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BGH Urteil vom 13.09.2017 - IV ZR 445/14 - Widerrufsrecht bei Versicherungsverträgen

BGH v. 13.09.2017: Belehrung über das Widerrufsrecht bei ausdrücklichem Wunsch des Versicherungsnehmers nach vollständiger Vertragserfüllung



Der BGH (Urteil vom 13.09.2017 - IV ZR 445/14) hat entschieden:

   Ein ausdrücklicher Wunsch des Versicherungsnehmers nach vollständiger Vertragserfüllung im Sinne von § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG setzt ebenso wie dessen Zustimmung zum Beginn des Versicherungsschutzes vor Ende der Widerrufsfrist gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 VVG voraus, dass der Versicherungsnehmer entweder über sein Widerrufsrecht belehrt wurde oder der Versicherer aufgrund anderer Umstände davon ausgehen konnte, dem Versicherungsnehmer sei sein Widerrufsrecht bekannt gewesen.

Siehe auch
Widerrufsrecht bei Versicherungsverträgen
und
Stichwörter zum Thema Kfz-Versicherung

Tatbestand:


Der Kläger verlangt von der Beklagten die Rückzahlung von Versicherungsbeiträgen.

Er beantragte am 8. August 2008 bei der Beklagten den Abschluss eines Rentenversicherungsvertrages mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-​Zusatzversicherung. Die Beklagte nahm den Antrag an und übersandte dem Kläger den Versicherungsschein. Der Kläger hat behauptet, keine Widerrufsbelehrung erhalten zu haben.

Nachdem der Kläger Versicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 8.008,75 € gezahlt hatte, kündigte er den Vertrag zum 30. Juni 2011. Die Beklagte zahlte daraufhin einen Rückkaufswert von 3.432 € aus. Mit Schreiben vom 15. April 2013 erklärte der Kläger den Widerruf seiner Vertragserklärung.

Mit der Klage verlangt er, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, die Rückzahlung der geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts, insgesamt 5.710,24 €.

Das Landgericht hat die Klage insoweit abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren weiter.




Entscheidungsgründe:


Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat einen aus dem Widerruf resultierenden Prämienrückerstattungsanspruch gemäß § 9 VVG in Verbindung mit §§ 346, 357 Abs. 1 Satz 1, 355 BGB verneint. Das Widerrufsrecht des Klägers sei zwar nicht durch Fristablauf erloschen, da die Beklagte nicht bewiesen habe, dass der Kläger eine Widerrufsbelehrung erhalten habe. Es sei aber gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG erloschen. Mit der vom Kläger jedenfalls zunächst akzeptierten Auszahlung des Rückkaufswertes nach Kündigung des Vertrages seien die beiderseitigen Leistungspflichten vollständig erfüllt worden. Dem stehe nicht entgegen, dass die Beklagte nach dem Vortrag des Klägers ihren Informationspflichten nach §§ 1 und 2 VVG-​InfoV nicht nachgekommen sein soll, da es sich bei diesen lediglich um Nebenpflichten handele. Gegen das Erlöschen des Widerrufsrechts könne der Kläger nicht einwenden, über den Verlust des Widerrufsrechts bei beiderseitiger vollständiger Leistungserbringung nicht informiert worden zu sein.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand. Ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Versicherungsbeiträge kann dem Kläger mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht versagt werden.

1. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Parteien zunächst einen wirksamen Versicherungsvertrag abgeschlossen haben. Wie der Senat in anderer Sache mit Urteil vom 28. Juni 2017 (IV ZR 440/14, VersR 2017, 997) entschieden und näher begründet hat, setzt das wirksame Zustandekommen des Versicherungsvertrages nicht voraus, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer die in § 7 Abs. 1 VVG genannten Vertragsbestimmungen und Informationen vor Abgabe von dessen Vertragserklärung mitgeteilt hat (aaO Rn. 16 ff.).

