Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Urteil vom 25.04.2005 - 12 U 123/04 - Ein die Straße überquerender Fußgänger muss nicht mit Sonderrechdsfahrzeugen rechnen

KG Berlin v. 25.04.2005: Ein die Straße überquerender Fußgänger muss nicht mit Sonderrechdsfahrzeugen rechnen


Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 25.04.2005 - 12 U 123/04) hat bei einem Unfall zwischen Fußgänger und Sonderrechtsfahrzeug entschieden:
  1. Soweit ein Sonderrechtsfahrer nach § 35 Abs. 1 StVO von den Vorschriften der StVO befreit ist, ist er dennoch nach § 35 Abs. 8 StVO nicht vom allgemeinen Gebot der Rücksichtnahme auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung entbunden; vielmehr ist die ihm obliegende Sorgfaltspflicht um so größer, je mehr seine gegen die StVO verstoßende Fahrweise, die zu der zu erfüllenden hoheitlichen Aufgabe nicht außer Verhältnis stehen darf, die Unfallgefahr erhöht.

  2. Ein Fußgänger, der eine der beiden - durch einen breiten Mittelstreifen mit parkenden Fahrzeugen getrennten - Richtungsfahrbahnen einer großen Straße überschreitet, ist grundsätzlich nur verpflichtet, in die Richtung zu blicken, aus der - wie bei einer Einbahnstraße - Fahrzeuge zu erwarten sind; er muss auch nicht mit einem Sonderrechtsfahrzeug rechnen, das nur mit blauem Blinklicht - ohne Horn - eine Richtungsfahrbahn entgegen der Fahrtrichtung befährt.

Siehe auch Sonderrechte - Einsatzfahrzeuge - Rettungsfahrzeuge - Wegerechtsfahrzeuge


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Der Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger den diesem bei dem Verkehrsunfall am 1. April 2000 auf der Bismarckstraße in Höhe der Weimarer Straße entstandenen Schaden gemäß §§ 7, 11 StVG, 823, 839 BGB i.V.m. Art 34 GG in vollem Umfang zu ersetzen. Auch steht dem Kläger gegen den Beklagten ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.500 € zu. Der Beklagte ist dem Kläger zum Ersatz sämtlicher materiellen und immateriellen zukünftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 1. April 2000 verpflichtet ist, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder übergegangen sind.

...

. Der einen Demonstrationszug auf einem Polizeimotorrad begleitende Polizeibeamte hat den Unfall dadurch schuldhaft verursacht hat, dass er die südliche Fahrbahn der Bismarckstraße entgegen der Fahrtrichtung befuhr. Er hat gegen § 35 Abs. 8 StVO verstoßen.

Nach § 35 Abs. 1 StVO sind Sonderrechtsfahrzeuge, also auch Polizeimotorräder, von den Vorschriften der StVO befreit, "soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist"; diese Rechtsfolge tritt auch dann ein, wenn das Sonderrechtsfahrzeug weder Horn noch Blaulicht führt, oder diese zwar vorhanden sind, aber nicht betätigt werden (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 33. Aufl. 1995, § 35 Rdnr. 4). Seit der Änderung der Straßenverkehrsordnung durch Verordnung vom 19. März 1992 darf nach § 38 Abs. 2 StVO bei Einsatzfahrten auch blaues Blinklicht allein verwendet werden (vgl. Jagusch, a.a.O., § 38 Rdnr. 3, 12; vgl. auch Senat, Urteil vom 2. Mai 1996 -12 U 2664/95; Senat, VersR 1998, 778 = VM 1998, 66 = KGR 1998, 209).

Es kann vorliegende dahinstehen, ob dass Verhalten des Polizeibeamten zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten war. Jedenfalls hat der Polizeibeamte gegen das sich aus § 35 Abs. 8 StVO ergebende Gebot der Rücksichtnahme auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung verstoßen. § 35 StVO befreit nicht von der allgemein Sorgfaltspflicht, die Wahrnehmung der Sonderrechte darf jeweils nur unter größtmöglicher Sorgfalt erfolgen. Je mehr sich der Einsatzfahrer über allgemeine Verkehrsregeln hinwegsetzt und dadurch die Unfallgefahren erhöht, desto größer ist die ihm obliegende Sorgfaltspflicht. Die Erfordernisse der Verkehrssicherheit haben Vorrang vor dem raschen Vorwärtskommen. Darüber hinaus darf die zu erfüllende hoheitliche Aufgabe zu dem Verkehrsverstoß nicht außer Verhältnis stehen.

Der Polizeibeamte muss damit rechnen, dass Fußgänger, die ihn wegen der auf dem Mittelstreifen geparkten Fahrzeuge nicht rechtzeitig wahrnehmen konnten, die wegen des Demonstrationszuges für den Fahrzeugverkehr gesperrte Bismarckstraße von Norden kommend überqueren würden. Er hätte deshalb seine Geschwindigkeit entsprechend anpassen müssen und nicht auf der äußersten Rechten Fahrbahn fahren dürfen. Er hat durch eine Fahrweise den Kläger in genau die Gefahr gebracht, die er mit einem Einsatz für andere Verkehrsteilnehmer vermeiden wollte. Er hatte damit unverhältnismäßig gehandelt.

Entgegen der Ansicht des Beklagten ist dem Kläger ein Mitverschulden nicht vorzuwerfen. Dieser hat nicht gegen die sich aus § 25 Abs. 3 StVO für einen Fußgänger ergebenden Pflichten verstoßen. Insbesondere war er nicht verpflichtet, vor dem Überqueren der Fahrbahn auch nach links zuschauen. Einen Fußgänger, der eine Einbahnstraße überschreitet, ist grundsätzlich nur verpflichtet, auf diejenigen Fahrzeuge zu achten, die in der Einbahnrichtung zu erwarten sind. Er beobachtete daher in aller Regel bereits dann die nötige Vorsicht, wenn er sein Augenmerk auf den in der Einbahnstraße erlaubten Verkehr richtet (OLG Nürnberg, VersR 1961, 644). Für die durch einen Mittelstreifen von der Fahrbahn der Gegenrichtung getrennte südliche Fahrbahn der Bismarckstraße gilt nichts anderes. ..."







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