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OLG Hamm Urtreil vom 09.01.2002 - 20 U 177/99 - Eine Belehrung des Versicherers, die statt der gerichtlichen Geltendmachung des Leistungsanspruchs auf die Klageerhebung abstellt, ist unrichtig

OLG Hamm v. 09.01.2002: Eine Belehrung des Versicherers, die statt der gerichtlichen Geltendmachung des Leistungsanspruchs (VVG § 12 Abs 3) auf die Klageerhebung abstellt, ist unwirksam


Das OLG Hamm (Urtreil vom 09.01.2002 - 20 U 177/99) hat entschieden:
  1. Soweit AHB § 10 eine fristwahrende "Erhebung der Klage" verlangt, ist die Klausel unwirksam (VVG §§ 12 Abs 3, 15a).

  2. Eine Belehrung des Versicherers, die statt der gerichtlichen Geltendmachung des Leistungsanspruchs (VVG § 12 Abs 3) auf die Klageerhebung abstellt, ist unrichtig und damit unwirksam, weil zur Fristwahrung die Anbringung eines Mahnbescheidsantrags und sogar eines Prozesskostenhilfegesuchs ausreichen.

  3. Ob die richtige Belehrung in concreto zur Nichtwahrung der Frist geführt hat, ist unerheblich.

  4. Zur Auslegung des Begriffs "demnächst".

Siehe auch Deckungsklage und Klagefrist im Versicherungsvertragsrecht und Stichwörter zum Thema Kfz-Versicherung


Zum Sachverhalt: Das beklagte Versicherungsunternehmen hatte in einem Ablehnungsschreiben wie folgt auf die Klagefrist hingewiesen:
"Sollten Sie unsere Ablehnung für nicht gerechtfertigt halten, verweisen wir Sie auf § 10 AHB, den wir nachstehend im Wortlaut wiedergeben:
"Hat der Versicherer den Versicherungsschutz abgelehnt, so ist der bestrittene Versicherungsanspruch bei Meidung des Verlustes durch Erhebung der Klage binnen einer Frist von sechs Monaten geltend zu machen. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Anspruchsberechtigte durch eingeschriebenen Brief unter Hinweis auf die Rechtsfolgen der Fristversäumung davon in Kenntnis gesetzt worden ist, inwieweit sein Anspruch auf Versicherungsschutz bestritten wird. Ein Anspruch entfällt daher schon allein durch den Fristablauf."
Das Gericht erkannte trotz Nichteinhaltung der Klagefrist nicht auf Leistungsfreiheit.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Unstreitig ist eine fristgerechte gerichtliche Geltendmachung des Versicherungsanspruchs nicht erfolgt.

Gleichwohl hat dies nicht zum Anspruchsverlust der VN geführt, weil die ihr erteilte Belehrung unrichtig und deshalb unwirksam war. § 10 AHB, den die Beklagte zitiert hat, unterscheidet sich von § 12 Abs. 3 VVG dadurch, daß das dortige Erfordernis der "gerichtlichen Geltendmachung" des Leistungsanspruchs ersetzt worden ist durch das Erfordernis der "Erhebung der Klage". Nach Auffassung des Senats weicht § 10 AHB zum Nachteil des VN von § 12 Abs. 3 VVG ab und ist deshalb nach § 15 a VVG unwirksam.

Nach der Rechtsprechung des BGH (VersR 1978, 313, 314; 1987, 39) handelt es sich bei der Belehrung i.S.d. § 12 Abs. 3 VVG zwar nicht um eine Rechtsmittel-, sondern um eine Rechtsfolgenbelehrung. Deshalb braucht der VN nicht über die Möglichkeiten aufgeklärt zu werden, wie er seinen Anspruch gerichtlich geltend machen kann. Dies bedeutet aber nicht, daß es völlig unbeachtlich ist, über welche Maßnahmen zur Verhinderung des Anspruchsverlustes der Versicherer den VN unterrichtet. Die Belehrung darf die Fristwahrung nicht erschweren; insbesondere darf durch sie der VN nicht irregeleitet und damit möglicherweise von der rechtzeitigen gerichtlichen Geltendmachung seines Anspruchs abgehalten werden (BGH 1978, 313, 315; vgl. auch Römer in Römer/Langheid, VVG, § 12 Rdn. 74).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (VersR 1990, 1344; r+s 1995, 1; NVersZ 2001, 548) ist eine Belehrung durch ausschließlichen Hinweis auf das Erfordernis einer fristgerechten Klageerhebung irreführend, weil der VN die Frist auch durch Anbringung eines einfacheren und kostengünstigeren Mahnbescheids wahren kann (ebenso OLG Köln VersR 1986, 1186; OLG Frankfurt MDR 2000, 583; Römer a.a.O. Rdn. 79 mit Ausnahme der Fälle, in denen die Belehrung einem empfangsbevollmächtigten Anwalt zugeht; a.A. OLG Celle MDR 1997, 552; LG Hannover VersR 1997, 562; offengelassen von BGH VersR 1999, 1530 unter 2 b).

