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Landgericht Arnsberg Urteil vom14.06.2017 - 1 O 182/16 - Sachmängelhaftung und Software-Update

LG Arnsberg v.14.06.2017: Sachmängelbeseitigung bei Dieselfahrzeugen durch Software-Update


Das Landgericht Arnsberg (Urteil vom14.06.2017 - 1 O 182/16) hat entschieden:
Ein Kfz mit der sog. Schummelsoftware leidet an einem erheblichen Mangel. Die werksseitig vorgesehene Nachbesserung ist schon deshalb unzumutbar, weil die begründete Befürchtung besteht, dass das beabsichtigte Software-Update entweder nicht erfolgreich sein oder zu Folgemängeln führen würde (vgl. etwa auch LG Krefeld, Urt. v. 14.09.2016 – 2 O 83/16; LG Bückeburg, Urt. v. 11.01.2017 – 2 O 39/16; LG Dortmund, Urteil v. 29.09.2016 – 25 O 49/16; LG Arnsberg Urt. v. 24.03.2017 – I 1 O 224/16). Der berechtigte Mangelverdacht reicht dabei vorliegend aus, um die Nachbesserung unzumutbar zu machen. Es muss nicht bewiesen werden, dass ein Folgemangel entstehen werde.


Siehe auch „Schummelsoftware“ und Stichwörter zum Thema Autokaufrecht


Tatbestand:

Die Parteien streiten um Ansprüche nach einem PKW-Kauf in Zusammenhang mit dem sogenannten „W-Abgasskandal“.

Die Beklagte ist eine Vertragshändlerin u. a. für Fahrzeuge der Marke B.

Am 17.12.2011 bestellte die Klägerin bei der Beklagten das streitgegenständliche Neufahrzeug zu einem Kaufpreis von 51.098,01 EUR. Auf diese Summe wurde der Klägerin als Schwerbehinderte mit einer nachgewiesenen Behinderung von 50 % ein Nachlass – in der Rechnung als Verwerternachlass bezeichnet – in Höhe von 6.356,72 € netto gewährt, so dass sich die Rechnung für die Lieferung des Fahrzeuges auf 42.748 € belief.

In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Motortyps EA 189 mit 2,0 Liter Hubraum verbaut. Aufgrund dessen ist das streitgegenständliche Fahrzeug von dem sogenannten Abgasskandal betroffen, d. h., dass die Stickoxid-Werte durch eine Software im Prüfstandlauf niedriger gemessen werden als sie im realen Fahrzeugbetrieb tatsächlich auftreten.

Mit Bescheid des Kraftfahrzeugbundesamts vom 11.12.2015 wurde der Hersteller verpflichtet, bei allen betroffenen Fahrzeugen mit dem Motor EA 189 die aus Sicht des Bundesamts vorliegenden unzulässigen Abschaltvorrichtungen zu entfernen und nachzuweisen, dass nun die gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden.

Mit Schreiben vom 25.07.2016 gab das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ein auf den spezifischen Fahrzeugtyp abgestimmtes Software-Update frei (Anlage B 1 zum Beklagtenschriftsatz vom 28.04.2017).

Mit Schreiben vom 08.08.2016 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten mit anwaltlichem Schriftsatz den Rücktritt vom Kaufvertrag (Anlage K5 zum Klageschriftsatz, Bl. 22 ff. GA) und forderte diese unter Fristsetzung bis zum 15.08.2016 zur Rückabwicklung des Kaufvertrages auf.

Mit (nicht vollständig vorgelegtem) Schreiben vom 09.08.2016 wies die Beklagte u.a. darauf hin, dass das streitgegenständliche Fahrzeug weiterhin technisch sicher und fahrbereit sei und der Hersteller die notwendigen technischen Maßnahmen einleiten werde (Anlage K34 zum Schriftsatz des Klägervertreters vom 17.05.2017). Weiter heißt es in diesem Schreiben: “Das Zuwarten ist für ihre Mandantin nicht nachteilig, da wir ausdrücklich bis zum 31. Dezember 2017 auf die Erhebung der Verjährungseinrede im Hinblick auf etwaige Ansprüche, die im Zusammenhang mit der in Fahrzeugen mit dem Motortyp EA 189 eingebauten Software bestehen, verzichten. Der Verjährungsverzicht für derartige Ansprüche gilt auch, soweit diese bereits verjährt sind.

