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Verwaltungsgericht Saarlouis Urteil vom 08.11.2017 - 6 K 926/16 - Notstandssituation nach Einsetzen der Geburtswehen

VG Saarlouis v. 08.11.2017: Abschleppen von einem Behindertenparkplatz; Notstandssituation nach Einsetzen der Geburtswehen


Das Verwaltungsgericht Saarlouis (Urteil vom 08.11.2017 - 6 K 926/16) hat entschieden:
Die gesetzliche Systematik der Regeln über die Kostenverantwortlichkeit des polizeipflichtigen Störers verdeutlicht, dass von der Kostenüberleitung nur in atypischen Einzelfällen abgesehen werden soll. Die Heranziehung des Störers zu den Kosten einer polizeilichen Maßnahme stellt sich nur ausnahmsweise als unbillig und damit unzulässig dar, nämlich dann, wenn sie natürlichem Gerechtigkeitsempfinden widersprechen und sich als unverhältnismäßige Härte darstellen würde.

Ein Ausnahmefall wurde angesichts der Einzelfallumstände mit Blick auf den Wiedereintritt der polizeirechtlichen Verantwortlichkeit für die Beseitigung des durch das Abstellen des Fahrzeugs auf dem Behindertenparkplatz geschaffenen objektiven Gefahrenzustands nach der Übergabe der hochschwangeren Ehefrau in fachkundige Obhut verneint.


Siehe auch Abschleppkosten - Kfz.-Umsetzungsgebühren und Stichwörter zum Thema Abschleppkosten


Tatbestand:

Am Morgen des 20.1.2015 setzten bei der Ehefrau des Klägers Geburtswehen ein. Der Kläger brachte sie gegen 8:30 Uhr mit seinem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ... in die ... Kliniken in A-Stadt. Dort stellte er den Wagen auf einem Sonderparkplatz für Schwerbehinderte (Zeichen 314 mit Zusatzzeichen für Rollstuhlfahrer) ab.

Der Sohn des Klägers wurde um 9:08 Uhr geboren. Im Anschluss musste die Ehefrau des Klägers notfallmäßig operiert werden.

Um 9:37 Uhr bekam die Beklagte Meldung von dem Verkehrsverstoß. Die Bediensteten der Beklagten ermittelten die mobile Telefonnummer des Klägers. Sie riefen zweimal dort an, erreichten allerdings nur die Mailbox. Ferner veranlassten sie einen Ausruf im Klinikum. Auch hierauf meldete sich niemand.

Um 9:54 Uhr beauftragte die Beklagte ein Abschleppunternehmen. Dieses versetzte den PKW des Klägers auf eine Abstellfläche in ... .

Das Abschleppunternehmen stellte der Beklagten für den Abschleppvorgang 152,32 EUR in Rechnung.

Mit Bescheid vom 29.1.2015 forderte die Beklagte den Kläger auf, ihr insgesamt einen Betrag von 215,82 EUR zu zahlen. Der Betrag setzte sich aus den Abschleppkosten in Höhe von 152,32 EUR, einer Verwaltungsgebühr in Höhe von 60 EUR und Auslagen in Höhe von 3,50 EUR zusammen.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung trug er vor, dass das Abstellen des Fahrzeugs auf dem Schwerbehindertenparkplatz unvermeidbar gewesen sei, um eine Gefährdung seiner hochschwangeren Frau und des ungeborenen Kindes zu vermeiden. Es handele sich insoweit um den klassischen Fall des rechtfertigenden Notstands.

Auf eine in der Folge an ihn versandte Mahnung und Vollstreckungsanordnung zahlte der Kläger einen Teilbetrag in Höhe von 62,30 EUR.

