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OLG Düsseldorf Urteil vom 04.04.2017 - I-1 U 125/16 - Bedeutung des gelben Blinklichts

OLG Düsseldorf v. 04.04.2017: Bedeutung des gelben Blinklichts bei Entsorgungsfahrzeugen


Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 04.04.2017 - I-1 U 125/16) hat entschieden:

  1.  Die Bedeutung eines gelben Blinklichts geht nicht über die Warnung vor Gefahren hinaus, § 38 Abs. 3 Satz 1 StVO. Bei einem Reinigungsfahrzeug bezieht sich die Warnung nur auf Gefahren, die von dem Fahrzeug bzw. den von ihm ausgeführten Arbeiten ausgehen.

  2.  Eine unklare Verkehrslage i.S. des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO wird durch das gelbe Blinklicht allein nicht begründet.

  3.  Auch verleiht das gelbe Blinklicht kein Vorrecht. Ein Reinigungsfahrzeug, das von dem rechten Fahrbahnrand auf den linken wechseln will, um dort seine Arbeit fortzusetzen, muss daher gleichwohl zunächst den linken Fahrtrichtungsanzeiger setzen und die hohen Sorgfaltspflichten des § 9 Abs. 5 StVO beachten.


Siehe auch
Entsorgungsfahrzeuge - Müllabfuhr
und
Sonderrechte - Einsatzfahrzeuge - Rettungsfahrzeuge - Wegerechtsfahrzeuge

Gründe:

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache in vollem Umfang Erfolg. Die Beklagten sind uneingeschränkt zum Ausgleich seiner unfallbedingten Vermögenseinbußen verpflichtet.

Der Senat vermag sich nicht der Begründung der angefochtenen Entscheidung anzuschließen, derzufolge den Kläger ein Mitverschulden an der Entstehung der Kollision zwischen seinem Pkw G. und der Kehrmaschine R. der Beklagten zu 2. treffen soll. Auch die hilfsweise Argumentation, dass sich der Kläger jedenfalls die von seinem Fahrzeug beim Überholen der Kehrmaschine ausgegangene Betriebsgefahr mit einer anteiligen Eigenhaftungsquote von 30 % anspruchsmindernd zurechnen lassen müsse, vermag nicht zu überzeugen.

Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Tatsachenaufklärung trifft den vormaligen Beklagten zu 3. als Fahrer des Straßenreinigungsfahrzeuges das alleinige Verschulden an der Entstehung des Zusammenstoßes aus Anlass eines missglückten Wendemanövers. Zwar stellte sich die Kollision für den Kläger nicht als ein unabwendbares Ereignis dar. Der dem vormaligen Beklagten zu 3. anzulastende Verursachungs- und Verschuldensbeitrag wiegt jedoch so schwer, dass demgegenüber die von dem klägerischen Pkw G. ausgegangene Betriebsgefahr nicht mehr mithaftungsbegründend ins Gewicht fällt.

Da der streitige Sachverhalt durch Zeugenvernehmung und Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens hinreichend aufgeklärt und die Höhe der unfallbedingten Vermögenseinbußen des Klägers unstreitig ist, kann der Senat eine abschließende Streitentscheidung treffen.

Im Einzelnen ist Folgendes auszuführen:

I.

Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinne ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber ausschließen (BGH NJW 2006, 152 mit Hinweis auf BGHZ 152, 254, 258).

Derartige Zweifel sind im vorliegenden Fall hinsichtlich der Feststellungen gegeben, welche den Ausspruch des Landgerichts zur Haftungsverteilung dem Grunde nach tragen. Die Schadensquotierung im angefochtenen Urteil ist dahingehend zu korrigieren, dass eine anteilige Eigenhaftung des Klägers von 30 % in Fortfall geraten muss, er also im Umfang von 100% seiner Schäden anspruchsberechtigt ist. Entgegen der Begründung der angefochtenen Entscheidung kann ihm insbesondere nicht vorgehalten werden, unter Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Ziff. 1 StVO bei unklarer Verkehrslage das mit gelbem Blinklicht eingesetzt gewesene Straßenreinigungsfahrzeug im Bereich der Kreuzung der Straßen F.weg/B./Am Z./D. in M. überholt zu haben. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme lässt sich unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Annäherungsverschulden des Klägers feststellen. Die maßgebliche Unfallursache ist in der erwiesenen und letztlich auch seitens der Beklagten nicht in Abrede gestellten Tatsache zu sehen, dass der vormalige Beklagte zu 3. die strengen Sorgfaltsanforderungen nicht beachtet hat, die er nach Maßgabe des § 9 Abs. 5 StVO als wendender Verkehrsteilnehmer einzuhalten hatte.




Das Landgericht hat nur die Möglichkeit eines Geschehensablauf dergestalt unterstellt, dass der Kläger zu einer unfallvermeidenden Reaktion in dem Moment nicht mehr in der Lage gewesen sei, als der Beklagte zu 3. das Reinigungsfahrzeug nach links herüber gezogen habe. Nach der sachverständigen Unfallanalyse steht indes positiv fest, dass der Kläger in dem Moment, als ihn eine Reaktionsaufforderung wegen der plötzlich eingeleiteten Richtungsänderung nach links ereilte, keine Gelegenheit mehr zur Abwendung des Schadensereignisses hatte. Das Hilfsargument des Landgerichts, ein umsichtiger Fahrer hätte anders als der Kläger im Vorfeld gar nicht erst versucht, an der Unfallstelle zum Überholen anzusetzen, ist nicht stichhaltig. Es kann insbesondere nicht zur Rechtfertigung dessen herangezogen werden, dass wegen der von dem überholenden Pkw V. G. ausgegangenen Betriebsgefahr sich der Kläger einen Eigenhaftungsanteil von 30 % anspruchsmindernd zurechnen lassen muss.

