Das Verkehrslexikon

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BGH Urteil vom 27.01.1965 - VIII ZR 62/63 - Gutgläubiger Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs ohne Kfz-Brief

BGH v. 27.01.1965: Gutgläubiger Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs ohne Kfz-Brief


Der BGH (Urteil vom 27.01.1965 - VIII ZR 62/63) hat entschieden:
  1. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen der Käufer eines gebrauchten Kraftfahrzeugs, dessen Brief der Händler nicht vorlegen kann, ohne grobe Fahrlässigkeit an das Eigentum oder die Verfügungsbefugnis des Händlers glauben darf.

  2. Beim Handel mit gebrauchtem Kfz spricht das Fehlen des Kfz-Briefes grundsätzlich für das Fehlen der Verfügungsberechtigung des Händlers. Die sich daraus für den Kaufinteressenten ergebenden Bedenken können zwar im Einzelfall ausgeräumt werden, aber nur durch Umstände, die darauf hindeuten, dass dem Veräußerer der Brief nicht deshalb fehle, weil ein anderer Berechtigter ihn zu seiner Sicherung einbehalte, sondern aus einem anderen Grunde.

Siehe auch Gutgläubiger Fahrzeugerwerb und Stichwörter zum Thema Autokaufrecht


Tatbestand:

Der Kraftfahrzeughändler K, der in Bremen mit gebrauchten Kraftfahrzeugen handelte, stand in Geschäftsbeziehungen zur Klägerin. Diese gab ihm größere Kredite, zu deren Sicherung K ihr gebrauchte Kraftfahrzeuge übereignete, die er zum Verkauf stehen hatte. Dabei übergab er der Klägerin die Kraftfahrzeugbriefe, behielt aber die Fahrzeuge (mit den sonstigen Papieren und den Schlüsseln) in seinem Besitz, um sie Kunden vorführen zu können. Auf Anforderung gab ihm die Klägerin nach dem Verkauf eines Fahrzeugs den Brief zur Aushändigung an den Käufer heraus.

Der Beklagte, der über seine Ehefrau plötzlich zu Geld gekommen war, kaufte im Jahre 1961 für seinen persönlichen Gebrauch in schnellem Wechsel nacheinander mehrere Kraftfahrzeuge: zunächst einen neuen Opel-​Kapitän, dann im März 1961 von K einen gebrauchten Mercedes 190, im Juni 1961 einen Porsche 1600 und am 22. September 1961, wiederum von K..., einen gebrauchten Mercedes 220 SE, Baujahr 1960, für 18 000 DM. Auf den Kaufpreis nahm K den Porsche für 12 000 DM in Zahlung, die restlichen 6 000 DM bezahlte der Beklagte in bar. Er erhielt den Mercedes, der zugelassen, versteuert und versichert war, mit Schlüsseln und dem Kraftfahrzeugschein ausgehändigt. Auf dem Kraftfahrzeugschein hatte das Stadt- und Polizeiamt unter dem 4. August 1961 vermerkt:
"Das Kraftfahrzeug ist in den Besitz von P.R. K ... (Kfz-​Händler) übergegangen."
Bezüglich des Kraftfahrzeugbriefs erklärte K dem Beklagten, er möge den Brief, der sich noch "bei der Bank" befinde, in den nächsten Tagen abholen. Der Brief befand sich bei der Klägerin, der K das Fahrzeug am 22. Februar 1961 für einen Kredit von zunächst 7 000 DM, der am 30. August 1961 auf 12 500 DM aufgestockt wurde, sicherungsübereignet hatte. Als der Beklagte den Brief abholen wollte, hielt K ihn zunächst hin. Am 25. Oktober 1961 brach sein Unternehmen zusammen, ohne dass der Beklagte den Brief erhalten hatte.