Mit Bescheid vom 21.4.2016 wies der Stadtrechtsausschuss der Landeshauptstadt Saarbrücken den Widerspruch des Klägers zurück. Er führte zur Begründung aus, dass gegen die Abschleppmaßnahme keine rechtlichen Bedenken bestünden. Der Rechtmäßigkeit des Abschleppvorgangs stehe auch nicht die vom Kläger geltend gemachte Notstandssituation entgegen. Selbst bei Vorliegen einer Notstandssituation sei die polizeiliche Maßnahme rechtens. Das Ordnungsrecht knüpfe nicht an einen Schuldvorwurf an, sondern allein an die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit für die Verursachung der Gefahr. Abgesehen davon sei den vor Ort befindlichen Einsatzkräften die besondere Situation des Klägers nicht bekannt gewesen. Die Nahbereichsermittlungen, zu denen die Mitarbeiter der Beklagten im Übrigen nicht verpflichtet gewesen seien, hätten keine Erkenntnisse erbracht, die Anlass gegeben hätten, von einer Notsituation auszugehen. Ohne die Möglichkeit, ein rücksichtsloses Abstellen eines Fahrzeugs auf einem Schwerbehindertenparkplatz von einer Notmaßnahme zu unterscheiden, sei der Beklagten nichts anderes übrig geblieben, als das Fahrzeug entfernen zu lassen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dürfe der privilegierte Benutzerkreis eines Schwerbehindertenparkplatzes nach der gesetzlichen Wertung darauf vertrauen, dass die für ihn eigens eingerichteten Sonderparkplätze unbedingt zur Verfügung stünden. Dies gelte insbesondere auch für Sonderparkplätze vor einem Krankenhaus. Der Funktionsschutz derartiger Sonderparkplätze könne nachhaltig nur dann aufrechterhalten werden, wenn für deren Benutzung keine Ausnahme zugelassen werde. Gerade vor dem Haupteingang eines Krankenhauses werde eine Vielzahl von Parkplatzsuchenden Gründe anführen können, die aus ihrer Sicht die Nutzung der Sonderparkplätze rechtfertigten. Im Übrigen sei fraglich, ob die vom Kläger geltend gemachte Notsituation ununterbrochen bis zum Beginn des Abschleppvorgangs um 10:14 Uhr angedauert habe. Aus gleichen Gründen sei es auch verhältnismäßig, den Kläger zu den der Beklagten durch die Abschleppmaßnahme entstandenen Kosten heranzuziehen.

Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 3.6.2016 zugestellt.

Am 24.6.2016 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung vertieft er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Es sei ihm nicht zuzumuten gewesen, unter Inkaufnahme einer Gefährdung für das Leben seiner Frau und seines ungeborenen Kindes einen regelgerechten Parkplatz zu suchen. Es sei ihm weder während der Geburt seines Kindes noch der anschließenden Notoperation seiner Ehefrau, während der er sich um sein neugeborenes Kind habe kümmern müssen, zumutbar gewesen, sein Fahrzeug umzuparken. In dieser Situation müsse der Schutz von Schwerbehindertenparkplätzen vor unberechtigtem Beparken zurücktreten. Abgesehen davon habe er bei dem Empfangstresen des Klinikums nach einem Rollstuhl für seine Frau gefragt und diesen auch erhalten. Dementsprechend sei dem Personal dort die Sachlage bekannt gewesen. Bei ausreichender und ordentlicher Nahbereichsermittlung durch die Beklagte hätte ihr das zur Kenntnis gelangen müssen. Es sei daher davon auszugehen, dass die Beklagte den Sachverhalt nicht hinreichend recherchiert habe. Da im Kreißsaal keine Lautsprecher angebracht seien, habe er den Ausruf im Klinikum nicht wahrnehmen können. Er empfinde es als grob unbillig, ihm die Abschleppkosten aufzuerlegen. Es könne von Niemandem, der sich in seiner besonderen Situation befinde, ernsthaft erwartet werden, dass er den Schutz der Funktion eines Schwerbehindertenparkplatzes vor das Wohl seiner Angehörigen stelle. Seine Ehefrau habe offenkundig unter starken Schmerzen gelitten, denen er schnellstmöglich habe Abhilfe verschaffen müssen. Außerdem habe er, was sich durch den späteren Verlauf tatsächlich auch bestätigt habe, um die Gesundheit der Ehefrau und des (ungeborenen) Kindes fürchten müssen.

Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 29.1.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.4.2016 aufzuheben und ihm den schon gezahlten Teilbetrag in Höhe von 62,30 EUR zurückzuerstatten.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie vollinhaltlich auf die Begründung des Widerspruchsbescheids vom 21.4.2016.

Das wegen des streitgegenständlichen Parkvorgangs durch das Landesverwaltungsamt des Saarlandes eingeleitete Bußgeldverfahren ist mit Blick auf die klägerische Sondersituation mit Bescheid vom 5.3.2015 eingestellt worden.

Auf gerichtliche Anfrage haben beide Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Mit Beschluss vom 26.10.2017 hat die Kammer den Rechtsstreit der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten Bezug genommen. Er war Grundlage der Entscheidung.


Entscheidungsgründe:

Nachdem die Beteiligten übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben, kann gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im schriftlichen Verfahren entschieden werden.

Die Klage, die nach sachgerechter Auslegung auf die Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 29.1.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.4.2016 abzielt, ist als Anfechtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO zulässig. Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann diese Klage zulässigerweise mit dem Antrag auf Rückerstattung des bereits geleisteten Teilbetrags in Höhe von 62,30 EUR verbunden werden.

Die Klage ist allerdings unbegründet. Die Beklagte hat den Kläger zu Recht zur Erstattung der Kosten, die sie an das Abschleppunternehmen verauslagt hat, der ihr entstandenen Verwaltungsgebühr und der von ihr verauslagten Portokosten in Höhe von 3,50 EUR herangezogen. Der diesbezügliche Bescheid der Beklagten vom 29.1.2015 und der Widerspruchsbescheid vom 21.4.2016 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Die Rechtsgrundlage für die Kostenforderung ergibt sich aus §§ 46 Abs. 1 Satz 2, 90 Abs. 1 und Abs. 2 SPolG i.V.m. § 1 Nr. 5 Polizeikostenverordnung vom 10.10.2006 (Amtsblatt S. 1.8.2009) (im Folgenden: PolKV) und § 90 Abs. 1 und Abs. 2 SPolG i.V.m. § 3 PolKV.

Nach diesen Vorschriften werden für die Ausführung der Ersatzvornahme - eine solche liegt hier vor - Kosten erhoben. Dabei handelt es sich gemäß § 90 Abs. 1 und Abs. 2 SPolG, § 1 Nr. 5 PolKV zunächst um Gebühren für die Amtshandlung der Polizei. Der diesbezügliche Gebührenrahmen umfasst dabei den Bereich von 15 EUR bis 1023 EUR. Daneben können gemäß §§ 90 Abs. 1 und Abs. 2 SPolG, 3 PolKV besondere Auslagen geltend gemacht werden. Besondere Auslagen nach dieser Vorschrift sind Beträge, die anderen Behörden oder anderen Personen für ihre Tätigkeit zu zahlen sind. Dies erfasst unproblematisch sowohl die an das Abschleppunternehmen verauslagte Rechnungssumme als auch die Kosten, die der Beklagten für postalische Dienste entstanden sind.

Tatbestandliche Voraussetzung für die Erhebung der vorgenannten Kosten ist die Rechtmäßigkeit der die Kosten verursachenden polizeilichen Maßnahme und die Störereigenschaft des Inanspruchgenommenen gemäß §§ 4, 5 SPolG. Von Personen, die gemäß § 6 SPolG als sogenannte Nichtstörer in Anspruch genommen wurden, kann Kostenersatz generell nicht verlangt werden.
Vgl. Sailer, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, Abschnitt N, Rz,. 41
Darüber hinaus ist eine Ermessensentscheidung dahingehend erforderlich, dass die Kostenüberleitung im Einzelfall nicht unbillig ist.

Diesen Erfordernissen genügt die angefochtene Entscheidung der Beklagten.

