurfs der Kommission abgelehnt haben, einen Vorschlag Tschechiens aufzugreifen, der auf die Einfügung folgender Bestimmung abzielte:
„Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person zu einem Zeitpunkt ausgestellt wurde, in dem diese Person ihren Wohnsitz nicht in dem ausstellenden Mitgliedstaat hatte.“
(vgl. Dok.-​Nr. 11800/04 des Rates der Europäischen Union vom 1.9.2004 TRANS 265 CODEC 949, S. 41; interinstitutionelles Dossier 2003/0252 (COD)).
Der folgende Passus im Bericht des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments (Dok.-​Nr. A6-​0016/2005, zit. nach OVG NRW vom 20.1.2010, a.a.O., RdNr. 27) verdeutlicht ebenfalls, dass sowohl das an die Mitgliedstaaten gerichtete Verbot, einer Person dann eine Fahrerlaubnis zu erteilen, wenn gegen sie in einem anderen Mitgliedstaat eine Maßnahme der Einschränkung, der Aufhebung oder des Entzugs einer Fahrerlaubnis ergriffen wurde, als auch die Verpflichtung des Aufnahmestaates, eine gleichwohl erteilte neue Fahrerlaubnis nicht anzuerkennen, von keinen weiteren Voraussetzungen als denen abhängen sollte, die in Art. 11 Abs. 4 Sätze 1 und 2 der Richtlinie 2006/126/EG Eingang gefunden haben:
„Gemäß dem Genfer und dem Wiener Übereinkommen befasst sich der Vorschlag in Artikel 8 Absatz 5 mit der Frage der gegenseitigen Anerkennung von Strafmaßnahmen, um dafür zu sorgen, dass ein in einem Mitgliedstaat entzogener Führerschein in allen Mitgliedstaaten einen Führerscheinentzug bedeutet. Dies muss jedoch verstärkt werden, und daher hat der Berichterstatter einen Änderungsantrag eingereicht, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, jede Einschränkung, jede Aussetzung und jeden Entzug anzuerkennen, die von einem anderen Mitgliedstaat verhängt wurden, und die Anerkennung der Gültigkeit von Führerscheinen abzulehnen, auf die eine solche Maßnahme angewendet wurde.“
Es wird vor diesem Hintergrund der Regelungsabsicht des historischen Normgebers, die im Wortlaut des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG mehrfach zum Ausdruck gekommen ist, nicht gerecht, lediglich darauf zu verweisen, die Sätze 1 und 2 dieser Bestimmung würden sich von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG nur insoweit unterscheiden, als auf der Rechtsfolgenseite das ehedem bestehende Ermessen durch einen strikten Rechtsbefehl ersetzt wurde, während die Tatbestandsseite keine Änderungen erfahren habe. Die grammatikalische, systematische und historische Auslegung ergibt vielmehr, dass der Richtliniengeber - ersichtlich in Reaktion auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29. April 2004 (NJW 2004, 1725 - 'Kapper'), die eine unter dem Blickwinkel der Verkehrssicherheit in der Bundesrepublik Deutschland äußerst nachteilige Entwicklung in Gang gesetzt hat - eine Kurskorrektur herbeiführen und dem Missstand des Führerscheintourismus mit Entschiedenheit entgegentreten wollte. Es ist Aufgabe der in Verwaltung und Gerichtsbarkeit zur Rechtsanwendung berufenen Entscheidungsträger, diese Willensrichtung der normsetzenden Stellen zu respektieren, wenn und soweit die insofern geschaffenen Regelungen nicht in Widerspruch zu höherrangigem Recht stehen.

4. Die erforderliche Übereinstimmung des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG mit dem primären Europarecht sieht der Verwaltungsgerichtshof jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art als gegeben an.

