Das Verkehrslexikon

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VGH München Beschluss vom 30.09.2016 - 11 CS 16.1750 - Keine neuen Maßnahmen bei Punkteänderung innerhalb einer Stufe

VGH München v. 30.09.2016: Keine neuen Maßnahmen bei Punkteänderung innerhalb einer Stufe des Fahreignungsbewertungssystems


Der VGH München (Beschluss vom 30.09.2016 - 11 CS 16.1750) hat entschieden:
Wenn die zuständige Behörde gegen den Fahrerlaubnisinhaber vor dem 1. Mai 2014 die nach damaliger Rechtslage vorgesehene Maßnahme ergriffen hat (hier: Verwarnung und Hinweis auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem Aufbauseminar mit Punktabzug, § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG a.F.), ist dann keine Maßnahme nach neuem Recht (hier: Ermahnung mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einer freiwilligen Teilnahme an einem Fahreignungsseminar und Punktabzug, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG) erforderlich, wenn der Fahrerlaubnisinhaber nach der Einordnung in das Fahreignungs-Bewertungssystem durch eine weitere Straftat oder Ordnungswidrigkeit zwar einen höheren Punktestand, aber hierdurch keine höhere Stufe innerhalb des Stufensystems des § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG erreicht hat.


Siehe auch Das Fahreignungs-Bewertungssystem - neues Punktsystem und Stichwörter zum Thema Fahrerlaubnis und Führerschein


Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit des Entzugs seiner Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-​Bewertungssystem.

Nach Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einer Trunkenheitsfahrt war dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen A, AM, A1, B, BE, C, C1, CE, C1E, L und T am 21. November 2011 wieder erteilt worden. Bis zum 1. Mai 2014 waren im damaligen Verkehrszentralregister wegen diverser Ordnungswidrigkeiten des Antragstellers im Straßenverkehr insgesamt zehn Punkte eingetragen, die zum 1. Mai 2014 in vier Punkte nach neuem Recht umgerechnet wurden. Zuvor hatte ihn das Landratsamt Amberg-​Sulzbach (im Folgenden: Landratsamt) mit Schreiben vom 23. April 2014 gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG a.F. verwarnt und auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem Aufbauseminar hingewiesen.

Mit Schreiben vom 17. Juli 2015 teilte das Kraftfahrt-​Bundesamt dem Landratsamt mit, der Antragsteller habe durch drei weitere Verkehrsverstöße nunmehr insgesamt sieben Punkte im Fahreignungs-​Bewertungssystem erreicht. Wenige Tage zuvor hatte das Kraftfahrt-​Bundesamt dem Landratsamt mit Schreiben vom 13. Juli 2015 den zu diesem Zeitpunkt bekannten Stand von sechs Punkten mitgeteilt. Das Landratsamt verwarnte den Antragsteller daraufhin mit Schreiben vom 10. August 2015 unter Hinweis auf den erreichten Punktestand, die Möglichkeit einer freiwilligen Teilnahme an einem Fahreignungsseminar und die drohende Entziehung der Fahrerlaubnis bei Erreichen von acht Punkten.

Nachdem das Kraftfahrt-​Bundesamt dem Landratsamt mit Schreiben vom 25. Mai 2016 mitgeteilt hatte, der Antragsteller habe nunmehr durch zwei weitere Ordnungswidrigkeiten insgesamt neun Punkte im Fahreignungs-​Bewertungssystem erreicht, lehnte das Landratsamt nach vorangegangener Anhörung mit Bescheid vom 8. Juli 2016 eine vom Antragsteller beantragte Reduzierung auf fünf Punkte ab, entzog ihm die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn unter Anordnung des Sofortvollzugs und Androhung eines Zwangsgelds zur Ablieferung des Führerscheins innerhalb von sieben Tagen ab Zustellung des Bescheids.

Den Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der (zu diesem Zeitpunkt noch nicht erhobenen, aber am 8.8.2016 eingereichten) Klage gegen den Bescheid hat das Verwaltungsgericht Regensburg mit Beschluss vom 5. August 2016 abgelehnt. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei rechtmäßig. Der Antragsteller habe mit dem zuletzt bekannt gewordenen Verstoß neun Punkte im Fahreignungs-​Bewertungssystem erreicht. Zuvor habe ihn das Landratsamt ordnungsgemäß verwarnt. Eine vorherige Ermahnung nach neuem Recht sei nicht erforderlich gewesen, da der Antragsteller durch die Umrechnung der Eintragungen im früheren Verkehrszentralregister zum 1. Mai 2014 mit vier Punkten bereits in die Stufe eins im Fahreignungs-​Bewertungssystem eingeordnet worden sei und weder diese Einordnung allein noch das spätere Erreichen von fünf Punkten eine Maßnahme nach dem Fahreignungs-​Bewertungssystem erfordert habe.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt. Zur Begründung lässt der Antragsteller im Wesentlichen ausführen, sein Punktestand müsse wegen der nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG erforderlichen, aber unterbliebenen Ermahnung auf fünf Punkte reduziert werden. Mit der Eintragung der am 14. März 2014 begangenen, am 8. Juli 2014 rechtskräftig geahndeten und mit einem Punkt bewerteten Ordnungswidrigkeit habe der Antragsteller fünf Punkte nach dem Fahreignungs-​Bewertungssystem erreicht. Daher habe ihn das Landratsamt ermahnen müssen. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG sehe eine Ermahnung ausdrücklich vor, wenn der Inhaber einer Fahrerlaubnis vier oder fünf Punkte erreiche. Die Ermahnung mit dem gebotenen Hinweis auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem Fahreignungsseminar und dem hierfür vorgesehenen Punktabzug sei auch nicht wegen der nach altem Recht ausgesprochenen Verwarnung vom 23. April 2014 entbehrlich.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.


