Das Verkehrslexikon

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BayObLG Beschluss vom 06.04.1993 - 1St RR 59/9 - Eisenbahn-Lokomotiven sind keine Kraftfahrzeuge im Sinne des StGB § 69

BayObLG v. 06.04.1993: Eisenbahn-Lokomotiven sind keine Kraftfahrzeuge im Sinne des StGB § 69




Das BayObLG (Beschluss vom 06.04.1993 - 1St RR 59/93) hat entschieden:

   Maschinell angetriebene Landfahrzeuge, die an Bahngleise gebunden sind, sind keine Kraftfahrzeug im Sinne des StGB § 69. Der Strafrichter kann einem Täter, der mit einer Lokomotive eine Trunkenheitsfahrt unternommen hat, auch dann nicht die Fahrerlaubnis entziehen, wenn er sich durch diese Tat auch als ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs erwiesen hat.

Siehe auch
Kraftfahrzeuge und ihre Zulassung
und
Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren

Zum Sachverhalt:

Am Mittwoch, dem 18.3.1992, trat der Angeklagte gegen 11 Uhr seinen Dienst als Lokführer am Bahnhof W an, wo ihm aufgetragen wurde, einen Güterzug von M nach W zu fahren. Der Angeklagte, der seit 6 Jahren Lokführer ist, war zu diesem Zeitpunkt ziemlich übermüdet, da seine Nachtruhe durch das damals kranke Kind ständig gestört worden war. Gegen 18.15 Uhr traf der Angeklagte im Bahnhof M-Ost ein und musste nun, nachdem er 7 bis 8 Stunden im Dienst gewesen war, eine Ruhezeit von mindestens 5 Stunden nach der Dienstvorschrift der Bundesbahn einlegen. Die nächste Dienstfahrt sollte für ihn um 1 Uhr beginnen, und zwar sollte er mit einer Lok nach M-Süd fahren, um dort einen Güterzug zu holen und diesen dann über die Strecke M-A-D nach W zurückzufahren. Von der Bundesbahn war ihm als Ruheraum ein Zimmer am Ostbahnhof zur Verfügung gestellt worden. Der Angeklagte legte sich jedoch nicht in diesem Zimmer hin, sondern fuhr zum Hauptbahnhof, wo er in einem Lokal zu Abend aß. Hierbei trank der Angeklagte auch erhebliche Mengen Bier, obwohl ihm bekannt war, dass für ihn als Lokführer bei der Bundesbahn absolutes Alkoholverbot bestand. Gegen 22.45 Uhr trank er den letzten Schluck Bier, fuhr anschließend zum Ostbahnhof zurück, wo er gegen 23 Uhr eintraf und sich dann noch kurz hinlegte. Gegen 1 Uhr wurde er geweckt und trat seinen Dienst als Lokführer an, obwohl er zu diesem Zeitpunkt, wie er bei gehöriger Selbstprüfung hätte erkennen können, alkoholbedingt nicht mehr in der Lage war, eine Lok mit der erforderlichen Sicherheit zu führen. Gegen 1 Uhr des 19.3.1992 fuhr er sodann mit der Lok los, wobei er keine Bedenken wegen seines Alkoholgenusses hatte, sondern sich lediglich müde fühlte. Während der Fahrt machte ihm die Müdigkeit erheblich zu schaffen, auch unterliefen ihm infolge seiner alkoholbedingten Fahruntauglichkeit etliche Fehlleistungen; so vergaß er, das Funkgerät einzuschalten, durch das er während der Fahrt zu erreichen gewesen wäre.




Um 3.45 Uhr erschien der Zug auf der Sichtplatte am Stelltisch des Zeugen L und blieb grundlos im Abschnitt .. stehen. Nach ca. 10 Minuten setzte sich der Zug des Angeklagten plötzlich wieder in Bewegung und rollte mit knapper Schrittgeschwindigkeit in den Bahnhof H ein. Hier lief ihm nun der Zeuge L mit einer leuchtenden Handlampe entgegen und machte kreisförmige Bewegungen, was nach den Bahnvorschriften ein Haltezeichen für den Lokführer ist.