2. Die Begründung des Berufungsurteils trägt jedoch nicht die Annahme, dass der Kläger sein Widerrufsrecht gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG durch das Schreiben vom 15. April 2013 nicht wirksam ausgeübt habe.



a) Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht allerdings zu dem Ergebnis gelangt, dass das Widerrufsrecht zu diesem Zeitpunkt nicht durch Ablauf der gemäß § 152 Abs. 1 VVG dreißigtägigen Widerrufsfrist erloschen war. Im Gegensatz zur Ansicht der Revisionserwiderung ist die Feststellung des Berufungsgerichts zugrunde zu legen, dass der Kläger keine Widerrufsbelehrung erhalten hat. Anders als die Revisionserwiderung meint, konnte allein deswegen, weil sich der Kläger auf das Gegenvorbringen der Beklagten, ihm die mit der Klageerwiderung vorgelegte Widerrufsbelehrung übersandt zu haben, erstinstanzlich nicht mehr geäußert hat, die entsprechende Behauptung der Beklagten nicht gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden angesehen werden. Nach dieser Vorschrift sind Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht. Dabei kann bereits in einem vorangegangenen widersprechenden Vortrag ein konkludentes Bestreiten nachfolgender Behauptungen liegen (BGH, Urteil vom 15. Mai 2001 - VI ZR 55/00, NJW-​RR 2001, 1294 unter II 1). So ist es hier. Der Kläger hatte sein Begehren bereits in der Klageschrift auf die Behauptung gestützt, keine Widerrufsbelehrung erhalten zu haben. Weder aus der fehlenden Wiederholung dieser Behauptung im erstinstanzlichen Verfahren noch aus seiner Alternativbegründung des Klagebegehrens kann darauf geschlossen werden, dass der Kläger dem Vortrag der Beklagten zur Übersendung der Widerrufsbelehrung nicht entgegentreten wollte. Wie die Revisionserwiderung nicht verkennt, hat der Kläger im Übrigen sein Bestreiten im Verfahren vor dem Berufungsgericht ausdrücklich aufrechterhalten.

b) Wie der Senat zum Widerrufsrecht gemäß § 8 Abs. 4 VVG in der vom 1. Januar 1991 bis zum 28. Juli 1994 gültigen Fassung entschieden hat, schließt bei einem nicht ausreichend über sein Widerrufsrecht belehrten Versicherungsnehmer die zuerst erklärte Kündigung des Versicherungsvertrages den späteren Widerruf nicht aus (Senatsurteil vom 16. Oktober 2013 - IV ZR 52/12, VersR 2013, 1513 Rn. 24). Dasselbe gilt für das Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG.

c) Das Berufungsgericht hätte jedoch mit der gegebenen Begründung nicht annehmen dürfen, dass das Widerrufsrecht des Klägers gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG erloschen sei.

Nach dieser Vorschrift erlischt das Widerrufsrecht, wenn der Vertrag von beiden Seiten auf ausdrücklichen Wunsch des Versicherungsnehmers vollständig erfüllt ist, bevor der Versicherungsnehmer sein Widerrufsrecht ausgeübt hat. Wie bereits § 48c Abs. 3 VVG in der vom 8. Dezember 2004 bis zum 31. Dezember 2007 gültigen Fassung (im Folgenden: a.F.) dient § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG der Umsetzung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c) der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG (ABlEG L 271/16 vom 9. Oktober 2002 - Fernabsatzrichtlinie II) in das deutsche Recht (BT-​Drucks. 16/3945 S. 62). Anders als dies etwa bei § 7 Abs. 2 Satz 3 VerbrKrG a.F. und bei § 2 Abs. 1 Satz 4 HWiG a.F. der Fall war (zu diesen Bestimmungen: Senatsurteil vom 16. Oktober 2013 aaO Rn. 28), setzt § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG für das Erlöschen des Widerrufsrechts neben der vollständigen Vertragserfüllung einen hierauf gerichteten "ausdrücklichen Wunsch" des Versicherungsnehmers voraus.

Im Streitfall kann offen bleiben, welche Anforderungen im Einzelnen für eine vollständige Vertragserfüllung im Sinne des § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG gegeben sein müssen und ob hierfür insbesondere erforderlich ist, dass der Versicherer seine Informationspflicht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 VVG erfüllt hat (hierzu: LG Offenburg VersR 2012, 1417, 1418; Knops in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 8 Rn. 57; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 5. Aufl. § 8 Rn. 17; Heinig/Makowsky in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 8 Rn. 24; MünchKomm-​VVG/Eberhardt, 2. Aufl. § 8 Rn. 44; Ebers in PK-​VVG, 3. Aufl. § 8 Rn. 60; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 29. Aufl. § 8 Rn. 58; Reusch, VersR 2013, 1364, 1367). Da nach dem revisionsrechtlich maßgeblichen Sachverhalt weder der Kläger über sein Widerrufsrecht belehrt worden war noch die Beklagte aufgrund anderer Umstände davon ausgehen konnte, ihm sei sein Widerrufsrecht bekannt gewesen, als er die Kündigung des Vertrages zum 30. Juni 2011 erklärte, kann in der Kündigungserklärung jedenfalls nicht, wie das Berufungsgericht meint, die Äußerung eines auf eine vollständige Vertragserfüllung gerichteten Wunsches gesehen werden.