Zu den Normen des primären Europarechts, die im vorliegenden Zusammenhang in den Blick zu nehmen sind, gehören nicht nur die Bestimmungen, die die Freizügigkeit innerhalb der Union verbürgen (vgl. u. a. Art. 20 Abs. 2 Buchst. a, Art. 21, Art. 45 Abs. 1, Art. 49, Art. 56 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union [AEUV]; Art. 45 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union [GR-​Charta]). Nach Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 3 Abs. 1 GR-​Charta sind die Organe der Europäische Union (vgl. zu ihrer Verpflichtung, die europäischen Grundrechte zu achten, Art. 51 Abs. 1 GR-​Charta) vielmehr auch gehalten, die Rechte der Unionsbürger auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu wahren. Da die europäischen Grundrechte gemäß Art. 52 Abs. 4 GR-​Charta im Einklang mit den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten auszulegen sind, geht der beschließende Senat im Rahmen dieses Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes davon aus, dass die europäischen Grundrechte nicht nur Abwehrrechte gegen die öffentliche Gewalt verleihen, sondern dass sie es den Organen der Europäischen Union auch gebieten, sich dort schützend vor die Grundrechtsträger zu stellen, wo diese von nichtstaatlicher Seite in ihren Grundrechten beeinträchtigt werden (vgl. zur diesbezüglichen Verpflichtung der deutschen Staatsgewalt die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit BVerfG vom 25.2.1975 BVerfGE 39, 1/42; zur Funktion der europäischen Grundrechte, auch grundrechtswidrige Belastungen zu verhindern, die nicht von staatlicher Seite ausgehen, Pernice/Mayer in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, RdNr. 33 nach Art. 6 EUV). Aus den gleichen Gründen sind die europäischen Grundrechte - ebenso wie diejenigen des Grundgesetzes - ferner als Ausdruck einer objektiven Wertordnung zu verstehen, denen die Aufgabe zukommt, die Auslegung und Anwendung des Unionsrechts zu steuern (so auch Pernice/Mayer, ebenda).

Angesichts der Gefahren, die vom motorisierten Straßenverkehr für das menschliche Leben und die körperliche Unversehrtheit insbesondere dann ausgehen, wenn gesundheitlich oder charakterlich ungeeignete Personen zum Führen von Kraftfahrzeugen zugelassen werden, war der europäische Normengeber gehalten, diesem Schutzauftrag u. a. bei der Ausgestaltung der Richtlinie 2006/126/EG gerecht zu werden. Desgleichen haben die Rechtsanwender in Verwaltung und Gerichtsbarkeit bei der Auslegung und Anwendung dieses Regelwerks dem aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union resultierenden Schutzauftrag und der darin getroffenen Wertentscheidung für das menschliche Leben und die menschliche Gesundheit Rechnung zu tragen. Nicht außer Betracht bleiben darf hierbei auch, dass den in Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GR-​Charta zum Ausdruck gebrachten Verbürgungen, wie allein schon die Stellung dieser Artikel im Katalog der Grundrechte und ihre systematische Nähe zum Grundsatz der Menschenwürde (Art. 1 GR-​Charta) verdeutlichen, eine herausragende Bedeutung zukommt, wie sie das Grundrecht auf Freizügigkeit (Art. 45 Abs. 1 GR-​Charta) nicht in gleicher Weise für sich in Anspruch nehmen kann.

Dass der europäische Normengeber beim Erlass der Richtlinie 2006/126/EG selbst das Ziel verfolgte, die Verkehrssicherheit zu erhöhen, und dass dieses Ziel mindestens gleichrangig neben das Anliegen trat, die Freizügigkeit der Unionsbürger zu erleichtern, kommt u. a. in den Erwägungsgründen 2, 7, 8, 9, 10, 11, 13 und 15 dieser Richtlinie zum Ausdruck. Wie stark sich das Europäische Parlament und der Rat bei der Schaffung dieses Regelwerks dem Belang der Verkehrssicherheit verpflichtet wussten, verdeutlicht der Umstand, dass in den Erwägungsgründen 7, 9, 10, 11 und 13 sich hierauf beziehende Gesichtspunkte thematisiert wurden, die in den Erwägungsgründen der Richtlinie 91/439/EWG noch nicht aufschienen.

