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Oberlandesgericht Hamm Beschluss vom 21.12.2018 - 26 U 172/18 - Indizieller Beweis für eine Unfallmanipulation

OLG Hamm v. 21.12.2018: Zur indiziellen Beweisführung für eine Unfallmanipulation


Das Oberlandesgericht Hamm (Beschluss vom 21.12.2018 - 26 U 172/18) hat entschieden:

   Nach ständiger Rechtsprechung kann eine einverständlichen Herbeiführung eines Unfalls aufgrund von Indizien festgestellt werden, die im Wege einer Gesamtschau zu überprüfen sind. Dabei geht es nicht um eine mathematisch genaue Sicherheit, es reicht vielmehr aus, wenn die vorliegenden Indizien in ihrer Gesamtschau nach der Lebenserfahrung den Schluss zulassen, dass der Unfall auf einer Verabredung beruht und der Geschädigte mit der Beschädigung seines Fahrzeugs einverstanden war. Dabei genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, d.h. ein für einen vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, dass er Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie mathematisch lückenlos auszuschließen. Demnach ist eine Häufung der für eine Manipulation sprechenden Beweisanzeichen und Indizien geeignet, die Überzeugung des Gerichts zu begründen, ein gestellter Unfall liege vor (vgl. OLG Frankfurt NJW-RR 2007, 603 m.w.N.; OLG Hamm Urt. v. 22.03.2000 - 13 U 144/99, VersR 2001, 1127).


Siehe auch Indizienbeweisführung und Unfallbetrug
und
Unfallmanipulationen - Unfallbetrug - Berliner Modell


Gründe:


l.

Hinsichtlich des Sachverhalts sowie der Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung sowie die Berufungsbegründung verwiesen.

II.

Die Berufung ist nach übereinstimmender Überzeugung des Senats offensichtlich unbegründet. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und bedarf zur Fortbildung des Rechts- bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keiner Entscheidung des Senats, so dass eine Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO gerechtfertigt ist. Insoweit gebietet auch nicht der Grundsatz eines fairen Verfahrens eine erneute Verhandlung, da es sich nicht um eine existentielle Angelegenheit für den Kläger handelt und zudem nicht ersichtlich ist, dass eine mündliche Verhandlung zu weiteren Erkenntnissen führt.




Zu Recht hat das Landgericht Ansprüche des Klägers verneint, weil sich aus der Gesamtschau eindeutige Hinweise darauf ergeben, dass der Verkehrsunfall vom 14.05.2015 nicht in der geschilderten Form stattgefunden hat, sondern manipuliert gewesen ist.

Nach ständiger Rechtsprechung kann eine einverständlichen Herbeiführung eines Unfalls aufgrund von Indizien festgestellt werden, die im Wege einer Gesamtschau zu überprüfen sind. Dabei geht es nicht um eine mathematisch genaue Sicherheit, es reicht vielmehr aus, wenn die vorliegenden Indizien in ihrer Gesamtschau nach der Lebenserfahrung den Schluss zulassen, dass der Unfall auf einer Verabredung beruht und der Geschädigte mit der Beschädigung seines Fahrzeugs einverstanden war. Dabei genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, d.h. ein für einen vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, dass er Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie mathematisch lückenlos auszuschließen. Demnach ist eine Häufung der für eine Manipulation sprechenden Beweisanzeichen und Indizien geeignet, die Überzeugung des Gerichts zu begründen, ein gestellter Unfall liege vor (vgl. OLG Frankfurt NJW-​RR 2007, 603 m.w.N.; OLG Hamm Urt. v. 22.03.2000 - 13 U 144/99, VersR 2001, 1127). Vor diesem Hintergrund ist es korrekt, wenn das Landgericht hier nicht von feststehenden oder nachweisbaren Tatsachen ausgegangen ist, sondern anhand von speziellen Kriterien den Verdacht auf einen manipulierten Unfall geäußert hat und insoweit nicht die Überzeugung gewonnen hat, dass es am 14.05.2015 zu dem klägerseits behaupteten Unfallereignis auf der ...straße in Hamm gekommen ist.

Die vom Landgericht vorgenommene Gesamtschau ist seitens des Senats nicht zu beanstanden.

Der äußere Tatbestand einer Rechtsgutverletzung in Form einer Kollision des vom Beklagten zu 2) geführten PKW Honda Civil mit dem auf der ...straße geparkten PKW Maserati Quattroporte des Klägers ist nach den Angaben des Sachverständigen zu bejahen. In der Gesamtbetrachtung von zahlreichen Einzelumständen drängt sich im Streitfall jedoch jedermann eine Unfallmanipulation auf.