Vielmehr hat der Kläger in einer Ausgangssituation, die er anfänglich in nicht zu beanstandender Weise als gefahrenneutral wähnte, einen zulässigen Überholvorgang eingeleitet. Dieser endete allein wegen des gravierenden Fehlverhaltens des vormaligen Beklagten zu 3. in einem Schadensereignis. Irgendwelche Sonderrechte standen ihm wegen des gelben Blinklichtes auf dem Straßenreinigungsfahrzeug nicht zu. Entgegen der durch das Landgericht geäußerten Rechtsansicht war der Kläger wegen der Blinklichtsignale nicht gehalten, hinter dem auf der Straße Am Z. mit nur 6 km/h fahrenden Straßenreinigungsfahrzeug zu bleiben, um sich Gewissheit darüber zu verschaffen, auf welcher Strecke im Kreuzungsbereich das Reinigungsfahrzeug seine Fahrt fortsetzen werde. Es oblag allein dem vormaligen Beklagten zu 3. gemäß §§ 9 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4, Abs. 5 StVO, nicht nur eine Richtungsänderung, die ihn von der kontinuierlichen Reinigungsfahrt am rechten Straßenrand weg führen sollte, rechtzeitig anzuzeigen, sondern sich auch mit einer zweiten Rückschau über eine Annäherung rückwärtigen fließenden Verkehrs zu vergewissern. Stattdessen hat er seine Richtungsänderung so plötzlich und ohne Vergewisserung über die rückwärtige Verkehrssituation eingeleitet, dass der Kläger im Zuge des Überholvorganges keine Chance zur Abwendung der Kollisionsberührung gegen in die vordere rechte Seite seines Pkw V. G. mehr hatte.




II.

1 a) Unstreitig wollte der vormalige Beklagte zu 3., der durch das Landgericht zeugenschaftlich vernommene Fahrer K., nach Beendigung des Kehrvorganges am rechten Rand der Straße A. Z. im Bereich der Kreuzungen mit den Straßen F.weg/B./D. das Fahrzeug wenden, um in Gegenrichtung zurück zu fahren. Die Unfallrekonstruktionszeichnung des gerichtlich bestellten Gutachters, des Sachverständigen N., in der Anlage 4 zu seinem Gutachten vom 18. April 2016 (Bl. 149 d.A.) verdeutlicht, dass der vormalige Beklagte zu 3. den Wendevorgang vom äußersten rechten Straßenrand aus einleitete, als die Front des durch ihn gesteuerten Fahrzeuges die Rundung der rechtsseitigen Einmündung der Straße B. erreicht hatte.

b) Bezüglich der vorkollisionären Fahrlinie des Straßenreinigungsfahrzeuges steht die zeichnerische Unfallrekonstruktion in Übereinstimmung mit der Aussage der Zeugin M., die in ihrem Pkw dem klägerischen V. G. auf der Straße A. Z. in einer Entfernung von 10 bis 15 m folgte. Danach "fuhr die Kehrmaschine äußerst rechts" (Bl. 100 d.A.). Auch der Kläger hat bei seiner informatorischen Befragung berichtet, dass vor dem Zusammenstoß "die Kehrmaschine rechts fuhr" (Bl. 95 d.A.).

2 a) Im Zuge der Durchführung des Wendevorganges hatte der vormalige Beklagte zu 3. die strengen Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 5 StVO zu beachten. Danach muss der Fahrzeugführer sich beim Wenden so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Ein Wendevorgang erfordert äußerste Sorgfalt (Senat, Urteil vom 13. Oktober 2015, Az.: I-​1 U 179/14 mit Hinweis auf König in Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 9 StVO, Rdnr. 50). In der Regel trifft den Wendenden die alleinige Haftung (Senat, a.a.O. mit Hinweis auf Burmann in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., § 9 StVO, Rdnr. 59).



b) Da der Wendevorgang zwangsläufig mit einer Richtungsänderung nach links verbunden war, hatte der vormalige Beklagte zu 3. auch die einschlägigen Abbiegeregeln zu beachten. Danach musste er rechtzeitig und deutlich den Abbiegevorgang unter Benutzung des Fahrtrichtungsanzeigers ankündigen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 StVO). Zwar muss im Normalfall ein Linksabbieger auch rechtzeitig sein Fahrzeug bis zur Straßenmitte einordnen (§ 9 Abs. 1 Satz 2 StVO). Da der vormalige Beklagte zu 3. aber im Rahmen seiner dienstlichen Straßenreinigungstätigkeit die Ränder der Straße Am Zaunbusch durchgehend bis zum Ende zu reinigen hatte, war von ihm nicht zu erwarten, dass er sich schon frühzeitig - und zwar noch deutlich vor Erreichen des rechtsseitigen Einmündungstrichters der Straße B. - straßenmittig einordnete. Denn dann wäre der letzte Straßenabschnitt im Bereich einer rechtsseitigen Heckeneinfriedung (vgl. die Lichtbilder des Sachverständigen Nr. 1 - 6, Bl. 140/142 d.A.) weitgehend ungereinigt geblieben. Zudem hätte er aus einer straßenmittigen Einordnung heraus mit einem Fahrzeugwendekreis von 5 m nach der Unfallrekonstruktionszeichnung des Sachverständigen den Wendevorgang nicht im Kreuzungsbereich durchführen können. Umso mehr hatte der vormalige Beklagte zu 3. deshalb aber Anlass, rechtzeitig und deutlich seine Wendeabsicht anzukündigen und insbesondere nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr zu achten (doppelte Rückschaupflicht).