Vor diesem Hintergrund bitten wir um Verständnis, dass wir dem Wunsch, das Fahrzeug zurückzunehmen, nicht entsprechen können.“

Zu einem unbekannten Zeitpunkt Anfang August 2016 wies die Herstellerfirma darauf hin, die Nachbesserungsarbeiten am Fahrzeug könnten durchgeführt werden. Die Klägerin wurde aufgefordert, sich deswegen mit ihrem B- Partner in Verbindung zu setzen. Alle Angaben erfolgten ohne Gewähr (Anlage K2 zur Klageschrift, Bl. 14 GA).

Das Fahrzeug wies am Tag der letzten mündlichen Verhandlung unstreitig eine Kilometerleistung von 81.678 km auf.

Die Klägerin ist der Ansicht, das streitgegenständliche Fahrzeug sei erheblich mangelbehaftet, weil die tatsächlichen Stickoxidwerte des Fahrzeugs von den gesetzlichen Vorgaben und den Angaben des Herstellers im technischen Datenblatt derart abweichen, dass die EU5 Schadstoffklasse nicht erreicht werde. Die Klägerin behauptet, ihr sei es bei der Kaufentscheidung auf die Zuordnung der Schadstoffklasse angekommen. Die Klägerin meint, ihr sei eine Aufrechterhaltung des Kaufvertrages unter Würdigung aller Umstände nicht zumutbar und sie müsse sich nicht auf die Nacherfüllung verweisen lassen.

Die Klägerin ist weiterhin der Ansicht, ihr stünden gegen die Beklagte deliktische Schadensersatzansprüche zu. Sie meint, die Herstellerfirma bzw. die mit ihr verbundene W-AG habe arglistig getäuscht, betrogen und gegen die guten Sitten verstoßen; hierzu behauptet sie, dass neben zahlreichen Führungskräften, leitenden Managern und Ingenieuren auch mehrere Vorstände und der damalige Vorstandsvorsitzende der W-AG von dem Einbau und dem Einsatz der Software gewusst hätten. Sie meint, die Kenntnisse müsse sich die Beklagte als Vertragshändlerin zurechnen lassen.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 51.098,01 EURO nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.08.2016 Zug-um-Zug gegen Übergabe des Fahrzeuges B mit der Fahrgestellnummer X zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte spätestens seit dem 10.08.2016 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1) bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits und die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.954,46 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.08.2016.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist darauf, dass bei der Berechnung der Klageforderung der zwischen den Parteien auf den Kaufpreis vereinbarte Nachlass in Höhe von 6.356,72 € unberücksichtigt geblieben ist.

Außerdem erhebt sie die Einrede der Verjährung und meint, das vertragliche Rücktrittsrecht sei nach dem Wortlaut von dem Verjährungsverzicht mit Erklärung vom 09.08.2016 nicht umfasst.

Die Beklagte meint im Übrigen, der Klägerin stehe kein Rücktrittsrecht zu, da das Fahrzeug die für die EG-Typengenehmigung vorausgesetzten Emissionsgrenzwerte einhalte, technisch sicher und in seiner Fahrbereitschaft nicht eingeschränkt sei. Das Fahrzeug verfüge über alle erforderlichen Genehmigungen, insbesondere die EG-Typengenehmigung und sei nach wie vor als Fahrzeug der Abgasnorm EU5 zu klassifizieren und könne von der Klägerin uneingeschränkt im Straßenverkehr genutzt werden. Auch bei Vorliegen eines Mangels wäre dieser jedenfalls aus den o.g. Gründen und deshalb unerheblich, weil er mit einem geringen Kostenaufwand und Zeitaufwand ohne negative Folgen behebbar sei und ein Wertverlust weder eingetreten, noch zu erwarten sei. So erfordere das Software-Update einen Zeitaufwand von einer halben Stunde und koste deutlich weniger als 100,00 EUR. Dessen ungeachtet sei der Stickoxidausstoß für den Kaufentschluss der Klägerin nicht von erheblicher Bedeutung gewesen. Im Übrigen fehle es an einer für den Rücktritt erforderlichen angemessenen Fristsetzung zur Nacherfüllung; auch müsse sich die Beklagte keine etwaigen Kenntnisse der Herstellerfirma zurechnen lassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Klage hat teilweise Erfolg.

Klageantrag zu 1)

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises von 42.748 EUR abzüglich gezogener Nutzungen i.H.v. 13.966,28 EUR Zug-um-Zug gegen Rückgabe des im Tenor bezeichneten Fahrzeuges (§§ 346 Abs. 1, 348 i.V.m. § 437 Nr. 2, § 440 Satz 1 Var. 3, 323 Abs. 1 BGB).