Aus all diesen Gründen ist eine Auslegung der Richtlinie 2006/126/EG angezeigt, die nicht nur darauf Bedacht nimmt, dass das in Art. 45 Abs. 1 GR-​Charta verbürgte Grundrecht sowie die sich aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ergebenden Freizügigkeitsrechte bestmöglich ausgeübt werden können. Vielmehr ist ein Verständnis dieser Richtlinie geboten, das auch dem Schutzauftrag und der Wertentscheidung, die sich für die Organe der Europäischen Union aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GR-​Charta ergeben, in der gebotenen Weise Rechnung trägt. Sollten die Zielsetzungen 'Lebens- und Gesundheitsschutz' sowie 'Erleichterung der Freizügigkeit', die sowohl dem primären Unionsrecht als auch der Richtlinie 2006/126/EG zugrunde liegen, zueinander in Widerstreit stehen, hat die Auslegung darauf Bedacht zu nehmen, praktische Konkordanz zwischen diesen Belangen herzustellen.

Dem Auftrag, die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen, wird jedenfalls in Fällen der hier inmitten stehenden Art eine Auslegung des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG gerecht, die sich streng am Wortlaut dieser Bestimmung und an dem eindeutig fassbaren Willen des historischen Normgebers orientiert. Denn nur der Staat, in dem es zu einer Einschränkung, Aussetzung oder Entziehung der Fahrerlaubnis gekommen ist, verfügt typischerweise über die Informationen, die erforderlich sind, um die Frage der Wiedererlangung der Fahreignung durch den Betroffenen zuverlässig beantworten, ihn insbesondere gezielt auf diejenigen körperlichen, geistigen oder charakterlichen Mängel hin untersuchen zu können, die Anlass gegeben haben, ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen oder sie einzuschränken. Alle anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind demgegenüber, solange kein europäisches Fahrerlaubnisregister eingerichtet wurde, letztlich auf die Angaben des Betroffenen angewiesen, um eine mit hinreichender Richtigkeitsgewähr versehene Aussage darüber treffen zu können, ob er keine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs darstellt. Bei Personen, denen die Fahrerlaubnis wegen Alkoholabhängigkeit oder Alkoholmissbrauchs, wegen Betäubungsmittelkonsums, wegen Geisteskrankheit oder wegen zahlreicher bzw. schwerer straßenverkehrsbezogener Rechtsverstöße entzogen wurde, ist im Regelfall jedoch nicht gewährleistet, dass sie bei der Beantragung einer Fahrerlaubnis in einem anderen EU-​Mitgliedstaat die Tatsache des früheren Fahrerlaubnisentzugs als solche und die hierfür maßgeblichen Gründe lückenlos offenlegen.

