Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OVG Bautzen Beschluss vom 05.03.1998 -3 S 132/98 - Screening zur Frage des regelmäßigen Gebrauchs von Cannabis

OVG Bautzen v. 05.03.1998: Zur Frage des regelmäßigen Gebrauchs von Cannabis darf ein Screening angeordnet werden, aber keine MPU


Das OVG Bautzen (Beschluss vom 05.03.1998 -3 S 132/98) hat entschieden:

   Ist zur Vorbereitung einer Entscheidung über die Entziehung einer Fahrerlaubnis die Frage, ob der Inhaber der Fahrerlaubnis (noch) regelmäßig Cannabis konsumiert, zu klären, so darf hierzu von der Verwaltungsbehörde idR zunächst nur eine Haaranalyse bzw eine Harnuntersuchung, jedoch keine MPU angeordnet werden.



Der Ast. wendete sich mit der Beschwerde gegen die Entscheidung des VG, das ihm die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid versagt hat, mit dem die Ag. ihm unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis entzogen hatte.

Der Ast. hatte ausweislich des Vernehmungsprotokolls der Polizeidirektion D. vom 18. 6. 1996 seit Anfang 1996 bis zum Zeitpunkt der Vernehmung wöchentlich zwei- bis dreimal Cannabis, insgesamt ca. 50 g, konsumiert.

Das Rechtsmittel hatte Erfolg.





Aus den Entscheidungsgründen:


"... Nach der in diesem Verfahren allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist nämlich mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß die Anordnungen im streitgegenständlichen Bescheid der Ag. rechtswidrig sind und die hiergegen am 13. 10. 1997 erhobene Klage Erfolg haben wird. Deshalb besteht kein überwiegendes Interesse an der gegen. § 80 II Nr. 4 VwGO von der Ag. angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit.

1. ...

2. Die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis des Ast. sowie für die Anordnung der Abgabe des Führerscheins bei der Ag. dürften nicht vorliegen, denn die Ungeeignetheit des Ast. dürfte noch nicht erwiesen sein.

Gem. § 4 I StVG, § 15 b I StVZO ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber der Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kfz erweist. Ungeeignet ist nach § 15 b I 2 StVZO insbesondere, wer wegen körperlicher oder geistiger Mängel ein Kfz nicht sicher führen kann, wer unter erheblicher Wirkung geistiger Getränke oder anderer berauschender Mittel am Verkehr teilgenommen oder sonst gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze erheblich verstoßen hat. Darüber hinaus belegt i. d. R. auch seine Nichteignung, wer sich ohne triftigen Grund weigert, ein zu Recht gefordertes Gutachten über seine Geeignetheit beizubringen oder dabei mitzuwirken (st. Rspr., vgl. BVerwG, NZV 1996, 467 ff.; OVG Bautzen, NZV 1998, 174). Dementsprechend sieht Nr. II 7 S. 1 der Richtlinien für die Prüfung der körperlichen und geistigen Eignung von Fahrerlaubnisbewerbern und -inhabern (Eignungsrichtlinien; veröffentlicht in der vom Bundesministerium für Verkehr herausgegebenen Schriftenreihe, H. 73, 1996, 41 ff.) vor, daß bei Weigerung des Betroffenen seine Nichteignung als erwiesen anzusehen ist. Die Annahme der Nichteignung setzt jedoch voraus, daß das Verlangen der Beibringung eines Gutachtens rechtmäßig ist, daß also aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte berechtigte Zweifel an der Eignung des Inhabers der Fahrerlaubnis bestehen (vgl. § 15 b II StVZO), und daß die angeordnete Begutachtung ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um gerade die konkret entstandenen Eignungszweifel aufzuklären (BVerwG, aaO). Hiervon ausgehend dürfte der Ast. die Beibringung der mit Schreiben vom 26. 7. und 10. 9. 1996 angeforderten Gutachten zumindest bei Abstellen auf den für die Entscheidung des Senats maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der Entscheidung der Widerspruchsbehörde zu Recht verweigert haben. Die mangelnde Eignung des Ast. dürfte damit aber noch nicht erwiesen sein.

Zwar dürften berechtigte Zweifel an der Eignung des Ast. zum Führen von Kfz gem. § 15 b II StVZO zunächst bestanden haben. Regel- bzw gewohnheitsmäßiger Genuß von Cannabis kann - anders als es der Ast. meint - berechtigte Zweifel an der Eignung des Konsumenten hervorrufen. Dies ergibt sich nicht nur, soweit auf die Gefahren durch einen „Echorausch” abgestellt wird, sondern auch, soweit in diesem Falle die Gefahr nicht ausgeschlossen werden kann, daß der Konsument - ohne im Straßenverkehr bereits in relevanter Weise aufgefallen zu sein - Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme nicht zu trennen vermag, mit anderen Worten, daß - nach den Umständen des Einzelfalles - nicht ausgeschlossen werden kann, der Konsument werde nach Einnahme von Cannabis im Rauschzustand am öffentlichen Verkehr teilnehmen (vgl. BVerfG, NZV 1993, 413 [415]; NJW 1994, 1577 [1580 f]; BVerwG, NZV 1996, 467 ff.; VGH Mannheim, NZV 1994, 495$; VGH München, NZV 1996, 509 [510]; OVG Hamburg, NJW 1994, 2168 = NZV 1994, 496 L).