Zunächst war sie zur Beauftragung eines Abschleppunternehmens zur Beseitigung des Fahrzeugs des Klägers von dem Behindertenparkplatz berechtigt. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von polizeilichen Gefahrenabwehrmaßnahmen ist auf den Zeitpunkt des behördlichen Handelns abzustellen. Mit Blick auf die Parksituation, wie sie sich der Beklagten am Morgen des 20.1.2015 darstellte, ergeben sich keine rechtlichen Zweifel an der von ihr veranlassten Abschleppmaßnahme.

Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 SPolG kann die Polizei im Wege der Ersatzvornahme eine Handlung selbst ausführen oder einen anderen mit der Ausführung beauftragen, wenn eine Verpflichtung, eine vertretbare Handlung vorzunehmen, nicht erfüllt wird. Eines gemäß § 44 Abs. 1 SPolG grundsätzlich erforderlichen vorhergehenden Verwaltungsakts, mit dem dem Polizeipflichtigen die mit der Ersatzvornahme durchgesetzte Handlungspflicht auferlegt wurde, bedarf es gemäß § 44 Abs. 2 SPolG nicht, wenn das zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig ist, insbesondere weil Maßnahmen gegen Personen nach den §§ 4 bis 6 SPolG nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen. In diesem Fall erübrigt sich auch die gemäß § 45 Abs. 2 SPolG normalerweise notwendige Androhung des Zwangsmittels.

So liegt der Fall hier. Zum Zeitpunkt der Abschleppmaßnahme bestand eine gegenwärtige Gefahr für das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 8 Abs. 1 SPolG. Die öffentliche Sicherheit umfasst unter anderem den Schutz der gesamten geschriebenen Rechtsordnung. Hierzu gehört auch die Regelung des § 42 Abs. 4 StVO, Zeichen 314 i.V.m. dem Zusatzzeichen 104-10. Ein objektiver Verstoß gegen diese Vorschriften lag unstreitig vor, nachdem der Kläger nicht zu dem zum Parken auf einem Behindertenparkplatz berechtigten Personenkreis gehört. Für ein polizeiliches Eingreifen auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 SPolG reicht es, wenn objektiv ein Gefahrentatbestand gegeben ist. Ob dieser schuldhaft herbeigeführt wurde oder nicht, ist im Bereich des Gefahrenabwehrrechts rechtlich ohne jede Bedeutung.

Das Abschleppen des Fahrzeugs war auch ermessensgerecht im Sinne des § 3 Abs. 1 SPolG. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gemäß § 2 SPolG ist gewahrt worden. Das Vorgehen war geeignet den vorbeschriebenen Gefahrenzustand zu beseitigen. Eine mildere, gleich geeignete Maßnahme bestand nicht. Nur durch das Entfernen des klägerischen Wagens von dem Schwerbehindertenparkplatz war es möglich, die Gefahr zu beseitigen. Ein Zuwarten, bis der Kläger zurückkommen würde, war im Hinblick auf die Notwendigkeit einer zügigen Gefahrenabwehr nicht gleichermaßen geeignet. Unabhängig davon, ob und inwieweit die Beklagte überhaupt eine Nachforschungspflicht traf,
vgl. ablehnend, OVG Hamburg, Urteil vom 22.2.2005, 3 Bf 25/02; VG Düsseldorf, Urteil vom 20.8.2013, 14 K 7033/12, Rz. 46, zitiert nach juris; siehe auch: Sailer in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, Abschnitt N, Rz. 88
hat die Beklagte vorliegend die Mobiltelefonnummer des Klägers ermittelt und diese zweimal erfolglos angerufen. Desgleichen hat sie die naheliegende Maßnahme, den Kläger im Krankenhaus ausrufen zu lassen, ergriffen. Dies war mit Blick auf die angesichts des öffentlichen Interesses am Freihalten von Behindertenparkplätzen veranlasste zügige Beseitigung der Gefahr aus Sicht des Gerichts jedenfalls ausreichend. An der Freihaltung von Sonderparkplätzen zugunsten behinderter Personen besteht grundsätzlich ein erhebliches öffentliches Interesse, das eine Gefahrenbeseitigung im Wege des Abschleppens dort abgestellter Fahrzeuge von nicht schwerbehinderten Personen regelmäßig rechtfertigt. Diese Interessenabwägung zugunsten des öffentlichen Interesses entspricht dem Willen des Gesetzgebers, da andernfalls der Zweck, die Parkbevorrechtigung durchzusetzen, nicht effektiv erreicht werden kann. Die parkbevorrechtigten Benutzer sind nach der gesetzgeberischen Wertung als Verkehrsteilnehmer in besonderem Maße hilfsbedürftig und sollen darauf vertrauen können, dass der gekennzeichnete Parkraum ihnen uneingeschränkt zur Verfügung steht.
St. Rspr. der Kammer, u.a. Urteile vom 13.05.2009, 6 K 732/08 und vom 25.8.2017, 6 K 947/16; vgl. ferner BVerwG, Beschluss vom 18.2.2002, 3 B 149.01; Hess.VGH, Beschluss vom 05.03.2014, 8 D 2361/13; Bay.VGH, Beschluss vom 01.12.2009, 10 ZB 09.2367; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25 1. 2005, 7 A 11726/04, jeweils zitiert nach juris
Dies gilt in besonderem Maße für Schwerbehindertenparkplätze vor einem Klinikum. Diese sollen nicht zuletzt dazu dienen, es schwerbehinderten Personen, gegebenenfalls auch in dringlichen Fällen, zu ermöglichen, ohne weitere Erschwernisse eine ärztliche Versorgung erreichen zu können.