Der Angeklagte übersah jedoch diese Handzeichen und fuhr langsam weiter. In diesem Moment passierte ein entgegenkommender Güterzug Gleis 3, das der Zug des Angeklagten kurze Zeit später erreichte und den Überweg in der gleichen langsamen Fahrweise weiterfuhr. Hierbei übersah der Angeklagte das haltzeigende Ausfahrsignal N 4 und versperrte damit dem Fahrdienstleiter die Möglichkeit, wie von diesem eigentlich vorgesehen, einem anderen Güterzug Nr. ... ein Ausfahrsignal zu geben. Auch ein erneuter Versuch des Zeugen L, mittels Handlampe den Zug des Angeklagten aufzuhalten, misslang, weil der Angeklagte, als der Zeuge L etwa in halber Höhe des Zuges war, plötzlich die Geschwindigkeit erhöhte und dabei die bereits für die Überholung eingestellte Weiche ... stumpf auffuhr, was für den Angeklagten allerdings akustisch möglicherweise nicht zu bemerken war. Bei sorgfältiger Beobachtung der Strecke hätte der Angeklagte allerdings die Weichenstellung erkennen können. Nunmehr fuhr der Angeklagte mit gleichbleibender und deutlich erhöhter Geschwindigkeit weiter in Richtung M. Der dortige Fahrdienstleiter wurde durch den Zeugen L telefonisch verständigt und der Angeklagte schließlich um 4.44 Uhr durch den Fahrdienstleiter des Bahnhofs M angehalten, der die Ablösung des Angeklagten veranlasste.

Beim Angeklagten wurde um 8.45 Uhr eine Blutentnahme durchgeführt, die eine mittlere BAK von 0,81 %o ergab.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 9.12.1992 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, deren Vollzug es zur Bewährung ausgesetzt hat, verurteilt, seine Fahrerlaubnis mit einer Sperrfrist von 12 Monaten entzogen und den Führerschein eingezogen. Den am 20.3.1992 sichergestellten Führerschein des Angeklagten hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 21.9.1992 vorläufig eingezogen, die hiergegen gerichtete Beschwerde des Angeklagten hat das Landgericht München II als unbegründet verworfen.





Aus den Entscheidungsgründen:


"... (Dagegen) kann der Rechtsfolgenausspruch aufgrund der Sachrüge keinen Bestand haben, weil das Amtsgericht zu Unrecht die Voraussetzungen des § 69 StGB angenommen hat.

Hierzu hat das Amtsgericht u.a. folgendes ausgeführt:

   "Zunächst fällt unter den Begriff des "Kraftfahrzeuges" im Sinne von § 69 StGB auch das schienengebundene Fahrzeug, soweit es durch Maschinenkraft bewegt wird. Eine Beschränkung des Begriffes des Kraftfahrzeugs in § 69 StGB im Sinne von § 1 Abs.2 StVG ist nicht anzunehmen, da § 1 Abs.2 StVG die Begriffsdefinition des Kraftfahrzeugs nur 'im Sinne dieses Gesetzes' vornimmt, die Begriffsbestimmung also ausdrücklich auf das StVG beschränkt. Für eine Übernahme dieser einschränkenden Definition des Kraftfahrzeugs auch für den Bereich des StGB und insbesondere des § 69 StGB ist keinerlei Begründung ersichtlich. Dies würde dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers widersprechen. Insoweit hat das Amtsgericht bereits in dem Beschluss über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis vom 21.9.1992 ausgeführt, dass § 69 StGB lediglich die Fälle eines Fahrerlaubnisentzugs auf die Fälle u.a. des § 316 StGB einengt, in denen ein motorgetriebenes Fahrzeug benutzt wurde, da in § 316 auch das Führen nicht motorgetriebener Fahrzeuge, z.B. von Fahrrädern, unter Strafe gestellt ist. Steht dies jedoch fest - und dies muss hier bei einer mit Elektromotor betriebenen Lokomotive ebenso wie z.B. bei einem elektrisch betriebenen O-Bus angenommen werden - unterstellt § 69 StGB die allgemeine charakterliche Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen, ohne diese noch weiter zu untergliedern, somit zum Führen jeglicher Art von Kraftfahrzeugen. Dies ist auch insofern verständlich, als sich die charakterliche Ungeeignetheit eines Menschen nicht anders beurteilen lassen kann, je nach dem, ob er einen Pkw oder eine Lokomotive lenkt.

Hätte der Gesetzgeber die Anwendung des § 69 weiter, z.B. im Sinne von § 1 StVG oder § 4 StVZO, einschränken und schienengebundene Fahrzeuge ausnehmen wollen, wäre insoweit eine Verweisung auf diese Legaldefinitionen zu erwarten gewesen. Aus der Tatsache, dass dies in dem zum Schutz der öffentlichen Verkehrssicherheit erlassenen Maßregelvorschrift des § 69 StGB nicht geschehen ist, kann daher nur der Schluss gezogen werden, dass die Anwendbarkeit des § 69 nicht im Sinne von § 1 Abs.2 StVG oder § 4 StVZO eingeschränkt werden sollte. Die dort gegebenen Legaldefinitionen dienen offenkundig nur der Bezeichnung des Anwendungsbereichs dieser Gesetze und nicht etwa einer Einschränkung der Schutzvorschriften der öffentlichen Verkehrssicherheit.

