Das Verkehrslexikon

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OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 03.08.2016 - OVG 1 N 80.14 - Fahrtenbuchauflage nach Geschwindigkeitsbeschränkung aus Lärmschutzgründen

OVG Berlin-Brandenburg v. 03.08.2016: Fahrtenbuchauflage nach Geschwindigkeitsbeschränkung aus Lärmschutzgründen


Das OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 03.08.2016 - OVG 1 N 80.14) hat entschieden:
  1. Einer Fahrtenbuchanordnung steht nicht entgegen, dass der Fahrzeughalter im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde.

  2. Die Missachtung einer nur aus Lärmschutzgründen getroffenen Geschwindigkeitsbeschränkung macht die Fahrtenbuchanordnung grundsätzlich nicht unverhältnismäßig.

Siehe auch Fahrtenbuch-Auflage - Fahrtenbuch führen und Lärmschutz


Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Die Klägerin beruft sich zunächst auf den Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Derartige Zweifel setzen voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt werden (BVerwG, Beschluss vom 30. Oktober 2014 – 2 B 109.13 – Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 45 = juris Rn. 13; BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 – 1 BvR 461/03 – BVerfGE 110, 77 = juris Rn. 19). Nach diesem Maßstab ist das Vorbringen der Klägerin nicht geeignet, die Würdigung der Sach- und Rechtslage durch das Verwaltungsgericht und das auf dieser Grundlage gefundene Ergebnis ernstlich in Zweifel zu ziehen.

a) Die Klägerin wendet sich gegen die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die Bußgeldbehörde habe nicht die Pflicht, auf eine etwaige Fahrtenbuchanordnung hinzuweisen, weil es sich bei der Ahndung als Ordnungswidrigkeit und der Anordnung des Führens eines Fahrtenbuchs um zwei selbständige Verfahren handele. Sie trägt vor, angesichts des Fotos von einem männlichen Fahrer nie selbst als Beschuldigte, sondern nur als Halterin mit der Sache befasst worden zu sein. Ihr Aussageverweigerungsrecht habe zwar die Verfolgung von Familienangehörigen im Bußgeldverfahren betroffen, doch sei ihre Mitwirkungspflicht als Halterin verwaltungsrechtlich. Deswegen seien die Hinweispflichten abhängig vom Verkehrsverwaltungsrecht. Im Übrigen dürfe sich in einem rechtsstaatlichen Verfahren eine Behörde nicht auf rechtswidrig erlangte Sachverhalte anderer Behörden berufen. Solches sei in Unrechtssystemen üblich. Es hätte bei ordnungsgemäßer Belehrung über die Folgen nicht festgestanden, ob die Klägerin von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hätte.

Mit dieser Argumentation wird die Möglichkeit einer Rechtspflicht der Bußgeldbehörde, auf eine etwaige Fahrtenbuchanordnung hinzuweisen, nicht ansatzweise aufgezeigt (eine Rechtspflicht verneinend auch: OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Februar 2005 – 12 ME 519/04 – juris Rn. 3 f.; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, StVZO § 31a Rn. 2). Die Klägerin selbst benennt keine Vorschrift für ihre Rechtsauffassung. Das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten und die in dessen § 46 Abs. 1 genannten allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozessordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes, schreiben für das Bußgeldverfahren nicht die Belehrung von Zeugen oder Fahrzeughaltern über eine womöglich zu verhängende Fahrtenbuchanordnung vor. Auch das Straßenverkehrsrecht im Allgemeinen, § 31a StVZO im Speziellen und das insoweit zu beachtende Verwaltungsverfahrensrecht (VwVfGBbg i.V.m. VwVfG) enthalten über die Pflicht zur Anhörung von Beteiligten vor Erlass eines in ihre Rechte eingreifenden Verwaltungsakts (§ 28 Abs. 1 VwVfG) wie hier einer Fahrtenbuchanordnung keine Belehrungspflicht, schon gar nicht für Bußgeldbehörden, die mit diesem polizei- und ordnungsrechtlichen Vorgang überhaupt nicht befasst sind. Die Gesetze normieren schließlich keine Belehrungsobliegenheit, bei deren Missachtung es der Straßenverkehrsbehörde verwehrt wäre, eine Fahrtenbuchanordnung zu treffen. Angesichts dessen geht das Vorbringen, die Bußgeldbehörde habe „rechtsverletzend“ agiert, was die Straßenverkehrsbehörde nicht als „Trittbrettfahrerin“ ausnutzen dürfe, ins Leere.