Der PKW wies bei Gefahrübergang einen Sachmangel auf. Eine Frist zur Nacherfüllung war entbehrlich und die Pflichtverletzung war nicht unerheblich.

1. Die Klägerin ist mit Schreiben vom 08.08.2016 wirksam von dem Kaufvertrag mit der Beklagten über den streitgegenständlichen PKW zurückgetreten.

2. Das Fahrzeug war im Zeitpunkt der Übergabe mangelhaft im Sinne des § 434 Abs.1 BGB, da es jedenfalls nicht die Beschaffenheit auswies, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache gemäß § 434 Abs. 1 S. 2 Nr.2 Var. 2 BGB erwarten kann. Welche Beschaffenheit des Kaufgegenstandes ein Käufer anhand der Art der Sache im Sinne von § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 erwarten kann, bestimmt sich nach dem Empfängerhorizont eines Durchschnittskäufers und damit nach der objektiv berechtigten Käufererwartung.

Nach der Rechtsprechung der zweiten Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg, der sich das Gericht anschließt, entspricht das Fahrzeug diesen objektiv berechtigten Erwartungen nicht. Die eingebaute Software erkennt, wann sich das Fahrzeug im Testzyklus befindet und aktiviert während dieser Testphase einen Abgasrückführungsprozess, der zu einem geringeren Stickoxidausstoß führt. Das streitgegenständliche Fahrzeug täuscht mithin im Prüfstand einen niedrigeren Stickoxidausstoß vor, als er im Fahrbetrieb entsteht. Ein Durchschnittskäufer darf erwarten, dass die in der Testphase laufenden stickoxidverringernden Prozesse auch im realen Fahrbetrieb aktiv bleiben und nicht durch den Einsatz einer Software deaktiviert bzw. nur im Testzyklus aktiviert werden. Andernfalls wäre die staatliche Regulierung zulässiger Stickoxidausstoßgrenzen – wenn auch nur unter Laborbedingungen – Makulatur (vgl. u.a. OLG Hamm, Beschl. v. 21.06.2016, Az.: 28 W 14/16; OLG Celle, Beschl. v. 30.06.2016, Az.: 7 W 26/16; LG Aachen, Urt. v. 06.12.2016, Az. 10 O 146/16; LG Münster, Urt. v. 14.03.2016, Az. 11 O 341/15; LG Oldenburg, Urt. v. 01. 09.2016, Az.: 16 O 790/16; LG München II, Urt. v. 15.11. 2016, Az.:12 O 1482/16; LG Dortmund, Urt. v. 31.10.2016, Az.: 7 O 349/15; LG Hagen, Urt. v. 18.10.2016, Az.: 3 O 66/16, LG Paderborn, Urt. v. 17.05.2016, Az.: 2 O 381/15).

3. Dem Rücktritt der Klägerin steht nicht entgegen, dass sie der Beklagten keine Frist zur Nacherfüllung nach § 323 Abs. 1 BGB gesetzt hat. Denn eine Fristsetzung war gem. § 440 Satz 1 Var. 3 BGB wegen Unzumutbarkeit entbehrlich.

Ob eine Nachbesserung technisch möglich ist, kann dahinstehen. Denn auch bei technisch möglicher Nachbesserung war es der Klägerin zum Rücktrittszeitpunkt gemäß § 440 S. 1 Var. 3 BGB unzumutbar, sich auf eine Nachbesserung mit offenem Ausgang und ungewisser Dauer einzulassen. Die Unzumutbarkeit der Nacherfüllung beurteilt sich allein aus der Perspektive des Käufers, vorliegend der Klägerin, zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung. In die Beurteilung sind alle Umstände des Einzelfalles einzustellen, insbesondere die Art des Mangels und die Beeinträchtigung der Interessen des Käufers, die Begleitumstände der Nacherfüllung, die Zuverlässigkeit des Verkäufers sowie eine nachhaltige Störung des Vertrauensverhältnisses der Parteien (vgl. BGH, Urt. v. 26.10.2016 – VIII ZR 240/15)

a. Ausgehend von dem vorgenannten Maßstab war vorliegend die Nachbesserung der Klägerin schon deshalb unzumutbar, weil sie die begründete Befürchtung hegen durfte, dass das beabsichtigte Software-Update entweder nicht erfolgreich sein oder zu Folgemängeln führen würde (vgl. etwa auch LG Krefeld, Urt. v. 14.09.2016 – 2 O 83/16; LG Bückeburg, Urt. v. 11.01.2017 – 2 O 39/16; LG Dortmund, Urteil v. 29.09.2016 – 25 O 49/16; LG Arnsberg Urt. v. 24.03.2017 – I 1 O 224/16).