In Übereinstimmung mit der einhelligen Auffassung in Literatur und Rechtsprechung ist das Berufungsgericht noch zutreffend davon ausgegangen, dass § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG Ausdruck des allgemeinen Verbots widersprüchlichen Verhaltens ist (LG Offenburg aaO 1418; Knops aaO § 8 Rn. 57; Rixecker aaO § 8 Rn. 17; Heinig/Makowsky aaO § 8 Rn. 25; Ebers aaO § 8 Rn. 60; Armbrüster aaO § 8 Rn. 56; Reusch aaO 1366). § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG beruht nicht allein auf dem Gedanken der Rechtssicherheit sowie der Überlegung, dass für einen Widerruf bei vollständiger Vertragserfüllung kein Anlass mehr besteht, weil das Schuldverhältnis durch einen "lückenlosen" Leistungsaustausch zwischen den Parteien abgewickelt worden ist, wie dies bei den genannten Bestimmungen des Verbraucherkreditgesetzes und des Haustürwiderrufsgesetzes der Fall war (vgl. Senatsurteil vom 16. Oktober 2013 aaO Rn. 28 m.w.N.). Denn diese Gesichtspunkte bieten keine Erklärung dafür, weshalb das Erlöschen des Widerrufsrechts gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG einen auf eine vollständige Vertragserfüllung gerichteten "ausdrücklichen Wunsch" des Versicherungsnehmers voraussetzt. Diese zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung erklärt sich vielmehr erst bei einem Verständnis der Bestimmung als Ausdruck des Verbots des venire contra factum proprium.

Daher setzt § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG für die Annahme eines auf die vollständige Vertragserfüllung gerichteten "ausdrücklichen Wunsches" des Versicherungsnehmers voraus, dass dieser vor Abgabe der betreffenden Erklärung entweder über sein Widerrufsrecht belehrt wurde oder der Versicherer aufgrund anderer Umstände davon ausgehen konnte, dem Versicherungsnehmer sei sein Widerrufsrecht bekannt gewesen (vgl. LG Offenburg aaO 1418; Rixecker aaO § 8 Rn. 17; Armbrüster aaO § 8 Rn. 60; Heinig/Makowsky aaO § 8 Rn. 25; Ebers aaO § 8 Rn. 60; Reusch, VersR 2013, 1364, 1367 f.; a.A. OLG Karlsruhe ZIP 2011, 2051, 2054 (zu § 312d Abs. 3 Nr. 1 BGB in der vom 8. Dezember 2004 bis zum 3. August 2009 gültigen Fassung); BeckOGK-​BGB/Mörsdorf, Stand 15. Juli 2017 § 356 Rn. 54 (zu § 356 Abs. 4 Satz 3 BGB); Staudinger/Thüsing (2012), BGB § 312d Rn. 39 (zu § 312d Abs. 3 BGB in der vom 4. August 2009 bis zum 12. Juni 2014 gültigen Fassung)). Soweit diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, begründet ein Versicherungsnehmer entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht allein dadurch einen rechtlich relevanten Vertrauenstatbestand für die spätere Nichtausübung des Widerrufsrechts, dass er den Vertrag kündigt.

