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Oberlandesgericht Nürnberg (Beschluss vom 30.04.2018 - 2 OLG 2 Ss 240/17 - Berufungsverwerfung des säumigen Angeklagten

OLG Nürnberg v. 30.04.2018: Berufungsverwerfung des säumigen Angeklagten in einem Fortsetzungstermin


Das Oberlandesgericht Nürnberg (Beschluss vom 30.04.2018 - 2 OLG 2 Ss 240/17) hat entschieden:

   Die Berufung des Angeklagten kann gem. § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen werden, wenn bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist. Die Verwerfung der Berufung des Angeklagten hat auch dann zu erfolgen, wenn eine unterbrochene Berufungshauptverhandlung in einem oder mehreren weiteren Terminen fortgesetzt wird (§ 229 StPO), in denen der Angeklagte oder sein Verteidiger im Falle der Vertretung ohne genügende Entschuldigung nicht erscheint.


Siehe auch
Säumnis des Betroffenen bzw. Angeklagten in der Hauptverhandlung im OWi- oder Strafverfahren
und
Die Berufungshauptverhandlung im Strafverfahren


Gründe:


I.

Das Amtsgericht Nürnberg hat den Angeklagten am 07.03.2017 wegen Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 40 € verurteilt.

Hiergegen haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft - letztere beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch - Berufung eingelegt.

Das Landgericht Nürnberg-​Fürth hat mit Urteil vom 12.06.2017 die Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache nach § 329 Abs. 1 Satz 9 Nr. 2 StPO verworfen.

Gegen dieses dem Verteidiger des Angeklagten am 29.06.2017 zugestellte Urteil legte der Angeklagte mit Schreiben seines Verteidigers vom 06.07.2017, eingegangen per Telefax am selben Tag, Revision ein, die er mit Schreiben seines Verteidigers vom 07.08.2017, eingegangen am selben Tag, einem Montag, begründete. Mit dieser rügt er die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Der Angeklagte macht vor allem geltend, das Verwerfungsurteil habe nicht ergehen dürfen, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorgelegen hätten. Nach seinem eindeutigen Wortlaut sei § 329 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO in einem Fortsetzungstermin, zu dem der Angeklagte nicht erschienen sei, nicht mehr anwendbar. Außerdem beanstandet die Revision die Entziehung des gesetzlichen und die Entscheidung durch den nicht gesetzlich zuständigen Richter wegen einer rechtsfehlerhaften Zurückweisung seines Antrags auf Ablehnung des Vorsitzenden Richters am Landgericht B. sowie eine Verletzung des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK.




Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg beantragt mit Stellungnahme vom 01.12.2017 die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO kostenpflichtig als unbegründet zu verwerfen.

Der Angeklagte erwiderte hierauf mit Schreiben seines Verteidigers vom 19. und 22.12.2017.


II.

Das Rechtsmittel ist zulässig und hat mit der (Verfahrens-​)Rüge der fehlerhaften Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO - zumindest vorläufig - Erfolg.

1. Die Revision des Angeklagten ist zulässig (§§ 333, 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO). Die für die Geltendmachung der unzulässigen Verwerfung seiner Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO erforderliche Verfahrensrüge ist zulässig erhoben. Sie entspricht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, da der Angeklagte die wesentlichen Tatsachen, auf die er die Unzulässigkeit der Verwerfung stützt, vorgetragen hat und diese sich zudem aus den tatsächlichen Feststellungen des Urteils selbst ergeben (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, VRS 97, 139 juris Rn. 17; OLG Karlsruhe, NStZ-​RR 2010, 287 juris Rn. 4).

