Das Verkehrslexikon

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Im Rahmen der Bestrafung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort ist die Bagatellschadensgrenze bei 20 bis 30 EUR anzusetzen

Im Rahmen der Bestrafung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort ist die Bagatellschadensgrenze bei 20 bis 30 EUR anzusetzen


Siehe auch Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort und Stichwörter zum Thema unerlaubtes Entfernen vom Unfallort




Für den Tatbestand des unerlaubten Entfernens ist erforderlich, dass ein Schaden oberhalb der sog. Bagatellschadensgrenze eingetreten ist. Diese liegt bei ca. 20,00 bis 50,00 EUR (vgl. Janker DAR 1989, 435; 1990, 276; BayObLG DAR 1978, 208; OLG Düsseldorf VM 78, 53; VM 90, 63; AG Nürnberg MDR 1977, 66; vgl. Himmelreich / Bücken Verkehrsunfallflucht, 2. Aufl., Rdnr. 152).


Das OLG Nürnberg (Beschluss vom 24.01.2007 - 2 St OLG Ss 300/06) führt in diesem Zusammenhang aus:
"Es handelte sich – was das Landgericht (ohne nähere Ausführungen zu dieser Frage) auch angenommen hat – um einen Unfall im Sinne des § 142 Abs. 1 StGB.

aa) Allerdings ist ein „Verkehrsunfall“ nicht schon jedes schadenbehaftete Ereignis im Straßenverkehr. Schäden, die ganz unbedeutend sind, scheiden nach dem Schutzzweck des § 142 StGB, der den zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch des Geschädigten sichern soll (vgl. Cramer/ Sternberg-Lieben a.a.O. § 142 Rn. 1; Tröndle/Fischer a.a.O. § 142 Rn. 11), aus.

Diese Bagatellgrenze ist allerdings bisher in Rechtsprechung und Rechtslehre nicht verbindlich herausgearbeitet worden. Sicher ist nur, dass sie sich im Laufe der Zeit nach oben verändert hat. Überwiegende Meinung - jedenfalls seit Einführung des Euro - dürfte sein, dass Beträge ab etwa € 20,00 aufwärts nicht mehr als geringfügig anzusehen sind (so LG Mannheim Urt. v. 14.8.2002 – 11 O 225/02; Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 142 Rn. 7; Zopfs in: Münchener Kommentar StGB 2005 § 142 Rn. 26 und Kudlich a.a.O. § 142 Rn. 4.2). Vielfach werden € 25,00 (dafür OLG Jena StV 2006, 529; Hentschel Straßenverkehrsrecht 38. Aufl. § 142 StGB Rn. 28; Burmann in: Janiszewski/Jagow/Burmann Straßenverkehrsrecht 19. Aufl. § 142 StGB Rn. 5; Tröndle/Fischer a.a.O. § 142 Rn. 11) oder – etwas unbestimmter – Beträge zwischen € 20,00 und € 25,00 genannt ( OVG Münster NZV 2006, 53/54; OLG Naumburg Beschl. v. 7.4.2003 – 4 U 45/03; Geppert in: Leipziger Kommentar 11. Aufl. § 142 Rn. 34). Teilweise wird in der Judikatur von DM 100,00 (so LG Gießen DAR 1997, 364) oder € 80,00 ( AG Lahr DAR 2005, 690) ausgegangen. Eine Extremposition nehmen die Kommentierung von Cramer/ Sternberg-Lieben (a.a.O. § 142 Rn. 9) und Schild (in: Nomos Kommentar StGB 2. Aufl. § 142 Rn. 35) ein. Sie wollen die Minima-Schwelle erst bei € 150,00 ansetzen.

bb) Freilich leiden viele der vorgenannten Ansichten in Literatur und Rechtsprechung daran, dass sie für die jeweilige Wertgrenze entweder überhaupt keine oder jedenfalls keine die jeweilige Angabe tragende Begründung angeben.

