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BayObLG Beschluss vom 13.12.1996 - 2 ObOWi 919/96 - Täteridentifizierung durch Lichtbildbeweis

BayObLG v. 13.12.1996: Zur Täteridentifizierung durch Lichtbildbeweis




Das BayObLG (Beschluss vom 13.12.1996 - 2 ObOWi 919/96) hat entschieden:

   Steht zur Überführung des Betroffenen als Fahrer als Beweismittel lediglich das bei der Verkehrsüberwachung gefertigte Lichtbild zur Verfügung und benennt der Betroffene Zeugen dafür, dass er als Fahrer ausscheidet, so ist das Gericht in der Regel zur Erforschung der Wahrheit gehalten, dem Beweisantrag stattzugeben. Dies gilt insbesondere, wenn der Betroffene einen Dritten namentlich als Fahrer benennt.

Siehe auch
Lichtbildbeweis - Radarfoto - Videoaufzeichnung - Passfotovergleich - Wahllichtbildvorlage
und
Täteridentifikation - Feststellungen zum Fahrzeugführer

Gründe:


I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen Nichteinhaltens des erforderlichen Sicherheitsabstandes zum vorausfahrenden Fahrzeug zu einer Geldbuße von 250 DM verurteilt und ein Fahrverbot von der Dauer eines Monats angeordnet.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 30.1.1996 gegen 12.59 Uhr mit seinem Pkw den Überholstreifen der Bundesautobahn A3 in Richtung F.. Bei Kilometer 325.142, Gemeinde W., unterschritt er den erforderlichen Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Pkw auf gefährdende Weise über eine Strecke von mindestens 500 m.

Mit der Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er macht im wesentlichen geltend, das Amtsgericht habe von ihm gestellte Beweisanträge zu Unrecht abgelehnt und nicht ausreichend begründet, warum es für bewiesen erachte, er sei zur Tatzeit der Fahrer gewesen.




II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat aufgrund der Verfahrensrügen, die hier inhaltlich mit der Aufklärungsrüge übereinstimmen (vgl. Göhler OWiG 11. Aufl. § 77 Rn. 10), Erfolg. Das Amtsgericht hat unter Verletzung von § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG, § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO die Anträge auf Vernehmung der Zeugen Beate B., Robert K., und Birgit P. abgelehnt.

1. Der Betroffene hat die Fahrereigenschaft bestritten. Das Amtsgericht hat allein aufgrund eines Vergleichs der bei der Verkehrsüberwachung gefertigten Lichtbilder mit dem in der Hauptverhandlung erschienenen Betroffenen diesen als den Fahrer festgestellt. Nach der Sitzungsniederschrift hat der Verteidiger die Zeugen B., K. und P. dafür benannt, der Betroffene habe zur Tatzeit das Fahrzeug nicht geführt, er habe sich zur Tatzeit in den Räumen der Firma P. in R. aufgehalten (Zeugin P.), der Zeuge K., der Vater des Betroffenen, sei der Fahrer gewesen. Die Beweisanträge hat das Amtsgericht abgelehnt, weil die beantragte Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei. Damit hat es von der Möglichkeit des § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG Gebrauch gemacht, wonach in Ordnungswidrigkeitenverfahren die Beweiserhebung abgelehnt werden kann, wenn sie nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts nicht erforderlich ist. Zwar darf in Bußgeldverfahren - anders als in Strafverfahren, von den Fällen des § 244 Abs. 3 StPO abgesehen - ein Beweisantrag auch deshalb abgelehnt werden, weil das Gericht aufgrund des Ergebnisses der Hauptverhandlung bereits vom Gegenteil der Beweisbehauptung überzeugt ist und es eine weitere Beweiserhebung nicht mehr für erforderlich hält. Einer solchen Ablehnung von Beweisanträgen sind jedoch auch in Bußgeldverfahren Grenzen gesetzt, denn der Grundsatz der Aufklärungspflicht gilt auch in diesen Verfahren. Die Aufklärungspflicht erfordert auch hier eine genaue Prüfung und Abwägung der Umstände des Einzelfalles.