Dahinstehen kann aus Anlass des vorliegenden Rechtsstreits, inwieweit das an andere Mitgliedstaaten gerichtete Verbot, einer von Art. 11 Abs. 4 Satz 1 und 2 der Richtlinie 2006/126/EG erfassten Person eine Fahrerlaubnis zu erteilen, und das den Aufnahmestaat betreffende Gebot, eine gleichwohl erteilte Fahrerlaubnis nicht anzuerkennen, überhaupt einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 45 Abs. 1 GR-​Charta und derjenigen Bestimmungen des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union darstellen, die die Freizügigkeit der Unionsbürger gewährleisten. Die Möglichkeit, in anderen EU-​Mitgliedstaaten eine Fahrerlaubnis zu erwerben, erleichtert zwar die Ausübung dieser Grundrechte bzw. Grundfreiheiten (vgl. EuGH vom 29.4.2004, a.a.O., S. 1727, RdNr. 71); sie ist im Regelfall hierfür aber nicht unabdingbar erforderlich, zumal es den Personen, die dem Richtliniengeber bei der Schaffung des Art. 11 Abs. 4 vor Augen standen (nämlich den 'Führerscheintouristen') grundsätzlich unbenommen steht, sich in dem Land um eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis zu bemühen, in dem es zur Entziehung bzw. Einschränkung dieser Berechtigung gekommen ist. Sollte gleichwohl ein Eingriff in die vorgenannten Grundrechte bzw. Grundfreiheiten zu bejahen sein, wäre er nach Art. 52 Abs. 1 GR-​Charta jedenfalls in Fällen der hier inmitten stehenden Art gerechtfertigt. Denn die Versagung der Anerkennung einer im EU-​Ausland erworbenen Fahrerlaubnis findet sowohl im Recht der Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 28 Abs. 4 FeV) als auch in Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG die nach Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GR-​Charta erforderliche normative Grundlage. Auch wird nach dem Vorgesagten der Wesensgehalt des Art. 45 Abs. 1 GR-​Charta sowie der sich aus Art. 20 Abs. 2 Buchst. a, Art. 21, Art. 45 Abs. 1, Art. 49 und Art. 56 AEUV ergebenden Verbürgungen nicht angetastet, wenn Personen, gegen die in einem EU-​Mitgliedstaat eine Einschränkung, Aussetzung oder Entziehung der Fahrerlaubnis verfügt wurde, ausschließlich in diesem Land eine neue Fahrerlaubnis erwerben können. Ebenfalls aus den Ausführungen im vorstehenden Absatz ergibt sich, dass die durch Art. 11 Abs. 4 Sätze 1 und 2 der Richtlinie 2006/126/EG getroffene Regelung im Sinn von Art. 52 Abs. 1 Satz 2 GR-​Charta erforderlich ist und sie sowohl gemeinwohlbezogenen, im Recht der Europäischen Union anerkannten Zielsetzungen (vgl. Art. 91 Abs. 1 Buchst. c AEUV, wonach die Verbesserung der Verkehrssicherheit zu den Aufgaben der Europäischen Union gehört) als auch dem Schutz der Rechte und Freiheiten anderer dient.

Da Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG nur einen eng umgrenzten Personenkreis betrifft, handelt es sich bei dem in den Sätzen 1 und 2 dieser Bestimmung statuierten Neuerteilungs- bzw. Anerkennungsverbot nach wie vor um eine Ausnahme von dem in Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie verankerten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen.

...

Die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof für geboten erachtete Auslegung der Sätze 1 und 2 des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG trägt ferner dem Grundsatz der größtmöglichen Wirksamkeit des Unionsrechts ('effet utile') Rechnung. Denn die durch Art. 11 Abs. 4 Satz 1 dieser Richtlinie bewirkte Monopolisierung der Zuständigkeit zur Neuerteilung einer Fahrerlaubnis bei dem Mitgliedstaat, der die frühere Fahrerlaubnis einer Person eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen hat, gewährleistet in bestmöglicher Weise, dass der zur Entscheidung über einen Neuerteilungsantrag berufenen Stelle alle Informationen darüber vorliegen, unter welchem Blickwinkel Bedenken gegen die Fahreignung des Bewerbers begründet sein können. Der sich aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GR-​Charta ergebende Schutzauftrag für Leib und Leben kann so wesentlich effizienter wahrgenommen werden, als das dann der Fall ist, wenn die fahrerlaubnisrechtliche Vorgeschichte eines Bewerbers nicht bekannt ist. Das sich aus Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG ergebende Gebot, eine entgegen Art. 11 Abs. 4 Satz 1 erteilte Fahrerlaubnis nicht anzuerkennen, bewirkt in optimaler Weise, dass Missachtungen des sich aus der letztgenannten Bestimmung ergebenden Entscheidungsmonopols nicht folgenlos bleiben."
Eine ins Gewicht fallende Erschwerung für die Ausübung des Grundrechts aus Art. 45 Abs. 1 GR-​Charta und der durch den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union verbürgten Freizügigkeitsrechte kann sich nur dann ergeben, wenn eine Person ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinn von Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG tatsächlich und endgültig in einen anderen Mitgliedstaat als den verlegt hat, in dem ihr die Fahrerlaubnis entzogen wurde. Denn sie müsste auf der Grundlage einer Auslegung des Art. 11 Abs. 4 Sätze 1 und 2 dieser Richtlinie, die sich strikt am Wortlaut und an der Regelungsabsicht des Vorschriftengebers orientiert, wie sie sich den im Normsetzungsverfahren angefallenen Materialien entnehmen lässt, in den letztgenannten Staat zurückkehren und dort wiederum ihren ordentlichen Wohnsitz begründen, um eine neue Fahrerlaubnis zu erlangen. Ob insoweit eine gemäß Art. 52 Abs. 1 Satz 2 GR-​Charta in jeder Hinsicht gerechtfertigte Einschränkung des (Grund-​)Rechts auf Freizügigkeit vorliegt oder Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG in solchen Fällen einer einschränkenden Interpretation bedarf, muss der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vorbehalten bleiben, die auf den Vorlagebeschluss vom 16. August 2010 (a.a.O.) hin zu erwarten ist. Da dem Antragsteller erst am 29. September 2009 eine Bescheinigung über eine Anmeldung in der Tschechischen Republik ausgestellt wurde (vgl. die als Anlage 1 zur Beschwerdebegründungsschrift vorgelegte Unterlage), und er sich ausweislich der im vorliegenden Rechtsstreit angegebenen Adresse jedenfalls jetzt wieder in Deutschland aufhält, stellt sich diese Problematik in seinem Fall nicht.

