Das Verkehrslexikon

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OVG Lüneburg Beschluss vom 14.10.2016 - 7 ME 99/16 - Widerruf der Fahrlehrerlaubnis und Fortbildungspflicht

OVG Lüneburg v. 14.10.2016: Widerruf der Fahrlehrerlaubnis wegen Verstoßes gegen die Fortbildungspflicht


Das OVG Lüneburg (Beschluss vom 14.10.2016 - 7 ME 99/16) hat entschieden:
Ein den Widerruf der Fahrlehrerlaubnis nach § 33a Abs. 4 Satz 1 FahrlG rechtfertigender zweiter Verstoß gegen die Fortbildungspflicht kann erst dann festgestellt werden, wenn der erste Verstoß bereits als Ordnungswidrigkeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 16 FahrlG geahndet wurde.


Siehe auch Fahrschule / Fahrlehrer / Fahrschüler und Stichwörter zum Thema Verkehrsverwaltungsrecht


Gründe:

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 31. August 2016 hat auch in der Sache Erfolg. Mit dem genannten Beschluss hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen den mit Bescheid des Antragsgegners vom 13. Juni 2016 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügten Widerruf seiner Fahrlehrerlaubnis (Ziffer 1. des Bescheides), die Anordnung der unverzüglichen Abgabe des Fahrlehrerscheins (Ziffer 2. des Bescheides) sowie die Androhung eines Zwangsgeldes (Ziffer 4. des Bescheides) abgelehnt.

Die Beschwerdebegründung, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, gebietet eine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses.

1. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist zunächst die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (Az. 1 A 155/16) gegen den unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügten Widerruf seiner Fahrlehrerlaubnis wiederherzustellen. Denn nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage erweist sich der durch Bescheid vom 13. Juni 2016 erfolgte Widerruf der Fahrlehrerlaubnis des Antragstellers als rechtswidrig, so dass die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten des Antragstellers ausfällt.

Voraussichtlich zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 33a Abs. 4 Satz 1 FahrlG bejaht. Danach kann die Fahrlehrerlaubnis widerrufen werden, wenn zweimal gegen die Fortbildungspflicht nach Absatz 1 verstoßen wird. Nach § 33a Abs. 1 FahrlG hat jeder Fahrlehrer alle vier Jahre an einem jeweils dreitägigen Fortbildungslehrgang teilzunehmen. Der Antragsteller hat zuletzt in der Zeit vom 19. - 21. Januar 2012 an einem Fortbildungslehrgang teilgenommen. Bis zum 21. Januar 2016 hat er - trotz eines entsprechenden Hinweises des Antragsgegners mit Schreiben vom 04. Dezember 2015 - nicht erneut einen Fortbildungslehrgang absolviert. Den weiteren schriftlichen Aufforderungen des Antragsgegners vom 22. Januar, 09. Februar und 27. April 2016, eine Teilnahmebescheinigung vorzulegen, ist der Antragsteller nicht nachgekommen. Auf der Grundlage dieses Sachverhalts kann ein „zweimaliger“ Verstoß gegen die Fortbildungspflicht nach § 33a Abs. 1 FahrlG wohl nicht bejaht werden. Zwar ist dem Verwaltungsgericht zuzustimmen, soweit dieses eine bis zur Eröffnung des Erlaubniswiderrufs insgesamt achtjährige Zeitspanne als nicht erforderlich erachtet. Ein zweiter Verstoß gegen die Fortbildungspflicht liegt nicht erst nach dem Ablauf von weiteren vier Jahren vor (vgl. Hessischer VGH, Urteil vom 22.05.2007 - 2 UE 2799/06 -, juris; VG Chemnitz, Urteil vom 09.11.2009 - 4 K 935/07 -, juris). Insoweit führt das Beschwerdevorbringen des Antragstellers nicht zum Erfolg. Allerdings spricht überwiegendes dafür, dass - entsprechend dem weiteren Beschwerdevorbringen des Antragstellers - ein zweiter Verstoß gegen die Fortbildungspflicht erst dann festgestellt werden kann, wenn der erste Verstoß bereits als Ordnungswidrigkeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 16 FahrlG geahndet wurde.