Geradezu typisch ist der Umstand, dass es sich um einen Anstoß gegen ein stehendes Fahrzeug gehandelt hat, bei welchem sich der Schadenshergang nahezu optimal steuern und das Verletzungsrisiko für den Fahrer in Grenzen halten lässt. Zudem ist bei einem Anprall gegen ein abgestelltes Fahrzeug die Haftungsfrage üblicherweise eindeutig geklärt. Weiterhin sind die Merkmale der am Unfall beteiligten Fahrzeuge besonders charakteristisch für das Vorliegen eines gestellten Unfalls. Bei dem von dem Beklagten zu 2) geführten PKW handelt es sich um einen alten Honda Civil, mit der Folge, dass ein dort entstandener Fahrzeugschaden den Beklagten zu 2) nicht sonderlich finanziell belastet. Bei dem abgestellten PKW Maserati des Klägers handelt es sich trotz seines Alters und seiner Laufleistung immer noch um ein als hochpreisig eingeschätztes Fahrzeug, welches einerseits eine fiktive Abrechnung ermöglicht und andererseits hohe Reparaturkosten verursacht. Die Beteiligung eines derartigen Fahrzeugs bringt dem „Geschädigten" bei der fast ausnahmslos vorgenommenen Abrechnung auf Grundlage fiktiver Reparaturkosten (wie auch vorliegend) danach erhebliche finanzielle Vorteile (vgl. OLG Hamm, aaO.). Entsprechend begründet die auffällige Art des Schadens - „lukrativer" Streifschaden über fast die halbe Länge des Fahrzeugs - ein weiteres Indiz für eine Unfallmanipulation. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass der Kläger im Wege der fiktiven Abrechnung Schadensersatz fordert, was bei Würdigung der hier vorliegenden Gesamtumstände ein weiteres Indiz darstellt (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 01.10.2005 - 12 U 1114/04, juris) zumal der Kläger eingeräumt hat, dass er sich seinerzeit in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand und später sogar die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat.


Hinzu kommt der typische Umstand, dass das Fahrzeug in Eigenregie ohne Vorlage einer Rechnung repariert und mittlerweile veräußert worden ist. Dabei hat das Landgericht zutreffend festgestellt, dass der entstandene Schaden vorliegend in optisch zutreffender Weise mit deutlich geringeren Mitteln als im vorgelegten Schadensgutachten instand gesetzt werden konnte.

Weiterhin kann bei der Gesamtbewertung nicht außer Acht bleiben, dass das streitgegenständliche Fahrzeug im Jahr 2015 innerhalb kurzer Zeit diverse „Unfallschäden“ erlitten hat und der Kläger überdies in das vorgelegte Schadensgutachten Filbert vom 25.05.2015 (Bl. 10 ff d.A.) Beschädigungen aus einem Vorschaden an der vorderen Stoßfängerverkleidung hat aufnehmen lassen, die nach Angabe des Sachverständigen in keinem Falle durch den streitgegenständlichen Verkehrsunfall verursacht worden sein können. Insoweit ist es entgegen der Auffassung des Klägers unbeachtlich, dass dieser Vorschaden abgrenzbar und vom Neuschaden nicht überlagert ist. Ausschlagend ist insoweit vielmehr, dass der Kläger von Anfang an nicht wahrheitsgemäß zu Vorschäden in diesem Bereich vorgetragen und damit überhöhte Reparaturkosten in Ansatz gebracht hat, was bereits für sich genommen zu einer Versagung des Anspruchs wegen eines besonders groben Treuverstoßes führen kann (vgl. LG Münster Urt. v. 08.08.2014 - 11 O 279/11, juris). Daneben steht ausweislich des nur einen Tag vor dem streitgegenständlichen Unfall erstellten weiteren Schadensgutachtens … vom 13.05.2015 (Bl. 149 ff d.A.) fest, dass das klägerische Fahrzeug zudem noch im Mai 2015 einen leichten Heckschaden entlang der Stoßstange hinten rechts erlitten hat. Schließlich ergibt sich aus dem Gutachten der Firma ...de vom 16.11.2015 (Bl. 133 ff d.A.) eine erneute Beschädigung der nahezu gesamten linken Seite des PKW Maserati, so dass hier eine jedenfalls auffällige Häufung von insg. vier Schadensereignissen in kurzer Zeit vorliegt.