II.

Die zulässige Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, hat keinen Erfolg.

Der Antragsteller hat nach der Mitteilung des Kraftfahrt-​Bundesamts vom 25. Mai 2016 mit den zuletzt begangenen und rechtskräftig geahndeten Ordnungswidrigkeiten vom 25. Juni 2014 (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 34 km/h) und vom 21. August 2015 (Nichteinhaltung des erforderlichen Abstands zum vorausfahrenden Fahrzeug) insgesamt neun Punkte erreicht. Zuvor hatte ihn das Landratsamt nach Erreichen von zehn Punkten im damaligen Verkehrszentralregister mit Schreiben vom 23. April 2014 gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 des Straßenverkehrsgesetzes in der bis zum 30. April 2014 geltenden Fassung (StVG a.F.) verwarnt und auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem Aufbauseminar hingewiesen. Nach Erreichen der zweiten Stufe des Fahreignungs-​Bewertungssystems hat ihn das Landratsamt gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in der ab 1. Mai 2014 geltenden Fassung (BGBl I S. 3313), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Mai 2016 (BGBl I S. 1217), mit Schreiben vom 10. August 2015 unter Hinweis auf den erreichten Punktestand, die Möglichkeit einer freiwilligen Teilnahme an einem Fahreignungsseminar und die drohende Entziehung der Fahrerlaubnis bei Erreichen von acht Punkten ordnungsgemäß verwarnt. Der Antragsteller hat daher das Stufensystem nach § 4 Abs. 5 StVG korrekt durchlaufen.

Der Antragsteller kann gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG auch nicht mit Erfolg einwenden, ihm sei gemäß § 4 Abs. 6 Satz 2 StVG in der ab 1. Mai 2014 geltenden Fassung (BGBl I S. 3313) bzw. § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG in der ab 5. Dezember 2014 geltenden Fassung (BGBl I S. 1802) eine Reduzierung auf fünf Punkte zu gewähren, weil das Landratsamt ihn nicht nach Erreichen von fünf Punkten am 8. Juli 2014 gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG ermahnt habe. Wie der Senat bereits entschieden hat ist dann, wenn die zuständige Behörde gegen den Fahrerlaubnisinhaber vor dem 1. Mai 2014 die nach damaliger Rechtslage vorgesehene Maßnahme ergriffen hat (hier: Verwarnung und Hinweis auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem Aufbauseminar mit Punktabzug, § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG a.F.), auch dann keine Maßnahme nach neuem Recht (hier: Ermahnung mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einer freiwilligen Teilnahme an einem Fahreignungsseminar und Punktabzug, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG) erforderlich, wenn der Fahrerlaubnisinhaber nach der Einordnung in das Fahreignungs-​Bewertungssystem durch eine weitere Straftat oder Ordnungswidrigkeit zwar einen höheren Punktestand, aber hierdurch keine höhere Stufe innerhalb des Stufensystems des § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG erreicht (BayVGH, B.v. 7.4.2016 – 11 CS 16.338 – juris Rn. 15 f.; vgl. auch OVG Berlin-​Bbg, B.v. 2.6.2015 – OVG 1 S 90.14 – juris Rn. 6; OVG Hamburg, B.v. 16.11.2015 – 4 Bs 207.15 – juris Rn. 20). Dies ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung. Danach hat die zuständige Behörde den Inhaber einer Fahrerlaubnis nur beim erstmaligen Erreichen eines Punktestands der jeweiligen Stufe zu ermahnen oder zu verwarnen. Bei wechselnden Punktständen innerhalb der Maßnahmenstufe sei die Maßnahme jedoch nicht erneut zu ergreifen (BT-​Drs. 17/12636, S. 41). Der Antragsteller kann daher nicht verlangen, so behandelt zu werden, als hätte ihn das Landratsamt mit Erreichen von fünf Punkten gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG ermahnen müssen, dies jedoch vorschriftswidrig unterlassen. Vielmehr war eine Ermahnung aufgrund der bereits nach altem Recht ausgesprochenen Verwarnung entbehrlich und auch aufgrund der Erhöhung des Punktestands auf fünf Punkte durch die Ordnungswidrigkeit vom 14. März 2014, die am 8. Juli 2014 rechtskräftig geahndet und am 20. August 2014 in das Fahreignungsregister eingetragen wurde, nicht erforderlich.

Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.1, 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14). Entgegen der Auffassung der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers ist die Fahrerlaubnis der Klassen C1 und C1E (Nr. 46.5 des Streitwertkatalogs) nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen, da die Fahrerlaubnis der Klasse C gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 der Fahrerlaubnis-​Verordnung (FeV) zum Führen von Fahrzeugen der Klasse C1 und die Fahrerlaubnis der Klasse CE gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV zum Führen von Fahrzeugen der Klasse C1E berechtigt. Maßgebend ist insoweit daher allein Nr. 46.4 des Streitwertkatalogs.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).