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Landgericht Potsdam Urteil vom 02.03.2018 - 6 O 228/17 - Kein Beitragsregress bei geringfügiger Beschäftigung

LG Potsdam v. 02.03.2018: Kein Beitragsregress bei geringfügiger Beschäftigung


Das Landgericht Potsdam (Urteil vom 02.03.2018 - 6 O 228/17) hat entschieden:

   Gemäß § 119 Abs. 1 S. 1 SGB X in der seit dem 01.01.2001 geltenden Fassung geht der Schadensersatzanspruch eines Versicherten auf Ersatz von Beiträgen zur Rentenversicherung auf den Versicherungsträger über, wenn der Geschädigte im Zeitpunkt des Schadensereignisses bereits Pflichtbeitragszeiten nachweist oder danach pflichtversichert wird. - Die Legalzession nach § 119 SGB X erfasst nicht alle unfallkausal entgangenen Beiträge zur Rentenversicherung, sondern nur Beiträge, die im Rahmen eines Pflichtversicherungsverhältnis geleistet worden wären.


Siehe auch
Forderungsübergang auf die Sozialversicherungs- und Sozialhilfeträger
und
Forderungsübergang im Schadensfall


Tatbestand:


Die Klägerin begehrt unter Berufung auf § 119 Abs. 1 SGB X von den Beklagten Ersatz von Beiträgen zur Rentenversicherung für eine nicht der Versicherungspflicht unterliegende geringfügige Beschäftigung ihrer Versicherten, die die Arbeitgeberin der Versicherten infolge eines vom Beklagten zu 1. verursachten Unfalls nicht mehr an die Klägerin gezahlt hat.

Die Klägerin ist Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung für die am ...1954 geborene Frau E. M. (i.F. „Versicherte“).

Die Versicherte arbeitete bis zum 06.08.2008 im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 SGB IV als Warenkorbauffüllerin im Einkaufscenter der Firma K. (i.F. „Arbeitgeberin“) in der … Straße in R. Nach § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI war die Versicherte von der Rentenversicherungspflicht befreit. Nur die Arbeitgeberin der Versicherten zahlte gemäß § 172 Abs. 3 S. 1 SGB VI an die Klägerin einen Beitragsanteil in Höhe von 15 % des Arbeitsentgeltes der Versicherten.




Am Morgen des 06.08.2008 fuhr die Versicherte gegen 4:40 Uhr mit ihrem Fahrrad zu ihrer Arbeitsstelle in der … Straße. Auf dem … Platz in R. fuhr der Beklagte zu 1. mit seinem bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten Pkw unter Missachtung der Vorfahrt aus der … Straße auf den … Platz ein und stieß gegen das hintere Rad des Fahrrades der Klägerin, welche daraufhin stürzte. Durch den Sturz erlitt die Versicherte eine luxierte Tibiakopftrümmerfraktur rechts, eine Fibulaköpfchenfraktur links, eine Prellung der linken Schulter sowie einen Außenminiskuskorbhenkelriss im linken Knie. Sie wurde am 06.08.2008 sowie am 11.8.2008 operiert und befand sich bis zum 03.09.2009 in stationärer Behandlung.

Die vollständige Haftung der Beklagten gegenüber der Versicherten dem Grunde nach ist unstreitig.

Infolge des Unfalls ist die Versicherte dauerhaft körperlich beeinträchtigt und nicht mehr erwerbsfähig. Nach dem Unfall konnte sie ihrer früher ausgeübten geringfügigen Beschäftigung nicht mehr nachgehen. Die Arbeitgeberin der Versicherten hat deshalb vom 18.09.2008 bis zum 31.12.2016, dem Eintritt der Versicherten ins Rentenalter, keine Rentenbeiträge in unbestrittener Höhe von EUR 6.107,43 nach § 172 Abs. 3 S. 1 SGB VI mehr an die Klägerin gezahlt.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagten müssen ihr diese entgangenen Beiträge wegen § 119 Abs. 1 S. 1 SGB X ersetzen. Dass die Versicherte nicht rentenversicherungspflichtig war, lasse die Ersatzpflicht nicht entfallen. Der Wortlaut von § 119 Abs. 1 S. 1 SGB X fordere nicht die schadensbedingte Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Tätigkeit.