Das Verwaltungsgericht hat auch Recht damit, dass beide Verfahren nach dem Gesetz getrennt sind (ebenso OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Februar 2005 – 12 ME 519/04 – juris Rn. 4). Das belegen nicht nur die jeweils anzuwendenden unterschiedlichen Gesetzeswerke und die voneinander geschiedenen Behördenzuständigkeiten, sondern auch die detaillierten Bestimmungen dazu, wann Informationen der einen Behörde an andere Behörden zu deren Aufgabenerfüllung weitergegeben werden dürfen (siehe z.B. §§ 49a, 49b OWiG). Das Bemühen der Klägerin, die angebliche Belehrungspflicht als essentiell für einen Rechtsstaat in Abgrenzung vom Unrechtssystem auszugeben, ist abwegig. Ein zwingendes rechtsstaatliches Gebot, einem Fahrzeughalter durch Belehrung die Wahl zu erleichtern, ob er das Zeugnis zugunsten eines Familienangehörigen verweigert oder aber den Familienangehörigen bei der Bußgeldbehörde belastet, um sich selbst die Lästigkeit einer Fahrtenbuchanordnung zu ersparen, liegt fern. Zur Rechtsberatung können Rechtsanwälte konsultiert werden.

b) Die Klägerin zieht die Richtigkeit des Urteils auch nicht ernstlich in Zweifel mit ihrem weiteren Vorbringen, dass ein Verstoß gegen eine Geschwindigkeitsbeschränkung, die „lediglich aus Lärmschutzgründen“ bestehe, nicht schwer sei und mithin eine Fahrtenbuchanordnung nicht rechtfertige. Die hieran anknüpfenden Erwägungen im Urteil zur Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer und zur charakterlichen Unzuverlässigkeit stehen im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung. Wie der VGH Mannheim bereits im Beschluss vom 9. April 1991 – 10 S 745/91 – zutreffend entschied, ist ein gefährlicher Verstoß gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs dann anzunehmen, wenn eine aus Lärmschutzgründen angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung erheblich überschritten wird. Denn es ist möglich, dass Verkehrsteilnehmer, die eine derartige Beschränkung beachten, durch erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen anderer in Gefahr gebracht werden. Im Übrigen hat die Verletzung einer Geschwindigkeitsbegrenzung, die im Interesse des Lärmschutzes angeordnet wurde, auch deshalb ein erhebliches Gewicht für die Sicherheit des Straßenverkehrs, weil die Missachtung einer solchen Vorschrift wegen der darin deutlich werdenden Rücksichtslosigkeit die Besorgnis begründet, der Kraftfahrer könne zukünftig durch weiteres verkehrswidriges Verhalten anderer Art auch Gefahren für die übrigen Verkehrsteilnehmer hervorrufen (NZV 1991, 328 = juris Rn. 5).