3) Bei einer Kollision des Wendenden mit einem im fließenden Verkehr befindlichen Kraftfahrzeug spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Ersteren (Senat, Urteil vom 27. Oktober 2015, Az.: I-​1 U 46/15 mit Hinweis auf Burmann a.a.O., § 9 StVO, Rdnr. 59 - dort mit Hinweis auf BGH DAR 1985, 316). Indes bedarf es im vorliegenden Fall noch nicht einmal der Heranziehung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis, um die Feststellung eines Wendeverschuldens des vormaligen Beklagten zu 3. zu treffen. Denn nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Tatsachenaufklärung ist erwiesen, dass er seiner doppelten Rückschaupflicht nicht nachgekommen ist - wie durch das Landgericht richtigerweise festgestellt. Bei der zeugenschaftlichen Vernehmung des vormaligen Beklagten zu 3. ist heraus gekommen, dass er nach der Vergewisserung über die Verkehrsruhe in den rechtsseitigen Straßenzügen B. sowie F.weg den notwendigen zweiten Blick nach hinten unterlassen hat, um sich auch über die rückwärtige Verkehrssituation aus der Annäherungsrichtung des Klägers zu vergewissern. Bezeichnend ist sein Eingeständnis, vorkollisionär den klägerischen Pkw überhaupt nicht wahr genommen zu haben (Bl. 97 d.A.).

4 a) Es hat nach den Eigenangaben des Beklagten zu 3. in Verbindung mit der sachverständigen Unfallanalyse die streitige klägerische Unfalldarstellung eine Bestätigung gefunden, wonach die Kehrmaschine vom rechten Straßenrand aus im Zuge einer plötzlichen Richtungsänderung nach links gegen die vordere rechte Seite des klägerischen Fahrzeuges stieß - und zwar mit ca. 6 km/h. Die Anstoßkonfiguration ist in der ausschnittsweise vergrößerten Unfallrekonstruktionszeichnung des Sachverständigen (Bl. 149 d.A.) mit einem Anstoßwinkel der Fahrzeuglängsachsen von ca. 20 Grad anschaulich wiedergegeben.

b) Dass der vormalige Beklagte zu 3. die Annäherung des Klägers in einem Überholvorgang rechtzeitig hätte erkennen können, wenn er die ihm als wendender Verkehrsteilnehmer obliegende Sorgfalt gewahrt hätte, steht nach der gutachterlichen Unfallanalyse außer Zweifel. Aus den Fahrzeugschäden ist neben der Anstoßgeschwindigkeit der Kehrmaschine von 6 km/h abzuleiten, dass die Annäherungs- und Kollisionsgeschwindigkeit des Pkw V. G. mit einer Bandbreite von 16 bis 19 km/h zu berücksichtigen ist. Als der vormalige Beklagte zu 3. den Entschluss zur Einleitung des Wendevorganges fasste, war nach der Weg/Zeit-​Analyse des Sachverständigen der Pkw V. G. mit hoher Wahrscheinlichkeit über den linken Außenspiegel erkennbar (Bl. 138 d.A.). In der Phase des Einlenkbeginns (Index ,,S" der grafischen Weg/Zeit-​Darstellung) hatte der Kläger mit seinem Fahrzeug bereits das Heck der Kehrmaschine erreicht und war somit erst recht über den linken Außenspiegel als überholender Verkehrsteilnehmer wahrzunehmen (Bl. 138 d.A.). Folglich ging die Einleitung des Wendevorganges einher mit einem gravierenden Beobachtungsverschulden des vormaligen Beklagten zu 3.. Die durch den Sachverständigen in seiner Zeichnung durch eine gestrichelte rote Linie verdeutlichte Sichtbarkeitsgrenze lässt erkennen, dass der vormalige Beklagte zu 3. die rückwärtige Annäherung des Pkw VW Golf bereits weit über das Heck des Straßenreinigungsfahrzeuges hinaus bei einem Blick in den linken Rückspiegel hätte wahrnehmen können. Er hätte deshalb die Kollision vermeiden können, wenn er seiner Rückschaupflicht Genüge getan und den Wendevorgang erst nach dem Ende des klägerischen Überholvorganges eingeleitet hätte.


5) Es lässt sich auch nicht feststellen, dass der vormalige Beklagte zu 3. seiner Verpflichtung aus § 9 Abs. 1 Satz 1 StVO entsprechend das zur Durchführung des Wendemanövers notwendige Linksabbiegen rechtzeitig angekündigt hat.