Da der Kläger die Gefahr durch das Abstellen seines Fahrzeugs auf dem Schwerbehindertenparkplatz unmittelbar verursacht hat, trifft ihn die Maßnahme zu Recht als den polizeirechtlich verantwortlichen Verhaltensstörer im Sinne des § 4 Abs. 1 SPolG. Mit Blick auf den gefahrenabwehrrechtlichen Charakter des polizeilichen Eingreifens sind die Gründe, die den Kläger dazu bewogen haben, sein Fahrzeug auf den Schwerbehindertenparkplatz abzustellen, nicht geeignet, die Abschleppmaßnahme als solche ihm gegenüber als unverhältnismäßig zu kennzeichnen, zumal der Beklagten von alldem nichts bekannt war.

Als Verhaltensstörer gehört der Kläger auch zu dem Personenkreis, der grundsätzlich zu den Kosten der polizeilichen Maßnahme herangezogen werden kann.

Auch auf der Ermessensebene ist die Entscheidung der Beklagten, den Kläger zu den ihr entstandenen Kosten heranzuziehen, rechtlich nicht zu beanstanden.

Zwar ist die Frage der Kostenüberleitung der der Polizei entstandenen Auslagen und Gebühren auf den polizeirechtlich Verantwortlichen rechtlich von der Frage der Rechtmäßigkeit der Maßnahme als solcher, für die die Kosten angefallen sind, unabhängig und einer eigenständigen Beurteilung zugänglich. Insoweit können insbesondere auch tatsächliche Erkenntnisse in Rechnung gestellt werden, die erst nach dem polizeilichen Einschreiten bekannt geworden sind. Dies gilt vorliegend namentlich für die Gründe, die der Kläger für das Abstellen seines Fahrzeugs auf dem Behindertenparkplatz angeführt hat.

Indessen reichen diese Gründe nicht, die Heranziehung des Klägers zu den der Beklagten entstandenen Kosten als ermessensfehlerhaft zu kennzeichnen.

Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Allgemein zeigt die gesetzliche Systematik, dass nur in atypischen Einzelfällen von der Kostenüberleitung abgesehen werden soll. Dies ergibt sich daraus, dass die Regeln über die Überleitung der Kosten für eine polizeiliche Maßnahme ebenso wenig wie die Regeln über die Eingriffskompetenzen der Polizei danach differenzieren, ob der Herangezogene den polizeiwidrigen Zustand verschuldet hat. Nach der gesetzgeberischen Konzeption stellt sich die Kostentragungspflicht als Folge der polizeirechtlichen Störerverantwortlichkeit dar. Von daher entspricht es grundsätzlich dem Zweck der Regelung über die Kostentragungspflicht des polizeirechtlich Verantwortlichen, die entstandenen Kosten regelmäßig auch bei diesem zu erheben,
Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.9.1990, 1 S 2805/89; Bay.VGH, Beschluss vom 16.2.2016, 24 C 06.297, zitiert nach juris; VG des Saarlandes, Gerichtsbescheid vom 3.8.1999, 6 K 65/98, in: Zeitschrift für Schadensrecht, Jahrgang 2000, S. 88 f.
und zwar unabhängig davon, ob ihn in Bezug auf die Gefahrenverursachung ein Schuldvorwurf trifft oder nicht.

Die Heranziehung zu den Kosten kann sich demnach nur ausnahmsweise im Einzelfall als unbillig und damit unzulässig darstellen, nämlich dann, wenn sie natürlichem Gerechtigkeitsempfinden widersprechen und sich als unverhältnismäßige Härte darstellen würde.
Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.9.1990, 1 S 2805/89; Bay.VGH, Beschluss vom 16.2.2016, 24 C 06.297, zitiert nach juris; VG des Saarlandes, Gerichtsbescheid vom 3.8.1999, 6 K 65/98, in: Zeitschrift für Schadensrecht, Jahrgang 2000, S. 88 f.
Hintergrund hierfür ist, dass die Möglichkeit, im Einzelfall von der Kostenerhebung abzusehen, ein unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns notwendiges Korrektiv darstellt, um Härten zu begegnen, die sich beispielsweise aus der strengen Zustandshaftung gemäß § 5 Abs. 1 SPolG ergeben können. Die Polizeipflichtigkeit des Inhabers der tatsächlichen Gewalt über eine Sache, von der ein Gefahrenzustand ausgeht, entfällt schließlich selbst dann nicht, wenn die Gefahr ohne jedes Zutun des Zustandsverantwortlichen durch außergewöhnliche Ereignisse verursacht wurde, die womöglich nicht einmal in seiner Risikosphäre wurzeln, wie beispielsweise die Verantwortlichkeit eines Grundstückseigentümers für die Beseitigung von sogenannten Altlasten. Desgleichen wird in besonderen Fällen ein Absehen von der Kostenerhebung aus Billigkeitsgründen für möglich erachtet, wenn für den Polizeipflichtigen unvorhersehbar war, dass von seiner Sache – irgendwann – eine polizeiliche Gefahr ausgehen wird, wie etwa bei nachträglichem Aufstellen von mobilen Verkehrszeichen.
Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.9.1990, 1 S 2.8.2005/89; VG Leipzig, Urteil vom 2.8.1996, 1 K 571/94, zitiert nach juris
Gemessen hieran stellt sich die Heranziehung des Klägers zu den Kosten der Abschleppmaßnahme nicht als unverhältnismäßige Härte dar.

Auch wenn dem Kläger ohne weiteres zuzugeben ist, dass er sich am Morgen des 20.1.2015 in einer persönlichen Ausnahmesituation befunden hat und angesichts seines Vorbringens sogar unwidersprochen im Raum steht, dass die gesundheitliche Situation seiner Ehefrau und des ungeborenen Kindes im Zeitpunkt der Ankunft beim Klinikum kritisch war, ist gegen die Annahme einer unverhältnismäßigen Härte mit Gewicht zu berücksichtigen, dass der die objektive Gefahrenlage, die er durch eigenes Verhalten direkt verursacht hat und die ihm dementsprechend bekannt war, im weiteren Verlauf der Ereignisse aus dem Blick verloren und keine Gegenmaßnahmen getroffen hat.

