Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Koblenz Urteil vom 26.01.2004 - 12 U 1439/02 - Unklare Verkehrslage und Gefahr des Überholens

OLG Koblenz v. 26.01.2004: Zur Annahme einer unklaren Verkehrslage, wenn mit Überholen nicht gerechnet werden muss


Zur Frage, wann eine sog. unklare Verkehrslage gegeben ist, hat das OLG Koblenz (Urteil vom 26.01.2004 - 12 U 1439/02) ausgeführt:
  1. Eine unklare Verkehrslage, die nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ein Überholen verbietet, liegt vor, wenn nach allen Umständen mit einem gefahrlosen Überholen nicht gerechnet werden darf (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 5 StVO Rdn. 34). Sie ist auch dann gegeben, wenn sich nicht sicher beurteilen lässt, was der Vorausfahrende sogleich tun wird (KG NJW '1987, 1251). Dies ist dann der Fall, wenn bei einem vorausfahrenden Fahrzeug der linke Fahrtrichtungsanzeiger betätigt wird und dies der nachfolgende Verkehrsteilnehmer erkennen konnte. Dagegen liegt eine unklare Verkehrslage nicht schon dann vor, wenn das vorausfahrende Fahrzeug verlangsamt, selbst wenn es sich bereits etwas zur Fahrbahnmitte eingeordnet haben sollte.

  2. Für eine Querschnittslähmung ab dem 6. Brustwirbel abwärts und den damit verbundenen weiteren erheblichen Beeinträchtigungen ist für den Fall der vollen Haftung ein Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 450.000 DM (= 230.081,35 €) angemessen.

Siehe auch Unklare Verkehrslage und Stichwörter zum Thema Überholen


Gründe:

I.

Die Parteien streiten um restliche Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagten aus einem Verkehrsunfall zwischen dem Kläger als überholendem Kraftfahrer und dem Erstbeklagten als Linksabbieger. In der Berufungsinstanz ist nach teilweiser Begrenzung des Berufungsangriffs vor allem die Bewertung der verschiedenen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge auf Seiten des Verletzten und des Ersatzpflichtigen im Streit.

Der am 23. Februar 1970 geborene Kläger befuhr am 19. Mai 1995, einem Freitag, gegen 17.05 Uhr in T... mit seinem Motorrad Marke BMW 750 die L... Straße aus Richtung K...-​A...-​Brücke kommend in Richtung R...brücke. Seine Arbeitsstelle liegt unweit der Unfallstelle an der L... Straße; der Kläger befand sich aber nach einer Rückkehr zur Wohnung auf dem Weg in die Innenstadt. Die L... Straße verläuft an der Unfallstelle gerade. Die etwa 8,20 m breite gepflasterte Fahrbahn war zur Unfallzeit nicht mit einem Mittelstreifen versehen. Vor dem Kläger fuhr der Zeuge D... mit seinem Pkw VW Golf Cabrio (mit geöffnetem Verdeck), davor der Erstbeklagte mit dem Pkw VW Golf, dessen Halterin die Zweitbeklagte und das bei der Drittbeklagten gegen Haftpflicht versichert ist, in dieselbe Richtung. Die Pkws fuhren dicht hintereinander. Sowohl der Zeuge D... als auch der Erstbeklagte wollten nach links auf das Betriebsgelände der Firma A... U... abbiegen, die dort am 2. Mai 1995 ein Geschäftslokal eröffnet hatte. Beide Pkws hatten deshalb ihre Fahrgeschwindigkeit deutlich verlangsamt. Der Erstbeklagte hatte sich zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet, fuhr nur noch mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 km/h (Bl. 5 GA) und hatte den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt. Der Kläger überholte das Fahrzeug des Zeugen D... und setzte – für den Erstbeklagten erkennbar – auch zum Überholen des weiteren Fahrzeugs an. Er fuhr etwa mit 50 km/h (vgl. Bl. 270 GA). Der Kläger machte eine Vollbremsung und kam zu Fall, als der Erstbeklagte zum Abbiegen ansetzte; der Kläger rutschte mit seinem Motorrad gegen das Auto des Erstbeklagten. Der Kläger erlitt durch den Unfall eine Querschnittslähmung vom sechsten Brustwirbel an abwärts; er ist wegen Lähmung beider Beine ständig auf einen Rollstuhl angewiesen und hat weitere erhebliche Beeinträchtigungen auf Dauer hinzunehmen. Er befand sich vom Unfalltag bis zum 3. November 1995 in stationärer Krankenhausbehandlung. Es schlossen sich Rehabilitationsmaßnahmen an.