Die Klägerin hat zunächst auf Herausgabe des Fahrzeugs und auf Feststellung geklagt, dass der Beklagte ihr allen Schaden ersetzen müsse, den sie durch die Vorenthaltung des Fahrzeugs und die Hinausschiebung der Verwertung erleide. Das Landgericht hat den Beklagten zur Herausgabe verurteilt, weil er – bei fehlendem Kraftfahrzeugbrief – nicht gutgläubig gewesen sei. Seine Feststellungsklage hat das Landgericht aber mangels Rechtsschutzinteresses abgewiesen. Nachdem der Beklagte das Fahrzeug zur Abwendung der Vollstreckung herausgegeben hatte, wurde es im Einverständnis beider Parteien am 4. Oktober 1962 für 9 800 DM an einen Dritten veräußert. Den Erlös erhielt die Klägerin. Die Parteien erklärten deshalb in der Berufungsinstanz den Rechtsstreit über den Herausgabeanspruch in der Hauptsache für erledigt. Die Klägerin ging nunmehr von der Feststellungs- zur Zahlungsklage über und verlangte mit ihr vom Beklagten 4 200 DM Schadensersatz. Der Beklagte seinerseits erhob Widerklage auf Zahlung von 4 000 DM als Teilbetrag des von der Klägerin aus dem Weiterverkauf des Fahrzeugs erzielten Erlöses. Das Berufungsgericht hat den Rechtsstreit über den Herausgabeanspruch in der Hauptsache für erledigt erklärt, die Anschlussberufung der Klägerin zurückgewiesen, sie auf die Widerklage verurteilt, 4 000 DM an den Beklagten zu zahlen, und ihr die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Mit der Revision erstrebt die Klägerin Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 4 200 DM, Abweisung seiner Widerklage und eine Kostenentscheidung gegen ihn. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.


Entscheidungsgründe:

1. Das Berufungsgericht geht davon aus, Eigentümer des Mercedes sei aufgrund der Sicherungsübereignung die Klägerin gewesen. Es sei nicht erwiesen, dass diese der Veräußerung an den Beklagten zugestimmt habe. Der Beklagte sei jedoch aufgrund guten Glaubens gemäß § 366 HGB Eigentümer geworden. Zwar habe K ihm nicht den Kraftfahrzeugbrief vorlegen können, aufgrund hier vorliegender besonderer Umstände habe der Beklagte gleichwohl nicht grob fahrlässig gehandelt, wenn er K für verfügungsbefugt gehalten habe. Das Fahrzeug sei mit Wissen und Willen der Klägerin bei K zum Verkauf bereit gestellt gewesen. Es sei zugelassen, versichert und versteuert gewesen und von K selbst auch für eigene Zwecke genutzt worden. Es sei mit Billigung der Klägerin Interessenten auf Probefahrten vorgeführt worden. Da der Kraftfahrzeugschein K als Besitzer des Fahrzeugs ausgewiesen habe, habe der Beklagte sicher sein können, dass es nicht entwendet worden sei. Wenn auch die Erklärung K, der Brief sei bei der Bank, auf Rechte der Bank an dem Fahrzeug hingedeutet habe, so stehe das gleichwohl einem guten Glauben des Beklagten nicht entgegen. Die Sachlage sei hier nicht anders zu beurteilen, als in den zahlreichen Fällen, in denen ein Kaufmann Waren, die er als Kreditunterlage sicherungsübereignet habe, im ordnungsmäßigen Geschäftsgang veräußern dürfe. In dem vom Beklagten gekauften Fahrzeug habe sich auch nicht, wie bei anderen von K an die Klägerin übereigneten Fahrzeugen unter der Motorhaube ein Schild mit der Aufschrift befunden: "Dieses Fahrzeug ist Sicherungseigentum der (Klägerin)", wodurch sonst Kaufinteressenten auf das Sicherungseigentum der Klägerin hingewiesen worden seien.