Die Klägerin beantragt,

  1.  die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin EUR 6.107,43 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

  2.  festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner gegenüber der Klägerin zum Ersatz sämtlicher weiterer Beitragsschäden ihrer Versicherten, E. M., geboren am … 1954, anlässlich des Schadensereignisses vom 06.08.2008, im Rahmen des § 119 SGB X verpflichtet sind.

Die Beklagten beantragen,

   die Klage abzuweisen.

Sie sind der Ansicht, der Übergang von Schadensersatzansprüchen nach § 119 Abs. 1 S. 1 SGB X erfasse nicht alle unfallkausal entgangene Beiträge zur Rentenversicherung, sondern nur von Pflichtversicherungsbeiträgen.


Entscheidungsgründe:


I.

Der zulässige Klageantrag zu 1. ist unbegründet.

1. Die Klägerin hat gegen den Beklagten zu 1. keinen Anspruch auf Ersatz der Beiträge in Höhe von EUR 6.107,43, die die Arbeitgeberin der Versicherten ohne den Unfall an die Klägerin gezahlt hätte.




Die Klägerin ist nicht zur Geltendmachung dieser nicht geleisteten Rentenbeiträge nach § 119 Abs. 1 S. 1 SGB X aktiv legitimiert. Etwaige Schadensersatzansprüche der Versicherten gegen den Beklagten zu 1. gemäß § 7 Abs. 1 StVG bzw. § 18 Abs. 1 StVG auf Ersatz der infolge des Unfalls nicht gezahlten Rentenbeiträge nach § 172 Abs. 3 S. 1 SGB VI sind nicht nach § 119 Abs. 1 S. 1 SGB X auf die Klägerin übergegangen.

Gemäß § 119 Abs. 1 S. 1 SGB X in der seit dem 01.01.2001 geltenden Fassung geht der Schadensersatzanspruch eines Versicherten auf Ersatz von Beiträgen zur Rentenversicherung auf den Versicherungsträger über, wenn der Geschädigte im Zeitpunkt des Schadensereignisses bereits Pflichtbeitragszeiten nachweist oder danach pflichtversichert wird.

Abgesehen vom nicht vorliegenden Fall einer nachträglichen Pflichtversicherung setzt der Wortlaut der Norm damit voraus, dass der geschädigte Versicherte im Zeitpunkt des Unfalls der Rentenversicherungspflicht unterlag (vgl. nur BGH, Urteil vom 18.12.2007, Az. VI ZR 278/06, zitiert nach juris, Rn. 15; Bieresborn in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 119 Rn. 2). Die Legalzession nach § 119 SGB X erfasst nicht alle unfallkausal entgangenen Beiträge zur Rentenversicherung, sondern nur Beiträge, die im Rahmen eines Pflichtversicherungsverhältnis geleistet worden wären.

Die Versicherte war im Zeitpunkt des Unfalls nicht rentenversicherungspflichtig, sondern als geringfügig Beschäftigte nach § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI von der Rentenversicherungspflicht befreit.

2. Mangels Anspruch in der Hauptsache steht der Klägerin gegen den Beklagten zu 1. auch kein Anspruch auf Rechtshängigkeitszinsen nach § 291 BGB zu.

3. Die Klägerin hat mangels Aktivlegitimation auch gegen die Beklagte zu 2. keinen Anspruch auf Ersatz der Beiträge, die die Arbeitgeberin der Versicherten ohne den Unfall an die Klägerin gezahlt hätte.

Etwaige Schadensersatzansprüche der Versicherten gegen den Beklagten zu 1. wegen des Entgangs der von der Arbeitgeberin nach § 172 Abs. 3 S. 1 SGB VI an die Klägerin gezahlten Rentenbeiträge, die die Versicherte nach § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 PflVG gegenüber der Beklagten zu 2. geltend machen kann, sind wie dargelegt nicht nach § 119 Abs. 1 S. 1 SGB X auf die Klägerin übergegangen.

4. Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 2. auf Rechtshängigkeitszinsen scheitert wiederum am Fehlen eines Anspruchs in der Hauptsache.



II.

Der zulässige Klageantrag zu 2. ist ebenfalls unbegründet.

Da die Beklagten der Klägerin nicht zum Ersatz der Rentenbeiträge verpflichtet sind, die die Arbeitgeberin der Versicherten ohne den Unfall an die Klägerin gezahlt hätte, fehlt es am festzustellenden Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und den Beklagten.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

IV.

Streitwert: EUR 9.414,80 (EUR 6.107,43 + EUR 3.308,37)

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