Der Kläger hat in erster Instanz Ersatz seiner materiellen Schäden in Höhe von 53.456,43 DM (27.331,84 Euro), Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 350.000 DM (178.952,16 Euro), Zahlung einer Rente wegen vermehrter Bedürfnisse in Höhe von 500 DM (255,65 Euro) monatlich ab dem 1. Juni 1998 sowie für Rückstände in Höhe einer Gesamtsumme von 18.183,33 DM (9.296,99 Euro) und die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden verlangt.

Nachdem das Landgericht durch ein Teilurteil vom 25. Februar 1999 die Schmerzensgeldklage mangels Verschuldensnachweises abgewiesen und die Klageforderung auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle Schäden auf Grund einer Haftungsquote der Beklagten von einem Drittel nur teilweise zugesprochen hatte, hob der Senat das Teilurteil durch Berufungsurteil vom 29. Mai 2000 mit dem bisherigen Verfahren auf und verwies die Sache an das Landgericht zurück (Bl. 205 ff. GA).

Das Landgericht hat erneut Beweis erhoben und durch Urteil vom 10. Oktober 2002 (Bl. 323 ff. GA) unter Klageabweisung im übrigen die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner (nach Anrechnung vorgerichtlich gezahlter 66.467,94 Euro) zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes von 10.225,84 Euro, die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner zur Zahlung einer monatlichen Rente von 100 Euro wegen vermehrter Bedürfnisse und zur Zahlung eines restlichen Betrages von 291,36 Euro auf den materiellen Schaden verurteilt und festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger den in Zukunft entstehenden immateriellen Schaden, die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner auch den materiellen Schaden aus dem Unfallereignis jeweils zu einem Drittel zu ersetzen haben, soweit Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen sind. Das Landgericht hat angenommen, zu Lasten der Beklagten sei eine Verletzung der doppelten Rückschaupflicht und eine Verletzung der besonderen Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 5 StVO zu berücksichtigen. Den Kläger treffe indes ein überwiegendes Mitverschulden, weil er bei unklarer Verkehrslage überholt habe. Die Absicht des Erstbeklagten, nach links abzubiegen sei durch Einordnung zur Fahrbahnmitte, Verringerung der Fahrgeschwindigkeit und Betätigen des linken Fahrtrichtungsanzeigers erkennbar gewesen. Als Schmerzensgeld wäre bei uneingeschränkter Haftung der Beklagten ein Betrag von 450.000 DM (230.081,35 Euro) angemessen, der hier aber um den Mithaftungsanteil zu kürzen sei. Daraus ergebe sich ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 150.000 DM (76.693,78 Euro), auf den vorprozessual geleistete 66.647,94 Euro anzurechnen seien. Die Kosten wegen vermehrter Bedürfnisse seien auf 300 Euro monatlich zu schätzen, von denen ein Betrag von 100 Euro dem Haftungsanteil der Beklagten entspreche. Ansprüche auf Ersatz materieller Schäden seien im Wesentlichen bereits vorgerichtlich erfüllt worden; insoweit verbleibe nur ein Restbetrag von 291,36 Euro. Die Feststellungsklage sei nach Maßgabe der Haftungsquote von 1 / 3 zu 2 / 3 zu bescheiden.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung macht der Kläger eine weiter gehende Verurteilung der Beklagten im Umfang einer Haftungsquote von ¾ zu ¼ zu seinen Gunsten geltend (Bl. 381 ff. GA). Der Kläger nimmt ausdrücklich die Feststellungen auf Seiten 11 – 13 des angefochtenen Urteils (Bl. 333 – 335 GA) hin (Bl. 383 GA). Auf dieser Grundlage hält die Berufung die Bewertung der verschiedenen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge für unrichtig. Das landgerichtliche Urteil beruhe u.a. auf einem unrichtigen Zitat eines Urteils des OLG Düsseldorf vom 21. Februar 1994, das tatsächlich umgekehrte Haftungsquoten zu Grunde gelegt habe. Das Landgericht habe die Sorgfaltsmaßstäbe für ein Abbiegen in eine Grundstückseinfahrt nach § 9 Abs. 5 StVO unrichtig bewertet. Nach der Rechtsprechung folge aus einer Verletzung dieser Sorgfaltsanforderungen eines Abbiegers grundsätzlich dessen überwiegender Verschuldensanteil. Der Schmerzensgeldanspruch sei im Übrigen zu niedrig bemessen worden; gegebenenfalls sei auch eine Aufspaltung in ein Schmerzensgeldkapital und eine Rentenzahlung angebracht (Bl. 386 f. GA). Die Kosten für vermehrten Bedarf, den das Landgericht in behindertengerechter Kleidung, Heizkosten und Kosten für eine Putzhilfe – ausgenommen Pflegekosten – gesehen habe, seien zu niedrig eingeschätzt worden. Das Gericht habe einen gesteigerten Flüssigkeitsbedarf und erhöhten Bedarf an Bettwäsche u.a. übersehen. Den Ansatz der Bemessung des materiellen Schadens durch das Landgericht nimmt die Berufung hin (Bl. 388 GA); sie erstrebt auch insoweit aufgrund einer anderen Bewertung der verschiedenen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge eine höhere Zahlungsverpflichtung der Beklagten. Ebenso begehrt sie eine andere Quotelung der Haftungsanteile hinsichtlich ihrer Feststellungsklagen.