a) Er hat bei seiner informatorischen Befragung eingeräumt, nicht mehr sicher sagen zu können, ob er den Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt habe; der Kläger habe ihm sogleich nach dem Unfall gesagt, dass dies nicht der Fall gewesen sei - er, der vormalige Beklagte zu 3., wisse es aber einfach nicht mehr (Bl. 97 unten d.A.). Der Kläger hat bei seiner informatorischen Befragung seine unfallnahe Angabe bestätigt, dass "an der Kehrmaschine der Blinker nicht in Betrieb war, als sie rüber zog" (Bl. 96 d.A.). Seine Beifahrerin, die Zeugin F., wusste nichts von irgendwelchen an der Kehrmaschine in Betrieb gewesenen Lampen oder Lichtzeichen zu berichten (Bl. 99 d.A.). Die unbeteiligte Zeugin M., die auf der Straße Am Z.busch dem klägerischen Pkw in einer Entfernung von 10 m bis 15 m folgte, vermochte ebenfalls nicht zu sagen, "ob an der Kehrmaschine irgendwelche Lichter an waren". Sie hatte aber in Erinnerung, dass die Kehrmaschine "plötzlich nach links setzte", und zwar zu einem Zeitpunkt, als "das Klägerfahrzeug Seite an Seite mit der Kehrmaschine war". Da sie vorkollisionär den Eindruck hatte, "der Fahrer würde in Geradeausrichtung weiterfahren" (Bl. 100 d.A.), spricht die durch die Zeugin M. wiedergegebene Ausgangssituation für die Annahme, dass der vormalige Beklagte zu 3. den linken Fahrtrichtungsanzeiger nicht, zumindest nicht rechtzeitig, in Funktion gesetzt hatte. Anderenfalls hätte sich bei der Zeugin nicht die Vorstellung verfestigt, die sich "äußerst rechts" fortbewegende Kehrmaschine werde ihre Fahrt in Geradeausrichtung fortsetzen. Da gegen den vormaligen Beklagten zu 3. der Anschein schuldhafter Unfallverursachung im Zusammenhang mit der Einleitung des Wendemanövers spricht, sind die Beklagten für die Richtigkeit ihrer Behauptung beweispflichtig, der linke Fahrtrichtungsanzeiger sei rechtzeitig betätigt worden. Der Sachverständige sah sich - wie nicht anders zu erwarten - außer Stande sah, die Beweisfrage zu beantworten, ob an der Kehrmaschine der Blinker eingeschaltet wurde (Bl. 137 d.A.). Es bleiben die Beklagten mit der Richtigkeit ihres diesbezüglichen Verteidigungsvorbringens beweisfällig.

III.

Wege- oder Sonderrechte ergaben sich zu Gunsten des Beklagten zu 3. nicht aus dem Umstand, dass auf dem Fahrzeug der Beklagten zu 2. zwei Leuchten mit gelbem Blinklicht in Funktion waren.

1) Gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 StVO geht die Bedeutung eines solchen Blinklichtes nicht über die Warnung vor Gefahren hinaus. Die Signalwirkung ist folglich nicht mit der Situation zu vergleichen, bei welcher ein Einsatzfahrzeug mit blauem Blinklicht und Einsatzhorn unterwegs ist, wenn es gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 StVO darum geht, mit der gebotenen höchsten Eile Menschenleben zu retten oder in den sonstigen gesetzlich beschriebenen Notsituationen zu intervenieren. Denn dann haben nach § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO alle übrigen Verkehrsteilnehmer sofort freie Bahn zu schaffen.




2) Hingegen verleiht die Funktion des gelben Blinklichtes kein Vorrecht (König a.a.O., § 39 StVO, Rdnr. 13; Burmann/Heß/Jahnke/Janker a.a.O., § 38 StVO, Rdnr. 7). Es geht den allgemeinen Verkehrsregeln nicht vor, sondern ermahnt gerade zu deren genauer Einhaltung (Burmann/Heß/Jahnke/Janker a.a.O. mit Hinweis auf BGH NJW 2005, 1940 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Warnung durch ein gelbes Blinklicht an einem Reinigungsfahrzeug sich nur auf Gefahren bezieht, die von dem Fahrzeug bzw. von den damit ausgeführten Arbeiten ausgehen (OLG Düsseldorf - 15. Zivilsenat -, Urteil vom 29. Dezember 1990, Az.: 15 U 173/88; VRS 82, 94). Das gelbe Blinklicht sollte folglich vor den spezifischen Gefahren warnen, die mit dem Fahrzeugbetrieb während der Funktion des an der Fahrzeugfront installierten Reinigungsvorsatzes mit drei großen Bürstentellern, die weit über die seitlichen und vorderen Fahrzeugkonturen hinaus ragten, verbunden waren. Die Warnfunktion des gelben Blinklichtes kann somit nicht bemüht werden, das festgestellte Fehlverhalten des vormaligen Beklagten zu 3. im Zuge der Durchführung des Wendemanövers in seiner haftungsrechtlichen Bedeutung zu relativieren oder gar zu negieren.

IV.

Ein Mitverschulden des Klägers an der Entstehung des Zusammenstoßes lässt sich nach dem Beweisaufnahmeergebnis nicht feststellen. Ebenso wenig vermag sich der Senat der Begründung des Landgerichts anzuschließen, die von dem klägerischen Pkw ausgegangene Betriebsgefahr müsse mit einem Mithaftungsanteil von 30 % aufgrund des Umstandes berücksichtigt werden, dass ein umsichtiger Fahrer, anders als der Kläger, gar nicht erst versucht hätte, an der Unfallstelle zum Überholen anzusetzen; ein solcher hätte vielmehr zunächst abgewartet, auf welcher Strecke das Reinigungsfahrzeug seine Fahrt fortsetzen werde (Bl. 6 UA; Bl. 184 Rs d.A.).

