Das Verkehrslexikon

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Urteil vom 29.11.2018 - 7 U 22/18 - Verstoß gegen das Gebot des Fahrens auf „halbe Sicht“

OLG Schleswig v. 29.11.2018: - Motorrad gegen landwirtschaftliches Gespann - Verstoß gegen das Gebot des Fahrens auf „halbe Sicht“


Das Oberlandesgericht Schleswig (Urteil vom 29.11.2018 - 7 U 22/18) hat entschieden:

  1.  Bei der Kollision eines Motorrades mit einem landwirtschaftlichen Gespann im Gegenverkehr auf einer nur rund 3,50 m breiten Straße rechtfertigt sich bei einem beiderseitigen Verstoß gegen das Gebot des Fahrens auf „halbe Sicht“ und einem zusätzlichen Verstoß des landwirtschaftlichen Gespanns gegen das Rechtsfahrgebot eine Haftungsverteilung von 70 : 30 zu Lasten des Halters des landwirtschaftlichen Gespanns.

  2.  Trotz eines 30%-igen Mitverursachungsanteils kann sich bei schwersten Verletzungen und lebenslangen erheblichen unfallbedingten Folgen ein Schmerzensgeldbetrag von 180.000,- € rechtfertigen. Dies auch unter Berücksichtigung des Regulierungsverhaltens des Schädigers.


Siehe auch
Begegnungsunfall - Annäherung an Engstellen mit Gegenverkehr
und
Unfälle mit Kradbeteiligung - Motorradunfälle


*

Gründe:


I.

Dem Rechtsstreit zugrunde liegt ein Verkehrsunfall vom 23.05.2011 gegen 10.35 Uhr auf der Straße „F-​W“ zwischen den Ortschaften N und M.

Unfallbeteiligt waren die am 00.00.1988 geborene Klägerin mit ihrem Motorrad ..., amtl. Kennzeichen ..., und der im Laufe des ersten Rechtszuges verstorbene ehemalige Beklagte zu 2) als Führer eines landwirtschaftlichen Zuges (Schlepper und Muldenkipper, bestehend aus einem Traktor F, amtl. Kennzeichen ..., und einem Muldenkipper des Herstellers Brandner, amtl. Kennzeichen ...), gehalten von der Beklagten (...)

Zweitinstanzlich streiten die Parteien (noch) um den auf die Klägerin entfallenden Mitverursachungsanteil sowie um die Höhe des Schmerzensgeldes.

Die Klägerin, Mutter einer zum Unfallzeitpunkt knapp 7 1/2-​jährigen Tochter, war - und ist immer noch - als Studentin an der Fachhochschule in Flensburg eingeschrieben (Verfahrenstechnik). Sie war seinerzeit auf dem Weg zum Studienort.

Auf der nur 3,1 m breiten Straße „F-​W“ begegneten sich die beteiligten Fahrzeuge im Zuge einer - aus Sicht der Klägerin zu 1) - Rechtskurve in Höhe des Hauses Nr. 16 im Gegenverkehr.

Die Klägerin kollidierte zwar nicht frontal mit dem landwirtschaftlichen Gespann, es kam jedoch zur Kollision im linken hinteren Bereich des Muldenkippers, dort zum einen mit den Reifen der Tandem-​Achse, zum anderen mit einem hervorstehenden Hydraulikzylinder.

Die Klägerin zu 2) ist der gesetzliche Unfallversicherer der Klägerin zu 1) und insofern eintrittspflichtig, als es sich um einen Wegeunfall handelt.

Die Klägerin erlitt bei der Kollision und dem nachfolgenden Sturz schwerste Verletzungen, und zwar:

eine traumatische subtotale Amputation des linken Armes mit Abriss der Arteria und Vena subclavia, ein Ausriss des Arm-​Nervengeflechts (Plexus brachialis), einen Abriss der gesamten vorderen Schultermuskulatur mit ausgeprägtem Weichteilschaden, eine offene Humerusschaftfraktur

eine Schulterblatt-​Mehrfragmentfraktur

eine Schlüsselbeinfraktur

multiple Frakturen der (linken) Mittelhandknochen

eine Fraktur des 7. Halswirbelkörpers sowie des ersten und breiten Brustwirbelkörpers

Rippenfrakturen

eine Milzruptur

eine traumatische Subarachnoidal-​Blutung.