Der Kläger beantragt,
  1. die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes weiteres Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 24. Juni 1998 unter Berücksichtigung vorprozessual erbrachter Zahlung von 66.467,94 Euro und seiner Mithaftung in Höhe von einem Viertel zu zahlen,

    hilfsweise

    die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihm einen angemessenen Schmerzensgeld-​Sockelbetrag nebst 4 % Zinsen seit dem 24. Juni 1998 unter Berücksichtigung der vorprozessual gezahlten 66.467,94 DM unter seiner Mithaftung in Höhe von einem Viertel sowie eine vierteljährlich im Voraus zu zahlende angemessene Schmerzensgeldrente zu zahlen,

  2. die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihm ab 19. Mai 1995 eine vierteljährlich im Voraus zahlbare Rente wegen vermehrter Bedürfnisse nach dem Ermessen des Gerichts, mindestens in Höhe von 766,94 Euro vierteljährlich, zu zahlen und zwar die rückständigen Beträge sofort, die künftig fällig werdenden Beträge jeweils vierteljährlich im Voraus,

  3. die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 10.103,71 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 26. Juni 1998 zu zahlen,

  4. festzustellen, dass die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm drei Viertel allen in Zukunft entstehenden immateriellen Schaden aus dem Unfallereignis vom 19. Mai 1995 auf der L... Straße in Trier zu ersetzen,