Gegenteiliges ergibt sich auch nicht - wie das Berufungsgericht anzunehmen scheint - aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 312d Abs. 3 BGB in der vom 1. August 2002 bis zum 7. Dezember 2004 gültigen Fassung (im Folgenden: a.F.), nach der das Erlöschen des Widerrufsrechts gemäß dieser Vorschrift keine Belehrung des Verbrauchers über das Widerrufsrecht erfordert (BGH, Urteil vom 16. März 2006 - III ZR 152/05, BGHZ 166, 369 Rn. 34). § 312d Abs. 3 BGB a.F. setzt für das Erlöschen des Widerrufsrechts nur voraus, dass der Unternehmer mit der Ausführung der Dienstleistung mit ausdrücklicher Zustimmung des Verbrauchers vor Ende der Widerrufsfrist begonnen hat oder der Verbraucher diese selbst veranlasst hat, und hat damit andere Tatbestandsvoraussetzungen als § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG. Davon abgesehen trifft die Begründung für die genannte Rechtsprechung, dass der Verbraucher in Bezug auf die Belehrung über das Widerrufsrecht nicht schutzwürdig ist, wenn die angebotene Dienstleistung in seinem Interesse typischerweise sofort erbracht wird, und die bloße Unterrichtung über das Widerrufsrecht in diesen Fällen sinnlos wäre, da es mit dem Beginn der Leistungserbringung sogleich erlischt (BGH, Urteil vom 16. März 2006 aaO Rn. 34), auf § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG, der eine vollständige Vertragserfüllung verlangt, nicht zu. Der Gesetzgeber geht stattdessen davon aus, dass die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG bereits deswegen nur in Ausnahmefällen erfüllt sein dürften, weil es im Bereich des Versicherungsrechts Verträge mit Verbrauchern, die vor Ende der Widerrufsfrist erfüllt sind, kaum geben werde (BT-​Drucks. 15/2946 S. 30 (zu § 48c Abs. 3 VVG a.F.)).

3. Infolge der nach dem revisionsrechtlich maßgeblichen Sachverhalt wirksamen Ausübung des Widerrufsrechts durch den Kläger wären gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der vom 1. Januar 2002 bis zum 10. Juni 2010 gültigen Fassung (im Folgenden: § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F.) in Verbindung mit § 346 Abs. 1 BGB die empfangenen Leistungen dem Grunde nach zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben; die Geltung des § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. für den zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrag ergibt sich aus Art. 229 § 22 Abs. 2 EGBGB.

a) Nach einhelliger und zutreffender Ansicht richten sich die Rechtsfolgen der wirksamen Ausübung des gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG begründeten Widerrufsrechts nach den einschlägigen Vorschriften des BGB, wenn die Voraussetzungen der diese Vorschriften modifizierenden Bestimmung des § 9 Abs. 1 VVG (im Streitfall: in Verbindung mit § 152 Abs. 2 VVG) nicht erfüllt sind (Knops aaO § 9 Rn. 7; Rixecker aaO § 9 Rn. 7; Heinig/Makowsky aaO § 9 Rn. 16; Eberhardt aaO § 9 Rn. 3; MünchKomm-​VVG/Heiss, 2. Aufl. § 152 Rn. 10; Ebers aaO § 9 Rn. 10; Armbrüster aaO § 9 Rn. 2 f.; Schimikowski in Rüffer/Halbach/Schimikowski, HK-​VVG 3. Aufl. § 9 Rn. 3; Brambach aaO § 152 Rn. 15; Marlow/Spuhl, Das Neue VVG kompakt, 4. Aufl. Rn. 134 u. Rn. 137; Wandt/Ganster, VersR 2008, 425, 429, 432 f.). Denn § 9 Abs. 1 VVG ist eine Spezialregelung gegenüber den im BGB enthaltenen allgemeinen Vorschriften über die Widerrufsfolgen, die letztere nur verdrängt, wenn sie tatbestandsmäßig anwendbar ist. Dies entspricht auch der Vorstellung des Gesetzgebers (BT-​Drucks. 16/3945 S. 62).



b) Im Streitfall wären nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachverhalt die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 VVG in Verbindung mit § 152 Abs. 2 VVG nicht erfüllt. Es fehlte danach an der Zustimmung des Klägers, dass der Versicherungsschutz vor Ende der Widerrufsfrist beginnt.

aa) § 9 Abs. 1 VVG setzt nicht nur in dem von seinem Satz 1 erfassten Fall, dass der Versicherungsnehmer in der Belehrung nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG auf sein Widerrufsrecht, die Rechtsfolgen des Widerrufs und den zu zahlenden Betrag hingewiesen worden ist, sondern auch im Fall seines Satzes 2, in dem der genannte Hinweis - wie hier - unterblieben ist, voraus, dass der Versicherungsnehmer dem Beginn des Versicherungsschutzes vor Ende der Widerrufsfrist zugestimmt hat (Rixecker aaO § 9 Rn. 10; Heinig/Makowsky aaO § 9 Rn. 28; Eberhardt aaO § 9 Rn. 17 u. Rn. 22; Ebers aaO § 9 Rn. 13; Schimikowski aaO § 9 Rn. 4; Brambach aaO § 152 Rn. 16; Marlow/Spuhl aaO Rn. 134 u. Rn. 137; Wandt/Ganster aaO 433 f.; a.A. Armbrüster aaO § 9 Rn. 25 f.). Das ergibt sich aus der Systematik der Vorschrift. Die in Satz 2 geregelte Konstellation knüpft an den Fall des Satzes 1 an und unterscheidet sich von diesem allein durch das Fehlen des in Satz 1 genannten "Hinweises", also des Hinweises auf das Widerrufsrecht, die Rechtsfolgen des Widerrufs und den zu zahlenden Betrag.