2. Die Revision ist auch begründet.

Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten rechtsfehlerhaft ohne Verhandlung zur Sache verworfen, weil angesichts des Inhalts des Urteils und der in der Hauptverhandlung am 12.12.2017 getroffenen Feststellungen nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Angeklagte im Fortsetzungstermin am 12.06.2017 unentschuldigt nicht erschienen ist.




a) Soweit sich das Landgericht für die Verwerfung auf § 329 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO gestützt hat, bestehen bereits rechtliche Bedenken hinsichtlich der Anwendbarkeit dieser Vorschrift. Sie regelt nämlich den Fall, dass der Angeklagte sich ohne genügende Entschuldigung entfernt hat und kein Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht anwesend ist, und nicht den vorliegenden Fall, in dem der Angeklagte nach Unterbrechung der Hauptverhandlung gemäß § 228 Abs. 1, § 229 Abs. 1 StPO zum Fortsetzungstermin überhaupt nicht erschienen ist (anders wohl Meyer-​Goßner/Schmitt StPO 60. Aufl., § 329 Rn. 17).

b) Dies kann aber letztlich dahinstehen. Denn es liegt jedenfalls ein Fall des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO vor, wonach die Berufung des Angeklagten verworfen werden kann, wenn bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist.

Anders als nach der früheren Rechtslage ist seit der Neufassung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO durch das am 25.07.2017 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Hauptverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe vom 17.07.2015 (BGBl. I S. 1332) der für das Erscheinen des Verteidigers und das Vorliegen der schriftlichen Vertretungsvollmacht entscheidende Zeitpunkt nicht mehr der Beginn der Hauptverhandlung, sondern der Beginn "eines", also jedes "Hauptverhandlungstermins". Danach hat eine Verwerfung der Berufung des Angeklagten gemäß Absatz 1 Satz 1 auch dann zu erfolgen, wenn eine unterbrochene Berufungshauptverhandlung in einem oder mehreren weiteren Terminen fortgesetzt wird (§ 229 StPO), in denen der Angeklagte oder sein Verteidiger im Falle der Vertretung ohne genügende Entschuldigung nicht erscheint (vgl. BT-​Drucks. 18/3462, S. 68). § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO ist somit anwendbar, wenn der Angeklagte zu Beginn irgendeines Hauptverhandlungstermins, also auch zu einem Fortsetzungstermin nach Unterbrechung der Hauptverhandlung, unentschuldigt ausbleibt (vgl. OLG Oldenburg StV 2018, 151 juris Rn. 8; BeckOK-​StPO/Eschelbach § 329 Rn. 13 und 17; SK-​StPO/Frisch, 5. Aufl. § 329 Rn, 6a).

c) Die Voraussetzungen für eine Verwerfung der Berufung des Angeklagten im Fortsetzungstermin am 12.06.2017 lagen gleichwohl nicht vor. Denn es kann nach den Feststellungen im Urteil und in der Hauptverhandlung nicht davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte dem Fortsetzungstermin am 12.06.2017 unentschuldigt ferngeblieben ist.

aa) Eine Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO setzt grundsätzlich voraus, dass der Angeklagte zu dem Termin, dem er ferngeblieben ist, unter Hinweis auf die Folgen unentschuldigten Ausbleibens ordnungsgemäß geladen wurde (vgl. OLG Oldenburg StV 2018, 151 juris Rn. 9; SK-​StPO/Frisch, aaO. § 329 Rn. 15 m.w.N.; BeckOK-​StPO/Eschelbach § 329 Rn. 26 und 35 m.w.N.). Ein Ausbleiben ist dann genügend entschuldigt, wenn es an einer ordnungsgemäßen Ladung mangelte (so die Begründung des Gesetzgebers, BT-​Drucks. 18/3462, S. 69 unter Hinweis auf OLG Frankfurt, NStZ-​RR 2003, 174, 175 und BGHSt 24, 143, 149 = juris Rn. 20) und dies ursächlich für das Nichterscheinen des Angeklagten war (SK-​StPO/Frisch, aaO. § 329 Rn. 16; BeckOK-​StPO/Eschelbach § 329 Rn. 26).

Nach einer zur Neufassung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO ergangenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 21.12.2016 setzt die Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs 1 Satz 1 StPO im Fortsetzungstermin voraus, dass der Angeklagte auch zu diesem Fortsetzungstermin gemäß § 323 Abs. 1 Satz 2 StPO unter ordnungsgemäßem Hinweis auf die Folgen seines unentschuldigten Ausbleibens geladen wurde. Hierfür reiche es nicht aus, dass die Ladung zu einem früheren Termin einen solchen Hinweis enthielt (vgl. OLG Oldenburg StV 2018, 151 juris Rn. 9 unter Verweis auf SK-​StPO/Frisch a.a.O. § 329 Rn. 15).