So war es war vorliegend zum Zeitpunkt des Rücktritts, auf den allein abzustellen ist (BGH Urt. v. 15.06.2011 – VIII ZR 139/09) nicht auszuschließen, dass die Beseitigung der Manipulations-Software negative Auswirkungen auf die übrigen Emissionswerte, den Kraftstoffverbrauch und die Motorleistung haben würde.

Die Einzelgenehmigung des Kraftfahrtbundesamtes lag für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp zum Rücktrittszeitpunkt zwar schon vor.

Zweifel an einem Nachbesserungserfolg waren dennoch bereits unter Berücksichtigung der öffentlichen Diskussion nachvollziehbar.

Der berechtigte Mangelverdacht reicht dabei vorliegend aus, um der Klägerin die Nachbesserung unzumutbar zu machen. Die Klägerin muss nicht beweisen oder auch nur als sicher eintretend behaupten, dass ein Folgemangel entstehen werde (LG Krefeld a.a.O.). Die Interessen der Klägerin als Käuferin sind vielmehr bereits dann hinreichend beeinträchtigt, wenn aus Sicht eines verständigen Kunden konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für die Möglichkeit von Folgemängeln vorliegen (LG Krefeld a.a.O). Dies ist, wie oben ausgeführt, vorliegend der Fall. Vor diesem Hintergrund musste sich die Klägerin nicht auf die im August 2016 ohne Gewähr gegebene Kundeninformation des Herstellers verlassen.

b. Unter Berücksichtigung der öffentlichen Diskussion war zum Rücktrittszeitpunkt auch unklar, ob sich der Marktwert der betroffenen Fahrzeuge nachteilig entwickeln würde. Gerade der Wert eines Kraftwagens kann von subjektiven Vorstellungen beeinflusst sein (vgl. BGH, Urteil vom 04.03.1976 - VI ZR 14/75: „Mittelbar aber können auch ästhetische Urteile und selbst irrationale Vorurteile schadensrechtlich erheblich werden, wenn sie sich wegen ihrer allgemeinen Verbreitung zwangsläufig auf den Verkehrswert der Sache, auf die sie sich beziehen, auswirken. Das ist aber bei der allgemeinen besonderen Wertschätzung eines fabrikneuen unfallfreien Kraftwagens der Fall (…)“).

Auch im Zusammenhang mit der „130 %-Rechtsprechung“, wonach in Abweichung von dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Ersatz des Reparaturaufwands bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs verlangt werden kann (vgl. etwa BGH, Urteil vom 02.06.2015 – VI ZR 387/14), ist anerkannt, dass der Vertrautheit mit einem Fahrzeug (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991 – VI ZR 314/90) und dem Wissen um den Zustand des Fahrzeugs, insbesondere auch das Wissen darum, „ob und welche Mängel dabei aufgetreten und auf welche Weise sie behoben worden sind“, „ein wirtschaftlicher Wert zukommt“ (BGH, Urteil vom 15.02.2005, Az.: VI ZR 70/04). Dies begründet die naheliegende Möglichkeit, dass ein Wertverlust zu besorgen ist. Dies gilt erst Recht mit Blick auf den europäischen Markt. Ein Kraftwagen ist ein zentrales Verkehrsgut. Einschränkungen in der Fungibilität mit unbestimmter Dauer sind nicht hinnehmbar.

c. Im Übrigen besteht auch der Verdacht, dass das Fahrzeug innerhalb von Deutschland nicht rechtlich gesichert betrieben werden kann bzw. kein Haftpflichtversicherungsschutz besteht. Entsprechende rechtliche Erwägungen sind jedenfalls nicht unvertretbar. So heißt es etwa in dem Urteil des LG München II vom 15.11.2016 – 12 O 1482/16:
„Zu berücksichtigen ist auch, dass die Betriebserlaubnis für den PKW kraft Gesetzes gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 StVZO erloschen ist. Dass die Behörden an diesen Umstand momentan für Hunderttausende Kraftfahrzeugführer keine Folgen knüpfen, ist für sich genommen für § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 StVZO unerheblich, da die Rechtsfolge kraft Gesetzes eintritt – unabhängig von behördlichen Maßnahmen.“
Dieses rechtliche Risiko kann nicht dem Käufer aufgebürdet werden, zumal ausländische Behörden von der hiesigen Verwaltungspraxis abweichen können.