1) Das Landgericht hat nur die Eventualität einer Unmöglichkeit der Einleitung einer unfallvermeidenden Reaktion des Klägers in dem Augenblick angesprochen, "als das Reinigungsfahrzeug nach links herüber gezogen wurde" (Bl. 6 UA; Bl. 184 R d.A.). Dass der Kläger in dieser letzten vorkollisionären Phase einen Zusammenstoß nicht mehr abwenden konnte, steht jedoch nach dem Ergebnis der Tatsachenaufklärung positiv fest.

a) Wie bereits ausgeführt, befand sich nach der Weg/Zeit-​Analyse des Sachverständigen zum Einlenkbeginn des vormaligen Beklagten zu 3. ("Position S") der klägerische Pkw V. G. mit der Fahrzeugfront bereits auf der Höhe des Hecks der Kehrmaschine (Bl. 135 unten d.A.). Nach den weiteren Erkenntnissen des Sachverständigen legte die Kehrmaschine vom Einlenkpunkt am rechten Straßenrand bis in die Kollisionsstellung mit einer Geschwindigkeit von etwa 6 km/h eine kurze Wegstrecke von rund 2,0 m zurück (Bl. 134 d.A.). Eine Reaktionsaufforderung für den Kläger wegen der erkennbaren Einleitung eines Linksabbiegevorganges ergab sich für den Kläger jedoch erst 0,9 Sekunden vor der Kollisionsberührung, als nämlich die Kehrmaschine eine Wegstrecke von etwa 0,5 m zurückgelegt hatte (Bl. 135 d.A.). Berücksichtigt man, dass allein schon für Reaktions- und Bremsansprechzeit eines Kraftfahrzeugführers ein Zeitraum von 0,8 Sekunden in Ansatz zu bringen ist, konnte nach der überzeugenden Schlussfolgerung des Sachverständigen - wenn überhaupt - allenfalls eine sehr geringe vorkollisionäre Verzögerung während der Dauer einer Zehntelsekunde wirksam werden (Bl. 135 d.A.). Es versteht sich von selbst, dass eine solch minimale Abbremsung den Zusammenstoß nicht mehr hätte vermeiden können.

b) Überdies stellt sich die Frage, ob zu Gunsten des Klägers als eines Verkehrsteilnehmers im Seniorenalter nicht aufgrund einschlägiger gerontologischer Erkenntnisse eine etwas längere Reaktions- und Bremsansprechzeit als eine solche von nur 0,8 Sekunden Berücksichtigung finden muss. Indes kann die Entscheidung dieser Tatsachenfrage letztlich dahin stehen. Im Ergebnis besteht jedenfalls keine Tatsachengrundlage für die Annahme eines dem Kläger anzulastenden Aufmerksamkeits- oder Reaktionsverschuldens. Das hat der Sachverständige bei seiner Anhörung im Termin vom 7. Juni 2016 noch einmal mit dem Hinweis darauf bekräftigt, im Hinblick auf die plausibel zu ermittelnde Ausgangsgeschwindigkeit des Pkw V. G. von 16 bis 19 km/h sei dem Kläger eine unfallvermeidende Reaktion in dem Augenblick, als die Kehrmaschine zum Linksabbiegen bzw. Wenden ansetzte, nicht mehr möglich gewesen (Bl. 165 d.A.).

2) Ohnehin ist kein Raum für die Feststellung, dass ein irgendwie geartetes Mitverschulden des Klägers sich mitursächlich für die Entstehung des Schadensereignisses ausgewirkt hat.

a) Ihm kann nicht angelastet werden, sich nach den Vorgaben des § 3 Abs. 1 StVO mit einer unangemessenen oder gar unzulässig hohen Geschwindigkeit dem Unfallort angenähert zu haben. Aufgrund der Fahrzeugschäden hat der Sachverständige sicher für den Pkw V. G. ein Annäherungstempo in der Bandbreite zwischen 16 bis 19 km/h ermitteln können (Bl. 138 d.A.). Damit blieb der Kläger deutlich unter der am Unfallort zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h.

b) Zudem kann man dem Kläger nicht vorwerfen, er habe als Unfallmitursache unter Verstoß gegen § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO im Zuge des Überholens keinen hinreichenden Seitenabstand zu der Kehrmaschine eingehalten.

aa) In der Regel reicht ein Seitenabstand von einem Meter beim Überholen aus. Dies gilt auch für den Abstand zu einem Reinigungsfahrzeug (König a.a.O., § 5 StVO, Rdnr. 54 mit Hinweis auf KG NZV 2007, 626). Der Senat hat vergleichsweise für die Fallkonstellation, dass ein Wohnmobil einen im Einsatz befindlichen Schneepflug mit hochgestelltem Schneeschild überholt, einen Mindestabstand von einem Meter als ausreichend erachtet (Urteil vom 11. August 2015, Az.: I-​1 U 177/14).

bb) Welchen genauen Seitenabstand der Kläger bei dem Überholvorgang zu den sich am rechten Straßenrand fortbewegenden Reinigungsfahrzeug eingehalten hat, lässt sich im Nachhinein nicht mehr ermitteln. Die vergrößerte Unfallrekonstruktionszeichnung in der Anlage 4 zum Gutachten des Sachverständigen N. vom 18. April 2016 lässt darauf schließen, dass den Pkw V. G. bei dem Überholvorgang zumindest einen Meter von der linken Kontur des überholten Fahrzeugs einschließlich des vorstehenden linken vorderen Bürstentellers trennte (Bl. 149 d.A.). Allerdings ist die zeichnerisch dargestellte vorkollisionäre Annäherungslinie des klägerischen Pkw mit Unsicherheiten behaftet. Der Unfallrekonstruktionszeichnung lässt sich jedoch zweifelsfrei entnehmen, dass die durch den Kläger durchfahrene relativ weite Kreuzungszone hinreichend Platz bot, um im Bereich der Unfallstelle einen ausreichenden Seitenabstand zu der sich am rechten Straßenrand mit 6 km/h fortbewegenden Kehrmaschine zu wahren.