4. Selbst dann aber, wenn das durch den Vorlagebeschluss vom 16. August 2010 (a.a.O.) eingeleitete Vorabentscheidungsverfahren zu dem Ergebnis führen sollte, dass ein EU-​Mitgliedstaat auch unter der Geltung der Richtlinie 2006/126/EG nur dann befugt ist, die in einem anderen Mitgliedstaat erteilte Fahrerlaubnis nicht anzuerkennen, wenn mindestens eine der Voraussetzungen vorliegt, von denen der Europäische Gerichtshof eine Durchbrechung des in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG verankerten Anerkennungsgrundsatzes abhängig gemacht hat, muss ernsthaft mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass es dem Antragsgegner gelingen könnte, die Erfüllung einer dieser Voraussetzungen im Laufe des anhängigen Klageverfahrens nachzuweisen.

Gegenwärtig fehlt es zwar noch an von der Tschechischen Republik stammenden Informationen, aus denen sich in zweifelsfreier Deutlichkeit ergibt, dass bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis an den Antragsteller am 14. Oktober 2009 das europarechtliche Wohnsitzerfordernis (Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/126/EG) missachtet wurde. Es bestehen jedoch gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass es zu einem solchen Verstoß gekommen ist.

Bereits der Umstand, dass zwischen der Erfassung des Antragstellers im tschechischen Ausländerregister am 24. August 2009 und der Erteilung der Fahrerlaubnis an ihn nur etwa sieben Wochen vergangen sind, bildet ein Indiz dafür, dass die Tatbestandsmerkmale, von deren Erfüllung Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG das Bestehen eines ordentlichen Wohnsitzes abhängig macht, am 14. Oktober 2009 nicht erfüllt waren. Liegen zwischen der behördlichen Registrierung des Fahrerlaubnisbewerbers in einem amtlichen Verzeichnis (Einwohnermelderregister, Ausländerregister etc.) des Ausstellermitgliedstaates und der Erteilung der Fahrerlaubnis weniger als die in Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG erwähnten 185 Tage, so beweist das - für sich alleine - allerdings einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis noch nicht zwingend. Im Beschluss vom 22. Februar 2010 (Az. 11 CS 09.1934 , RdNrn. 29 - 32) hat der Verwaltungsgerichtshof hierzu mit Blickrichtung auf die mit Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG nahezu wortgleich übereinstimmende Vorschrift des Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG ausgeführt:
"Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG ist nicht so zu verstehen, dass ein ordentlicher Wohnsitz erst ab dem Tag besteht, von dem an eine Person an 185 Tagen an einem Ort gewohnt und sie hierbei die in Art. 9 Satz 1 der Richtlinie aufgestellten weiteren Voraussetzungen erfüllt hat.

