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BGH Beschluss vom 09.05.2000 - 1 StR 106/00 - Zum Verteidigerverhalten bei der Beweisführung durch Zeugenbenennung

BGH v. 09.05.2000: Zum Verteidigerverhalten bei der Beweisführung durch Zeugenbenennung


Zum Verteidigerverhalten bezüglich der Einführung von Zeugenaussagen, deren Glaubhaftigkeit zweifelhaft ist, hat der BGH (Beschluss vom 09.05.2000 - 1 StR 106/00) im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Strafvereitelung entschieden:
Zur Frage der Strafvereitelung des Verteidigers bei der Vermittlung der Zusage einer Schmerzensgeldzahlung an den Geschädigten für eine entlastende Aussage, die nur möglicherweise richtig ist.


Siehe auch Verteidigung in Straf- und OWi-Sachen und Bußgeldverfahren / Ordnungswidrigkeitenverfahren


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Stellung als Verteidiger in einem Strafprozess das damit verbundene Spannungsverhältnis zwischen Organstellung und Beistandsfunktion erfordert eine besondere Abgrenzung zwischen erlaubtem und unerlaubtem Verhalten (...) Die Struktur bestimmter Straftatbestände birgt ... für den Verteidiger ... das Risiko, dass ein prozessual erlaubtes, im Rahmen wirksamer Verteidigung liegendes Verhalten in den Anwendungsbereich des Straftatbestandes fallen kann. Der besonderen Situation des Verteidigers kann durch Auslegung des jeweiligen Straftatbestandes hinreichend Rechnung getragen werden. Die Notwendigkeit hierzu ergibt sich daraus, dass die Möglichkeit zu wirksamer Verteidigung auf der Grundlage des Verfahrensrechts notwendiger Bestandteil eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens ist; ihr kommt hierfür grundlegende Bedeutung zu. Der Angeklagte hat schließlich auch nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK Anspruch auf "konkrete und wirkliche" Verteidigung. Dieser Anspruch wäre ernsthaft gefährdet, wenn der Verteidiger wegen einer üblichen und prozessual zulässigen Verteidigungstätigkeit selbst strafrechtlich verfolgt würde.

Soweit ein Strafverteidiger prozessual zulässig handelt, ist sein Verhalten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schon nicht tatbestandsmäßig im Sinne des StGB und nicht erst rechtfertigend (...). § 258 StGB verweist auf die Regelungen des Prozessrechts. Bei dessen Auslegung kann auch das Standesrecht von Bedeutung sein. Standesrechtlich zulässiges Verhalten wird in der Regel prozessual nicht zu beanstanden sein. Standesrechtlich unzulässiges Verhalten führt nicht ohne weiteres zur Strafbarkeit (...).

Der Verteidiger darf grundsätzlich alles tun, was in gesetzlich nicht zu beanstandender Weise seinem Mandanten nützt (...). Allerdings muss er sich bei seinem Vorgehen auf verfahrensrechtlich erlaubte Mittel beschränken und er muss sich jeder bewussten Verdunkelung des Sachverhalts und jeder sachwidrigen Erschwerung der Strafverfolgung enthalten (...). Ihm ist es insbesondere untersagt, durch aktive Verdunkelung und Verzerrung des Sachverhalts die Wahrheitserforschung zu erschweren, insbesondere Beweisquellen zu verfälschen (...).

Auf der anderen Seite darf der Verteidiger solche Tatsachen und Beweismittel einführen, die einen von ihm lediglich für möglich gehaltenen Sachverhalt belegen können. Das ist ihm nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (...) nicht nur gestattet; es kann sogar geboten sein. Eine andere Beurteilung liefe darauf hinaus, dass ein Rechtsanwalt, wenn er die Interessen eines Mandanten vertritt, nur das vorbringen dürfte, von dessen Richtigkeit er voll überzeugt ist, was regelmäßig .. praktisch die Möglichkeit verschließen würde, bestehende Rechte seines Mandanten wahrzunehmen.

Soweit es - wie hier - um Zeugenaussagen geht, darf der Verteidiger zwar nicht wissentlich falsche Tatsachen behaupten und hierfür Zeugen benennen (...). In den von der Rechtsprechung aufgestellten Grenzen (...) ist er verpflichtet, darauf zu achten, dass er nicht Zeugen benennt, von denen er erkennt, dass sie eine Falschaussage machen werden. Auch darf er einen Zeugen nicht absichtlich in einer vorsätzlichen Falschaussage bestärken (...). Hat er lediglich Zweifel an der Richtigkeit einer Zeugenaussage, die seinen Mandanten entlasten könnte, so ist es ihm nicht verwehrt, den Zeugen zu benennen; er wird dazu regelmäßig sogar verpflichtet sein.

Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht indes darin, dass die Angeklagte maßgeblich an einer - dem Berufungsgericht nicht mitgeteilten - Vereinbarung mitgewirkt hat, wonach die Zahlung von Schmerzensgeld an die Bedingung geknüpft war, dass S. aufgrund Aussageänderung vom Berufungsgericht nicht ... verurteilt werde. ... Eine solche Vereinbarung eines ,Erfolgshonorars' kann die Grenze zulässigen Verteidigerverhaltens überschreiten. Das liegt auch hier nicht fern, denn es war zu besorgen, dass die Zeugin F dadurch zu einer möglicherweise falschen - Entlastungsaussage bestimmt wurde. Es bestand die konkrete Gefahr, dass eine - und zwar die wesentliche - ,Beweisquelle getrübt' wurde.

