Das Verkehrslexikon

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OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 13.03.2017 - OVG 12 N 11.16 - Festsetzung von Anlieger- und Gemeindeanteil bei Anliegerstraßen

OVG Berlin-Brandenburg v. 13.03.2017: Grenzen der Festsetzung von Anlieger- und Gemeindeanteil bei Anliegerstraßen


Das OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 13.03.2017 - OVG 12 N 11.16) hat entschieden:
Anliegerstraßen dienen überwiegend der Erschließung der angrenzenden und durch private Zuwege mit ihnen verbundenen Grundstücke, sind also Straßen, auf denen der Ziel- und Quellverkehr der angrenzenden Grundstücke überwiege, so dass der Vorteil der Allgemeinheit für die Fahrbahnen bei der Festsetzung der Anliegerbeiträge zwangsläufig unter 50 % liegt.


Siehe auch Straßenrecht - Gemeingebrauch - Sondernutzung und Bewohnerparkzonen


Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

a) Die Klägerin macht zunächst ohne Erfolg geltend, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass sie ihr ortsgesetzgeberisches Ermessen bei der Festsetzung eines Gemeindeanteils von 50 % für die Fahrbahnen von Anliegerstraßen überschritten habe.

Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Klägerin bei der Festlegung des Anliegeranteils innerhalb der zu beachtenden Ober- und Untergrenzen ein durch den unbestimmten Rechtsbegriff des wirtschaftlichen Vorteils begrenzter Beurteilungsspielraum zusteht. Daran anknüpfend hat es seine von der Klägerin angegriffene Auffassung zur Höhe des Gemeinde- bzw. Anliegeranteils im Einklang mit obergerichtlicher Rechtsprechung und Literatur im Kern damit begründet, dass Anliegerstraßen überwiegend der Erschließung der angrenzenden und durch private Zuwege mit ihnen verbundenen Grundstücke dienten, also Straßen seien, auf denen der Ziel- und Quellverkehr der angrenzenden Grundstücke überwiege, so dass der Vorteil der Allgemeinheit für die Fahrbahnen zwangsläufig unter 50 % liegen müsse (vgl. OVG Weimar, Beschluss vom 23. Februar 2010 - 4 ZKO 781.09 - juris Rn. 9; OVG Magdeburg, Beschluss vom 8. Dezember 2009 - 4 L 159.09 - juris Rn. 6 f.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 6. Juni 2001 - 9 LA 907.01 - juris Rn. 13 f.; Driehaus, KAC-​, Stand: März 2016 § 8 Rn 371 offen gelassen OVG Berlin-​Brandenburg Beschluss vom 22. Mai 2015 - OVG 9 S 8.14 - juris Rn. 12).

Soweit die Klägerin dem entgegnet, dass die Mustersatzungen zum Kommunalabgabengesetz des Landes Nordrhein-​Westfalen einen Gemeinde- und Anliegeranteil von jeweils 50 % für die Fahrbahnen von Anliegerstraßen für ausreichend erachtet haben und dieser Anteilssatz in der ersten Mustersatzung zum Kommunalabgabengesetz für das Land Brandenburg empfohlen worden sei, setzt sie sich mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht auseinander. Das Verwaltungsgericht hat darauf hingewiesen, dass keine Verpflichtung zur Übernahme derartiger Mustersatzungen bestehe und auch eine Mustersatzung fehlerhaft sein könne. Diese Argumentation ist im Übrigen nicht zu beanstanden. Ergänzend ist anzumerken, dass nach Angaben in der Literatur alle in jüngerer Zeit verfassten Mustersatzungen einen deutlich 50 % übersteigenden Anliegeranteil vorsehen sollen (vgl. Driehaus, a.a.O.).