bb) Der Kläger hat nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachverhalt dem Beginn des Versicherungsschutzes vor Ende der Widerrufsfrist nicht wirksam zugestimmt. Dabei kann offen bleiben, ob § 9 Abs. 1 VVG voraussetzt, dass die Zustimmung ausdrücklich erteilt wird (hierfür: Knops aaO § 9 Rn. 15; Ebers aaO § 9 Rn. 17) oder ob auch eine konkludent erteilte Zustimmung genügt (hierfür: Rixecker aaO § 9 Rn. 10; Heinig/Makowsky aaO § 9 Rn. 13; Eberhardt aaO § 9 Rn. 18; Armbrüster aaO § 9 Rn. 16; Schimikowski aaO § 9 Rn. 11; Marlow/Spuhl aaO Rn. 139; Wandt/Ganster aaO 432). Denn allein darin, dass der Kläger ein Angebot auf Abschluss des Versicherungsvertrages unterzeichnete, in dem das Datum des Versicherungsbeginns bezeichnet war, und er später die Versicherungsbeiträge leistete, kann auch keine konkludente Zustimmung zu dem Beginn des Versicherungsschutzes gerade vor Ende der Widerrufsfrist gesehen werden. Voraussetzung für die Annahme einer solchen konkludenten Zustimmungserklärung wäre zumindest, dass der Versicherungsnehmer über das Widerrufsrecht belehrt wurde oder der Versicherer aufgrund anderer Umstände davon ausgehen konnte, diesem sei sein Widerrufsrecht bekannt gewesen (vgl. BeckOK-​VVG/Brand, Stand 30. Juni 2016 § 9 Rn. 14). Andernfalls bringt der Versicherungsnehmer aus Sicht des Erklärungsempfängers nicht schlüssig zum Ausdruck, dass er mit dem Versicherungsbeginn vor Ablauf der Widerrufsfrist einverstanden ist.




Die an eine Zustimmung des Versicherungsnehmers nach § 9 Abs. 1 Satz 1 VVG zu stellenden Anforderungen sind insoweit nicht vergleichbar mit der Zustimmung eines Verbrauchers im Sinne des bereits genannten § 312d Abs. 3 BGB a.F.; für die Anwendung jener Vorschrift sollte es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht erforderlich sein, dass der Unternehmer auf das Widerrufsrecht hingewiesen hatte (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2006 - III ZR 152/05, BGHZ 166, 369 Rn. 34). Für den Versicherungsvertrag schließt es das System aus den Informationspflichten nach § 7 VVG, dem Widerrufsrecht aus § 8 VVG und den Rechtsfolgen des Widerrufs gemäß § 9 VVG dagegen aus, eine Zustimmung des Versicherungsnehmers zum Beginn des Versicherungsschutzes vor Ablauf der Widerrufsfrist anzunehmen, wenn dieser weder über das Widerrufsrecht belehrt wurde noch der Versicherer aufgrund anderer Umstände davon ausgehen durfte, diesem sei sein Widerrufsrecht bekannt gewesen.

cc) Da sich die Rechtsfolgen des Widerrufs im Streitfall nach dem revisionsrechtlich maßgeblichen Sachverhalt nicht nach § 9 Abs. 1 VVG in Verbindung mit § 152 Abs. 2 VVG richten, stellt sich die Frage der Richtlinienkonformität dieser Vorschriften nicht.

III.

Die Sache ist noch nicht entscheidungsreif, weil das Berufungsgericht zu den vorstehend genannten Punkten noch ergänzende Feststellungen zu treffen und sich gegebenenfalls mit der Höhe der nach § 346 Abs. 1 BGB zurück zu gewährenden Leistungen zu befassen haben wird.

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