2. Die Revision rügt in erster Linie – unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesgerichtshofs IV ZR 31/54 vom 8. Juli 1954 (LM HGB § 366 Nr. 4) –, das Berufungsgericht habe einen Erwerb des Beklagten aufgrund guten Glaubens nur unter dem Gesichtspunkt des § 932 BGB, nicht aber unter dem des § 366 HGB prüfen dürfen. Denn der Beklagte habe sich nur auf seinen guten Glauben an das Eigentum, nicht aber an eine Verfügungsbefugnis K berufen. Die Rüge ist nicht begründet.

Der Beklagte hat sich in der Berufungsbegründung (Schriftsatz vom 8. Oktober 1962 S. 6) ausdrücklich auch auf § 366 HGB berufen. Es kann deshalb dahinstehen, ob allgemein der Glaube des Erwerbers an das Eigentum des Veräußerers den Glauben an dessen Verfügungsbefugnis für den Fall einschließt, dass der Veräußerer nicht Eigentümer ist. Das Berufungsgericht war hiernach nicht gehindert, die Voraussetzungen des § 366 HGB zu prüfen und, wenn nach seiner Ansicht ein gutgläubiger Erwerb aufgrund dieser Bestimmung zu bejahen war, sich auf diese Prüfung zu beschränken.

3. Dem Ergebnis dieser Prüfung kann jedoch nicht zugestimmt werden.

Die Umstände, die das Berufungsgericht als geeignete Grundlage für einen guten Glauben des Beklagten ansieht, sind dafür in Wirklichkeit untauglich. Dass das Fahrzeug zugelassen, versichert und versteuert war, und dass es mit zahlreichen anderen bei K... zum Verkauf stand, besagte nichts für dessen Verfügungsbefugnis, solange K den Kraftfahrzeugbrief nicht vorzeigen konnte. Das gilt auch, wenn das Fahrzeug, wie unstreitig ist, mit Wissen und Willen der Klägerin Kaufinteressenten angeboten und ihnen vorgefahren wurde. Dass die Klägerin als Kreditgeberin K daran interessiert war, dass dieser die Wagen auch umsetzte und daran verdiente, versteht sich von selbst. Eine andere Frage aber ist, ob sie dabei K freie Hand ließ oder an dem einzelnen Veräußerungsgeschäft durch das Erfordernis ihrer Zustimmung beteiligt werden wollte, um sicherzustellen, dass sie entweder den Erlös in Anrechnung auf den Kredit oder aber anstelle des verkauften Fahrzeugs ein anderes als Sicherheit erhielt. Dass sie den Kraftfahrzeugbrief in der Hand behielt, sprach gerade dafür, dass sie K... bei dem Verkauf nicht völlig freie Hand lassen wollte. Aus dem behördlichen Vermerk im Zulassungsschein war nicht mehr zu schließen, als dass K am 4. August 1961 auf rechtmäßige Weise Besitzer des Fahrzeugs geworden war. Auch das entkräftete aber nicht die wegen des Fehlens des Briefes sich aufdrängende Vermutung, dass er jedenfalls im Zeitpunkt der Veräußerung, am 22. September 1961, nicht befugt war, allein über das Fahrzeug zu verfügen. Schließlich ist nicht ersichtlich, wiese es für eine Verfügungsbefugnis K sprechen sollte, dass er das Fahrzeug auch für eigene Zwecke benutzte. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob diese Behauptung des Beklagten überhaupt Gegenstand des Vortrags des Beklagten vor dem Berufungsgericht gewesen ist, was die Revision aufgrund des Tatbestands des Berufungsurteils verneint.