Es wäre auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs völlig unverständlich, wenn zwar dem Führer eines führerscheinfreien Mofas wegen einer Trunkenheitsfahrt die Fahrerlaubnis entzogen werden könnte, was nach übereinstimmender Auffassung möglich ist (vergl. Schönke/Schröder/Stree StGB, 23.Aufl., Rand Nr.11 zu § 69), bei einem Lokomotivführer aber, der - wie vorliegend - unter erheblicher Alkoholbeeinflussung einen Güterzug führt, was ein unvergleichbar höheres Gefährdungspotential darstellt, eine gleichartige Maßregel nicht möglich sein sollte."

Dieser Rechtsauffassung vermag der Senat nicht zu folgen; sie widerspricht der ständigen und einhelligen Rechtsprechung und Rechtsliteratur zu dieser durch das Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 19.12.1952 (BGBl I S.832) als § 42 m in das StGB eingeführten Vorschrift. Die nachfolgenden Änderungen dieser Bestimmung durch das 2. Straßenverkehrssicherungsgesetz vom 26.11.1964 (BGBl I S.921), das 1. und 2. Strafrechtsreformgesetz vom 25.6.1969 und 4.7.1969 (BGBl I S.645/651; S.717/732 f.), das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2.3.1974 (BGBl I S.469/476) und das 18.Strafrechtsänderungsgesetz vom 28.3.1980 (BGBl I S.373) betrafen nicht den Begriff des Kraftfahrzeugs in der ursprünglichen Fassung, so dass die dazu veröffentlichte Rechtsprechung und Literatur auch für die derzeit geltende Fassung des § 69 StGB uneingeschränkt heranzuziehen sind.

Der Ausgangspunkt des Amtsgerichts, dass der Begriff des Kraftfahrzeugs in § 69 StGB nicht eingeschränkt definiert ist, ist richtig. Die einschränkende Legaldefinition des § 248 b Abs.4 StGB gilt unmittelbar nur für diese Vorschrift (Anmerkung Hentschel NZV 1993, 84 m.w.Nachw.). Es trifft auch zu, dass es kriminalpolitisch kaum verständlich ist, Täter, die rauschbedingt fahruntüchtig ein Schienenfahrzeug führen, von der Maßregel auszunehmen (vgl. Cramer Straßenverkehrsrecht 2.Aufl. Bd. I § 44 StGB Rn.19).

Da der Wortsinn des Begriffs "Kraftfahrzeug" nicht eindeutig eingegrenzt werden kann, ist der Bedeutungszusammenhang dieser Vorschrift unter Berücksichtigung ihres sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte ergebenden Sinns und Zwecks zu ermitteln (vgl. BVerfGE 64, 396; Schönke/Schröder/Eser StGB 24.Aufl. § 1 Rn.40 m.w.Nachw.). Diese Auslegung ergibt, dass der Kraftfahrzeugbegriff des § 69 StGB dem des § 1 Abs.2 StVG und des § 4 Abs.1 Satz 1 StVZO entspricht (BGH vom 30.11.1971 - 1 StR 554/71 in Cramer/Berz/Gontard Straßenverkehrsentscheidungen Bd. II § 69 StGB Nr.3; BayObLGSt 1955, 96; OLG Düsseldorf VM 1974, 13; OLG Oldenburg NJW 1969, 199; VRS 55, 120; Himmelreich/Hentschel Fahrverbot und Führerscheinentzug 7.Aufl. Bd. I Rn.13; Cramer aaO § 69 StGB Rn.20, § 44 StGB Rn.18 und 19; Müller/Rüth Straßenverkehrsrecht 22.Aufl. Bd. III § 42 m StGB Rn.10; Schönke/Schröder/Stree § 69 Rn.11; Mühlhaus/Janiszewski StVO 13.Aufl. § 69 StGB Rn.5; Anmerkung Hentschel aaO m.w.Nachw.).




Das Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 19.12.1952 bezweckte durch die Einführung des damaligen § 42 m in das StGB eine weitere Sicherung des Straßenverkehrs vor solchen Kraftfahrern, die sich im Zusammenhang mit dem Führen von dem Straßenverkehr dienenden Kraftfahrzeugen als ungeeignet erwiesen haben, indem die früher allein der Verwaltungsbehörde nach § 4 StVG und § 15 b StVZO zustehende Befugnis der Entziehung für die nach § 2 StVG erteilten Fahrerlaubnisse unter den in § 42 m StGB (jetzt § 69 StGB) genannten Voraussetzungen auf den Strafrichter übertragen wurde (Müller/Rüth aaO). Eine rechtswidrige Tat im Zusammenhang mit dem Schienenverkehr scheidet daher als Zusammenhangstat i.S. des § 69 StGB aus, mit der Folge, dass insofern nur die Verwaltungsbehörde nach den genannten Bestimmungen die Fahrerlaubnis entziehen kann. Es ist allein Sache des Gesetzgebers, die Befugnisse des Strafrichters in dem vom Amtsgericht angenommenen Umfang zu erweitern. ..."

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