cc) Die Zeugin M. hat bei ihrer Befragung den vorkollisionären Seitenabstand zwischen den unfallbeteiligten Fahrzeugen mit etwa 75 cm eingeschätzt (Bl. 100 d.A.). Geht man von der Richtigkeit dieser Darstellung aus, hätte der Kläger den erforderlichen Seitenabstand um ca. 25 % zu knapp gehalten. Zu berücksichtigen ist indes, dass die grobe Schätzangabe der Zeugin mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist. Zudem ist nicht ersichtlich, dass der Kläger durch eine mögliche geringfügige Unterschreitung des erforderlichen Mindestabstandes beim Überholen mithaftungsbegründend zu der Schadensentstehung beigetragen ist. Denn nach der durch den Sachverständigen zeichnerisch und rechnerisch-​unfallanalytisch rekonstruierten Unfallsituation wäre die Kehrmaschine mit 6 km/h im Zuge einer scharfen Linkslenkung auch dann gegen den mit 16 bis 19 km/h überholenden Pkw V. G. geprallt, wenn ein Mindestabstand von einem Meter oder sogar mehr zwischen den Fahrzeugen geblieben wäre. Wahrscheinlich hätte sich dann der Anstoßbereich nur etwas weiter nach hinten in Richtung der Beifahrer- und Fondtür verlagert. Diese Annahme findet eine Stütze in Lichtbildern, welche die Endstellungen der unfallbeteiligten Fahrzeuge zeigen (Bl. 46-​48 d.A.). Zu berücksichtigen ist allerdings, dass man sich die Kollisionsposition der Kehrmaschine etwas weiter nach vorne in Fahrtrichtung verlagert vorstellen muss. Denn der vormalige Beklagte zu 3. hat bei seiner zeugenschaftlichen Befragung bekundet, die Kehrmaschine ein Stück zurückgesetzt zu haben, um der Beifahrerin des Klägers, der Zeugin F., das Aussteigen vom Beifahrersitz aus zu ermöglichen (Bl. 98 d.A.).

c) Entgegen der durch das Landgericht vertretenen Rechtsansicht darf dem Kläger nicht angelastet werden, er habe unter Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Ziff. 1 StVO den Überholvorgang trotz unklarer Verkehrslage eingeleitet; er habe wegen des Betriebs der gelben Rundumleuchten nicht darauf vertrauen dürfen, dass das Reinigungsfahrzeug seine Fahrt in Geradeausrichtung mit einer kontinuierlichen Fortbewegung am rechten Fahrbahnrand fortsetzen werde - und zwar unabhängig davon, ob an dem Fahrzeug der linke Fahrtrichtungsanzeiger eingeschaltet gewesen sei oder nicht (Bl. 6 UA; Bl. 184 R d.A.).

aa) Da das gelbe Blinkleicht kein irgendwie geartetes Vorrecht verschafft, blieb der vormalige Beklagte zu 3. an die allgemeinen Verkehrsregelungen gebunden - konkret an die Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit einem Wende- bzw. Linksabbiegevorgang (§ 9 Abs. 1, Abs. 5 StVO). Nach der vorkollisionären Ausgangssituation deutete nichts darauf hin, dass er am Ende der Straße Am Z. plötzlich in Höhe der rechtsseitigen Einmündung der Straße B. ohne feststellbare Betätigung des linken Blinkers plötzlich seine Fahrlinie am rechten Straßenrand entlang verließ, um einen Wendevorgang einzuleiten. Zwar sprechen die durch den vormaligen Beklagten zu 3. bei seiner zeugenschaftlichen Vernehmung bekundeten Umstände für die Annahme, dass er am Ende der Straße Am Z.busch einen Wendevorgang gewohnheitsmäßig vollzieht, um bei der Fahrt in entgegengesetzter Richtung auch den rechten Straßenrand zu reinigen. Obwohl der Kläger nach eigenem Bekunden nur 500 m vom Unfallort entfernt wohnt, kann ihm nicht unterstellt werden, dass er Kenntnis von der Wendegewohnheit des Führers des Reinigungsfahrzeugs am Unfallort hatte. Die Zeugin M. ist ebenfalls eine Anwohnerin der Straße Am Z.h; auch ihr war nichts davon bekannt, dass die Kehrmaschine am Kollisionsort einen Wendebogen fährt (Bl. 100 d.A.). Im Hinblick darauf, dass nach der Beobachtung der Zeugin M. die Kehrmaschine bis zuletzt äußerst rechts fuhr, hatte sie - genauso wie der Kläger - die Vorstellung, "der Fahrer würde in Geradeausrichtung weiterfahren" (Bl. 100 d.A.).

bb) Dass sich der Kläger von dieser Vorstellung bei der Einleitung des Überholvorgangs leiten ließ, begründet nicht den Vorwurf des Überholens trotz unklarer Verkehrslage unter Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Ziff. 1 StVO. Denn es ist zu berücksichtigen, dass zu seinen Gunsten ein Vertrauenstatbestand des Inhaltes einschlägig war, sein späterer Unfallgegner werde sich an die Verkehrsregeln halten und einen Wendevorgang unter Beachtung der einschlägigen Sorgfaltsanforderungen, insbesondere des Gebots der rechtzeitigen Ankündigung der Fahrtrichtungsänderung, durchführen. Der sich selbst verkehrsrichtig verhaltende Verkehrsteilnehmer braucht sich nicht vorsorglich auf alle möglichen Verkehrswidrigkeiten anderer Verkehrsteilnehmer einzustellen, sondern darf mangels gegenteiliger Anhaltspunkte erwarten und sich darauf einstellen, dass andere Verkehrsteilnehmer die für sie geltenden Vorschriften beachten und den Verkehr nicht durch pflichtwidriges Verhalten gefährden (König a.a.O., § 1 StVO, Rdnr. 20 mit Hinweis auf BGH NJW 2003, 1929 und weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Dem steht nicht die Funktion des gelben Blinklichtes auf dem Dach des Straßenreinigungsfahrzeuges entgegen. Denn dieses entfaltete keine Warnfunktion im Hinblick auf ein bevorstehendes verkehrsordnungswidriges Verhalten des Fahrzeugführers.