Dies gilt auch für den Deckungsprozeß in der privaten Haftpflichtversicherung.

Dem wird allerdings die hier bestehende Besonderheit entgegengehalten, wonach als fristwahrende Klageart regelmäßig nur die Feststellungsklage in Betracht kommt, die nicht im Wege des Mahnbescheides erhoben werden kann (Späte, AHB, § 10 Rdn. 4). Der Senat (VersR 1987, 802, 803) hat jedoch demgegenüber darauf hingewiesen, daß auch in der privaten Haftpflichtversicherung eine Leistungsklage des VN in Form der Zahlungsklage möglich ist, wenn sich sein Befreiungsanspruch nach § 154 Abs. 1 VVG bereits in einen Zahlungsanspruch umgewandelt hat. Diese Umwandlung kann ohne weiteres bereits innerhalb der vom Haftpflichtversicherer gesetzten Sechsmonatsfrist erfolgen, zumal der VN nach Leistungsablehnung nicht mehr an das Anerkenntnisverbot gebunden ist und deshalb durch Erfüllung des Haftpflichtanspruchs die Fälligkeit i.S.d. § 154 VVG herbeiführen kann. Soweit der Senat in einer späteren Entscheidung (r+s 1991, 183, 184) eine an § 10 AHB orientierte Belehrung ohne diese Einschränkung für unbedenklich erklärt hat, wird daran nicht festgehalten.

Überdies ist die an § 10 AHB orientierte Belehrung der Beklagten noch aus einem weiteren rechtlichen Gesichtspunkt zu beanstanden. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung stellt das Einreichen eines Prozeßkostenhilfegesuchs bei Gericht zwar noch keine gerichtliche Geltendmachung des Versicherungsanspruchs dar. Es reicht aber gleichwohl zur Fristwahrung nach § 12 Abs. 3 VVG aus, wenn der VN in der Folgezeit alles Zumutbare tut, um eine demnächstige Klagezustellung i.S.d. § 270 Abs. 3 ZPO zu erreichen.

In seiner grundlegenden Entscheidung vom 01.10.1986 (VersR 1987, 39, 40) hat der BGH unter Hinweis auf Art. 3 Abs. 1 und 20 Abs. 1 GG und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hervorgehoben, die prozessuale Stellung von Bemittelten und Unbemittelten müsse weitgehend angeglichen werden. Deshalb dürfe die Rechtsverfolgung und -verteidigung der unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten nicht unverhältnismäßig erschwert werden. Das gelte auch für die Fristwahrung nach § 12 Abs. 3 VVG. Bei einer am Gerechtigkeitsdenken orientierten Betrachtungsweise sei die verfassungsmäßig gebotene weitgehende Angleichung der Stellung der unbemittelten an die der bemittelten Partei nur durch eine Regelung gewährleistet, die es der unbemittelten Partei erlaubt, die Sechsmonatsfrist des § 12 Abs. 3 VVG in vollem Umfang, d.h. bis zum letzten Tag, zu nutzen.

Vor diesem Hintergrund ist die Belehrung eines Versicherers, die für die Fristwahrung zur gerichtlichen Geltendmachung des Versicherungsanspruchs ausschließlich auf die rechtzeitige Klageerhebung abhebt, nicht nur unrichtig, sondern auch geeignet, einen unbemittelten VN von der fristwahrenden Anbringung eines Prozeßkostenhilfegesuchs, das noch nicht einmal der Beifügung eines Klageentwurfs bedarf (BGH VVGE § 16 VVG Nr. 3, insoweit in VersR 1989, 689 nicht abgedruckt), abzuhalten.

Nach alledem weicht § 10 AHB zum Nachteil des VN von § 12 Abs. 3 VVG ab und ist deshalb nach § 15 a VVG unwirksam. Mit dem Wortlaut des § 10 AHB war die Belehrung der Beklagten nicht geeignet, die Sechsmonatsfrist des § 12 Abs. 3 VVG in Gang zu setzen.

Ob sich im Einzelfall die irreführende Belehrung des Versicherers für den VN konkret nachteilig ausgewirkt hat oder nicht, ist nach Auffassung des Senats unerheblich. Eine vom Gesetz vorgeschriebene Belehrung, die inhaltlich oder formell unrichtig ist, ist stets ungeeignet, Rechtsfolgen zum Nachteil des VN auszulösen (a.A. Prölss in Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 12 VVG Rdn. 35 f, 40; Gruber in Berliner Kommentar zum VVG, § 12 Rdn. 69 m.w.N.). ..."