2. Die neuere Rechtsprechung hat eine Verletzung der Aufklärungspflicht in der Regel dann angenommen, wenn das Beweisergebnis nur auf der Aussage eines einzigen Zeugen beruht und ein Beweisantrag auf Vernehmung eines weiteren Zeugen das Ziel hat, die Aussage des einzigen Belastungszeugen zu entkräften (BayObLGSt 1994, 67/68 f.; OLG Karlsruhe NStZ 1988, 226; OLG Köln VRS 81, 201; vgl. auch OLG Düsseldorf NStZ 1991, 542/543; Göhler OWiG 11. Aufl. § 77 Rn. 14). Zur Begründung wird darauf hingewiesen, dass es in einem solchen Fall in der Regel naheliegt oder sich aufdrängt, Gegenzeugen zu vernehmen, um die Wahrheit herauszufinden. Im Einzelfall kann jedoch unter Berücksichtigung der Verlässlichkeit des bereits erlangten Ergebnisses der Beweisaufnahme im Verhältnis zu der zusätzlich beantragten Beweiserhebung diese abgelehnt werden (vgl. OLG Düsseldorf aaO). Das Gericht hat jedoch dann in dem die Ablehnung des Beweisantrags aussprechenden Beschluss oder im Urteil grundsätzlich im einzelnen darzulegen, warum es der zusätzlichen Beweiserhebung keinen Aufklärungswert beimisst und warum es die Möglichkeit, seine Überzeugung könne durch die beantragte Beweiserhebung noch erschüttert werden, ausschließt (vgl. BayObLGSt 1994, 67/68 f.).




3. Diese von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze müssen auch dann gelten, wenn zur Überführung des Betroffenen als Beweismittel nicht eine einzige Zeugenaussage, sondern lediglich das bei der Verkehrsüberwachung gefertigte Lichtbild zur Verfügung steht und Gegenzeugen dafür benannt werden, da der Betroffene zur Tatzeit nicht gefahren ist. Das Gericht ist dann zur Erforschung der Wahrheit in der Regel gehalten, dem Beweisantrag stattzugeben (vgl. OLG Oldenburg NZV 1995, 84/85). Insbesondere wenn der Betroffene einen Dritten namentlich als Fahrer benennt, muss das Gericht in aller Regel diesen als Zeugen laden und gegebenenfalls vernehmen. Die bei der Verkehrsüberwachung zur Identifizierung des Täters gefertigten Lichtbilder sind nicht immer so klar und deutlich, dass es ausgeschlossen erscheint, eine andere Person als der Betroffene sei gefahren. Gerade weil das Gericht bei Anwesenheit des benannten Zeugen feststellen kann, ob dieser als Fahrer in Betracht kommt, kann es die Beweiserhebung gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG im Einzelfall nur bei Vorliegen besonderer Umstände ablehnen. Derartige Umstände können z. B. gegeben sein, wenn das Lichtbild von sehr guter Qualität ist, die auf dem Lichtbild abgebildete Person dem erschienenen Betroffenen "wie ein Spiegelbild" gleicht (vgl. OLG Düsseldorf VRS 85, 124/125; Göhler § 77 Rn. 6) und der Betroffene nicht geltend macht, dass der benannte Zeuge ihm täuschend ähnlich sieht. Das Gericht hat in einem derartigen Fall in dem - ablehnenden - Beschluss über den Beweisantrag oder in den Urteilsgründen näher darzulegen, warum es im Einzelfall ausschließt, seine Überzeugung könne durch die beantragte Beweiserhebung noch erschüttert werden.

4. Hier enthalten weder die Beschlüsse über die beantragte Beweiserhebung noch die Urteilsgründe nähere Ausführungen dazu, warum das bisherige Beweisergebnis durch die Aussagen der benannten Zeugen nicht mehr erschüttert werden kann. Es heißt in den Urteilsgründen lediglich, die Einlassung des Betroffenen, er sei nicht selbst gefahren sondern sein Vater Robert K., sei "durch das in Augenschein genommene Lichtbild Bl. 6 d. A., auf das Bezug genommen wird, widerlegt". Dies reicht nicht aus. Das Lichtbild, auf das in zulässiger Weise verwiesen wird, und das das Rechtsmittelgericht deshalb selbst würdigen kann (BGHSt 41, 376/382 f.; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 42. Aufl. § 267 Rn. 10), ist unscharf; es zeigt einen Mann mittleren Alters. Der Betroffene ist 1961 geboren, die abgebildete Person kann jedoch auch wesentlich älter sein. Die Möglichkeit, dass die Überzeugung des Tatgerichts durch die beantragte Beweiserhebung noch erschüttert werden kann, ist daher nicht auszuschließen.