cc) Eine unklare Verkehrslage ist dann gegeben, wenn nach allen Umständen mit einem gefahrlosen Überholen nicht gerechnet werden darf, etwa wenn sich nicht verlässlich beurteilen lässt, was der Vorausfahrende sogleich tun werde, wenn er sich unklar verhält, in seiner Fahrweise unsicher erscheint oder wenn es den Anschein hat, er wolle abbiegen, ohne dass dies deutlich wird, z.B. bei einem linken Blinkzeichen des Vorausfahrenden ohne Linkseinordnen (ständige Rechtsprechung des Senats, Urteil vom 10. Mai 2016, Az.: I-​1 U 112/15; Urteil vom 30. April 2013, Az.: I-​1 U 131/12; ebenso König a.a.O., § 5 StVO, Rdnr. 34). Allein die Tatsache, dass der vormalige Beklagte zu 3. das Straßenreinigungsfahrzeug in langsamer Fahrt am rechten Straßenrand entlang steuerte, machte noch keine unklare Verkehrslage aus. Ein relatives Langsamfahren des Vorausfahrenden ohne sonstige Ausfälle ist nicht mit einer unklaren Situation im Sinne des § 5 Abs. 3 Ziff. 1 StVO in Verbindung zu bringen. Eine das Überholen verbietende Verkehrslage entsteht nur dann, wenn Umstände hinzu treten, die für ein unmittelbar folgendes Linksabbiegen sprechen können, wie etwa eine Fahrtrichtungsanzeige (Senat, Urteil vom 30. April 2013, Az.: I-​1 U 131/12 sowie Urteil vom 19. Juni 2012, Az.: I-​1 U 167/11 mit weiteren Nachweisen; so auch König a.a.O.). Allein die theoretische Möglichkeit eines verkehrswidrigen Linksabbiegens schafft noch keine unklare Verkehrslage, die ein Überholen unzulässig macht. Anderenfalls wäre ein Überholen langsam fahrender Fahrzeuge in der üblichen Fahrweise überhaupt nicht mehr möglich (Senat, Urteil vom 25. Mai 2009, Az.: I-​1 U 141/08). Im Gegenteil deutete die kontinuierliche Fortbewegung des Reinigungsfahrzeuges am rechten Straßenrand bis zuletzt darauf hin, dass der vormalige Beklagte zu 3. seine Reinigungsfahrt in Geradeausrichtung fortsetzen werde. Eine Betätigung des linken Fahrtrichtungsanzeigers als Hinweis auf eine Abbiegeabsicht lässt sich nicht feststellen.

dd) Ohne Erfolg bleibt der Versuch der Beklagten, eine unklare Verkehrssituation für den überholenden Kläger mit dem Hinweis darauf zu begründen, der Verkehr aus der Gegenrichtung sei für ihn wegen einer Rechtskurve und einer hohen Hecke an der rechten Fahrbahnseite nicht einsehbar gewesen. Dem steht schon die bei der informatorischen Befragung des Klägers unwidersprochen gebliebene Darstellung entgegen, der aus der Gegenrichtung auf die Unfallkreuzung zulaufende Feierabendweg sei als Einbahnstraße ausgestaltet, so dass von dort kein Gegenverkehr zu erwarten gewesen sei (Bl. 96 d.A.).

ee) Ebenso wenig können die Beklagten zu ihren Gunsten aus dem Umstand etwas für sich herleiten, dass der Kläger bei der Zufahrt auf die Kreuzung wegen der Regelung "rechts vor links" (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StVO) potentiellem Verkehr aus der zunächst nicht einsehbaren Straße B. die Vorfahrt hätte gewähren müssen. Einerseits trifft es zu, dass der Kläger sich einer Kreuzung mit einer "halben Vorfahrt"-​Situation näherte. Er war gegenüber Verkehrsteilnehmern von links aus der Straße D. vorrangberechtigt, nicht aber gegenüber solchen aus der von rechts einmündenden Straße B.. Diese Verkehrsregelung bewirkte jedoch keine Schutzwirkung zu Gunsten des vormaligen Beklagten zu 3., der bei der Einleitung des Wendevorganges an die strengen Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 5 StVO gebunden war. Denn die Regelung der "halben Vorfahrt" entfaltet nur eine Schutzwirkung zu Gunsten der von links kommenden Wartepflichtigen des Inhaltes, dass sie auf eine angepasste Fahrweise des ihnen gegenüber Vorfahrtberechtigten vertrauen dürfen, weil dieser selbst gegenüber dem Verkehr von rechts wartepflichtig ist (König a.a.O., § 8 StVO, Rdnr. 38 mit Hinweis auf BGHZ 14, 240; BGH VersR 1967, 283 und zahlreichen weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Ein irgendwie gearteter Vertrauenstatbestand im Hinblick auf überholende Verkehrsteilnehmer lässt sich aus der Vorfahrtregelung an der Unfallkreuzung zu Gunsten des vormaligen Beklagten zu 3. nicht herleiten.