Teilweise werden nur die ursprünglichen, noch auf Deutsche Mark lautenden Wertgrenzen halbiert. Dies kann schon angesichts der fortschreitenden Geldwertminderung nicht überzeugen. Nicht zielführend ist auch eine Parallelisierung oder „Harmonisierung“ mit dem Strafantragserfordernis in § 248a (so auch Tröndle/Fischer a.a.O. § 142 Rn. 11; a.A. – ohne nähere Begründung – Joecks Studienkommentar StGB 6. Aufl. § 142 Rn. 7 a.E.). Der Gesetzgeber hat den (unbestimmten) Gesetzesbegriff der Geringwertigkeit in § 142 StGB nicht ausdrücklich aufgegriffen. Deshalb ist auch das alleinige Abstellen auf den für sich genommen farblosen Begriff des „Unfalls“ kaum einer Rationalisierung der „Auslegungs“-Ergebnisse zuträglich. Zuletzt erscheint auch die Erwägung, die Anhebung der Bagatellgrenze würde Schutzbehauptungen Tür und Tor öffnen, zirkulär. Denn ist ein Verhalten in einer bestimmten Situation tatbestandlich neutral und damit objektiv straflos, kommt es für die Auslegung nicht auf etwaige Beweisschwierigkeiten zum Subjektiven an.

cc) Auszugehen ist daher vom Schutzzweck des § 142 StGB.

Ein schutzwürdiges Interesse an der Geltendmachung zivilrechtlicher Ausgleichsansprüche entfällt dann, wenn wegen der Geringfügigkeit des entstandenen Schadens die zwischen den Beteiligten entstandenen Rechtsbeziehungen so unbedeutend sind, dass Ersatzansprüche regelmäßig nicht geltend gemacht werden (so auch BayObLG NJW 1960, 832, 833; Geppert a.a.O. § 142 Rn. 32; Zopfs a.a.O. § 142 Rn. 26; Lackner/Kühl a.a.O. § 142 Rn. 7).

Dies kann vor allem dann in Betracht kommen, wenn der Geschädigte den Schaden vernünftigerweise nicht beseitigen wird, eine nennenswerte Wertminderung nicht eingetreten ist und auch die Verkehrstüchtigkeit des Fahrzeugs nicht beeinträchtigt wird. Zu denken ist etwa an Kratzspuren, die entweder ganz leicht sind und nicht ins Auge fallen oder die zwar für sich allein betrachtet stärker sind, denen jedoch wegen des schlechten Erhaltungszustandes des Fahrzeugs keine weitere Bedeutung zukommen kann (so bereits BayObLG NJW 1960, 832, 833). Zu wenig am Rechtsgut orientiert ist daher das Abstellen auf ein zu erwartendes Verhalten eines „durchschnittlichen Geschädigten“, der sich nicht zusätzlicher Hilfsmittel wie etwa einer Rechtsschutzversicherung bedienen und sich nicht auf das Risiko bezüglich Kostenaufwand und Zeitaufwand eines Zivilprozesses oder auch nur anwaltschaftlichen Beistandes oder der Erholung eines Sachverständigen-Gutachtens einlassen wird (so aber AG Alzenau DAR 1977, 136 f.). Denn auf die Geltendmachung des Schadens im Prozesswege oder über die Rechtsschutzversicherer kommt es vor dem Hintergrund des im geltenden Recht weit in den Vermögens-Gefährdungsbereich vorverlagerten Schutzes des § 142 StGB gerade nicht an (vgl. – auch zur Kritik an der gesetzlichen Regelung – Tröndle/Fischer a.a.O. § 142 Rn. 2).

Nach alldem ist der Schwellenwert nicht nur angesichts der allgemeinen Preissteigerung, sondern insbesondere wegen der Verteuerung von Autoreparaturen in den letzten Jahren – in einschlägigen Presseberichten werden unter Berufung auf Erhebungen des ADAC Steigerungen bei den Reparaturkosten um bis zu 85 % genannt – derzeit bei € 50,00 anzusiedeln."