Zwar ist dem Kläger beizupflichten, dass sich seine Situation von der durch das Gericht mit Gerichtsbescheid vom 3.8.1999 (6 K 65/98) beurteilten Sachlage insofern unterscheidet, als dass ihn am Morgen des 20.1.2015 womöglich eine Rechtspflicht zur Hilfeleistung für seine Ehefrau und/oder sein ungeborenes Kind traf, deren Verletzung gegebenenfalls sogar strafrechtliche Relevanz hätte haben können. Eine dieser Art dringliche und konkrete Lebens- und Leibesgefahr für die Ehefrau des Klägers und/oder das ungeborene Kind hätte aber nur zur Folge gehabt, dass er um 8:30 Uhr, als er den Wagen in der Nähe des Eingangs der Klinik, auf dem fraglichen Behindertenparkplatz, abstellte, einem – gedachten – polizeilichen Wegfahrbefehl nicht hätte Folge leisten müssen, weil zu diesem Zeitpunkt die konkrete Gefahrenlage für die Ehefrau und/oder das Kind deutlich gewichtiger war, als die abstrakte polizeiliche Gefahr, die mit dem verbotswidrigen Verhindern des bevorrechtigten Parkens auf einem Behindertenparkplatz verbunden war.

Allerdings gilt dies nicht mehr für die Zeit nach der Übergabe der Ehefrau an das fachkundige Klinikpersonal. Mit ihr hätte der Kläger seiner Hilfeleistungspflicht abschließend genügt.

Folgerichtig war der Kläger für die Zeit nach der Übergabe seiner Ehefrau in fachkundige Hände in polizeirechtlicher Hinsicht (wieder) für die Beseitigung des von ihm durch das Abstellen seines Fahrzeugs auf dem Behindertenparkplatz geschaffenen objektiven Gefahrenzustands verantwortlich. Entgegen dem Vorbringen des Klägers ist es im Ergebnis nicht überzeugend, dass ihm in tatsächlicher Hinsicht keine Mittel zugestanden hätten, dieser Verantwortung nachzukommen. Objektiv hätte nach Übergabe der Ehefrau in ärztliche Obhut die Möglichkeit bestanden, mithilfe von Angehörigen des Klinikpersonals zumindest am Empfang der Klinik Bescheid zu geben, gegebenenfalls den Autoschlüssel dort zu hinterlegen, oder aber auch nach der Geburt des Kindes selbst den Wagen umzuparken. Soweit der Kläger vorträgt, dass er nach der Geburt des Sohnes unabkömmlich gewesen sei, weil niemand vom Fachpersonal zu dessen Betreuung zur Verfügung gestanden habe, fehlt seinem Vorbringen die in vorliegendem Zusammenhang erforderliche weitere Angabe, dass er sich hinreichend, aber erfolglos, um eine Hilfsperson gekümmert hätte.

Diese polizeirechtliche Verantwortlichkeit trifft den Kläger ungeachtet der von ihm nachvollziehbar empfundenen moralischen Verpflichtung, seiner Frau und nach dessen Geburt auch seinem Sohn weiterhin persönlich Beistand zu leisten. Die Entscheidung zugunsten der Erfüllung dieser moralischen Verpflichtung ist, obgleich menschlich unschwer nachvollziehbar, letztlich allein der Verantwortungssphäre des Klägers zuzurechnen. Nachdem, wie dargelegt, die Polizeipflichtigkeit unabhängig von subjektiven Gegebenheiten allein an die polizeirechtliche Verantwortlichkeit für einen objektiven Gefahrentatbestand anknüpft, besteht keine Veranlassung, den Kläger aus Gerechtigkeitsgründen - hiervon abweichend und zulasten der Allgemeinheit - von der Einstandspflicht für die Kosten der aus dieser Entscheidung resultierenden polizeilichen Maßnahme freizustellen.

Schließlich bestehen auch der Höhe nach gegen die mit dem streitgegenständlichen Bescheid geltend gemachten Kostenforderung keine rechtlichen Bedenken.

Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Beschluss
Der Streitwert wird gemäß §§ 52 Abs. 3, 63 Abs. 2 GKG auf 215,82 EUR festgesetzt.