Die unterlassene Beweiserhebung stellt einen Rechtsfehler dar, der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Kitzingen zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, führt. Fußgängerverkehr zu bemerken war. Wie oben bereits ausgeführt, war der Verordnungsgeber bei Schaffung der Nr. 34.2 BKatV der Auffassung, dass bei Querverkehr - insbesondere auch durch Fußgänger - eine abstrakte Gefährdung zu unterstellen sei. Der Senat hält es für nicht zulässig, diesen Grundsatz dahingehend einzuschränken, dass Handlungen, die im konkreten Fall ungeeignet sind, das geschützte Rechtsgut in Gefahr zu bringen, von Nr. 34.2 BKatV ausgenommen werden. Schon im allgemeinen Strafrecht ist dies äußerst umstritten. So hat der Bundesgerichtshof eine abstrakte Gefährdung im Rahmen von § 306 Nr. 2 StGB bejaht, obwohl der Täter sich davon überzeugt hatte, dass im konkreten Fall keine Gefahr für Leib und Leben von Hausbewohnern bestand (BGH NStZ 1985, 408; vgl. zur Problematik allgemein Schönke/Schröder/Cramer StGB 24. Aufl. vor § 306 Rn. 3 ff; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil Band 1 § 11 Rnrn. 119 ff.). Jedenfalls bei den durch Massenhandlungen im Straßenverkehr gefährdeten Rechtsgütern war es das Anliegen des Gesetz- und Verordnungsgebers die abstrakte Gefährdung typisierend festzulegen (vgl. Roxin Rn. 125; Schönke/Schröder/Cramer Rn. 3 a). Danach kann es bei Missachtung des den Querverkehr schützenden Rotlichts nicht darauf ankommen, ob nach der (zutreffenden) Einschätzung des Betroffenen eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer im konkreten Fall ausgeschlossen war.

Die Frage kann hier aber letztlich dahinstehen, weil der Betroffene im vorliegenden Fall nach den Feststellungen des Amtsgerichts das Rotlicht überfahren hat, "als die Zeugin aus Sicht der Fahrtrichtung des Betroffenen den linken Fahrstreifen der Straße erreicht hatte". Damit befand sich die Zeugin noch auf der Fußgängerfurt, und es bestand grundsätzlich die Möglichkeit, dass die Zeugin sich anders besinnt und umkehrt, solange das Grünlicht für sie gilt. Solange sich aber Fußgänger noch in dem durch die Ampelanlage geschützten Bereich befinden, kann keinesfalls vom Fehlen einer abstrakten Gefährdung ausgegangen werden.

Der Senat sieht sich auch nicht durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 3.4.1996 (NZV 1996, 372) zu einer anderen Entscheidung veranlasst. Abgesehen von der Frage, ob der Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe zu folgen ist, weist diese eine weitere Besonderheit auf. Dem Betroffenen war dort zugute gehalten worden, dass er noch bei für ihn geltendem Grünlicht angehalten und ein Kind durch Handzeichen zum Überqueren der Fahrbahn veranlasst hatte. Das Oberlandesgericht Karlsruhe wertet dieses Verhalten als besonders rücksichtsvolle Einstellung und hat deshalb von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen. Im vorliegenden Fall kann aber zugunsten des Betroffenen kein derartig rücksichtsvolles Verhalten unterstellt werden, nur weil er das Rotlicht erst überfahren hat, als die Zeugin sich nicht mehr auf seinem Fahrstreifen befand.




III.

wegen des dargestellten Mangels ist das Urteil in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben. Wegen der Wechselwirkung von Fahrverbot und Geldbuße erstreckt sich die Aufhebung auch auf die letztere. Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Tirschenreuth zurückverwiesen.

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