a) Gegen die Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht und vom Antragsgegner vertretenen, gegenläufigen Auffassung spricht in nicht geringem Maß bereits der Wortlaut des Art. 9 Satz 1 der Richtlinie. Diese Bestimmung definiert den ordentlichen Wohnsitz als den Ort, an dem ein Führerscheininhaber 'gewöhnlich wohnt', sofern das aufgrund von Bindungen geschieht, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen. Das Tatbestandsmerkmal 'gewöhnlich' konkretisiert Art. 9 Satz 1 der Richtlinie dahingehend, dass sich der Betroffene im Laufe eines Kalenderjahres an mindestens 185 Tagen an dem fraglichen Ort unter Umständen aufhalten muss, die als 'Wohnen' bezeichnet werden können. Die Feststellung, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, setzt nicht zwangsläufig voraus, dass die 185-​Tage-​Frist bereits verstrichen ist. Lässt sich eine Person an einem Ort, an dem sie über persönliche (sowie ggf. zusätzlich über berufliche) Bindungen verfügt, in einer Weise nieder, die es als gesichert erscheinen lässt, dass sie dort während des Kalenderjahres an 185 Tagen wohnen wird (z.B. weil sie über keine weitere Wohnung verfügt, oder weil die Art und die Einrichtung dieser Wohnung bzw. die Art und Intensität der bestehenden persönlichen oder beruflichen Bindung eine Beendigung des Aufenthalts bereits vor dem Ablauf eines halben Jahres als praktisch ausgeschlossen erscheinen lassen), so spricht viel dafür, dass sie schon von dem Augenblick an, ab dem die mit den erforderlichen engen Bindungen einhergehende Aufenthaltnahme begonnen hat, einen ordentlichen Wohnsitz begründet haben könnte.

Hätte der Richtliniengeber festlegen wollen, dass ein ordentlicher Wohnsitz erst dann besteht, wenn ein Führerscheininhaber sich an mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr am Ort der persönlichen (und beruflichen) Bindungen aufgehalten hat, hätte es nahe gelegen, das Verb 'wohnen' im Perfekt zu gebrauchen ('an dem ein Führerscheininhaber ... gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, gewohnt hat'). Nicht nur die deutsche, sondern auch diejenigen fremdsprachlichen Fassungen des Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG, die dem beschließenden Gericht ohne Beiziehung von Sprachmittlern zugänglich sind, bedienen sich jedoch insoweit einheitlich des Präsens ('wohnt').

b) Die vom Antragsgegner und vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung hätte ferner zur Folge, dass ein EU-​Mitgliedstaat einem aus dem Ausland zugezogenen Angehörigen eines anderen EU-​Mitgliedslandes auch dann, wenn die persönlichen (sowie ggf. zusätzlich die beruflichen) Bindungen dieser Person bereits ab dem Tag der Aufenthaltnahme zweifelsfrei im Land des Zuzugs liegen, erst nach 185 Tagen eine Fahrerlaubnis erteilen dürfte. Das müsste mit Blickrichtung auf den Grundsatz der Freizügigkeit der Unionsbürger (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1, Art. 45 Abs. 1, Art. 49 Satz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union [konsolidierte Fassung], ABl C 115 vom 9.5.2008, S. 47; Art. 45 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl C 303 vom 14.12.2007, S. 1) ernsten Bedenken begegnen. Denn das Gebot der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen (Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG) dient gerade der erleichterten Wahrnehmung dieser europarechtlichen Grundfreiheit (vgl. u. a. den ersten Erwägungsgrund dieser Richtlinie sowie EuGH vom 26.6.2008 ZfS 2008, 473/476, RdNr. 49)."
Im Fall des Antragstellers kommt jedoch hinzu, dass er bereits vor dem Ablauf von 185 Tagen seit der Eintragung in das tschechische Ausländerregister wieder aus diesem Verzeichnis gelöscht wurde. Gerade dann, wenn die in der Beschwerdebegründung aufgestellte Behauptung zutreffen sollte, er habe sich in Tschechien nicht abgemeldet (die Löschung im Ausländerregister mithin ausschließlich aufgrund amtsbekannter Tatsachen vorgenommen wurde), sprächen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass den dortigen Behörden spätestens am 7. Dezember 2009 bekannt war, dass der Antragsteller nicht (mehr) in Tschechien wohnte. Es liegt deshalb nicht fern, dass eine gezielte, ggf. über das Kraftfahrt-​Bundesamt vorgenommene und damit dem tschechischen Verkehrsministerium zur Kenntnis gelangende Nachfrage bei der Tschechischen Republik ergeben könnte, dass von einer Erfüllung des 185-​Tage-​Kriteriums keine Rede sein kann. Erst recht erschüttert wäre die Annahme, der Antragsteller habe mindestens 185 Tage lang in Tschechien gewohnt, wenn die tschechischen Stellen mitteilen würden, dass er sich kurz nach dem Erwerb der Fahrerlaubnis selbst in jenem Land abgemeldet hat.