  5. festzustellen, dass die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm drei Viertel des bereits entstandenen und zukünftig entstehenden materiellen Schadens aus Anlass des Unfallereignisses vom 19. Mai 1995 auf der L... Straße in Trier zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
Der Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweisen darauf, dass der Zeuge J... M... D... ausgesagt habe, der Kläger sei viel zu schnell gefahren und habe beim Ansetzen zum Überholen „einen Haken geschlagen“. Er sei wie ein „Halbstarker“ gefahren. Ihm sei die Örtlichkeit genau bekannt gewesen, weil seine Arbeitsstelle bei der Spedition W... nur 200 bis 300 m von der Unfallstelle entfernt gewesen sei. Die vor ihm fahrenden zwei Autos hätten beide die Fahrt deutlich verlangsamt und den Fahrtrichtungsanzeiger betätigt, um ein Abbiegen nach links anzuzeigen. Bei dieser Sachlage sei es unverständlich, dass der Kläger gleichwohl nach links zum Überholen angesetzt habe, statt rechts an den zur Fahrbahnmitte eingeordneten Autos vorbeizufahren. Die Haftungsverteilung im angefochtenen Urteil sei deshalb jedenfalls nicht zum Nachteil des Klägers fehlerhaft. Die Vorstellungen des Klägers von der Höhe des angemessenen Schmerzensgeldes seien übersetzt.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze, einschließlich des nachgereichten Schriftsatzes des Klägers vom 14. Januar 2004, verwiesen. Bezüglich der Feststellungen des Landgerichts nimmt der Senat gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das schriftliche Urteil Bezug (Bl. 323 ff. GA).


II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Urteil des Landgerichts ist im Prüfungsumfang gemäß § 529 ZPO nicht zu beanstanden. Die Tatsachenfeststellungen werden vom Kläger nicht angegriffen. Daraus folgt zwar keine Teilrechtskraft oder innerprozessuale Bindungswirkung, aber doch ein Zugeständnis der festgestellten Tatsachen. Ergänzende Tatsachenfeststellungen werden dadurch nicht ausgeschlossen. Solche Feststellungen sind hier aber nach den Maßstäben von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO in den zentralen Punkten nicht geboten. Ergänzungen in Randbereichen dienen nur der besseren Darstellung.

Nach dem fehlerfrei festgestellten Sachverhalt sind auch die Wertungen des Landgerichts und seine Bestimmung der Schadenshöhe, soweit diese von der Berufung überhaupt angegriffen wird, nicht zu beanstanden.

1. Die Haftungsquote ist vom Landgericht im Ergebnis zu Recht auf Haftungsanteile von 1/3 zu 2/3 zu Lasten des Klägers bestimmt worden.

Den Erstbeklagten trifft ein Verschulden insoweit, als der Kläger für ihn erkennbar gewesen wäre. Bog er gleichwohl ab, so hat er § 9 Abs. 1 und Abs. 5 StVO verletzt. Der Kläger hingegen hat § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO verletzt. Eine unklare Verkehrslage, die nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ein Überholen verbietet, liegt vor, wenn nach allen Umständen mit einem gefahrlosen Überholen nicht gerechnet werden darf (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 5 StVO Rn. 34). Sie ist auch dann gegeben, wenn sich nicht sicher beurteilen lässt, was der Vorausfahrende sogleich tun wird (KG NJW 1987, 1251). Dies ist dann der Fall, wenn bei einem vorausfahrenden Fahrzeug der linke Fahrtrichtungsanzeiger betätigt wird und dies der nachfolgende Verkehrsteilnehmer erkennen konnte. Dagegen liegt eine unklare Verkehrslage nicht schon dann vor, wenn das vorausfahrende Fahrzeug verlangsamt, selbst wenn es sich bereits etwas zur Fahrbahnmitte eingeordnet haben sollte. Ein solcher Fall lag nach den vom Landgericht fehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht vor. Denn danach hatte der Erstbeklagte sich nicht nur zur Fahrbahnmitte nach links eingeordnet; er hatte auch seine Fahrgeschwindigkeit deutlich verringert und den Fahrtrichtungsanzeiger betätigt. Hinzu kam, dass kurz hintereinander zwei Fahrzeuge vorausfuhren. Dann aber lag eine Verkehrslage vor, bei der dem Kläger das Überholen nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO untersagt war.