Eine ,Trübung der Beweisquelle' wird durch das Versprechen eines Honorars für eine ,erfolgreiche' Aussage fast immer bewirkt (...). So ist ein Verteidigerhandeln dann nicht mehr zulässig, wenn der Verteidiger darauf hinwirkt, dass einem Zeugen für ein bestimmtes Aussageverhalten die Zahlung eines Geldbetrages versprochen wird, ohne dass dafür sonst eine Anspruchsgrundlage gegeben ist. Aber auch dann, wenn - wie hier - für das Zahlungsversprechen eine unabhängig von der Vereinbarung bestehende Anspruchsgrundlage besteht (hier Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche), können die Grenzen zulässigen Verteidigerhandelns überschritten sein. Das gilt namentlich dann, wenn das Zahlungsversprechen durch den ,Erfolg' der Aussage bedingt ist oder wenn es sich aufdrängt, dass die versprochene Aussage falsch sein muss.

Das Landgericht nimmt zu Recht an, dass die Zeugin F durch die Vereinbarung stark motiviert wurde, S. zu entlasten. ... Dem Einfluss auf die Motivation der Zeugin F aufgrund des ,Erfolgshonorars' stand auf der anderen Seite eine Beeinträchtigung der Interessen des S. gegenüber, welche die Angeklagte wahrzunehmen hatte. Ein derartiges ,Angebot' der Belastungszeugin verlangte eine Abwägung zwischen der Pflicht, Beweisquellen nicht zu trüben, und dem Verteidigungsauftrag. Wäre die Angeklagte auf das ,Angebot' F's nicht eingegangen, so drohte - jedenfalls aus ihrer Sicht - ein Urteil zu Lasten ihres Mandanten aufgrund einer möglicherweise falschen Belastungsaussage.

Jedenfalls ist die Vereitelungsabsicht, an die bei einem Verteidigerhandeln erhöhte Beweisanforderungen zu stellen sind, nicht ausreichend belegt.

Hinsichtlich Tathandlung und Vereitelungserfolg verlangt das Gesetz Absicht oder Wissentlichkeit, ... Absicht setzt zielgerichtetes Handeln voraus ...; es muss dem Täter darauf ankommen, die Verhängung einer Strafe mindestens zum Teil zu vereiteln (...). Wissentlichkeit besagt, dass der Täter die Tatbestandsverwirklichung als sichere Folge seines Tuns erkennt oder voraussieht.

Auch wenn die Angeklagte die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens überschritten hätte, so war es doch nicht ihr Ziel - auch nicht im Sinne eines Zwischenziels -, unbeschadet der Richtigkeit der vorgesehenen Aussage F's eine berechtigte Verurteilung ihres Mandanten zu verhindern; auch hat sie dies nicht als sichere Folge ihres Tuns vorausgesehen. ... (wird ausgeführt)

Beim Zeugenbeweis ist - ebenso wie bei der Vorlage von zweifelhaften Urkunden (...) - hinsichtlich der Beweiswürdigung zum voluntativen Element der Vereitelungsabsicht in der Regel davon auszugehen, dass der Verteidiger strafbares Verhalten nicht billigt, wenn er sich darauf beschränkt, einen ihm von seinem Mandanten benannten Entlastungszeugen in ein gerichtliches Verfahren einzubringen, selbst bei erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit oder Zuverlässigkeit der Zeugenaussage. Vielmehr wird der Verteidiger einen solchen Zeugenbeweis im Regelfall mit dem inneren Vorbehalt verwenden, das Gericht werde die Glaubhaftigkeit der Aussage seinerseits einer kritischen Prüfung unterziehen und ihre Fragwürdigkeit nicht übersehen.

Die Angeklagte verfügte hier allerdings über dem Gericht und der Staatsanwaltschaft nicht bekannte zusätzliche Informationen und zwar gerade solche Informationen, die für die Prüfung der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage - es ging um die Motivation für die Aussageänderung - essentiell waren. Es lag somit ein Sachverhalt vor, in dem der Bundesgerichtshof(...) ein Indiz sieht, das den ansonsten regelmäßig ,vermuteten' inneren Vorbehalt widerlegen kann. Die Nichtmitteilung dieses Informationsvorsprungs könnte gegen den inneren Vorbehalt sprechen, das Gericht werde die Fragwürdigkeit der Aussageänderung nicht übersehen.

Für einen Verteidiger wird es sich daher - schon um den Anschein der ,Trübung einer Beweisquelle' zu vermeiden und um sich den ihm von der Rechtsprechung zugebilligten inneren Vorbehalt zu erhalten - regelmäßig empfehlen, derartige Vereinbarungen den anderen Verfahrensbeteiligten gegenüber offenzulegen Eine Rechtspflicht zur Offenbarung traf die Angeklagte allerdings insoweit nicht. ..."