Die Möglichkeit einer solchen Nachweisführung wird durch die vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen nicht ausgeschlossen. Aus dem als Anlage 1 zur Beschwerdebegründung eingereichten, in tschechischer Sprache verfassten Dokument, bei dem es sich nach Darstellung des Antragstellers um eine Meldebescheinigung handeln soll, ergibt sich nicht einmal ansatzweise, dass er mindestens 185 Tage lang tatsächlich in Tschechien gewohnt hat. Erst recht wird hierdurch nicht belegt, dass die weiteren Voraussetzungen (insbesondere das Bestehen persönlicher bzw. beruflicher Bindungen) erfüllt waren, von denen Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG die Existenz eines ordentlichen Wohnsitzes abhängig macht. Da dieses Dokument entgegen der Darstellung in der Beschwerdebegründungsschrift nicht am 29. Oktober 2009, sondern am 29. September 2009 ausgestellt wurde, beweist es nicht einmal, dass der Antragsteller seine Anmeldung in Tschechien noch nach dem Erwerb der streitgegenständlichen Fahrerlaubnis aufrecht erhalten hat.

Ebenfalls nicht belegt wird die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG durch die als Anlage 2 zur Beschwerdebegründungsschrift in Ablichtung vorgelegte, ebenfalls auf Tschechisch verfasste Unterlage. Sollte es sich hierbei - wie behauptet - um den Nachweis einer in Tschechien gültigen Krankenversicherung handeln, so würde aus dem Umstand, dass sich diese Bescheinigung offenbar auf die Zeit vom 25. August 2009 bis zum 24. Februar 2010 erstreckt, nicht zur Überzeugung des Gerichts folgen, dass der Antragsteller innerhalb dieser Zeitspanne mindestens an 185 Tagen aufgrund persönlicher (sowie ggf. beruflicher) Bindungen tatsächlich in Tschechien gewohnt hat. Vielmehr würde hierdurch nur bewiesen, dass er einen sechs Monate lang in Tschechien gültigen Krankenversicherungsschutz erworben hat, wie er nach eigener Darstellung des Antragstellers Voraussetzung für die "Anmeldung" eines Wohnsitzes in Tschechien ist. Über das tatsächliche Wohnverhalten des Antragstellers und das Vorliegen der nach Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG zusätzlich erforderlichen Umstände besagt eine solche Bescheinigung nichts.

5. Eine von den Erfolgsaussichten der anhängigen Klage unabhängige Interessenabwägung gebietet es ebenfalls, an der sofortigen Vollziehbarkeit des streitgegenständlichen Bescheids festzuhalten. Die vom Antragsteller am 24. und 25. Februar 2008 begangenen Straftaten belegen, dass er dazu bereit ist, ein Kraftfahrzeug als Werkzeug einzusetzen, um damit andere Personen vorsätzlich zu schädigen oder sie in einer potenziell lebensbedrohlichen Weise zu gefährden. Es wäre mit dem Schutzauftrag der staatlichen Gewalt für das menschliche Leben und die körperliche Unversehrtheit nicht vereinbar, einer Person, die zu solchen Straftaten neigt, ohne zwingende rechtliche Notwendigkeit das Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr zu gestatten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG sowie den Empfehlungen in den Abschnitten II.1.5 Satz 1 und II.46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).