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OLG Karlsruhe Urteil vom 10.11.1972 - 10 U 73/72 - Zur Haftungsabwägung beim sog. doppelten Überholen (hier: Schadensteilung) OLG Karlsruhe v. 10.11.1972: Zur Haftungsabwägung beim sog. doppelten Überholen (Schadensteilung)

Das OLG Karlsruhe (Urteil vom 10.11.1972 - 10 U 73/72) hat entschieden:
Kommt es beim sog. doppelten Überholen (vor einem Überholenden schert z. B. hinter einem Lkw von rechts her ein ebenfalls zum Überholen entschlossener Fahrzeugführer nach links aus) zu einem Unfall des bereits auf dem linken Fahrstreifen fahrenden Fahrzeugs, kann wegen des Geschwindigkeitsunterschieds Schadensteilung angemessen sein.


Siehe auch Überholen allgemein und Stichwörter zum Thema Überholen


Aus den Entscheidungsgründen:

"Der Kl. befuhr ... mit seinem PKW die BAB von K. in Richtung P. In einer langgezogenen Linkskurve näherte er sich auf der Überholspur dem PKW des Bekl. zu (1), der gerade einen vor ihm auf der rechten Fahrspur befindlichen LKW überholen wollte und deshalb nach links ausscherte. Der Kl. führte eine Vollbremsung durch, kam mit dem Wagen ins Schleudern und stieß mit der Frontseite gegen die Böschung.

... Das LG ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein verkehrswidriges und schuldhaftes Verhalten des Bekl. zu l) nicht nachgewiesen ist, andererseits aber der Unfall sich weder für ihn noch für den Kl. als unabwendbares Ereignis i. S. des § 7 Abs. 2 StVG darstellt. Es hat daher bei der nach § 17 Abs. 1 Satz 2 StVG vorzunehmenden Schadenteilung auf Seiten des Bekl. zu (1) nur die Betriebsgefahr seines PKW als mitverursachenden Umstand in die Abwägung der beiderseits gesetzten Unfallursachen einbezogen. Zu Unrecht hat das LG aber als erwiesen angesehen, der Bekl. zu (1) habe aus zu geringer Geschwindigkeit zum Überholen angesetzt und die Überholspur zu lange in Anspruch genommen und deshalb die Betriebsgefahr als geringfügig erhöht betrachtet.

Nach § 10 Abs. 1 S. 1 StVO a. F. durfte der Bekl. zu (1) den vor ihm fahrenden LKW nur überholen, wenn seine eigene Geschwindigkeit wesentlich höher war und somit nicht zu befürchten war, dass sich der Überholvorgang zu sehr in die Länge zieht und der übrige Verkehr dadurch über Gebühr behindert wird. Ob der Geschwindigkeitsunterschied ausreicht, um eine zügige Durchführung des Überholvorgangs zu ermöglichen, hängt vom Einzelfall ab (BayObLG DAR 61, 204). In vorliegender Sache ist weder Bauart und Größe des überholten LKW bekannt, noch steht fest, ob er beladen war und welche Geschwindigkeit er einhielt. Allein die Tatsache aber, dass der Bekl. zu (1) mit einer Geschwindigkeit von 50 - 60 km/st auf leicht ansteigender Strecke einen LKW überholt hat, rechtfertigt die Annahme des LG nicht, er habe wegen des Ansetzens zum Überholen aus geringer Geschwindigkeit die Überholspur länger und über eine größere Wegstrecke für sich in Anspruch genommen, als es bei einem Überholen aus flüssiger Geschwindigkeit der Fall gewesen wäre. Es ist nämlich durchaus möglich, dass der LKW schwer beladen war und auf der Steigung nur eine Fahrgeschwindigkeit von 10 - 20 km/st einhielt. In diesem Fall aber wäre die Geschwindigkeitsdifferenz ausreichend gewesen und das Überholen durch den Bekl. zu (1) nicht zu beanstanden. Auch die Feststellung des LG, der Kl. habe den Schaden vorwiegend selbst dadurch verursacht, dass er seine Fahrgeschwindigkeit den örtlichen Verhältnissen nicht angepasst habe, stützt sich nicht auf festgestellte Tatsachen, sondern auf reine Vermutungen. Der Kl. hat zwar seine Fahrgeschwindigkeit mit 100 km/st angegeben, diese wäre aber nur dann überhöht, wenn auf der Überholspur die überschaubare Strecke geringer wäre, als der Anhalteweg bei einer Fahrgeschwindigkeit von 100 km/st. Hierfür aber fehlt jeder konkrete Anhaltspunkt...

Bei der Abwägung nach § 17 Abs. 1 S. 2 StVG, bei der es für den Umfang des zu leistenden Ersatzes im Verhältnis der Parteien zueinander insbesondere darauf ankommt, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist, ist somit allein die Betriebsgefahr, die von den beiden Fahrzeugen ausgegangen ist und sich auf die Entstehung des Unfalls ausgewirkt hat, maßgebend. Nach Auffassung des Senats ist diese Betriebsgefahr der beiden auf der Überholspur befindlichen Fahrzeuge gleich zu bewerten, weder die vom Bekl. zu (1) auf der Überholspur eingehaltene relativ geringe Geschwindigkeit von 50 - 60 km/st noch die vom Kl. in einer Kurve gefahrene Geschwindigkeit von 100 km/st stellt eine messbare Erhöhung der Betriebsgefahr dar. Die Bekl. sind daher als Gesamtschuldner verpflichtet, dem Kl. die Hälfte des entstandenen Schadens zu erstatten (§§ 7 Abs. 1, 17 StVG, 3 PflVG, 421 BGB)."







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