Das Verkehrslexikon

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OLG Düsseldorf Beschluss vom 04.10.2016 - IV 2 RBs 145/16 - Geschwindigkeitsmessung mit dem Einseitensensor ES3.0 als standardisiertes Messverfahren

OLG Düsseldorf v. 04.10.2016: Geschwindigkeitsmessung mit dem Einseitensensor ES3.0 als standardisiertes Messverfahren


Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 04.10.2016 - IV 2 RBs 145/16) hat entschieden:
  1. Die Feststellung von Geschwindigkeitsverstößen mit dem Messgerätes ESO 3.0 geschieht im Rahmen eines standardisieerten Messverfahrens.

  2. Der Tatrichter hat sich auch bei standardisierten Messverfahren stets der Möglichkeit ihrer Fehlerhaftigkeit bewusst zu sein. Er hat deshalb die ihm zum Messvorgang vorgelegten Unterlagen (Messfoto, Eichschein, Messprotokoll, etc.) auf mögliche Anhaltspunkte, an der Fehlerfreiheit der Messung zu zweifeln, zu untersuchen. Die Bedeutung des Messfotos reduziert sich nicht auf die Wiedergabe von Fahrzeug und Fahrer, sondern es zeigt auch die Verkehrssituation zum Zeitpunkt der Messung und erlaubt dadurch eine Kontrolle der Messsituation in Bezug auf ersichtliche Fehlerquellen, wie etwa eine auffällige Fotoposition des (vermeintlich) gemessenen Fahrzeug oder das Vorhandensein eines weiteren Fahrzeugs im Messbereich.

Siehe auch Das Einseitensensor-Radarmessgerät ESO ES 3.0 und Standardisierte Messverfahren


Gründe:

1. Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 13. Oktober 2015 mit einem PKW um 16:51 Uhr die Kstraße in O mit einer Geschwindigkeit von 54 km/h, obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h beschränkt war. Die Messung der Geschwindigkeit erfolgte mittels des Messgerätes ESO 3.0.

Ausweislich der Ausführungen zur Beweiswürdigung bestand die Messapparatur aus der Messsensoreinheit, einer geeichten Fotoeinrichtung und einer weiteren, ungeeichten Fotoeinrichtung, welche als einzige mit einem Blitzgerät versehen war, weshalb nur das von dieser aufgenommene Foto einen erkennbaren Inhalt hat, während das Messfoto der geeichten Fotoeinrichtung bis auf eingeblendete Messdaten schwarz ist.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 80 EUR verurteilt. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtbeschwerde.

2. Die Rechtsbeschwerde war – durch den Einzelrichter (§ 80a Abs. 1 OWiG) – zur Fortbildung des sachlichen Rechts zuzulassen (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Zwar hat sich die obergerichtliche Rechtsprechung bereits eingehend mit der Einstufung des eingesetzten Messverfahrens – einschließlich Zusatzfotoeinrichtung - als standardisiertes Messverfahren befasst (vgl. etwa OLG Hamm NStZ-RR 2013, 213 und OLG Dresden NZV 2016, 348). Soweit ersichtlich ist aber die Frage nach den über den Einzelfall hinausgehenden beweisrechtlichen Konsequenzen des hier festzustellenden völligen Fehlens eines auswertbaren Fotos der geeichten Fotoeinrichtung bislang nicht Gegenstand obergerichtlicher Erörterung gewesen.

Die Sache war dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen (§ 80a Abs. 3 OWiG).

3. Die nach ihrer Zulassung auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat zumindest vorläufig Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils nebst den getroffenen Feststellungen.

a) Die im angefochtenen Urteil dokumentierten Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung bilden keine ausreichende Grundlage für die Annahme des Amtsgerichts, dass der dem Betroffenen vorgeworfene Wert der von ihm gefahrenen Geschwindigkeit Ergebnis eines (im Wesentlichen) standardisierten Messverfahrens war, dessen Ablauf keine Veranlassung zu Zweifeln an der Richtigkeit der ermittelten Geschwindigkeit geben würde.

aa) Standardisierte Messverfahren sind nicht zwingend voll automatisierte, menschliche Handhabungsfehler ausschließende Verfahren. Hierunter fallen auch durch Normen vereinheitlichte (technische) Verfahren, bei denen die Bedingungen ihrer Anwendbarkeit und ihr Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGHSt 43, 277, 284).

Ist ein solches Verfahren zur Feststellung der gefahrenen Geschwindigkeit zur Anwendung gekommen, ist das Ergebnis der Messung nur bei konkreten Anhaltspunkten für Messfehler einer näheren Prüfung zu unterziehen. Die bloß denkbare Möglichkeit der Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses erfordert seine Nachprüfung nicht (BGH NJW 1993, 3081, 3083 f.).

Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Amtsgericht davon aus, dass das eingesetzte Verfahren ein standardisiertes Messverfahren in vorstehendem Sinne ist (OLG Hamm a. a. O.; OLG Dresen a. a. O.). Der Umstand, dass das durch die geeichte Fotoeinrichtung produzierte Messfoto schwarz war, und nur das weitere Foto, das einer ungeeichten Fotoeinrichtung entstammt, einen aussagekräftigen Inhalt hatte, hätte das Amtsgericht aber veranlassen müssen, die Richtigkeit des Messergebnisses einer konkreten Untersuchung zu unterziehen. Es durfte seinen weiteren Überlegungen nicht zugrunde legen, dass Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der Messung nicht bestehen, und folglich nicht gemäß der vorstehend bezeichneten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von einer weitergehenden Prüfung absehen.

bb) Der Tatrichter hat sich auch bei standardisierten Messverfahren stets der Möglichkeit ihrer Fehlerhaftigkeit bewusst zu sein (BGH a. a. O. S: 3083). Er hat deshalb die ihm zum Messvorgang vorgelegten Unterlagen (Messfoto, Eichschein, Messprotokoll, etc.) auf mögliche Anhaltspunkte, an der Fehlerfreiheit der Messung zu zweifeln, zu untersuchen, weil überhaupt nur dann Zweifel an der Richtigkeit der Messung aufkommen können.

Die Bedeutung des Messfotos reduziert sich nicht auf die Wiedergabe von Fahrzeug und Fahrer, sondern es zeigt auch die Verkehrssituation zum Zeitpunkt der Messung (OLG Frankfurt NStZ-RR 2016, 185) und erlaubt dadurch eine Kontrolle der Messsituation in Bezug auf ersichtliche Fehlerquellen, wie etwa eine auffällige Fotoposition des (vermeintlich) gemessenen Fahrzeug oder das Vorhandensein eines weiteren Fahrzeugs im Messbereich.

Zwar ist der Tatrichter nicht gezwungen, in jedem Fall das Fehlen von Anhaltspunkten für Fehlerquellen im angefochtenen Urteils ausdrücklich festzustellen (BGH a. a. O., S. 3084), das Schweigen des Urteils zu dieser Frage begründet mithin noch nicht den Vorwurf, der Tatrichter sei sich der Möglichkeit der Fehlerhaftigkeit der Messung nicht bewusst gewesen. Wenn aber der Tatrichter erkennbar nicht in die Lage versetzt worden ist, die vorgenannte Prüfung vorzunehmen, gleichwohl aber von der Fehlerfreiheit der Messung ausgeht, liegt auf der Hand, dass er seiner Verpflichtung zur Nachprüfung des Vorliegens von Anhaltspunkten zu Zweifeln an der Richtigkeit der Messung nicht nachgekommen sein kann. So ist die Sachlage hier.

cc) Das schwarze Messfoto bildet keine Nachprüfungsgrundlage. Das durch die ungeeichte Fotoeinrichtung erstellte Foto ist keine geeignete Grundlage für diese Prüfung. Denn dieses bietet wegen des Fehlens der Eichung nicht von sich aus einen Ansatzpunkt für die Gewähr, dass es die Messsituation zutreffend wiedergibt, ohne dass damit seine Untauglichkeit dazu stets anzunehmen wäre. Die Beantwortung dieser Frage ist dann aber im Einzelfall vorzunehmen.

Das Amtsgericht stellt fest, dass das Foto der ungeeichten Fotoeinrichtung ausweislich der Bedienungsanleitung „als Ergänzung“ herangezogen werden kann. Lassen beide Fotos zusammen die gebotene Nachprüfung der Messsituation zu, bestehen gegen die ergänzende Heranziehung keine Bedenken. Die Argumentation des Amtsgerichts läuft aber auf eine Ersetzung des Messfotos (der geeichten Fotoeinrichtung) hinaus. Diese Funktion kann das weitere Foto aufgrund der fehlenden Eichung der Fotoeinrichtung nicht erfüllen. Mangels Eichung lässt sich etwa keine Aussage zur Länge der Auslöseverzögerung treffen, von der wiederum die Lage der Fotolinie abhängt, in deren „Bereich“ sich der vom Betroffenen geführte PKW nach den Ausführungen im angefochtenen Urteil ausweislich des Fotos der ungeeichten Fotoeinrichtung befunden haben soll, ohne dass das Amtsgericht die Frage aufgeworfen und beantwortet hat, wie die Position der Fotolinie angesichts der fehlenden Eichung bestimmt worden ist. Damit bleibt jedenfalls zunächst einmal offen, wie die fotografisch dokumentierte Verkehrssituation zu interpretieren ist.

Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts erweist sich damit als lücken- und somit rechtsfehlerhaft (BGH NStZ-RR 2008, 146, 147). Auf diesem Rechtsfehler beruht das angefochtene Urteil.

Das angefochtene Urteil war deshalb mit den getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Eine Freisprechung des Betroffenen kam nicht in Betracht, weil nicht ausgeschlossen ist, dass eine detaillierte Nachprüfung der Messung im Einzelfall ihre Richtigkeit bestätigen wird. Ob das Amtsgericht dies auf Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel mithilfe eigener Sachkunde wird beurteilen können oder einen Sachverständigen wird hinzuziehen müssen, hat der Senat hier nicht zu beurteilen.

b) Im Übrigen belegen die tatsächlichen Feststellungen den gemachten Fahrlässigkeitsvorwurf nicht. Die Feststellungen beschränken sich insoweit auf die Feststellung der Überschreitung der vor Ort zulässigen Höchstgeschwindigkeit, ohne dass eine Aussage zur Sorgfaltswidrigkeit dieses Verhaltens getroffen wird.

Veranlassung, die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts oder ein anderes Amtsgericht zurückzuverweisen, bestand nicht.