Die Bewertung der verschiedenen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge auf Seiten des Verletzten und des Ersatzpflichtigen gemäß § 17 StVG ergibt in dieser Lage nach den Maßstäben der Rechtsprechung folgendes: Wer bei unklarer Verkehrslage überholt, haftet selbst grundsätzlich mindestens nach einer Quote von einem Drittel, so wenn der Abbieger zwar blinkt, vor dem Abbiegen aber die zweite Rückschau (§ 9 Abs. 1 Satz 4 StVO) unterlässt. Die Haftung des Überholers kann sich auf zwei Drittel (KG VerkMitt 1993, 59 = NZV 1993, 272) oder sogar auf drei Viertel (KG VerkMitt 1995, 92) steigern, wenn der Abbieger blinkt, sich zur Mitte einordnet, aber die zweite Rückschau versäumt und in dieser Situation nur rechts hätte überholt werden dürfen (KG Urteil vom 1. Februar 1999 – 12 U 8772/97). So lag es hier, wobei hinzukommt, dass dem Kläger zwei Fahrzeuge mit gleichermaßen erkennbarer Einordnung und Geschwindigkeitsreduzierung vorausfuhren. Auch das Überholen mehrerer vorausfahrender Fahrzeuge bei unklarer Verkehrslage wird in der Rechtsprechung zum Anlass genommen, die Mithaftungsquote des Überholers zu erhöhen (vgl. OLG Hamm NZV 1993, 313).

Nach allem ist die Annahme des Landgerichts, die Mithaftung des Klägers belaufe sich auf zwei Drittel, jedenfalls nicht zu seinem Nachteil fehlerhaft (vgl. OLG Saarbrücken OLG-​Report Saarbrücken 1999, 255 f.).

2. Das Schmerzensgeld ist mit einem Ansatz bei 450.000 DM für den Fall der vollen Haftung angemessen bewertet worden. im Rahmen der Rechtsprechung oder sogar darüber (vgl. OLG Schleswig VersR 1996, 386 f.; OLG Hamm VersR 1995, 1062; HansOLG Bremen NJW 1997, 2891 f.).

3. Schließlich ist die Schätzung der Kosten wegen Mehrbedarfs (Bl. 14 f. GA) gemäß § 287 ZPO (Bl. 336 GA) nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat einzelne Positionen, die für die Schätzung bestimmend erscheinen, hervorgehoben und insgesamt im Abgleich mit anderen Gerichtsentscheidungen einen Wert von 300 Euro pro Monat veranschlagt, den es um den Mithaftungsanteil des Klägers reduziert hat. Darin liegt kein Erörterungsmangel, weil nicht alle Einzelaspekte des Mehrbedarfs als Grundlage der Schätzung ausdrücklich genannt werden mussten. Inwiefern ein vermehrter Flüssigkeitsbedarf des Klägers und erhöhter Bedarf an Wäsche die Wertbestimmung im Ergebnis wesentlich beeinflussen soll, teilt die Berufungsbegründung nicht mit.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 709, 711 Satz 2 ZPO.

IV. Ein Grund zur Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegt nicht vor. Die Bewertung der verschiedenen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge auf Seiten des Verletzten und des Ersatzpflichtigen ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters und damit einer revisionsrechtlichen Überprüfung weithin entzogen (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 2003 – VI ZR 31/02 – unter II.1. der Entscheidungsgründe). Das Vorliegen einer Ausnahme hiervon ist nicht ersichtlich.


V.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 142.657,10 Euro festgesetzt.

Antrag 1: 67.746,18 Euro (178.952,16 Euro x 3/4 = 134.214,12 Euro, abzüglich gezahlter 66.467,94 Euro),
Antrag 2: 24.542,97 Euro (96 x 255,64, § 17 Abs. 1 und 4 GKG),
Antrag 3: 10.103,71 Euro,
Antrag 4: 11.504,07 Euro (22.500 DM, s. Bl. 395 GA),
Antrag 5: 28.760,17 Euro (56.250 DM, s. Bl. 395 GA).