d. Für die Klägerin war zum Rücktrittszeitpunkt auch nicht absehbar, wann mit einer Nachbesserung zu rechnen sein würde. Aus dem zeitlichen Ablauf ergibt sich nämlich, dass sie die im Übrigen ohne Gewähr erteilte Information des Herstellers, sie könne sich jetzt mit ihrem B-Partner zur Vereinbarung eines Termins in Verbindung setzen, zeitlich erst nach der Rücktrittserklärung erreicht hat. Denn auch im Schreiben vom 09.08.2016 ging die Beklagte davon aus, es sei noch weiteres Zuwarten erforderlich, das für die Klägerin im Hinblick auf den erklärten Verjährungsverzicht aber nicht nachteilig sei.

Auch vor dem Hintergrund, dass zum Rücktrittszeitpunkt unklar war, wann es zu einer Nachbesserung kommen würde, war der Klägerin eine Nachbesserung nicht zuzumuten.

4. Das Rücktrittsrecht war auch nicht gemäß § 323 Abs. 5 S. 2 BGB ausgeschlossen.

Nach § 325 Abs. 5 S.2 kann der Gläubiger vom Vertrag nicht zurücktreten, wenn der Schuldner die Leistung nicht vertragsgemäß bewirkt hat und die Pflichtverletzung unerheblich ist. Nach umfassender Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände dieses Einzelfalls handelt es sich vorliegend um einen erheblichen Mangel (so auch LG Krefeld a.a.O.; LG Bückeburg a.a.O.; LG Dortmund a.a.O.; LG Arnsberg a.a.O. LG Lüneburg, Urt. v. 02.06.2016 - 4 O 3/16).

Bei einem behebbaren Sachmangel ist im Rahmen der Interessenabwägung jedenfalls in der Regel dann die Erheblichkeitsschwelle als erreicht anzusehen, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises überschreitet (vgl. BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13). Hierbei handelt es sich jedoch nicht um einen starren Grenzwert, sondern allein um eine Regelfallbetrachtung, die die weitere Interessenabwägung nicht von vornherein ausschließt.

Die Beklagte hat sich vorliegend darauf berufen, dass das Fahrzeug technisch sicher, optisch in Ordnung und in der Fahrbereitschaft nicht eingeschränkt sei. Ferner würden mit der Mängelbeseitigung lediglich Kosten deutlich unter 100,00 EUR und ein zeitlicher Reparaturaufwand von unter 1 Stunde verbunden sein. Aus der Sicht der Klägerin muss im Rahmen der Interessenabwägung jedoch beachtet werden, dass ein erheblicher Mangel allein schon deshalb vorliegt, weil zum Zeitpunkt der Rücktritterklärung - wie ausgeführt - bei der Klägerin ein erheblicher und berechtigter Mangelverdacht verblieben ist. Hier greifen die Gründe, die der Klägerin eine Nachbesserung unzumutbar machen und die den Mangel erheblich machen, ineinander, so dass eine bloß unerhebliche Pflichtverletzung nicht angenommen werden kann (LG Krefeld a.a.O.).

5. Der Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages ist auch nicht verjährt.

Denn die Beklagte hat mit Schreiben vom 09.08.2016 auch insoweit wirksam einen Verjährungsverzicht bis zum 31. Dezember 2017 erklärt.

Aus dem Wortlaut der Erklärung ergibt sich gerade keine Einschränkung der Erklärung dahingehend, hiervon solle die Einrede der Verjährung bei Geltendmachung eines Rücktrittsrechts ausgenommen sein. Die Formulierung „da wir ausdrücklich .. auf die Erhebung der Verjährungseinrede im Hinblick auf etwaige Ansprüche, die im Zusammenhang mit der … eingebauten Software bestehen … verzichten„ lässt nach dem gemäß §§ 133, 157 BGB maßgeblichen Empfängerhorizont gerade keine derartige Einschränkung erkennen und bezieht sich damit auf sämtliche möglichen Ansprüche.

Auch der in der Erklärung enthaltene Nachsatz „Vor diesem Hintergrund bitten wir um Verständnis, dass wir dem Wunsch, das Fahrzeug zurückzunehmen, nicht entsprechen können.“, lässt insoweit keine abweichende Deutung zu.