Dies entspricht der - soweit ersichtlich - einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung zur erneuten Ladung bei einer Terminsverlegung (vgl. BayObLGSt 1975, 30, 32 f.; OLG Schleswig SchlHA 2005, 263; OLG Hamm NStZ-​RR 2008, 380 juris Rn. 10; OLG Koblenz NJW 1981, 2074). Danach muss der Hinweis auf die Folgen des Ausbleibens in der Ladung zu dem Termin enthalten sein, in dem die Berufung verworfen wird (BayObLGSt 1975, 30, 31). Die Bezugnahme oder Verweisung auf Hinweise oder Belehrung in einer früheren Ladung reicht insoweit nicht aus. Schon aus dem Wortlaut des § 323 Abs 1 Satz 2 StPO, der davon spricht, dass der Hinweis auf die Folgen des Ausbleibens ausdrücklich zu erteilen ist, ergibt sich, dass diesem Erfordernis nur dann genügt ist, wenn der Hinweis in der Ladung des Angeklagten zu dem anstehenden Hauptverhandlungstermin enthalten ist. Nur auf diese Weise ist gewährleistet, dass ihm die Folgen einer Säumnis deutlich vor Augen geführt werden, was im Hinblick auf die einschneidende Regelung des § 329 Abs. 1 StPO unerlässlich ist. Die Verweisung auf eine frühere Ladung stellt eine hinreichende Information des Angeklagten, welche allein das Vorgehen gemäß § 329 Abs. 1 StPO rechtfertigt, nicht sicher. Vorausgesetzt wäre nämlich, dass dieser über die in Bezug genommene Ladung überhaupt noch verfügt, was nicht ohne weiteres in jedem Fall unterstellt werden kann (vgl. BayObLGSt 1975, 30, 32 f.; OLG Koblenz NJW 1981, 2074).

Ob diese zur Verlegung des ersten Hauptverhandlungstermins, also zu einer Umladung ergangene Rechtsprechung wie es das OLG Oldenburg annimmt - in gleichem Maße gilt, wenn es um die Fortsetzung des ersten Hauptverhandlungstermins geht, ist angesichts der Gesetzesmaterialien zur Neufassung des § 329 StPO fraglich. Danach ist ein Angeklagter nicht ordnungsgemäß geladen, wenn er in der Ladung über die Folgen seines Ausbleibens (§ 323 Absatz 1 Satz 2 StPO) nach § 329 StPO unzutreffend belehrt worden war. "Die Belehrung muss dabei den Hinweis enthalten, dass sein Rechtsmittel bei seinem ungenügend entschuldigten Ausbleiben verworfen wird, wenn er keinen Verteidiger schriftlich zu seiner Vertretung bevollmächtigt hat oder der ihn vertretende Verteidiger ohne genügende Entschuldigung nicht zu Beginn eines jeden Termins erscheint" (BT-​Drucks. 18/3462, S. 69; Hervorhebung durch Senat). Diese Formulierung lässt die Möglichkeit offen, dass in der Ladung zur Hauptverhandlung die Belehrung über die Folgen eines Nichterscheinens für jeden (Fortsetzungs-​)Termin bereits enthalten ist. Dies würde im Einklang damit stehen, dass die Vorschriften über die Förmlichkeit der Ladung (§ 216 StPO) und die Einhaltung der Ladungsfrist (§ 217 StPO) nur für den ersten Hauptverhandlungstag gelten (BGHSt 38, 271 juris Rn. 18) und der Angeklagte im Falle seiner Anwesenheit zum Fortsetzungstermin durch dessen Verkündung, also mündlich geladen werden kann (§ 35 Abs. 1 StPO; vgl. hierzu nur BGH NStZ 1988, 421 juris Rn. 15; Meyer-​Goßner/Schmitt StPO 60. Aufl., § 229 Rn. 12; BeckOK-​StPO/Ritscher, § 216 Rn. 1).




