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Landgericht Mönchengladbach Urteil vom 19.12.2018 - 6 O 40/18 - Autokauf - unsubstantiierte Mängelbehauptung

LG Mönchengladbach v. 19.12.2018: Abgasskandal - Mängelbehauptung „ins Blaue hinein“


Das Landgericht Mönchengladbach (Urteil vom 19.12.2018 - 6 O 40/18) hat entschieden:

   Grundsätzlich darf es einer Partei nicht verwehrt werden, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Sie kann deshalb genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen. Unzulässig wird ein solches Vorgehen aber dort, wo die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Vermutungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufstellt (vgl. BGH NJW-RR 2015, 829).


Siehe auch
Klagevortrag - Schlüssigkeit - Substantiierungspflicht
und
Stichwörter zum Thema Autokaufrecht


Tatbestand:


Der Kläger bestellte am 05.09.2014 bei der Beklagten einen Gebrauchtwagen ..., EZ: 22.07.2011, Laufleistung 60.648 km, zu einem Kaufpreis von 28.450,00 EUR. Das Fahrzeug wurde ihm am 05.09.2014 übergeben. In diesem Fahrzeug ist der von der Beklagten entwickelte Motor mit der Kennzeichnung .... verbaut. Hierbei handelt es sich um einen Vierzylinder-​Reihenmotor, der in verschiedenen Varianten, insbesondere in zehn verschiedenen Leistungsstufen gebaut wird. Er findet u.a. Verwendung in den Baureihen der A-​Klasse, B-​Klasse, C-​Klasse, E-​Klasse, S-​Klasse, GL-​Klasse, ML-​Klasse, CLA-​Klasse, GLA-​Klasse und CLS-​Klasse sowie in der V-​Klasse, dem Viano, dem Vito und dem Sprinter. Für das streitgegenständliche Fahrzeug besteht eine EG-​Typengenehmigung, die nicht widerrufen und deren Widerruf auch nicht angekündigt ist. Für das streitgegenständliche Fahrzeug weist die EG-​Übereinstimmungsbescheinigung Grenzwerte von 145,5 mg/km, mithin unterhalb des Euro5-​Grenzwertes aus. Für das Fahrzeug ist ein amtlicher Rückruf nicht angeordnet. Das Fahrzeug unterliegt aber einer freiwilligen Kundendienstmaßnahme der Beklagten. In dem Fahrzeug ist weder ein AdBlue-​Tank noch ein SCR-​Katalysator verbaut.

Mit Schreiben vom 13.11.2017 forderten die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 27.11.2017 zur Erstattung des Kaufpreises abzüglich der gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auf. Mit Schreiben vom 20.11.2017 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Fahrzeugs und die Erstattung des Kaufpreises ab.




Der Kläger behauptet, dass der Motor seines Fahrzeugs mit einer Steuerungssoftware ausgestattet sei, die die Vornahme eines Emissionstest erkenne und lediglich in diesem Fall das volle Emissionskontrollsystem des Fahrzeuges aktiviere. Hierdurch würden auf dem Prüfstand geringere Stickoxidwerte erzielt und auch nur dann die nach der im Einzelfall einschlägigen Abgasnorm vorgegebenen Stickoxid-​Grenzwerte eingehalten. Zudem sei eine Steuerungssoftware verbaut, die die Abgasreinigungsanlage im realen Straßenbetrieb am Beginn der Warmlaufphase und/oder bei einstelligen positiven Außentemperaturen reduziere oder ganz abschalte. Dadurch werde bei diesen Temperaturen der Grad der Abgasrückführung reduziert bzw. ganz abgeschaltet, mit der Folge, dass die Stickoxidemissionen erheblich ansteigen würden. Die Steuerungssoftware sorge zudem dafür, dass die Abgasreinigungsanlage bei einer bestimmten Drehzahl abgeschaltet werde, wodurch es bei höheren Drehzahlen zu einem erheblichen Anstieg der Stickoxidemissionen komme.