3 a) Einerseits stellte sich die Kollision für den Kläger nicht als ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 1 StVG dar. Hätte er etwa im Zuge des Überholvorganges durch ein kurzes Schallzeichen auf sich aufmerksam gemacht, hätte der vormalige Beklagte zu 3. aller Wahrscheinlichkeit nach die rückwärtige Annäherung seines späteren Unfallgegners noch rechtzeitig bemerkt. Zwar dürfen nach § 5 Abs. 5 Satz 1 StVO Schall- oder Leuchtzeichen grundsätzlich nur außerhalb geschlossener Ortschaften zur Ankündigung eines Überholvorganges eingesetzt werden. Etwas anderes gilt jedoch bei einer sich ankündigenden Gefahrensituation (König a.a.O., § 5 StVO, Rdnr. 59). Selbstredend hätte der Kläger den Zusammenstoß auch dann vermieden, wenn er dem sich mit 6 km/h fortbewegenden Reinigungsfahrzeug ohne Überholversuch gefolgt wäre.

b) In diesem Zusammenhang vermag sich der Senat aber nicht der Begründung des Landgerichts anzuschließen, ein umsichtiger Fahrer hätte zunächst abgewartet, auf welcher Strecke das Reinigungsfahrzeug seine Fahrt fortsetzen werde (Bl. 6 UA; Bl. 184 R d.A.). Es berührte es allein den Pflichtenkreis des ungeachtet des gelben Blinklichtes weiterhin an die allgemeinen Verkehrsregeln gebundenen gewesenen vormaligen Beklagten zu 3., den Wende- bzw. Abbiegevorgang nach links ordnungsgemäß anzukündigen und zu beginnen. Ursache für die Entstehung des Zusammenstoßes war nicht die spezifische Straßenreinigungsfunktion des Fahrzeuges der Beklagten zu 2., sondern das verkehrsordnungswidrige Fahrverhalten des vormaligen Beklagten zu 3.. Dieser hat ohne feststellbare Vorankündigung spontan einen Wendevorgang eingeleitet, den weder der Kläger noch die ihm nachfolgende Zeugin M. vorhergesehen haben und auch nicht vorhersehen konnten.



V.

Bei der Abwägung aller unfallursächlichen Umstände gemäß §§ 17, 18 StVG kommt es darauf an, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. In jedem Fall sind bei der Abwägung nur unstreitige oder zugestandene oder bewiesene Umstände zu berücksichtigen (BGH NJW 2007, 506). Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus welchen er die nach der Abwägung für sich günstigen Rechtsfolgen herleiten will (BGH NZV 1996, 231). Diese Abwägung fällt zu Lasten der Beklagten mit der Folge einer Anspruchsberechtigung des Klägers zu 100 % seiner Unfallschäden auf der Rechtsgrundlage der §§ 7 StVG, 839, 249 BGB, Art. 34 GG, 115 VVG aus.

Ein irgendwie geartetes unfallursächliches Annäherungsverschulden des Klägers lässt sich nicht feststellen. Die maßgebliche Unfallursache stellt das gravierende Beobachtungsverschulden des Beklagten zu 3. vor Beginn des Wendemanövers dar. Er ist seiner doppelten Rückschaupflicht nicht gerecht geworden. Obwohl zum Zeitpunkt des Einlenkbeginns der klägerische Pkw V. G. bereits das Heck der Kehrmaschine erreicht hatte, war das überholende Fahrzeug gänzlich seiner Aufmerksamkeit entgangen. Da er sich in der vorkollisionären Phase mit nur 6 km/h am rechten Straßenrand fortbewegt hatte und anfänglich alles darauf hindeutete, dass er den Reinigungsvorgang in Geradeausrichtung fortsetzen werde, musste er konkret damit rechnen, dass von hinten aufrückende, schnellere Verkehrsteilnehmer ihn links überholten. Durch die unvorsichtige Einleitung des Wendevorganges stellte das Straßenreinigungsfahrzeug mit dem ausladenden, frontseitigen Bürstenaufsatz für den Kläger ein plötzliches Querhindernis dar, mit welchem er nicht zu rechnen brauchte.

Bei einem Zusammenstoß des fließenden Verkehrs mit einem Wendenden ist in der Regel von dessen Alleinhaftung auszugehen (Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 12. Aufl., Vorbemerkung zu Rdnr. 259). Bei einer Kollision zwischen einer im Baustellenbereich wendenden Straßenkehrmaschine mit einem die Unfallstelle passierenden Kraftfahrzeug, dessen Fahrer kein nachweisbares Verschulden trifft, ist eine vollständige Haftungsfreistellung zu Gunsten des Letzteren anzunehmen (Senat, VersR 1980, 633). Zwar hat sich im vorliegenden Fall das Schadensereignis nicht im Bereich einer Baustelle zugetragen. Dies ändert indes nichts an der Vergleichbarkeit der Verkehrssituation unter besonderer Berücksichtigung der von dem Straßenreinigungsfahrzeug der Beklagten zu 2. ausgegangenen und verschuldensbedingt deutlich gesteigerten Betriebsgefahr.

VI.

Die Kostenentscheidung für das erstinstanzliche Verfahren beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Die Kostenanordnung für den Berufungsrechtszug hat ihre Grundlage in § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug stellt sich auf 1.148,11 EUR.

Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.



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