bb) Die Frage des Erfordernisses einer neuen Ladung mit Belehrung auch zu den Fortsetzungsterminen kann aber vorliegend offen bleiben. Denn im Berufungsurteil ist weder hinreichend festgestellt, dass die ursprüngliche Ladung zum 06.06.2018 eine Belehrung auch über die Folgen des Nichterscheinens zu möglichen Fortsetzungsterminen enthalten hat noch dass der Angeklagte gesondert zum Fortsetzungstermin mit einer entsprechenden Belehrung geladen worden ist.

Die Strafkammer führte in den Gründen des Urteils insoweit folgendes aus:

   "Der Angeklagte war im Termin vom 06.06.2017 ordnungsgemäß unter Hinweis auf die Folgen eines unentschuldigten Ausbleibens schriftlich geladen worden. Es war am 06.06.2017 anwesend, als Fortsetzungstermin auf den 12.06.2017, 9.00 Uhr, Sitzungssaal 126 bestimmt wurde. Anders als sein Verteidiger hat der Angeklagte nichts dahin vorgetragen, dass er am 12.06.2017 verhindert sein könnte."

Es ist angesichts dieser missverständlichen Formulierung bereits fraglich, ob die Urteilsgründe so verstanden werden könnten, dass der Angeklagte im Termin vom 06.06.2017 zum Fortsetzungstermin vom 12.12.2017 ordnungsgemäß unter Hinweis auf die Folgen eines unentschuldigten Ausbleibens schriftlich (?) geladen worden ist oder ob der Termin nur durch Verkündung bestimmt worden ist. Diese Frage ist aber angesichts des von der Revision zitierten Inhalts des Hauptverhandlungsprotokolls vom 12.12.2017 zu verneinen. Dort wird ausgeführt:

   „Der Vorsitzende stellte fest, dass

der Angeklagte, der zum ersten Termin ordnungsgemäß schriftlich und unter Hinweis auf die Folgen eines Ausbleibens geladen wurde, im letzten Termin anwesend war als der Fortsetzungstermin bestimmt wurde,

er heute unentschuldigt nicht erschienen ist,

Gründe für sein Ausbleiben weder vorgetragen noch auch sonst ersichtlich sind,



weiter kein Verteidiger mit schriftlicher Vollmacht im heutigen Termin anwesend ist."

Das Berufungsgericht hat damit nicht hinreichend festgestellt, dass der Angeklagte auch dahingehend belehrt worden ist, dass sein unentschuldigtes Ausbleiben nicht nur im ersten sondern auch im Fortsetzungstermin zu einer Verwerfung seiner Berufung führen könne.

Aus einem in den Akten befindlichen Erledigungsvermerk vom 07.06.2017 (Bl. 118) ergibt sich zwar, dass am 07.06.2017 der Angeklagte mit Postzustellungsurkunde und der Verteidiger mit Empfangsbekenntnis sowie per Telefax geladen worden sind. Hieraus ist aber ebenfalls nicht ersichtlich, ob auch eine entsprechende Belehrung erfolgte.



cc) Der unterbliebene Hinweis auf die Folgen seines unentschuldigten Ausbleibens war auch ursächlich für das Ausbleiben des Angeklagten. Es kann nicht unterstellt werden, das der Angeklagte dem Fortsetzungstermin auch dann ferngeblieben wäre, wenn er vorher auf die Möglichkeit der Verwerfung seiner Berufung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO ausdrücklich hingewiesen worden wäre. Der Senat kann deshalb nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Verstoß gegen § 329 Abs. 1 StPO beruht.

dd) Ob die Revision auch mit den weiteren Rügen Erfolg gehabt hätte, kann somit dahin stehen.

3. Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers (§ 337 StPO), ist das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 349 Abs. 4, § 353 Abs. 1 und Abs. 2 StPO). Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-​Fürth zurückverwiesen, die auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben wird (§ 354 Abs. 2 StPO).

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