Konkret behauptet er hierzu, dass sich aus einer Studie ergebe, dass ein Fahrzeug der Beklagten des Typs .... im Fahrbetrieb die Grenzwerte der Euro6-​Norm nicht ansatzweise eingehalten habe. Auf dem Prüfstand habe das Fahrzeug hingegen den Grenzwert stets eingehalten oder nur geringfügig überschritten. Aus diversen Tests gehe zudem hervor, dass Fahrzeuge mit dem Motor OM 651 regelmäßig einen deutlichen Überschuss an NOx-​Werten aufwiesen. Es gebe auch Prüfberichte, aus denen sich ergebe, dass die Euro5-​Norm von einer ganzen Reihe von ....-​Modellen nicht eingehalten werde. Auch wenn das streitgegenständliche Fahrzeug nicht über einen AdBlue-​Tank verfüge, so sei aus dem Umstand, dass die "Bild am Sonntag" unter Verweis auf vertrauliche Unterlagen der US-​Ermittlungsbehörden berichtet habe, dass bei Fahrzeugen mit AdBlue-​Tank zusätzliche Software-​Funktionen gefunden worden seien, um US-​Abgastests zu bestehen, abzuleiten, dass umfangreiche und raffinierte Manipulationen im Bereich der Abgastechnik von der Beklagten eingesetzt worden seien. Gleiches ergebe sich auch aus einer amtlichen Anhörung der Beklagten durch das Kraftfahrt-​Bundesamt in Bezug auf einen ... 1,6 Liter Diesel mit der Euro-​Norm 6.

Hieraus könne einzig abgeleitet werden, dass auch in seinem Fahrzeug eine illegale Abschalteinrichtung verbaut worden sei. Von einer solchen habe der Vorstand der Beklagten positive Kenntnis gehabt.

Der Kläger behauptet, es sei ihm beim Kauf gerade darauf angekommen, ein besonders umweltfreundliches Fahrzeug zu erwerben. Bei Kenntnis einer selektiv eingesetzten Abgasnachbehandlung, so der Kläger weiter, hätte er das Fahrzeug nie gekauft, da die gesetzlichen Anforderungen nicht eingehalten würden und somit das Risiko des Entzugs der Betriebserlaubnis bestehe. Zudem dränge sich der Eindruck auf, dass bei ständiger Aktivierung des vollen Abgaskontrollsystems mit erheblichen Einschränkungen der Funktionsfähigkeit des Fahrzeuges zu rechnen sei, da sich anderenfalls die Sinnhaftigkeit einer Betrugssoftware nicht erklären lasse.

Er ist der Ansicht, dass ihm deshalb ein deliktischer Anspruch gegen die Beklagte zustehe.




Unter Berücksichtigung einer geschätzten Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 300.000 km geht der Kläger bei einem Kilometerstand zum Zeitpunkt der Klageerhebung von 117.000 km von einer Vorteilsanrechnung in Höhe von 6.698,14 EUR aus.

Der Kläger hat zunächst beantragt,

  1.  die Beklagte zu verurteilen, an ihn 25.519,90 EUR nebst weiteren Zinsen aus 28.450,00 EUR in Höhe von 4 Prozent pro Jahr seit dem 01.01.2018 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des ... mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ...;

  2.  festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des vorbezeichneten Fahrzeugs seit dem 28.11.2017 in Annahmeverzug befindet;

  3.  festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm alle weiteren Schäden zu ersetzen, die er aufgrund des Kaufs des vorbezeichneten Fahrzeugs erleidet;
  4.  die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.171,67 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten, sowie ihn von weiteren außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 441,49 EUR freizustellen.

Mit Schriftsatz vom 20.11.2018 hat der Kläger den Rechtsstreit wegen der nunmehrigen Laufleistung des Fahrzeugs von 136.864 km teilweise für erledigt erklärt und beantragt hinsichtlich der Ziff. 1 nunmehr,

  1.  die Beklagte zu verurteilen, an ihn 24.116,63 EUR nebst weiterer Zinsen aus 28.450,00 EUR in Höhe von 4 Prozent pro Jahr seit dem 01.11.2018 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges .... mit der Fahrzeugidentifikationsnummer .... .zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug keine Programmierung, insbesondere keine Manipulationssoftware verwendet werde, die dazu führen würde, dass auf der Straße unter "normalen Betriebsbedingungen" ein anderes Emissionsverhalten erzielt werde als auf dem Prüfstand. Das Fahrzeug erfülle auch den Grenzwert der einschlägigen Euro-​Norm. Es bestehe auch eine unwiderrufene EG-​Typengenehmigung für das Fahrzeug.

Sie ist der Ansicht, dass für die Ermittlung des Vorteilsausgleichs lediglich eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km zugrunde zu legen sei.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.





Entscheidungsgründe:


Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat nicht substantiiert dargelegt, dass der Motor seines Fahrzeugs mit einer Steuerungssoftware ausgestattet wäre, die die Vornahme eines Emissionstests erkennt und lediglich in diesem Fall das volle Emissionskontrollsystem des Fahrzeuges aktiviert. Er hat auch nicht substantiiert dargelegt, dass in dem Fahrzeug eine Steuerungssoftware verbaut ist, die die Abgasreinigungsanlage im realen Straßenbetrieb am Beginn der Warmlaufphase und/oder bei einstelligen positiven Außentemperaturen reduziert oder ganz abschaltet oder dafür sorgt, dass die Abgasreinigungsanlage bei einer bestimmten Drehzahl abgeschaltet wird, wodurch es bei höheren Drehzahlen zu einem erheblichen Anstieg der Stickoxidemissionen kommt.