Dass die Klägerin vom Charakter ihres nicht genannten Familienangehörigen ein anderes Bild haben mag, ist unerheblich. Für die Straßenverkehrsbehörde ist mangels Kenntnis des Täters eine typisierende Sichtweise unvermeidlich (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 1997 – 3 B 22.97 – juris 5). Die Klägerin verkennt mit ihren Betrachtungen in diesem Zusammenhang – der Täter sei nicht mit 160 oder 200 km/h durch den Nachthimmel gebraust und habe eine besondere Rücksicht und charakterliche Stärke bewiesen –, dass die Rechtsprechung (auch des Bundesverwaltungsgerichts) Fahrtenbuchanordnungen schon bei erheblich weniger als – wie im vorliegenden Fall – 27 km/h für verhältnismäßig erachtete (siehe die Nachweise bei Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, StVZO § 31a Rn. 8). Die Behauptung der Klägerin, der Täter habe nicht vorsätzlich gehandelt, ist eine hier unbeachtliche Spekulation.

c) Die Angriffe der Klägerin gegen die Erwägung des Verwaltungsgerichts, es genüge im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1999 eine Ahndung des betreffenden Verkehrsverstoßes mit einem Punkt, um einen Verkehrsverstoß nicht als unwesentlich zu qualifizieren, ohne dass es auf besondere Umstände des Einzelfalls, namentlich die Gefährlichkeit des Verkehrsverstoßes oder eine konkrete Wiederholungsgefahr ankomme, ziehen das Urteil nicht ernsthaft in Zweifel.

Nach ständiger Rechtsprechung reicht gemäß § 31a StVZO für eine Fahrtenbuchanordnung aus, dass sich die Verletzung von Verkehrsvorschriften als „verkehrsgefährdend auswirken kann“ (BVerwG, Beschluss vom 17. Juli 1986 – 7 B 234.85 – NJW 1987, 143 = juris Rn. 3; Urteil des Senats vom 19. Februar 2015 – OVG 1 B 1.13 – juris Rn. 20). Die Wesentlichkeit des Verstoßes hängt nicht davon ab, ob dieser zu einer konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer geführt hat (so BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1995 – 11 C 12.94 – BVerwGE 98, 227 = juris Rn. 9, bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2015 – 3 C 13.14 – BVerwGE 152, 180 Rn. 15; BVerwG, Beschluss vom 9. September 1999 – 3 B 94.99 – juris Rn. 2).

Die Fragen, welche die Klägerin zu dem am 1. Mai 2014 in Kraft getretenen Fahreignungs-​Bewertungssystem aufwirft, sind im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Mai 2015 – 3 C 13.14 – bereits geklärt worden. Das Bundesverwaltungsgericht führt aus, es ändere sich durch die Neuordnung des Punktesystems nichts. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 26 bis 30 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften führe nach dem neuen Punktekatalog zur Eintragung jedenfalls eines Punktes im Fahreignungsregister (vgl. Nr. 3.2.2 der derzeit geltenden Anlage 13 zu § 40 FeV). Das zeige, nachdem die Fahrerlaubnis nach dem neuen Punktesystem nun schon bei acht statt wie bisher bei 18 Punkten entzogen wird, dass der Verordnungsgeber einem solchen Verkehrsverstoß nach wie vor ein erhebliches Gewicht beimesse. An der abstrakten Gefährlichkeit einer so deutlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit für die Sicherheit des Straßenverkehrs habe sich ohnehin nichts geändert (BVerwGE 152, 180 Rn. 32).

2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache setzt voraus, dass eine bisher weder höchstrichterlich noch obergerichtlich beantwortete konkrete und zugleich entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen und erläutert wird, warum sie über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist und im Interesse der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung der Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (siehe BVerfG, Beschluss vom 24. Januar 2007 – 1 BvR 382/05 – NVwZ 2007, 805 = juris Rn. 25; OVG Berlin-​Brandenburg, Beschluss vom 30. Januar 2014 – OVG 7 N 34.13 –). Die von der Klägerin für bedeutsam erachtete Frage nach den Weiterungen der Neuordnung des Punktesystems ist, wie dargelegt, vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 28. Mai 2015 – 3 C 13.14 – beantwortet worden (BVerwGE 152, 180 Rn. 21 bis 23).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 und 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).