In der Folge kam es zu einer posttraumatischen Wundinfektion. Unter den Operationen erlitt die Klägerin zu 1) zwei Schlaganfälle mit nachfolgender rechtsseitiger Hemiparese, Aphasie und einem organischen Psychosyndrom.

Die ihr Leben rettende Erstversorgung erfolgte in der D in F, die Weiterbehandlung sodann im Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus in X. Die Klägerin zu 1) musste sechsmal nachoperiert werden.

Infolge der Schlaganfälle hatte sie weitgehend ihr Sprachvermögen verloren. Sie musste das Sprechen, Lesen, Schreiben und Rechnen praktisch völlig neu erlernen. Aufgrund einer Infektion mit einem multiresistenten Krankenhauskeim musste die Klägerin zu 1) zudem in X für längere Zeit isoliert werden.

Der linke Arm der Klägerin zu 1) ist und bleibt unfallbedingt völlig unbrauchbar, möglicherweise muss er zukünftig noch amputiert werden. Die durch die Schlaganfälle verursachte halbseitige Lähmung (rechts) hat die Klägerin zu 1) weitgehend überwunden. Während die Klägerin zu 2) in einem ursprünglich separaten Klagverfahren (LG Flensburg Az.: x) von vornherein Ersatz ihrer unfallbedingten Aufwendungen für die Klägerin nur nach einer Quote von 70 % geltend gemacht hat, hat die Klägerin zu 1) die Auffassung vertreten, dem Grunde nach sei ihr die Beklagte zu vollem Schadensersatz verpflichtet, wobei das ihr zustehende Schmerzensgeld mindestens 150.000,00 € zu betragen habe.

Die Klägerin zu 1) hat beantragt,

  1.  die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.413,23 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.12.2011 zu zahlen,

  2.  die Beklagte weiter zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.12.2011 zu zahlen,

  3.  festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr jeglichen aus dem Verkehrsunfallereignis vom 23.05.2011 zukünftig entstehenden materiellen als auch immateriellen Schaden zu erstatten, soweit kein Anspruchsübergang auf Dritte erfolgt ist,

  4.  die Beklagte weiter zu verurteilen, an sie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.475,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.

Die Klägerin zu 2) hat beantragt,

  1.  die Beklagte zu verurteilen, an sie 218.908,83 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.02.2012 zu zahlen,

  2.  festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr 70 % aller weiteren kongruenten Aufwendungen für die Behandlung und Rehabilitation der Versicherten X aus dem Verkehrsunfall vom 23.05.2011 auf der Straße F-​W, Höhe Haus Nr. 16, in M zu ersetzen.

Die Beklagte hat beantragt,

   die Klagen abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, für den Fahrer des landwirtschaftlichen Gespannes sei der Unfall unabwendbar gewesen, dies insbesondere unter Hinweis auf das in dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dipl.-​Ing. S vom 04.07.2011.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird auf das angefochtene Urteil nebst darin enthaltener Verweisungen Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage der Klägerin zu 2) vollen Umfangs, derjenigen der Klägerin zu 1) weit überwiegend - nach Beweisaufnahme (Anhörung des Sachverständigen S, Einholung eines schriftlichen Gutachtens sowie einer ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen Dipl.-​Ing. Sc) - stattgegeben.

Hinsichtlich der Klägerin zu 1) hat es die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 180.000,00 € und - auf Basis einer 90 %igen Haftung der Beklagten - zur Zahlung materiellen Schadensersatzes in Höhe von 5.771,91 € verurteilt. Auf dieser Basis hat es auch dem Feststellungsbegehren der Klägerin zu 1) entsprochen.

Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass der Unfall auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen Sc weder für die Klägerin zu 1) noch für die Beklagte unabwendbar gewesen sei.

Der ehemalige Beklagte zu 2) habe sowohl gegen das Rechtsfahrgebot als auch gegen das Sichtfahrgebot verstoßen.

Die Klägerin zu 1) hingegen sei (schuldhaft) mit den Sichtverhältnissen nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren. Dies rechtfertige angesichts der Ausmaße und der Masse des landwirtschaftlichen Gespannes eine Haftungsverteilung von 90 : 10 zulasten der Beklagten.

Die schwerwiegenden Verletzungen der Klägerin und deren lebenslange Folgen rechtfertigten ein Schmerzensgeld in Höhe von 180.000,00 €, wobei auch das Regulierungsverhalten der Beklagten zu berücksichtigen sei.

Dagegen wendet sich die Beklagte in eingeschränktem Umfange.

Zweitinstanzlich vertritt sie die Auffassung, dass sie in der Abwägung der Verursachungsbeiträge eine Quote von lediglich 70 % zu tragen habe. Die Beklagte rügt, dass die Abwägung der Verursachungsbeiträge durch das Landgericht rechtsfehlerhaft sei. Entsprechend sei auch das Schmerzensgeld - ausgehend von einem Betrag bei voller Haftung von 200.000,00 € - zu reduzieren.

Die Beklagte beantragt,

  

das angefochtene Urteil zu ändern, soweit die Berufungsklägerin auf die Klage der Klägerin zu 1) über die nachfolgende Tenorierung hinaus verurteilt worden ist:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1) 4.040,33 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.12.2011 zu zahlen.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin zu 1) Schmerzensgeld in Höhe von 140.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.12.2011 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zu 1) jeglichen ihr aus dem Verkehrsunfallereignis vom 23.05.2011 zukünftig entstandenen materiellen als auch immateriellen Schaden in Höhe von 70 % zu erstatten, soweit kein Anspruchsübergang auf Dritte erfolgt ist.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin zu 1) die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.475,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.12.2013 zu zahlen.

Die Klägerin zu 1) trägt unter Verteidigung des angefochtenen Urteils auf Zurückweisung der Berufung an.

Die Klägerin zu 2) hat ihre Anschlussberufung, mit der sie festgestellt sehen wollte, dass die Beklagte ihr zukünftige Aufwendungen aus dem hier in Rede stehenden Unfall nach einer Quote von 75 % zu ersetzen habe, nach Hinweis des Senats vom 30.08.2018 zur Unzulässigkeit der Anschlussberufung nicht weiter verfolgt.

Der Senat hat ergänzend die Klägerin persönlich angehört, insbesondere auch zu ihren persönlichen Verhältnissen und ihrem Gesundheitszustand.

Insoweit wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschaft vom 30.10.2018 (Bl. 760 - 765 d. A.).

Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.


II.

Die Berufung der Beklagten hat teilweisen Erfolg.

1. Dem Grunde nach haftet die Beklagte der Klägerin zu 1) gemäß §§ 7, 17 StVG nach einer Quote von 70 %, nicht hingegen - wie vom Landgericht angenommen - zu 90 %.

Ganz unabhängig davon, dass eine Quotierung von 90 : 10 in der Abwägung der Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 1/2 StVG äußerst ungewöhnlich ist, wird gemeinhin doch schon die einfache Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeuges mit 20 % veranschlagt, entspricht diese Verteilung auch nicht dem Ergebnis der Beweisaufnahme.

Dabei hat das Landgericht mit zutreffender Begründung (S. 18/19 des angefochtenen Urteils) die Ausführungen des Sachverständigen S, der - letztlich ohne hinreichende Tatsachengrundlage - sowohl in seinem bereits im Ermittlungsverfahren erstatteten schriftlichen Gutachten als auch in seiner Anhörung vor dem Landgericht zu dem Ergebnis gelangt war, der Unfall sei für den Fahrer des landwirtschaftlichen Gespanns unabwendbar gewesen, verworfen.