Die diesbezüglichen Behauptungen des Klägers stellen sich vielmehr als Behauptungen ins Blaue hinein dar.

Grundsätzlich darf es einer Partei nicht verwehrt werden, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Sie kann deshalb genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen. Unzulässig wird ein solches Vorgehen aber dort, wo die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Vermutungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufstellt (vgl. BGH NJW-​RR 2015, 829). Diese Voraussetzungen liegen vor.

Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Fahrzeug des Klägers mit einer illegalen Abschalteinrichtung ausgestattet wäre. Unstreitig gibt es keinen amtlich angeordneten Rückruf für das Fahrzeug, das Fahrzeug ist bisher auch nicht Gegenstand von Ermittlungen des Kraftfahrtbundesamtes.

Der Kläger hat auch keinerlei Beanstandungen, die sich auf sein konkretes Fahrzeug beziehen würden, vorgetragen. Bei den Behauptungen des Klägers handelt es sich ausschließlich um Vermutungen, für die der Kläger keine substantiierten Anknüpfungspunkte behauptet.

Die Behauptung des Klägers, dass - aus seiner Sicht - vergleichbare Fahrzeuge im Fahrbetrieb die vorgegebenen Grenzwerte überschritten hätten, ist nicht geeignet, die Vermutung des Klägers zu untermauern. Es ist gerichts- und allgemein bekannt, dass die Prüfverfahren auf Messungen auf dem Prüfstand beruhen, sodass die Messwerte im allgemeinen Fahrbetrieb häufig nicht zu reproduzieren sind. Bei aller rechtspolitischer Kritik, die an diesem Verfahren angebracht werden mag, stellt dies eine Besonderheit für Fahrzeuge der Beklagten nicht dar.

Soweit der Kläger Bezug genommen hat auf entsprechende Pressetexte, so handelt es sich unstreitig um Fahrzeuge, die mit dem Fahrzeug des Klägers nicht identisch, ja nicht einmal vergleichbar sind. Die bisher beanstandeten Fahrzeuge mussten die Euro-​Norm 6 erfüllen, wohingegen das klägerische Fahrzeug nur den Anforderungen der Euro-​Norm 5 genügen muss, oder verfügten - anders als das klägerische Fahrzeug - über eine Abgasreinigungstechnik mittels Harnstoffeinspritzung (sog. AdBlue-​System) oder einen SCR-​Katalysator.

Mit diesen Motorvarianten ist die Ausführung des klägerischen Fahrzeugs auch nicht hinreichend vergleichbar, um greifbare Anhaltspunkte für die klägerischen Behauptungen zu liefern. Es erscheint vielmehr auch nach dem Vortrag des Klägers als naheliegend, dass die Grenzwerte von Euro5 eben noch unproblematisch eingehalten werden konnten, wohingegen die Grenzwerte von Euro6 möglicherweise ein größeres Problem für die Hersteller dargestellt haben.

Etwas anderes lässt sich nicht daraus ableiten, dass auch in beanstandeten Fahrzeugen ein Motor mit der Kennziffer OM 651 verbaut war. Der Motor ist mit einem Hubraum von 1,8 bis 2,1 Liter und zehn verschiedenen Leistungsstufen von 109 PS bis 204 PS erhältlich. Bereits hieraus ergibt sich, dass die Motorbezeichnung so wenig spezifisch ist, dass der vom Kläger vorgenommene Rückschluss, dass er davon ausgehen müsse, dass auch sein Fahrzeug betroffen sei, nicht naheliegend erscheint.

Der Kläger hat nicht einmal nachvollziehbar vorgetragen, dass er selbst davon ausgeht, dass in seinem Fahrzeug eine Abschalteinrichtung vorhanden ist. Vielmehr hat er in der mündlichen Verhandlung erklären lassen, dass er sich einen diesbezüglichen Erkenntnisgewinn durch die Beweisaufnahme erhoffe. Eine solche Beweiserhebung würde indes eine reine Ausforschung bedeuten.



Es ist auch nicht erkennbar, dass dem Kläger eine Kenntniserlangung ansonsten unmöglich wäre. Vielmehr wäre es durchaus möglich, zur Substantiierung seines Sachvortrags entsprechende technische Stellungnahmen bereits außerprozessual einzuholen.

Mangels Bestehens eines Hauptanspruchs hat der Kläger auch keinen Anspruch auf die Feststellung des Annahmeverzugs, Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden, Zahlung von Zinsen oder Zahlung bzw. Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

Der Streitwert wird auf 21.751,86 EUR festgesetzt.

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