Der insoweit offene Wortlaut des § 33a Abs. 4 Satz 1 FahrlG ist einer entsprechenden Auslegung nach der Gesetzeshistorie und dem Sinn und Zweck zugänglich. Aus den Gesetzesmaterialen (BT-Drs. 13/6914, S. 91) ergibt sich, dass ein wiederholter Verstoß möglich ist, wenn die Gelegenheit zum Besuch eines Ersatzkurses nicht wahrgenommen wird, nachdem bereits die Teilnahme an dem ursprünglichen Kurs versäumt wurde und dies bereits „als Verstoß geahndet“ wurde. Bereits der Gesetzgeber macht damit zur Voraussetzung für einen zweiten (wiederholten) Verstoß, dass der erste bereits geahndet wurde. Auch wenn der Gesetzgeber den Begriff der „Ahndung“ in diesem Zusammenhang nicht näher definiert, erscheint es naheliegend, darunter die Ahndung als Ordnungswidrigkeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 16 FahrlG zu verstehen. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen für eine dahingehende Auslegung. Würde man zur Feststellung des ersten Verstoßes keine - gegebenenfalls sogar bestandskräftige - Ahndung als Ordnungswidrigkeit fordern, bliebe offen, zu welchem konkreten Zeitpunkt die Behörde einen solchen ersten Verstoß als gegeben ansieht bzw. ansehen durfte. Dies muss nicht immer eindeutig sein, da auch Fragen des Verschuldens eine Rolle spielen können. Der betroffene Fahrlehrer bliebe - wie auch im vorliegenden Fall der Antragsteller - im Unklaren, ob die Behörde ihm mit nachfolgenden Aufforderungen zur Vorlage einer Teilnahmebescheinigung lediglich die Möglichkeit einräumt, einen ersten Verstoß noch abzuwenden (etwa weil es ihm aus persönlichen Gründen nicht möglich war, fristgerecht an einem Fortbildungslehrgang teilzunehmen) oder ob damit bereits eine Nachfrist gesetzt werden soll, bei deren Verstreichen der zweite Verstoß festgestellt wird. Der Zeitpunkt, ab dem die neue, „zweite“ Tat beginnt, bliebe offen. Die - auch vom Gesetzgeber geforderte - Ahndung des ersten Verstoßes als Ordnungswidrigkeit führt dem betroffenen Fahrlehrer - quasi als „Warnschuss“ - klar und unmissverständlich vor Augen, dass bereits ein Verstoß gegen die Fortbildungspflicht vorliegt. Wenn er nach Ahndung der Tat als Ordnungswidrigkeit weiterhin nicht unverzüglich an der Fortbildung teilnimmt, beginnt er ab diesem klar definierten Zeitpunkt eine neue (also die „zweite“) Tat, weil er einen erneuten Entschluss fasst, gegen seine Pflicht zu verstoßen; es liegt dann die erforderliche erneute Vorsatzbildung vor (vgl. Bouska/May/ Weibrecht, Fahrlehrer Recht, 9. Auflage, § 33a FahrlG, Ziffer 9).

Dieser Auslegung, die durch die Gesetzesmaterialien gestützt wird, steht die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Mai 2007 (Az. 2 UE 2799/06) nicht entgegen. Auch wenn in dieser Entscheidung die Ahndung des ersten Verstoßes gegen die Fortbildungspflicht als Ordnungswidrigkeit nicht zur ausdrücklichen Voraussetzung für die Annahme eines zweiten Verstoßes gemacht wurde, lag im konkreten Fall doch eine rechtskräftige Verurteilung durch das Amtsgericht Gießen wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen die Pflicht aus § 33a Abs. 1 FahrlG vor. Schließlich scheint auch das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr diese Auffassung zu teilen. In einer E-Mail an den Antragsgegner vom 08. Februar 2016 (Blatt 62 der Verwaltungsvorgänge) wird diesem dazu geraten, einen Bußgeldbescheid zu erlassen. Komme der Fahrlehrer danach seiner Fortbildungspflicht immer noch nicht nach, fasse er einen neuen Vorsatz, gegen die Fortbildungspflicht zu verstoßen, so dass dann eine zweite Tat vorliege.

Ergibt eine auf die Gesetzesmaterialien und den Sinn und Zweck der Vorschrift gestützte Auslegung somit, dass ein zweiter Verstoß gegen die Fortbildungspflicht erst dann festgestellt werden kann, wenn der erste Verstoß bereits als Ordnungswidrigkeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 16 FahrlG geahndet wurde, erweist sich der auf § 33a Abs. 4 Satz 1 FahrlG gestützte Widerruf der Fahrlehrerlaubnis des Antragstellers als rechtswidrig. Denn es mangelt vorliegend an der Ahndung des ersten Verstoßes als Ordnungswidrigkeit.

2. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers (Az. 1 A 155/16) gegen den unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügten Widerruf seiner Fahrlehrerlaubnis hat zugleich zur Folge, dass die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die ebenfalls unter Anordnung der sofortigen Vollziehung getroffene Anordnung, seinen Fahrlehrerschein unverzüglich abzugeben, wiederherzustellen ist. Die in § 8 Abs. 4 FahrlG normierte Folgeregelung, wonach nach Rücknahme oder Widerruf der Fahrlehrerlaubnis der Fahrlehrerschein unverzüglich der Erlaubnisbehörde zurückzugeben ist, greift erst ab Unanfechtbarkeit oder zumindest ab der sofortigen Vollziehbarkeit des tatbestandlich vorausgesetzten Widerrufs (vgl. VG Chemnitz, Urteil vom 09.11.2009 - 4 K 935/07 -, juris, m. w. N.; Bouska/May/Weibrecht, Fahrlehrer Recht, 9. Auflage, § 8 FahrlG, Ziffer 10 für den Fall der Widerspruchseinlegung). Durch die vorliegende Entscheidung des Senats fehlt es an der sofortigen Vollziehbarkeit des Widerrufs (siehe unter 1.).

3. Schließlich ist - auf den dahingehend auszulegenden Antrag des Antragstellers - die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (Az. 1 A 155/16) gegen die Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 160,00 € anzuordnen. Die der Zwangsgeldandrohung zugrundeliegende Grundverfügung, den Fahrlehrerschein unverzüglich zurückzugeben, ist weder bestandskräftig noch sofort vollziehbar (siehe unter 2.). Die Voraussetzungen des § 70 Abs. 1 NVwVG i. V. m. § 64 Abs. 1 Nds. SOG liegen damit nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Ziffern 14.1, 36.3 und 54.2.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).