Denn er deutet nur darauf hin, dass die Beklagte zum damaligen Zeitpunkt jedenfalls nicht ohne gerichtliche Durchsetzung zu einer Rückabwicklung des Vertrages bereit war. Dass mit dieser Formulierung der Verjährungsverzicht eingeschränkt werden sollte, lässt sich der Erklärung dagegen aus Empfängersicht jedenfalls nicht entnehmen.

6. Der Klägerin steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch jedoch nicht im vollen Umfang zu.

Soweit die Klägerin bei der Berechnung der Klageforderung den seitens der Beklagten gewährten Nachlass in Höhe von 6.356,72 € offenbar versehentlich unberücksichtigt gelassen hat, hat die Klage dabei keinen Erfolg.

Des Weiteren hat die Klägerin aufgrund der vom Kaufpreis abzuziehenden Nutzungsentschädigung i.H.v. 13.966,28 € lediglich Anspruch auf Zahlung von 28.781,72 EUR.

Die sich aus dem Rücktritt ergebenen Pflichten sind gemäß §§ 348, 320 Abs.1 BGB Zug um Zug zu erfüllen. Insofern steht der Beklagten ihrerseits ein Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und ein entsprechender Wertersatz für die tatsächliche Nutzung des Fahrzeugs gemäß § 346 Abs.1, Abs. 2 BGB gegen Rückgabe des gezahlten Kaufpreises nebst gezogener Nutzungen zu. Vor dem Hintergrund der tatsächlichen Laufleistung ist nach den Grundsätzen der kilometeranteiligen linearen Wertminderung der Nutzungsersatz bei einem Neufahrzeug wie folgt zu berechnen: Bruttokaufpreis x gefahrene km ÷zu erwartende Gesamtlaufleistung, wobei das Gericht die zu erwartende Gesamtlaufleistung gemäß § 287 ZPO auf 250.000 km schätzt. Unstreitig liegt die Laufleistung des Pkw seit Gefahrübergang bis zur maßgeblichen letzten mündlichen Verhandlung bei 81.678 km. Dies ergibt einen Wertersatzanspruch i.H.v. 13.966,28 EUR. Mithin besteht ein Anspruch auf Zahlung i.H.v. 28.781,72 € Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Kfz.

7. Zinsen schuldet die Beklagte unter dem Gesichtspunkt des Verzugs aus §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB ab Ablauf der gesetzten Zahlungsfrist.

8. Weitergehende deliktische Ansprüche gegen die Beklagte stehen der Klägerin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Diese setzen jedenfalls Kenntnis der Beklagten von der Abgasmanipulation voraus. Hierfür bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Im Übrigen muss sich die Beklagte als rechtlich selbstständige Vertragshändlerin ein Verhalten der Herstellerfirma auch nicht zurechnen lassen.

Klageantrag zu 2)

Es war auch der Annahmeverzug festzustellen. Die Beklagte befindet sich mit der Annahme des Fahrzeugs in Verzug gemäß § 293 BGB. Die Klägerin hat der Beklagten mit Schreiben vom 09.08.2016 die Rückgabe des Fahrzeugs angeboten. Ein wörtliches Angebot war gemäß § § 295 S.1 BGB ausreichend, da die Beklagte im Rahmen des Rückgewährschuldverhältnisses als Gläubigerin das Fahrzeug bei der Klägerin als Schuldner gemäß § 269 Abs.1 BGB abzuholen hat. Dies hat die Beklagte mit Schreiben vom 09.08.2016 abgelehnt.

Klageantrag zu 3)

Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten kein Anspruch auf Freistellung von der Zahlungsverpflichtung der vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten zu.

Ein solcher Anspruch folgt nicht aus Verzug gemäß §§ 280 Abs.1, Abs.2, 286 Abs.1 BGB, weil die Prozessbevollmächtigten der Klägerin ausweislich des Schreibens vom 09.08.2016 bereits vor der verzugsbegründenden Mahnung beauftragt waren. Ein Anspruch auf Freistellung von Anwaltskosten gegenüber der Beklagten zu 1) folgt auch nicht aus § 280 Abs. 1 BGB, da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Beklagte Kenntnis von der Abgasmanipulation hatte und sie sich als rechtlich selbstständige Vertragshändlerin ein Verhalten der Beklagten zu 2) auch nicht zurechnen lassen muss.

II.

Die prozessuale Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 709 S. 1 ZPO.

Der Streitwert war wie geschehen entsprechend der Klageforderung zu 1) festzusetzen. Die restlichen Klageanträge wirken nicht streitwerterhöhend.