Auch der Hinweis in der Zulassungsbegründung auf Rechtsprechung von Verwaltungsgerichten des Landes Nordrhein-​Westfalen führt nicht zur Zulassung der Berufung. Das Verwaltungsgericht ist Entscheidungen zum nordrhein-​westfälischen Landesrecht, die einen Anlieger- und Gemeindeanteil von jeweils 50 % akzeptiert haben sollen, nicht gefolgt, weil sie hierfür keine nähere Begründung enthielten. Darauf geht die Zulassungsbegründung nicht ein. Dass das Verwaltungsgericht sich mit Blick auf seine Analyse der angeführten Entscheidungen diesen nicht angeschlossen hat, begründet deshalb keine Bedenken an der Richtigkeit seines Urteils. Im Übrigen sei angemerkt, dass die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte in Nordrhein-​Westfalen an die dortige obergerichtliche Rechtsprechung anknüpfen dürfte, nach der es für die Einstufung einer Straße als Anliegerstraße nicht darauf ankommt, ob der Ziel und Quellverkehr überwiegt (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 3. September 2008 - 15 E 1125.08 - juris Rn. 7 m.w.N.). Da das Verwaltungsgericht dies jedoch nach seinem mit der Zulassungsbegründung nicht angegriffenen Verständnis voraussetzt, erscheint der vorstehende Hinweis der Klägerin auch insofern nicht überzeugend.

Die Klägerin kann sich ferner nicht mit Erfolg darauf stützen, dass gerade praktische Schwierigkeiten bei der Festlegung der konkreten Untergrenze des Anliegeranteils dafür sprächen, eine Beteiligung der Anlieger von 50 % zu akzeptieren. Das Verwaltungsgericht ist diesem Gesichtspunkt entgegengetreten, weil er im Ergebnis der Annahme gleicher Anteile von Anlieger- und Durchgangsverkehr auf den Fahrbahnen der Anliegerstraßen gleichkomme, was aber typischerweise eher dem Verkehrsaufkommen auf Fahrbahnen von Haupterschließungsstraßen entspreche. Warum diese in der obergerichtlichen Rechtsprechung (OVG Weimar, a.a.O. Rn. 9; OVG Magdeburg, a.a.O. Rn. 6 f., OVG Lüneburg, a.a.O. Rn. 14) und Literatur (Driehaus, a.a.O.) wiederkehrende Argumentation in diesem Zusammenhang nicht greifen soll, legt die Klägerin nicht dar.

Sie macht schließlich zu Unrecht geltend, das Verwaltungsgericht habe sich nicht ausdrücklich mit der Möglichkeit beschäftigt, dass Anliegerstraßen unwesentlich überwiegend der Erschließung der angrenzenden Grundstücke dienen und es gleichwohl gerechtfertigt sein könne, diesen Vorteil bzgl. der Fahrbahnen so zu gewichten wie den der Allgemeinheit. Die Klägerin geht bereits daran vorbei, dass das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass Anliegerstraßen definitionsgemäß Straßen sind, die überwiegend der Erschließung der angrenzenden Grundstücke dienen, also Straßen, auf denen der Ziel- und Quellverkehr der angrenzenden Grundstücke überwiegt. Bei diesem von der Zulassungsbegründung nicht angegriffenen, § 4 Abs. 5 Nr. 1 SBS entsprechenden Verständnis vom Begriff der Anliegerstraße bestand und besteht keine Veranlassung, die von der Klägerin angeführte Möglichkeit zu untersuchen. Überwiegt der Anliegerverkehr nur unwesentlich, ist er und der übrige Verkehr mithin in etwa gleich stark, scheidet eine Einstufung als Anliegerstraße aus (vgl. OVG Lüneburg, a.a.O. Rn. 14). Vor diesem Hintergrund vermag auch der Hinweis der Klägerin im vorliegenden Zusammenhang, sie habe dargelegt, dass zum Beispiel von 100 Nutzern mehr als 50 Anlieger seien und sich der Anlieger- und der Durchgangsverkehr immer mehr näherten, keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung des Verwaltungsgerichts zur Untergrenze der Höhe der Anliegeranteile zu begründen. Dies gilt ebenso für den Einwand, die Klägerin sei nach einer Abwägung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Benutzung der Allgemeinheit und die der Anlieger gleich hoch seien.

b) Die Berufung ist auch nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts zuzulassen, weil es angenommen hat, dass die Klägerin bei der Festsetzung eines Gemeindeanteils von 90 % für die Teileinrichtung Fahrbahn an Hauptverkehrsstraßen ihr ortsgesetzgeberisches Ermessen überschritten habe.

Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass nur in ganz seltenen Ausnahmefällen, in denen der zu erwartende überörtliche Durchgangsverkehr mehr als 80 % des Gesamtverkehrs ausmacht, es gerechtfertigt sein kann, den Anliegeranteil auf unter 20 % festzusetzen. Auf ein derartiges erhöhtes Verkehrsaufkommen könne bereits aus dem Vortrag der Klägerin nicht für alle als Hauptverkehrsstraßen in ihrem Gemeindegebiet einzustufenden Straßen geschlossen werden. Für die Naundorfer Straße gebe es keine Angaben zum Aufkommen von überörtlichem Durchgangsverkehr. Für die B 169 (Hauptstraße/Senftenberger Straße) sowie die L 55 (Schipkauer Straße) trage die Klägerin nicht die Straßenbaulast. Die von ihr vorgelegte Verkehrszählung betreffe allein die Fahrzeugbewegungen auf der B 169. Erhöhte Belastungen der Anwohner durch den Durchgangsverkehr rechtfertigten einen erhöhten Gemeindeanteil nicht, da diese bei Hauptverkehrsstraßen typisch seien und im Übrigen durch Straßenbaumaßnahmen auch reduziert werden könnten. Einem eventuell erhöhten Verkehrsaufkommen auf der Lauchhammer/Ruhlander Straße könne durch eine Einzelsatzung Rechnung getragen werden.

Mit diesen Gründen setzt sich die Klägerin nicht auseinander. Sie gibt im Wesentlichen lediglich die dem Verwaltungsgericht bekannten Erwägungen der Stadtverordnetenversammlung wieder, die zu der streitgegenständlichen Festlegung geführt haben, ohne auf die vorstehend wiedergegebene Argumentation einzugehen.

2. Die Zulassung der Berufung kommt ferner nicht deshalb in Betracht, weil die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten hat (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Entsprechende Schwierigkeiten hat die Klägerin, die den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht gesondert begründet hat, nicht dargelegt.

3. Schließlich rechtfertigt die erhobene Grundsatzrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht die Zulassung der Berufung.

Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ist es erforderlich, dass eine bisher weder höchstrichterlich noch obergerichtlich beantwortete konkrete und zugleich entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen und erläutert wird, warum sie im Interesse der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung der fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (st. Rspr. des Senats, vgl. u.a. Beschluss vom 25. August 2016 - OVG 12 N 67.15 - BA S. 4). Dem wird der Zulassungsantrag nicht gerecht. Die Klägerin versäumt es bereits, darauf einzugehen, warum die von ihr formulierte Frage, „ob ein Gemeindeanteil von 50 % für die Fahrbahnen an Anliegerstraßen zu hoch sei“ in einem Berufungsverfahren fallübergreifend klärungsfähig ist, obwohl die angegriffene Entscheidung an die Definition der Anliegerstraße in der lediglich das vorliegende Verfahren betreffenden Satzungsbestimmung des § 4 Abs. 5 Nr. 1 SBS anknüpft. Sie erläutert auch nicht, warum die aufgeworfene Frage im Interesse der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung der Klärung bedarf. Der Hinweis, diese Frage, „im Eilverfahren als offen behandelt“, sei „obergerichtlich zu beantworten und damit eine einheitliche Rechtsprechung und Anwendung zu bilden“, genügt den Anforderungen einer substantiierten Darlegung nicht und geht über die unzureichende bloße Erklärung, die Entscheidung über die Frage sei von grundsätzlicher Bedeutung (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG VIII B 78.61 -, BVerwGE 13, 90 ff.), nicht hinaus. Die aufgeworfene Fragen lässt sich im Übrigen nach der Argumentation des Verwaltungsgerichts (vgl. auch Driehaus, a.a.O.), die die Zulassungsbegründung den vorstehenden Ausführungen entsprechend nicht hinreichend in Zweifel gezogenen hat, mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2013 - 4 BN 28.13 - juris Rn. 4) beantworten ohne dass es der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).