In dem sodann eingeholten (Ober-​)Gutachten des Sachverständigen Sc vom 31. Oktober 2016 nebst ergänzender Stellungnahme vom 5. Mai 2017 (Bl. 576 ff. d. A.) ist der Unfallhergang akribisch rekonstruiert und u. a. festgestellt worden, dass aus technischer Sicht sowohl die Klägerin zu 1) als auch der ehemalige Beklagte zu 2) in Anbetracht ihrer jeweiligen Sichtmöglichkeiten zu schnell fuhren, um auf der schmalen Straße noch innerhalb der Hälfte der für sie einsehbaren Wegstrecke kontrolliert anhalten zu können. Um dies noch zu erreichen, hätte die Klägerin zu 1) statt einer ursprünglichen Fahrgeschwindigkeit von etwa 55 bis 65 km/h eine Geschwindigkeit von gut 30 bis knapp 40 km/h einhalten müssen. Der ehemalige Beklagte zu 2) hätte - gerade auch vor dem Hintergrund des relativ geringen Bremsvermögens des Gespanns - statt mit rund 40 km/h lediglich eine Geschwindigkeit von 25 bis 30 km/h fahren dürfen. Weiterhin hat der Sachverständige aufgrund der Auswertung der Spuren festgestellt, dass das Traktorgespann bis unmittelbar vor dem Unfall nicht bereits mit seinen rechten Rädern auf dem rechten Seitenstreifen geführt wurde, vielmehr der Anhänger des Gespanns erst im Moment der Kollision mit seinen rechten Rädern gerade die Fahrbahn nach rechts verließ.

Diese Feststellungen werden - jedenfalls zweitinstanzlich - von den Parteien auch nicht mehr angegriffen.

Rechtlich ergibt sich aus den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Sc, dass sowohl die Klägerin zu 1) als auch der Fahrer des Gespanns gegen das Gebot des Fahrens auf „halbe Sicht“ (§ 3 Abs. 1 Satz 5 StVO) verstoßen haben, der ehemalige Beklagte zu 2) dazu noch gegen das Rechtsfahrgebot aus § 2 Abs. 2 StVO.

Dass hingegen auch die Klägerin zu 1) gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen hätte, steht nicht fest. Dass sie nach den Ausführungen des Sachverständigen Sc einen (maximalen) Seitenabstand von etwa einem Meter zum rechten Fahrbahnrand der rund drei Meter breiten Straße eingehalten hat, ist nicht zu beanstanden. Denn bei dieser Fahrweise hielt sie sich mit den Rädern ihres Motorrades deutlich innerhalb ihrer (gedachten) Fahrbahnhälfte.

Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH VI ZR 299/95, Urteil vom 09.07.1996) finden sowohl der Verstoß gegen das Fahren auf „halbe Sicht“ als auch der Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot nebeneinander Anwendung (BGH a. a. O. Juris Rn. 12).

Mithin sind auf Seiten der Beklagten beide Verstöße zu ihren Lasten in die Abwägung der Verursachungsbeiträge einzustellen.

Unter Berücksichtigung der schon bauartbedingt hohen (einfachen) Betriebsgefahr des Gespanns (Gesamtgewicht gut 10 Tonnen) rechtfertigt dies eine Haftungsverteilung im Rahmen der Abwägung gemäß § 17 Abs. 2 StVG von 70 % zu 30 % zulasten der Beklagten.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Traktorgespann an der breitesten Stelle des Zugfahrzeuges eine Breite von 2,58 m aufwies, die Breite des Anhängers circa 2,55 m betrug, mithin bei einer Straßenbreite von maximal 3,10 m für die Klägerin zu 1) lediglich gut 50 cm der gesamten Fahrbahnbreite verblieben. Sowohl von den Ausmaßen als auch vom Gewicht her sind die unfallbeteiligten Fahrzeuge in keiner Weise vergleichbar. Die gewisse bauartbedingte Instabilität eines leichten Motorrades (Gewicht ca. 150 kg) kann dabei die überragende Breite und auch das Gewicht des Traktorgespanns bei der Bemessung der jeweiligen Betriebsgefahren nicht aufwiegen.