Ebensowenig kann auch entscheidend sein, dass der Beklagte ein halbes Jahr vorher einen gebrauchten Porsche unter gleichen Umständen von K... erworben und kurze Zeit später anstandslos den Brief nachgeliefert erhalten hatte. Die Tatsache, dass das mit einem solchen Geschäft verbundene Risiko das eine Mal nicht aktuell geworden war, rechtfertigte für den Beklagten nicht die Erwartung, auch der Erwerb des Mercedes, dessen Brief K ebenfalls nicht vorlegen konnte, werde in Ordnung gehen. Endlich ist in diesem Zusammenhang auch der vom Berufungsgericht nicht beschiedene Einwand des Beklagten unerheblich, er sei in Rechtssachen völlig unerfahren und habe deshalb nicht gewusst, dass das Fehlen des Kraftfahrzeugbriefs grundsätzlich gegen die Berechtigung des Veräußerers spreche. Für die grobe Fahrlässigkeit im Sinne der §§ 366 HGB, 932 BGB genügt es, dass der Erwerber die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (in besonders grober Weise) außer acht lässt. Wer ein gebrauchtes Fahrzeug kauft, muss sich vorher – so verlangt es die im Verkehr erforderliche Sorgfalt – darüber unterrichten, dass in Deutschland zu einem Kraftfahrzeug ein Kraftfahrzeugbrief gehört, und dass dessen Fehlen grundsätzlich dafür spricht, dass der Veräußerer nicht verfügungsberechtigt ist. Unkenntnis dessen, was der Verkehr erfordert, entschuldigt im Zivilrecht nicht.

Fehl geht schließlich die Erwägung des Berufungsgerichts, im Geschäftsleben sei es eine alltägliche Erscheinung, dass der Kaufmann im ordnungsmäßigen Geschäftsgang auch Waren veräußern dürfe, die er als Kreditunterlage einer Bank sicherungsübereignet habe. Der Käufer brauche sich bei zum Verkauf bestimmten Waren um das Innenverhältnis zwischen dem Verkäufer und dessen Kreditgeber solange nicht zu kümmern, wie dieser jenem die Verfügungsmöglichkeit belasse und die Veräußerung im Rahmen eines ordnungsmäßigen Geschäftsganges vorgenommen werde. Wieweit in diesem Sinne die Verfügungsmöglichkeit eines Kaufmanns für seine Verfügungsbefugnis spricht, braucht hier nicht abschließend beschieden zu werden. Für den Handel mit gebrauchten Fahrzeugen gilt jedenfalls die Besonderheit, dass das Fehlen des Briefes für das Fehlen der Verfügungsberechtigung des Händlers spricht. Die sich daraus für den Kaufinteressenten ergebenden Bedenken können zwar im Einzelfall ausgeräumt werden, aber nur durch Umstände, die darauf hindeuten, dass dem Veräußerer der Brief nicht deshalb fehle, weil ein anderer Berechtigter ihn zu seiner Sicherung einbehalte, sondern aus einem anderen Grunde. Hierfür hat aber der Beklagte nichts Stichhaltiges vorgetragen. Im Gegenteil: Die Äußerung K, der Brief befinde sich noch bei der Bank, war ein nicht zu übersehender Hinweis auf deren Rechte an dem Fahrzeug. Wenn der Beklagte annahm, sein Vertragspartner K werde bei der Abwicklung des Geschäfts den Interessen der Bank schon Rechnung tragen, so tat er das auf sein Risiko; er wurde aber dadurch nicht gutgläubig im Sinne des § 366 HGB.

4. Da er ebenso wenig gutgläubig im Sinne des § 932 BGB war, hat ihn das Landgericht zu Recht verurteilt, den Wagen herauszugeben. Demgemäß steht auch der Erlös aus der Verwertung des Fahrzeugs der Klägerin und nicht dem Beklagten zu. Dessen Widerklage ist daher unbegründet. Dagegen ist der Schadensersatzanspruch der Klägerin gemäß § 286 BGB dem Grunde nach gerechtfertigt, weil der Beklagte mit der Herausgabe des Fahrzeugs an die Klägerin in Verzug war. Über die Höhe dieses Anspruchs hat das Berufungsgericht zu entscheiden, an das insoweit die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils gemäß § 565 Abs. 1 ZPO zurückzuverweisen war, während das Revisionsgericht im übrigen gemäß § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO selbst entscheiden konnte. Insoweit konnte auch schon über die Kosten des Rechtsstreits entschieden werden. Im übrigen war auch die Kostenentscheidung dem Berufungsgericht zu übertragen.