Vorliegend hat der Ast. ausweislich des Vernehmungsprotokolls der Polizeidirektion D. vom 18. 6. 1996 seit Anfang 1996 bis zum Zeitpunkt der Vernehmung wöchentlich zwei- bis dreimal Cannabis, insgesamt ca. 50 g, konsumiert. Da er damit über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder das Rauschmittel eingenommen hat, konnte zu Recht von einem regelmäßigen Konsum ausgegangen werden (vgl. VGH Mannheim, NZV 1994, 495 ff.). Der Ast. hat darüber hinaus in seiner Vernehmung ausgeführt, er habe versucht, seinen Cannabiskonsum herunterzuschrauben, weil er „häufig unkonzentriert” gewesen und sein Kurzzeitgedächtnis in Mitleidenschaft gezogen worden sei. Auch hieraus ergibt sich nach Überzeugung des Senats, daß durch den regelmäßigen Konsum von Cannabis berechtigte Zweifel an der Eignung des Ast. zum Führen von Kfz bestanden; die Zweifel des VGH München (NZV 1997, 413 ff.), ob allein der regelmäßige Genuß von Cannabis schon berechtigte Zweifel an der Fahreignung begründet, können zumindest im vorliegenden Falle daher nicht geteilt werden. In seiner Auffassung wird der Senat auch durch die Leitsätze in Nr. 3 des Gutachtens „Krankheit und Kraftverkehr” des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin beim Bundesminister für Verkehr und beim Bundesminister für Gesundheit vom November 1992 (veröffentlicht in der vom Bundesministerium für Verkehr herausgegebenen Schriftenreihe, H. 71, 1992, 22 ff.) gestützt. Hiernach fehlt es bei regelmäßiger Einnahme von Cannabis an der Geeignetheit zum Fahren eines Kfz (vgl. auch Nr. 9 der Begutachtungs-Leitlinien des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin beim Bundesminister für Verkehr und beim Bundesminister für Gesundheit, veröffentlicht in der vom Bundesministerium für Verkehr herausgegebenen Schriftenreihe, H. 73, 1996, 28 ff.). Im übrigen hat der Ast. nach seinen eigenen Angaben Cannabis auf Partys und bei Treffen in einer Freundesgruppe konsumiert. Es konnte daher im vorliegenden Falle nicht ausgeschlossen werden, daß er anschließend unter Benutzung des von seinen Eltern ausgeliehenen Kfz am öffentlichen Verkehr teilgenommen hatte. Berechtigte Zweifel an der Geeignetheit des Ast. dürften damit zum Zeitpunkt der genannten Vernehmung am 18. 6. 1996 und in der unmittelbar sich daran anschließenden Zeit vorgelegen haben.

Die Ag. dürfte jedoch mit der Aufforderung an den Ast., bis zum 23. 9. 1996 ein Fahreignungsgutachten eines verkehrsmedizinisch geschulten Arztes des TÜV oder der DEKRA sowie ein Fahreignungsgutachten einer amtlich anerkannten Begutachterstelle für Fahreignung über seine Eignung zum Führen vom Kfz der Klasse 3 bis 5 beizubringen, letztlich nicht ein verhältnismäßiges Mittel gem. § 15 b II 2 StVZO zur Feststellung der Geeignetheit des Ast. gewählt haben.

Der Ast. hat schon in der Begründung seines Widerspruchs mit Schreiben vom 6. 2. 1997 nämlich vorgetragen, daß er seit der Kenntnis des gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahrens kein Cannabis mehr konsumiert habe. Deshalb sei das Strafverfahren auch gegen Zahlung einer Buße eingestellt worden. Sei aber - wie vorliegend - fraglich, ob er überhaupt noch Cannabis konsumiere, so sei allein die Anordnung einer Analyse seiner Haare oder von regelmäßigen Urinproben (Drogenscreening) ausreichend und damit verhältnismäßig gewesen. Mit diesen Maßnahmen könne die vorrangig zu klärende Frage, ob er überhaupt noch Konsument von Cannabis sei, mit einfacheren Mitteln beantwortet werden. Von dieser Sachlage ausgehend dürfte jedenfalls das Festhalten an der Anordnung der Beibringung der Gutachten zumindest im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung und damit dieser selbst rechtswidrig gewesen sein. Denn die Gutachten wären zu diesem Zeitpunkt kein verhältnismäßiges Mittel mehr gewesen, die Geeignetheit des Ast. festzustellen.




Im vorliegenden Falle ging der Streit vorrangig darum, ob der Ast. noch Eignungszweifel weckte, weil nicht sicher war, ob er noch Cannabis konsumierte. Erwies sich das Vorbringen des Ast. als wahr, er habe seit etwa Juni 1996 kein Cannabis mehr konsumiert, so war zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung am 9. 9. 1997, also mehr als ein Jahr nach der vom Ast. behaupteten Beendigung seines Cannabiskonsums, davon auszugehen, daß keine Zweifel an der Geeignetheit des Ast. zum Führen von Kfz mehr bestanden (vgl. auch Nr. 9 A der Begutachtungs-Leitlinien). Zur Klärung dieser Frage wäre es aber ausreichend gewesen, wenn die Ag. den Ast. zu einem Gutachten darüber aufgefordert hätte, ob er noch Cannabis konsumierte; eine darüber hinausgehende Begutachtung seiner Fahreignung dürfte noch nicht erforderlich gewesen sein (vgl. BVerfG, NZV 1993, 413 ff.; BVerwG, NZV 1996, 467 f.; VGH Mannheim, NZV 1996, 46 ff.; VGH München, NZV 1997, 413 ff.). Der Ast. durfte daher wohl zu Recht die Beibringung der angeforderten Gutachten verweigern; aus seiner Weigerung durfte wohl noch nicht die Ungeeignetheit des Ast. gefolgert werden.

...

Die Ag. dürfte daher zu Unrecht die mangelnde Eignung des Ast. angenommen und ihm die Fahrerlaubnis entzogen haben. Die aufschiebende Wirkung seiner Klage war daher gem. § 80 V 1 VwGO wiederherzustellen. ..."

- nach oben -



Datenschutz    Impressum