Berücksichtigt man dazu die dargestellten jeweiligen Fahrfehler, rechtfertigt sich die vom Senat ermittelte Quote.

Dabei sei nur am Rande bemerkt, dass die Klägerin zu 2) von vornherein unter Berücksichtigung eben dieser Quote von 70 % zu 30 % die auf sie übergegangenen Ansprüche geltend gemacht hat.

2. Der materielle Schaden der Klägerin ist der Höhe nach unstreitig. 70 % von 6.413,23 € ergeben den in Ziffer 1) des Tenors ausgeurteilten Betrag.

Die vom Landgericht zugesprochenen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten (2.475,80 €) sind von der Berufung nicht angegriffen.

Das Feststellungsbegehren der Klägerin rechtfertigt sich hinsichtlich zukünftiger materieller Schäden der Quote nach, hinsichtlich künftiger immaterieller Schäden unter Berücksichtigung ihres eigenen Verursachungsanteils von 30 %.

3. Das der Klägerin zustehende Schmerzensgeld (§§ 11 Satz 2 StVG, 253 Abs. 2 BGB) bemisst der Senat - wie das Landgericht - auf 180.000,00 €.

Auch unter Berücksichtigung eines Mitverursachungsanteils der Klägerin von 30 %, der einer der Bemessungsfaktoren für die Schmerzensgeldhöhe ist, rechtfertigt sich das erstinstanzlich ausgeurteilte Schmerzensgeld.

Die Klägerin hat durch den Unfall selbst schwerste Verletzungen erlitten. Es ist allein dem Zufall und der ärztlichen Heilkunst zu verdanken, dass sie nicht unmittelbar an den Unfallfolgen verstorben ist.

Für die zum Unfallzeitpunkt 22 Jahre alte Klägerin war, ist und wird das Leben nie wieder so sein, wie es vor dem Unfall war. Ihr Leben ist durch den Unfall quasi auf den Kopf gestellt worden.

Die Klägerin stand vor dem Ende ihres Studiums der Verfahrenstechnik an der Fachhochschule Flensburg, wobei sie - wie sie in der persönlichen Anhörung vor dem Senat erklärt hat - auch heute noch das Ziel verfolgt, das Studium zu beenden, „selbst wenn dies noch utopisch erscheinen mag“.

War unmittelbar durch die Kollision insbesondere die gesamte linke Körperhälfte der Klägerin betroffen, wobei der linke Arm aller Voraussicht nach auf Dauer funktionslos bleiben wird, ggf. sogar noch zur Amputation ansteht, erlitt sie infolge der Kopfverletzungen und Operationen Schlaganfälle, die nicht nur zu einer halbseitigen Lähmung rechts geführt haben, sondern zu einer Aphasie, einer zentralen Sehstörung und einem organischen Psychosyndrom. Weiter wurden Zwerchfell und Blase in Mitleidenschaft gezogen. Die Klägerin musste sprechen, lesen, schreiben und rechnen quasi völlig neu lernen. Aus der Halbseitenlähmung rechts verblieben sind Schwierigkeiten mit der Feinmotorik an den Fingern der rechten Hand.

Die fortbestehenden physischen und psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin waren für den Senat im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung unschwer zu bemerken. Die Klägerin zu 1) benötigte die Hilfe und die Unterstützung ihrer Eltern, um überhaupt die Anhörung „durchzustehen“.

Glaubhaft schilderte sie ihre Beeinträchtigungen, insbesondere auch durch die permanenten (unfallbedingten) Schmerzen.