Vor allem aber ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht den Schadenshergang insgesamt nicht für plausibel erachtet hat. Fest steht nach dem vom Landgericht eingeholten Sachverständigengutachten letztlich allein, dass durch den vom Beklagten zu 2) geführten PKW Honda Streifschäden am klägerischen PKW Maserati verursacht worden sind. Darüber hinaus ist das vom Beklagten zu 2) geschilderte Unfallgeschehen aber nach den Ausführungen des Sachverständigen praktisch nicht nachvollziehbar und damit unplausibel. Die Darstellung des Beklagten mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 35 km/h die ...straße befahren zu haben und beim Ausweichen vor einem ihm plötzlich entgegenkommenden Radfahrer nach einer Lenkbewegung nach rechts ungebremst gegen das klägerische Fahrzeug gestoßen zu sein, ist wie vom Landgericht zutreffend festgestellt in entscheidenden Details widerlegt.



Das Gutachten hat eindeutig ergeben, dass sich das Beklagtenfahrzeug nicht mit den vom Beklagten angegebenen 30 bis 35 km/h, sondern lediglich in einer nur langsamen Bewegung nach vorn bewegt hat. Dabei konnte der Sachverständige anhand der Spurenlage zweifelsfrei feststellen, dass sich das klägerische Fahrzeug für den Bereich, als die beiden Räder Kontakt hatten, mit maximal 10 km/h bewegt haben kann. Selbst wenn, wie der Kläger nunmehr vorträgt, das Fahrzeug aufgrund der Reibung ab der zwischen den beiden Türen liegenden Erstkontaktstelle leicht abgebremst worden sein sollte, ergibt sich bei einer Kontaktlänge von insg. gerade einmal 2,3 m nicht im Ansatz die vom Beklagten zu 2) behauptete Geschwindigkeit. Zudem verbleibt es auch dabei, dass die von diesem geschilderte Ausweichsituation unplausibel ist. Bei nächtlicher Fahrt mit eingeschaltetem Abblendlicht wäre der Radfahrer in jedem Falle so rechtzeitig zu erkennen gewesen, dass der Beklagte zu 2) sein langsam geführtes Fahrzeug ohne Weiteres hätte abbremsen können. Eine Ausweichsituation in letzter Sekunde war danach nicht im Ansatz gegeben. Insoweit durfte das Landgericht auch ohne Weiteres annehmen, dass bei einer Geschwindigkeit von 10 km/h eine sofortige Reaktionsmöglichkeit bestanden hat. Selbst wenn man mit dem Sachverständigen aufgrund der vom Beklagten zu 2) geschilderten Situation eine Reaktionszeit von 1,2 Sekunden annimmt, hätte der PKW bei dieser geringen Geschwindigkeit sodann umgehend zum Stillstand gebracht werden können. Letztlich verbleibt es dabei, dass es kaum nachzuvollziehen ist, wie der Beklagte zu 2) bei einem jedenfalls sehr niedrigen Geschwindigkeitsniveau unfreiwillig gegen das rechts geparkte Klägerfahrzeug geraten konnte. Demgegenüber hat es der Sachverständige aus technischer Sicht als realistisch eingestuft, dass jemand, der das klägerische Fahrzeug absichtlich beschädigen will, unter einem geringen Winkel von bis zu 6° mit einer Geschwindigkeit von etwa 10 km/h gegen dieses Fahrzeug fährt und im Zuge des Kontakts dann wieder leicht weglenkt.

Unbeachtlich ist auch, dass sich letztlich nicht sicher feststellen lässt, ob der Kläger persönlich in die Beschädigung des Maserati eingewilligt hat, oder ob das Schadensereignis mit dessen Onkel, …, abgesprochen gewesen ist, dem der Kläger sein Fahrzeug für mehrere Monate überlassen haben will. Der Eigentümer, der einem Dritten sein Fahrzeug für eine geraume Zeit zum selbständige Gebrauch überlassen hat, muss sich Unfallmanipulationen dieses Dritten zurechnen lassen. Der Onkel hatte im Hinblick auf den Maserati eine Stellung inne, die derjenigen eines Repräsentanten oder Wissensvertreters im Sinne des Versicherungsvertragsrechts vergleichbar ist (vgl. OLG Hamm Urt. v. 19.03.2001 - 13 U 164/00, VersR 2002, 700; OLG Celle Urt. v. 26.07.1990- 5 U 119/89, NZV 1991,269).

Vor diesem Hintergrund verbleibt es dabei, dass solch gewichtige Gründe für einen manipulierten Unfall sprechen, dass die gegen die angefochtene Entscheidung vorgebrachten Einwendungen und Argumente ein anderes Ergebnis nicht rechtfertigen.

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