Die Klägerin wird zeitlebens auf die Einnahme diverser Medikamente - insbesondere schwerer Schmerzmittel und Psychopharmaka - angewiesen sein. Derzeit ist die Klägerin auf die Einnahme von ca. 15 Tabletten täglich angewiesen, ihre Angaben hat sie durch Einreichung einer entsprechenden Medikamentenliste (Bl. 782 GA) glaubhaft gemacht. Ebenso ist die Klägerin auf die Hilfe Dritter angewiesen, um ihren Alltag einigermaßen bewältigen zu können. Dieser Alltag ist dann u. a. auch dadurch geprägt, dass sie regelmäßig physiotherapeutische Behandlung (durchschnittlich zweimal wöchentlich), physikalische Therapie und Lymphdrainage (ebenfalls durchschnittlich zweimal wöchentlich) und neuropsychologische Behandlung in Anspruch nehmen muss. Auch damit wird sie voraussichtlich ihr Leben lang belastet sein.

Der Klägerin ist seit dem und durch den Unfall praktisch all das unmöglich geworden, was das „normale“ Leben einer jungen Frau prägt. Ihr Leben ist durch die Unfallfolgen bestimmt.

Sinn und Zweck des Schmerzensgeldes ist es, dem Verletzten einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden zu verschaffen. Er soll in die Lage versetzt werden, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu erkaufen, die die erlittenen Beeinträchtigungen jedenfalls teilweise ausgleichen.

Dabei ist dem Senat klar, dass in Fällen wie dem Vorliegenden jeder noch so hohe Geldbetrag nicht geeignet ist, das erlittene und auch das zukünftige Leid nur im Ansatz auszugleichen. Es kann allenfalls durch Geld abgemildert werden.

Neben dem Maß der durch den Unfall verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen der Klägerin zu 1) und deren lebenslangen Folgen sowie ihrem Mitverursachungsanteil von 30 % ist auch das Regulierungsverhalten der Beklagten in die Schmerzensgeldbemessung einzustellen.

Hier hat die Beklagte über einen Zeitraum von annähernd 7 Jahren seit dem Unfall nicht „einen Cent“ an materiellem oder immateriellem Schadensersatz an die Klägerin zu 1) gezahlt. Noch nicht einmal die von der Beklagten mit der Berufung anerkannten Beträge sind bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vollständig gezahlt worden. Vielmehr hat die Beklagte (unstreitig) Anfang Mai 2018 lediglich auf Basis einer 50 %-​Quote Zahlungen erbracht. Erst auf eindringliche Mahnung des Senats hin erfolgten nach Schluss der mündlichen Verhandlung weitere Zahlungen (vgl. Schriftsatz vom 15.11.2018).

Selbst wenn man der Beklagten zubilligen wollte, dass sie auf der Grundlage des im Ermittlungsverfahren eingeholten Gutachtens des Sachverständigen S bis zu einem gewissen Zeitpunkt im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens davon ausgehen wollte, sie könne den Unabwendbarkeitsbeweis führen, musste sie doch spätestens nach Vorlage des Gutachtens des Sachverständigen Sc erkennen, dass zu ihren Lasten ein 50 %iger oder auch höherer Haftungsanteil ausgeurteilt werden würde. Spätestens also Ende des Jahres 2016 hätte die Beklagte - wie es der Senat auch von jedem Versicherer erwartet hätte - namhafte Zahlungen an die Klägerin zu 1) erbringen müssen. Dass die Beklagte dies nicht getan hat, ist nicht nachvollziehbar und vorwerfbar. Das defizitäre Regulierungsverhalten der Beklagten ist damit erhöhend in die Schmerzensgeldbemessung einzustellen, so dass sich trotz des vom Senat ausgeurteilten Mitverursachungsanteils der Klägerin zu 1) von 30 % ein Schmerzensgeldbetrag von insgesamt 180.000,00 € rechtfertigt.

4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1 und 2, 516, 708 Nr. 10 und 711 ZPO. Soweit die Klägerin zu 2) ihre zunächst angekündigte Anschlussberufung im Termin am 30.10.2018 nicht weiter verfolgt hat, wertet der Senat dies als Berufungsrücknahme.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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